Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie namens des Präsidiums und eröffne die 71. Sitzung im 25. Tagungsabschnitt des Landtages der 18. Wahlperiode.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Nacht zum 20. Februar sind in Hanau neun Menschen - acht Männer und eine Frau - ermordet worden. Sie waren zwischen 21 und 44 Jahre alt. Fünf Menschen erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Alle Opfer hatten einen Migrationshintergrund. Der Täter tötete zudem seine Mutter und anschließend sich selbst. Wieder wurden Menschen Opfer eines rechtsterroristischen Anschlages - der dritte Anschlag von Rechtsextremisten in wenigen Monaten.
Der Niedersächsische Landtag verurteilt die menschenfeindliche, rassistische Untat von Hanau. Wir trauern um die Toten. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen, den Verletzten und ihren Angehörigen. Vereint stehen wir an der Seite aller Menschen, die von Rassismus, Hass und Gewalt bedroht sind. Sie können sich unserer Solidarität wie auch der Solidarität der großen Mehrheit in unserem Land sicher sein.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben bereits am Tag nach dem Anschlag bei Mahnwachen und Gedenkveranstaltungen in unseren Städten und Gemeinden spontan und eindrucksvoll gezeigt, dass sie Menschenhass in unserem Land nicht dulden und gemeinsam Rassismus und Gewalt entgegentreten.
Wir alle wissen: Der Mörder von Walter Lübcke, der Mörder von Halle, der Attentäter von Hanau - auch wenn es die Taten von Einzelnen gewesen sein mögen - sind nicht allein mit ihrem Rassismus und ihrem Hass auf Andersgläubige, Hass auf Andersdenkende, Hass auf alles Fremde. Die Täter solcher Verbrechen werden angestachelt von jenen, die mit einer menschenverachtenden Sprache Hass schüren, spalten und ausgrenzen, von jenen, die ehemals Unsagbares wieder sagbar
machen und versuchen, dies zur Normalität zu erheben. Sie sind es, die dafür sorgen, dass sich Gewaltbereite verstanden fühlen. Sie sind es, die den Nährboden für Hassverbrechen wie in Kassel, in Halle, in Hanau bereiten. Sie sind mitschuldig.
Es ist die Pflicht des Staates, für den Schutz und die Sicherheit seiner Bürger und Bürgerinnen zu sorgen, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus entschlossen zu bekämpfen sowie gegen Hasskriminalität im Netz und anderswo entschieden vorzugehen. Unabdingbar ist jedoch auch, dass jeder und jede von uns seine bzw. ihre Stimme gegen die Feinde unserer demokratischen Grundordnung erhebt, dass wir nicht schweigen, sondern widersprechen, wenn menschenverachtend gehetzt, gedroht, ausgegrenzt und beleidigt wird, dass wir für die Prinzipien von Toleranz, Respekt und Integration gemeinsam einstehen. Eine weltoffene, freiheitliche Gesellschaft kann nur mit Menschen bestehen, die sie verteidigen.
Verehrte Kollegen und Kolleginnen, ich bitte Sie nun, sich zum Gedenken an die Opfer des Anschlages von Ihren Plätzen zu erheben.
Wir kommen nun zur Tagesordnung. Die Einladung für diesen Tagungsabschnitt sowie die Tagesordnung einschließlich des Nachtrages und der Informationen zu den von den Fraktionen umverteilten Redezeiten liegen Ihnen vor.
Wie mir mitgeteilt wurde, besteht seitens der Fraktionen der SPD, der CDU, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP Einvernehmen darüber, die Reihenfolge der beiden Anträge für die heutige Aktuelle Stunde zu tauschen, also zunächst den Antrag der Fraktion der CDU und daran anschließend den Antrag der Fraktion der FDP zu behandeln.
Nach § 66 unserer Geschäftsordnung entscheidet der Landtag mit Mehrheit über eine Änderung der Reihenfolge der Beratungsgegenstände. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit der vorgeschlagenen Änderung der Reihenfolge feststellen? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Darf ich hinsichtlich der geänderten Redezeiten ebenfalls Ihr das Einverständnis feststellen? - Dem ist so. Vielen Dank.
Ergänzend weise ich darauf hin, dass in der Portikushalle die Ausstellung „Zeitenwende ’45 - Aufbruch in ein neues Europa“ zu sehen ist, die der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. konzipiert hat. Die Veranstalter freuen sich über Ihr Interesse.
Für die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ werden in den kommenden Tagen Schülerinnen und Schüler der Gutzmannschule, Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache, aus Langenhagen mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür hat unser Kollege Herr Fredermann übernommen. Vielen Dank, Herr Fredermann.
Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Eilers mit. Bitte, Frau Eilers!
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für heute haben sich entschuldigt von der Fraktion der SPD Herr Stefan Klein bis zur Mittagspause und Herr Uwe Schwarz.
Bevor ich die Aktuelle Stunde aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass Herr Minister Pistorius im Anschluss an die Aktuelle Stunde den Landtag über eine Anschlagsdrohung in Göttingen unterrichten wird.
Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich als bekannt voraus.
Wie gerade beschlossen, soll zunächst der Antrag der Fraktion der CDU und anschließend der Antrag der Fraktion der FDP behandelt werden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ereignisse von Hanau machen uns wieder einmal sprachlos - sprachlos vor allem deshalb, weil wir uns erst vor wenigen Monaten mit dem ganz ähnlichen Vorfall in Halle beschäftigt haben. Damals waren es vor allem jüdische Mitmenschen, die von beispielloser Brutalität und Gewalt getroffen wurden. In Hanau waren es vor allem türkische und türkischstämmige Menschen, aber auch solche ganz anderer Herkunft.
