Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank an die CDU und an den Kollegen Toepffer für diese Aktuelle Stunde.
Viele von uns haben dieser Tage das Gefühl, dass in den rassistischen Gewaltexzessen, die passieren, Worte zu Taten werden. Wir haben es mit geistigen Brandstiftern zu tun. Sie schaffen im bürgerlichen Gewand mit ihren rassistischen Ideologien, ihrem giftigen Gerede von „Umvolkung“, mit ihrer Einteilung von Menschen in wertvolle Menschen und minderwertige Menschen die Grundlage, ja die Rechtfertigung dafür, dass so schlimme Gewalttaten wie in Hanau passieren.
Wenn wir also tatsächlich etwas außerhalb der Mahnwachen und Demonstrationen tun wollen, dann ist es, diese Brandstifter beim Namen zu nennen. Sie sitzen auch hier im Landtag. Sie bekommen in diesen Tagen zu spüren, dass die große Mehrheit der Menschen in diesem Land ihre erbärmlichen Absichten erkennt.
(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])
Die Spitzen der AfD erklären jetzt den eigenen Leuten, sie müssten in ihrer Sprache aufpassen, um ja nicht rassistisch zu wirken.
Aber genau das sind sie. Sie möchten nur nicht als das erkannt werden, was sie in Wirklichkeit sind.
Sie protestieren hier auch immer gerne gegen diese Angriffe, als seien sie selbst die Opfer. Aber schauen Sie sich einfach genau an, was ihre Leute vom völkischen - um nicht zu sagen: vom faschistischen - Flügel alles planen! Sie wollen Menschen, die nach ihrer Ansicht nicht hierher gehören, zurückführen. Sie wollen keine offene, humane Gesellschaft.
Am Ende dieser andauernden Grenzüberschreitungen stehen dann schreckliche Gewalttaten wie in Halle, bei Kassel, in Chemnitz. Alle diese Orte stehen dafür, dass Rassisten in Deutschland 75 Jahre nach dem Ende des Holocaust wieder Menschen an Leib und Leben bedrohen. Und nun ist ein weiterer Ort hinzugekommen: Hanau in Hessen, ein weiterer Ort, der in Zukunft mit rechtsextremem Terror verbunden sein wird.
Aber alles das verschleiert, dass Rassismus eben nicht nur in bestimmten Städten oder Regionen existiert. Rassismus existiert hier, in unserer Mitte. Er ist unser gemeinsames Problem. Rassismus beginnt in der Straßenbahn, wenn Menschen nur deshalb kontrolliert werden, weil ihre Hautfarbe schwarz ist. Er manifestiert sich in der Wohnungssuche, wenn Menschen mit anders klingenden Namen schlechter Wohnungen finden, oder in der Schule, wenn die Empfehlung für das Gymnasium schwerer fällt. Und es ist auch rassistisch, wenn Shishabars in einer bundesweiten Kampagne als Orte potenzieller Straftaten eingestuft werden.
Und nein, bei aller Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen, wir sind nicht alle gleich von den Taten in Hanau, Halle und Chemnitz betroffen.
Gestern fuhr ich auf dem Weg zum Landtag mit einem jungen Mann in der Bahn, vielleicht im Alter meiner Kinder. Er senkte jedes Mal den Blick, wenn Leute ihn anguckten, weil er schwarz war. Mit Sicherheit ist er einer von den Menschen, die sich jeden Tag gegen rechte Anfeindungen stellen müssen und sich das nicht ausgesucht haben.
Wir müssen denen zur Seite stehen, die sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlen können. Ich bin Herrn Toepffer für seine Worte außerordentlich dankbar. Denn nicht sie sollen Angst haben. Besser sollten sich jene fürchten, die es wagen, unsere Nachbarn, ihre Nachbarn, zu sortieren und eine Selektion in wertvolle und nicht so wertvolle Menschen vorzunehmen, die sich anmaßen, Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens einzuteilen. Diejenigen sollten Angst haben, die Waffen oder Sprengstoff anschaffen, um anderen Gewalt anzutun. Wir werden alle rechtlichen Mittel einsetzen und nicht ruhen, bis diese Strukturen zerschlagen sind und wir diese Menschen gestoppt haben.
