Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: So ist es!)

Woran liegt das? - Das liegt zum einen daran, dass man die Versprechungen, die man seit 2011 auch gegenüber den niedersächsischen Kommunen gemacht hat, gebrochen hat. Diesen Ankündigungen sind keine Taten gefolgt. Deswegen müssen die niedersächsischen Kommunen Böses ahnen. Wenn es dem Land irgendwann einmal finanziell schlechter geht, dann droht am Ende doch, dass die Schuldenbremse auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen wird.

Es gibt einen zweiten Punkt, warum ich über den Beratungsverlauf enttäuscht bin. Eine harte Schuldenbremse wird nun nicht kommen. Der Entwurf der Landesregierung war, sagen wir mal, einigermaßen okay. Wir haben damals aus unserer Sicht den Punkt kritisiert, dass es keinen gesetzlichen Schuldenabbau gibt. Aber zumindest war das, was das Regelwerk für die Schuldenbremse selbst anbelangt hat, einigermaßen okay.

Nach der Anhörung gab es eine Diskussion darüber, was möglicherweise noch verändert werden muss. Da gab es zum einen den Vorschlag der CDU, nämlich dass man den Schuldenabbau noch gesetzlich regeln will. Zum anderen gab es den Wunsch der SPD, dass man Ausnahmen von der Schuldenbremse vereinfacht und das Zweidrittelquorum entsprechend absenkt. Das ist eine Aufweichung der Schuldenbremse! Zwei Änderungswünsche der Koalitionspartner standen sich gegenüber. Logischerweise hatte ich mehr Sympathie für den Vorschlag der CDU. Am Ende, muss

man aber sagen, hat sich nur die SPD durchgesetzt. Die CDU, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist an dieser Stelle komplett eingeknickt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der AfD)

Dies zeigt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass für Sie der Schuldenabbau nur taktische Verhandlungsmasse ist. Für uns hingegen ist der Schuldenabbau Haltung und Verantwortung gegenüber der nächsten Generation.

Deswegen möchten wir Ihnen heute mit unserem Änderungsantrag zur Landeshaushaltsordnung

noch einmal die Gelegenheit geben, diesen Fehler aus den Ausschussberatungen zu korrigieren. Wir haben den Vorschlag des Landesrechnungshofs aufgegriffen, dass man sich in den nächsten zehn Jahren gesetzlich vornehmen soll, 5 Milliarden Euro Schulden abzubauen. Diesen Vorschlag haben wir schon in die Ausschussberatungen eingebracht. Wir bringen ihn heute erneut ein, weil es ein sinnvoller Vorschlag ist. Er ist vom Landesrechnungshof gemacht worden und hat übrigens auch ein Vorbild in der bayerischen Verfassung. Es gibt durchaus gute Beispiele, dass das auch in anderen Ländern funktioniert. Heute haben Sie noch einmal die Gelegenheit, diesem gesetzlich geregelten Schuldenabbau zuzustimmen.

Wir müssen heute feststellen: Die Schuldenbremse, wie sie ursprünglich einmal angelegt war, ist von den Sozialdemokraten sabotiert worden. Das ist keine Bremse mehr; das ist nur noch Leerlauf. Wir als Freie Demokraten stehen weiterhin für eine harte Schuldenbremse mit einer gesetzlichen Regelung für den Schuldenabbau.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Peer Lilienthal [AfD])

Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Für die AfDFraktion hat sich der Abgeordnete Peer Lilienthal zu Wort gemeldet. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schulden sind per se erst mal nichts Schlechtes. Wenn beispielsweise ein Unternehmer einen Kredit aufnimmt, um in die Zukunft zu investieren, dann ist das nicht verwerflich und auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht völlig nachvollziehbar und richtig. Das Problem bei Politik und Schulden, also bei

dem Verhältnis zwischen Staat, Staatsverschuldung und Staatsneuverschuldung, ist, dass die Politik, verglichen mit dem Unternehmer und auch mit dem Privatmann, eine deutlich ausgeprägtere Gegenwartspräferenz hat.

Das liegt, wie in der Anhörung im Übrigen auch noch weit deutlicher gesagt worden ist, an unseren Wahlzyklen. Das Unternehmen lebt so lange, wie der Unternehmer lebt oder so lange er im Unternehmen aktiv ist, und auch das private Häuschen besteht vermutlich bis zum Lebensende. Das ist beim Staat auch so. Der Staat existiert also weiter, während sich natürlich Mehrheiten und Regierungskonstellationen ändern. Das bedeutet: Wir alle haben, ganz besonders dann, wenn wir in Regierungsverantwortung sind, die Präferenz, jetzt, heute in unserer Legislaturperiode etwas zu schaffen, was wir möglicherweise in kommenden Legislaturperioden mangels Machterhalt nicht

mehr schaffen können. Das ist im Hinblick auf die Schuldenaufnahme ein ganz besonderes Problem.