Ich betone die Herkunft der Opfer aus folgendem Grund: Wer tatsächlich glaubt, hier gehe es um eine religiöse Auseinandersetzung, um einen Kampf gegen den Islam, der erweist dem Attentäter zu viel der Ehre.
Es war nicht religiöser Eifer, der diesen Menschen getrieben hat. Es war kein christliches oder anderes Wertegefühl, das ihn geleitet hat. Es war der Hass auf das vermeintlich Fremde, der ihn geführt hat. Mit Religion hat dies nichts, aber auch gar nichts zu tun. Deshalb sollten Menschen aller Religionen jetzt zusammenstehen, um diesem Hass auf das Fremde zu begegnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war auch nicht die Tat eines Irren. Es war die Tat eines rassistisch und damit politisch motivierten Gewalttäters, eines Menschen, von dem man vielleicht feststellen wird, dass er aufgrund einer psychischen Erkrankung anfällig war - anfällig für die Verleitung durch solche, die den Hass auf das Fremde schüren wollen, anfällig für solche, die sich ganz gern schwacher Charaktere bedienen, wenn sie den Kampf um ein anderes Deutschland führen, solche, die aus dem Hintergrund agieren, solche, denen wir uns als deutsche Demokraten Hand in Hand widersetzen werden.
Der Attentäter aus Hanau hat uns ein sogenanntes Manifest hinterlassen, das Einblicke darin zulässt, was diesen Menschen getrieben hat, ein Manifest, das bemerkenswerterweise von denen, die die Angst in diesem Land schüren, dafür verwandt wird, darzulegen, dass dieser Attentäter ein paranoider Psychopath gewesen sei, den man jetzt nicht politisch instrumentalisieren dürfe. Liest man dieses Manifest, wird aber tatsächlich eines deutlich: Dieser Täter wurde von einer Furcht getrieben - der Furcht vor einer Überfremdung unseres Heimatlandes. Deshalb trifft die Verantwortung für diese Tat tatsächlich auch alle, die diese Furcht in unserem Land Tag für Tag befeuern,
(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])
einem Land, das zu den wohlhabendsten der Welt gehört, einem Land, in dem die öffentliche Sicherheit durch einen funktionierenden Rechtsstaat garantiert wird, einem Land, in dem gesundheitliche und soziale Versorgung noch immer für viele Teile der Welt beispielhaft sind, einem Land, das keineswegs vom Untergang bedroht ist.
Zu den praktischen Herausforderungen an die Politik gehört aber auch Folgendes: Wir müssen uns mit den Angstmachern und ihren Opfern ernsthaft auseinandersetzen. Es wird nicht ausreichen, wenn wir auf populistische und fanatisierende Politik mit Empörung und Ablehnung reagieren. Die, die diese Botschaften formulieren, wissen eines: Die Botschaft fällt dann auf fruchtbaren Boden, wenn ihr ein Kern von Wahrheit beschieden ist. Diesen Kern herauszuarbeiten, sich sachlich mit ihm zu beschäftigen, Lösungen anzubieten und so die Botschaft als solche zu entzaubern, das ist die Aufgabe der Politik,
(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])
so auch im Falle von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wir müssen uns der Furcht vor der Andersartigkeit der fremden Herkunft bis hin zur sogenannten Rasse entgegenstellen.
Der Attentäter war - so stand es in der FAZ sehr schön beschrieben - ein Deutscher mit deutschen Wurzeln. Diese Formulierung ist überaus feinsinnig gewählt. Sie wirft nämlich die Frage auf, was sie eigentlich sind, diese deutschen Wurzeln.
Der Schriftsteller Carl Zuckmayer fand 1946 eine Antwort in seinem Drama „Des Teufels General“. Die Hauptfigur dieses Dramas, der besagte General, wendet sich an einer Stelle des Stückes an einen jungen Offizier, der um den Nachweis seiner arischen Abstammung fürchtet, und entwickelt eine Metapher, die sogenannte Völkermühle, in der er die nationalsozialistische Rassenlehre umkehrt.
Die Passage ist leider viel zu lang, um sie hier vollständig zu zitieren. Nur so viel: Am Beispiel des Rheinlandes lässt Zuckmayer seine Hauptfigur erklären, dass Einwanderung ein Teil der deutschen Geschichte ist. Ob römische Legionäre, jüdische Gewürzhändler, griechische Ärzte,
schwedische Landsknechte, französische Schauspieler oder böhmische Musikanten, sie alle hätten sich am Rhein getroffen und zur Vermischung ihrer Völker beigetragen. Aus dieser Völkermühle sei dann wie aus vielen Quellen, Bächen und Flüssen ein großer, lebendiger Strom entstanden - ein Strom, der das Beste von allem vereint habe.
Wir alle hier sind ein Produkt dieser deutschen Völkermühle - die einen mehr, die anderen weniger. Aber wir alle sollten stolz darauf sein und dem Rassismus vereint entgegentreten.
(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])
Vielen Dank, Herr Toepffer. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Fraktionsvorsitzende Frau Piel das Wort. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank an die CDU und an den Kollegen Toepffer für diese Aktuelle Stunde.