Wir dürfen nicht zulassen, dass der rechte Terror unsere Gesellschaft vergiftet. Arbeiten wir besser gemeinsam daran, dass wir geeint und solidarisch daraus hervorgehen! Dafür müssen wir Mehrheiten organisieren - nicht nur bei Mahnwachen und Demonstrationen. Wir müssen diese Mehrheiten jeden Tag organisieren: bei der Arbeit, an allen Orten, an denen wir sind, auf der Straße, in Kneipen, in Diskotheken. Das sind wir all jenen schuldig, die tagtäglich unter dem Rassismus leiden.
Die Hinterbliebenen mahnen uns: Sagt ihre Namen! Vergesst ihre Namen nicht! Ferhat, Gökhan, Hamza, Said, Mercedes, Sedat, Kaloyan, Fatih Saracoglu und Vili - ihr Nachname ist „Mensch“.
Vielen Dank, Frau Piel. - Es folgt nun Herr Kollege Becker für die SPD-Fraktion. Bitte, Herr Kollege!
Danke. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist eben nicht nur Hanau. Es sind gleichermaßen die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds, dessen Mitglieder zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, neun davon mit Migrationshintergrund, umgebracht haben. Es ist auch der rechtsradikale Anschlag von München, bei dem 2016 neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen wurden. Es ist ebenso das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Es ist auch der versuchte Mord von Halle, als der rechtsradikale Täter am Jom-Kippur-Tag nur an der Massivität der Zugangstür zum Innenhof der Synagoge an seinen Mordabsichten gehindert worden ist. Ja, und es ist Hanau, wo am 19. Februar neun Menschen von einem rechtsradikalen Täter in zwei Shishabars ermordet wurden.
Alle diese Täter, meine Damen und Herren, haben vor dem Hintergrund einer rechtsextremistischen, rassistischen Ideologie gemordet, eines rechtsextremistischen Gedankenguts, das in den letzten Jahren immer stärker geworden ist - so stark, dass sich die Gewaltbereiten inzwischen offenbar verstanden fühlen und in der vermeintlichen Gewissheit einer breiten Zustimmung handeln.
Meine Damen und Herren, wenn die Pegida und ihre Ableger gegen die von ihr behauptete „Islamisierung“ und die Einwanderungs- und Asylpolitik Deutschlands hetzen, vom „Volkstod“ schwafeln, weil migrantische Familien angeblich mehr Kinder als deutsche bekämen, und wenn in deutschen Parlamenten von AfD-Vertretern von „Umvolkung“ fabuliert und gefordert wird, das deutsche Volk müsse sich gegen seine Regierung wehren, dann fühlen sich Gewalttäter ganz offensichtlich ermuntert und legitimiert, sich mit Gewalt zu wehren - bis hin zur Nutzung von Schusswaffen.
Meine Damen und Herren, das ist die Situation. Und jetzt ist es an uns als Demokraten, die richtigen Lehren daraus zu ziehen. Ich bin überzeugt, dass die alten Reflexe, die Forderungen nach restriktiveren Gesetzen, nach mehr Personal, nach einer höheren Polizeipräsenz schnell an die Grenzen ihrer Wirksamkeit stoßen. Denn genügt das wirklich? Treffen wir damit den Kern des Problems, und wollen wir uns dauerhaft mit den daraus er
wachsenden Konsequenzen arrangieren? Wollen wir dauerhaft Streifenwagen vor jeder Moschee postieren und Sicherheitszonen schaffen, die für sich genommen ja auch nichts anderes symbolisieren als eine ausgrenzende Hilflosigkeit?
Meine Damen und Herren, wenn menschenfeindliche Einstellungen unser friedliches Zusammenleben bedrohen, dann dürfen wir nicht in der Bekämpfung der Symptome steckenbleiben. Wir müssen die Ursachen bekämpfen. Wir müssen die Demokratieresilienz stärken. Dazu ist zuallererst Haltung gefragt,
die demokratische Haltung einer starken Zivilgesellschaft, in der sich jede und jeder Einzelne in die Pflicht nimmt. Das fängt bei der Weigerung an, schlechte Witze zu akzeptieren, und hört bei wahrnehmbarem Widerspruch gegenüber Alltagsrassismus nicht auf.