Schulden wurden in der Vergangenheit für alles Mögliche, Sinniges und Unsinniges, aufgenommen. Es gab auch immer mal wieder die Idee, dass der Staat ohne Schulden auskommen müsse. Sogar in jüngster Vergangenheit hat der Kollege Michael Hüther einmal gesagt - das war übrigens im Rahmen einer CDU-Klausurtagung -: In den 1990er-Jahren wäre der Haushalt der damaligen Bundesrepublik eigentlich neuverschuldungsfrei gewesen, wenn nicht die deutsche Wiedervereinigung gekommen wäre. Nun sind wir natürlich allesamt froh über die deutsche Wiedervereinigung und wissen auch, dass solche Ereignisse aber immer wieder kommen - ohne Bewertung -: Flüchtlingskrise, Wiedervereinigung, Wetterveränderung usw.

Wir sind als Menschheit nicht davor gefeit, dass sich irgendetwas im Ablauf der Dinge, in unserer Lebensrealität ändert. Das wird politisch immer wieder dafür genutzt, Schulden zu machen. Das hat der Staat frühzeitig erkannt und hat eine Goldene Regel aufgestellt, die von 1969 bis 2009 galt, aber dann natürlich grandios scheiterte. Man hat sich in der Folge dazu durchgerungen, auch vor dem Hintergrund der Finanzkrise, die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufzunehmen. Eben vor dem Hintergrund des Jahres 2008 ist die grundgesetzliche Regelung sehr, sehr hart, lässt aber Gestaltungsspielraum zu. Der Bund selber hat diesen Gestaltungsspielraum durch das sogenannte Artikel 115-Gesetz ausgefüllt, und auch wir können das hier machen.

Heute soll also der Tag sein, an dem wir das tun. Die Landesregierung hat sehr lange dafür gebraucht, hat aber Anfang des Jahres 2019 einen Vorschlag gemacht, der - das sage ich ganz offen - nicht so schlecht war. Auch wir haben uns in den Beratungen gewünscht, dass diese Ausnahmesituation etwas trennschärfer dargestellt wird, indem definiert wird, was genau eine Notsituation ist. Wir haben uns aber sehr - auch das habe ich frühzeitig kommuniziert - über die Zweidrittelmehrheit gefreut.

Die Anhörung wurde unter enormem Zeitdruck durchgeführt, was übrigens auch in den schriftlichen Stellungnahmen der Anzuhörenden zu lesen ist. Nach der Anhörung gab es Beratungsbedarf. Oh Wunder, die Zweidrittelmehrheit wurde durch den haushaltspolitischen Sprecher der SPDFraktion infrage gestellt. Das hat uns deutlich gewundert, weil diese Zweidrittelmehrheit überhaupt niemals in den Anhörungen problematisiert wurde.

(Dr. Silke Lesemann [SPD]: Natürlich!)

Sie wurde seitens der SPD nicht problematisiert, sie wurde angesprochen, und dafür möchte ich zwei Beispiele bringen. Aus dem Protokoll vom 24. April möchte ich zitieren. Anzuhörender war Dr. Bajohr, Haushaltsexperte, Politikwissenschaftler und im Übrigen Mitglied der Grünen, ehemaliger Landtagsabgeordneter in NRW. Er sagte:

„Darin“

- damit meinte er seine schriftliche Stellungnahme -

„gehe ich auch auf die Änderung des Artikels 58 und auf die Regelung der Zweidrittelmehrheit ein, die ich befürworte.“

Also, er ist eindeutig dafür.

Ein ganz kundiger Kopf ist Dr. Potrafke vom IfoInstitut, der übrigens auf meine Nachfrage nach den Notsituationen gesagt hat, es sei ja gar nicht so wichtig; denn diese Notsituation festzustellen, liege ja in Ihren Händen.

Er hat gesagt:

„Denn die Antwort auf die Frage, wann es sich um eine außergewöhnliche Notsituation handelt, soll ja in Ihren Händen liegen. Das finde ich gut. Ich betrachte es als starkes Element des Föderalismus, wenn eine Zweidrittelmehrheit im Niedersächsischen Landtag entscheiden kann, dass man sich in einer besonderen Situation befindet.“

Ferner hat sich der Landesrechnungshof in diesem Fall ungewöhnlich deutlich - wir haben ja hier in Niedersachsen keinen polternden Rechnungshof, der sich ständig zu Wort meldet - zu Wort gemeldet und sich ganz klar für eine harte Schuldenbremse, für eine restriktive Regelung, also auch für die Zweidrittelmehrheit, ausgesprochen.

Was danach gekommen ist, war kein Umlenken oder ein Einlenken im Sinne eines von uns so dringend geforderten Bekenntnisses zur harten Schuldenbremse der CDU-Fraktion. Darauf hatte ich gesetzt. Ich hatte das im Rahmen der Aktuellen Stunde zur Schuldenbremse, die von der FDP angestoßen wurde, auch noch einmal gesagt, es wäre jetzt Ihre Aufgabe gewesen, auf keinen Fall diese Zweidrittelmehrheit zur Disposition zu stellen. - Genau das ist leider nicht gelungen.