Meine Damen und Herren, diese Haltung muss erworben werden, von jeder Generation aufs Neue. Darum brauchen wir vor allem eine kontinuierliche und verlässliche Präventionsarbeit zur Stärkung unserer Demokratie und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dafür haben wir mit unserer Landeszentrale für politische Bildung, wie ich meine, eine gute Basis. Aber wir müssen auch die nachweislich wirksamen und praxisbewährten Projekte aus der bloßen Projektförderung herausholen und verstetigen. Bei dieser langfristigen Absicherung kann uns der Bund mit einem Demokratiefördergesetz sicherlich wir
Ich finde, das ist auch ein Grund für Zuversicht. Denn zeitgeschichtlich hat sich die Menschlichkeit immer durchgesetzt. Das wird auch diesmal wieder so sein. Ich hoffe allerdings, dass wir nicht zu lange darauf warten müssen.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die FDP-Fraktion hat nun der Fraktionsvorsitzende Dr. Birkner das Wort. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Morde von Hanau haben uns alle erschüttert und machen uns tief betroffen. Aber wir müssen darüber hinwegkommen, sozusagen in der Sprachlosigkeit zu verharren, und müssen Konsequenzen daraus ziehen.
Das eine ist - da stimme ich Herrn Becker zu - die Frage der Haltung, die jeden Einzelnen betrifft, überall, an jedem Ort und zu jeder Zeit Rechtsextremismus zu bekämpfen, sich tatsächlich auch persönlich einzubringen und es nicht zu dulden, wenn entsprechende Worte fallen oder Taten geschehen.
Der zweite Punkt ist, dass wir den Rechtsextremismus konsequent bekämpfen müssen. Das bedeutet auch, dass wir die Sicherheitsbehörden im repressiven Bereich besser ausstatten und überprüfen müssen, ob wir da tatsächlich so gut aufgestellt sind, wie wir das manchmal glauben. Es gibt mehr als 600 offene Haftbefehle bezüglich der rechten Szene. Man muss sich auch die Frage stellen, ob nicht die Konzentration auf den Salafismus in den letzten Jahren möglicherweise dazu geführt hat, dass man den Rechtsextremismus etwas unterschätzt hat. Schaut man sich etwa an, in welchem Verhältnis die Anzahl der als Gefährder Eingeschätzten im Bereich des Rechtsextremismus zur Gesamtzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten steht und wie das eigentlich im Verhältnis zum islamistischen Bereich steht, findet man, glaube ich, Anhaltspunkte dafür, dass man dort nachsteuern muss.
Wir brauchen ein Gesamtkonzept des Bundes und der Länder gegen den Rechtsextremismus. Wir müssen wirklich eine gemeinsame einheitliche Linie finden, und wir müssen die föderale Sicherheitsarchitektur auf den Prüfstand stellen. Am Ende, meine Damen und Herren, müssen die Taten von Hanau dazu führen, dass wirklich kein Stein auf dem anderen bleibt. Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht wieder passiert und die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt werden,
Dazu gehört auch - da will ich ausdrücklich das unterstützen, was der Kollege Becker gesagt hat -: Wir brauchen mehr Verlässlichkeit und Berechenbarkeit bei der Förderung von Initiativen, Präventions- und Ausstiegsprojekten.
Wir brauchen hier ein Demokratiefördergesetz, das die langfristige Finanzierung sicherstellt, damit es dort nicht immer zu Unsicherheiten kommt. Und wir brauchen einen Sicherheitsdialog mit den insbesondere gefährdeten Gruppierungen.
Das sind natürlich die jüdischen Gemeinden, das sind die Muslime in Niedersachsen. Hier brauchen wir gemeinsam mit allen Behörden - nicht nur mit den Sicherheitsbehörden, sondern auch mit den Kommunen - einen intensiven Dialog, um tatsächlich zu einer Verbesserung auch der gefühlten Sicherheit zu kommen.
Der zweite Aspekt, der meines Erachtens in der politischen Debatte wichtig ist, ist der Punkt, der hier auch schon angesprochen wurde, dass es auch aus dem politischen Raum mit der AfD eine Partei und eine Fraktion gibt, die den geistigen Nährboden für diese Taten bereitet. Das sind rechtsextremistische Taten, und die AfD tritt in ihrem Verhalten rechtsextremistisch auf.