Uns liegt jetzt ein Änderungsantrag, im Grunde genommen ein Stufenmodell, mit einer einmaligen Zweidrittelmehrheit, wenn etwas ganz Schlimmes passiert, und dann noch eine gegriffene kleine Auflösung der Schuldenbremse, die eigentlich nicht weiter begründet wurde, vor. In der letzten Woche ist noch einmal thematisiert worden, wie diese 0,5 % zustande kommen. Woher kommt dieser Wert? - Völlig gegriffen!

Auf die Nachfrage, ob das irgendwie kumulativ sei, ob man immer wieder einen solchen kleinen Notfall feststellen kann, wurde gesagt: Im Gesetz steht es nicht, ich gebe aber hier noch einmal zu Protokoll - als wenn sonst kein Protokoll geschrieben wird -, dass das nicht kumulativ gemeint ist. - So viel zur Gesetzesschärfe.

Das ist natürlich ökonomischer Hokuspokus erster Güte. Wir lehnen folgerichtig den Vorschlag der Landesregierung ab und stimmen - das ist das Ergebnis der Beratungen des Kollegen Emden und mir - dem FDP-Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ulf Thiele. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist geschafft - fast. Der Niedersächsische Landtag wird gleich, Christian Grascha hat es dargestellt, nach einer innerhalb von acht Jahren immer wieder geführten Debatte und jetzt nach erneuten

siebenmonatigen parlamentarischen und interfraktionellen Beratungen den Artikel 71 der Landesverfassung ändern und eine niedersächsische Schuldenbremse mit Verfassungsrang beschließen. Für die CDU-Landtagsfraktion ist dies ein Grund zur Freude und zur Dankbarkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danken möchte ich persönlich in diesem Zusammenhang unserem Finanzminister Reinhold Hilbers, der diese Schuldenbremse mit Klarheit und Verhandlungsgeschick durchgesetzt hat. Danken möchte ich aber auch dem Chef der Staatskanzlei, Herrn Dr. Mielke, sowie den Finanz- und Rechtspolitikern der SPD-Fraktion um Frauke Heiligenstadt und Ulf Prange sowie denen meiner Fraktion für die zugegeben sehr intensive, aber zugleich immer ziel- und kompromissorientierte Diskussion. Der Dank meiner Fraktion gilt nicht zuletzt den zahlreichen Experten in der Ausschussanhörung sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Finanzministeriums sowie des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, die die Beratungen der Kollegen im Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen sowie bei uns im Ausschuss für Haushalt und Finanzen mit großer Kompetenz und guten Argumenten unterstützt haben. Alle gemeinsam haben wichtige Beiträge zu dieser Verfassungsänderung und zu einer klugen Ausgestaltung der Schuldenbremse geleistet.

Herr Grascha, machen Sie sich keine Sorgen um die CDU. In dieser Schuldenbremse steckt sehr viel CDU, mehr als ich zu Beginn der Debatte erwartet hätte.

(Beifall bei der CDU)

Auch wenn die Opposition leider nicht die Größe zeigt, diesen historischen Schritt, den dieses Hohe Haus heute gehen wird, mitzugehen, auch wenn die FDP so tut, als sei es möglich, eine Verfassungsänderung dieses Kalibers ohne Kompromisse zu erreichen, auch wenn die Grünen, Herr Wenzel, in den Beratungen im Ausschuss und auch hier im Landtag in den letzten Monaten viele Worte um die Schuldenbremse machen, aber wieder und wieder wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen, um zu kaschieren, dass sie die Schuldenbremse gar nicht wollen. Herr Wenzel, Sie wollen die Schuldenbremse in der Verfassung nicht. Sie wollen sie auch nicht gesetzlich regeln.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Er hat doch einen Vorschlag vorgelegt!)

Sie wollen sie überhaupt nicht, weil Sie zwar viel von Nachhaltigkeit in allen möglichen Zusammenhängen schwadronieren, nachhaltige Finanzpolitik aber als Bedrohung Ihres staatsdirigistischen Wirtschaftsmodells ablehnen.

(Beifall bei der CDU - Christian Meyer [GRÜNE]: Wir haben doch einen Vor- schlag vorgelegt!)

Deswegen haben Sie spätestens im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass Sie von einer Schuldenbremse, die eine tatsächliche Schuldenbremse ist, nichts halten, sondern diese aushöhlen wollen.

Herr Lilienthal, auch wenn die AfD zu der gesamten Debatte um dieses zentrale finanzwirtschaftliche, staatspolitische Thema wie so oft nur heiße Luft produziert und am Ende ohne eigenes Konzept als Neinsager dasteht und auch wenn man sich hätte wünschen können, dass eine solch fundamentale und grundsätzliche Änderung der Landesverfassung nicht nur von den die Regierung tragenden Fraktionen, sondern auch zumindest von Teilen der Opposition mitgetragen würde,

(Anja Piel [GRÜNE]: Ist das eine Re- gierungserklärung? Oder nimmt das auch noch ein Ende?)