Protokoll der Sitzung vom 25.03.2020

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

- Vielen Dank.

Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Birkner. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verbreitung des Coronavirus und insbesondere die Verbreitungsgeschwindigkeit stellen für die Gesundheit und das Leben vieler Menschen eine sehr, sehr große und sehr, sehr reale Gefahr dar.

Wir haben keine Impfmöglichkeiten, wir haben bisher keine Medikamente, die eine effektive Behandlung ermöglichen, und es droht eine dramatische Überlastung des Gesundheitssystems, insbesondere der Intensivmedizin. Der Blick nach Italien oder Spanien führt uns eindringlich vor Augen, womit man im schlimmsten Fall zu rechnen hat, zumal wenn man bedenkt, dass wir sozusagen etwa zehn Tage hinter der italienischen Entwicklung zurückliegen.

Wir müssen also in der Tat damit rechnen, dass es zu einer hohen Anzahl von Todesfällen kommen kann, wenn man denn nicht etwas tut und wenn man nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreift.

Dabei muss allen klar sein - es wird immer über Risikogruppen gesprochen, über vorerkrankte

Personen, über ältere Menschen -, dass zunehmend schwere Krankheitsverläufe auch bei jungen Menschen zu sehen sind. Es geht also wirklich - das muss man jedem sagen - jeden an, ganz persönlich bezüglich der eigenen Gesundheit, aber auch in der Verantwortung gegenüber anderen, diese nicht anzustecken und dadurch am Ende zur Verbreitung der Krankheit beizutragen.

Es ist also notwendig - selbstverständlich auch für uns als Liberale -, dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Es ist auch nachvollziehbar und absolut richtig, dass diese dort ansetzen, wo die Verbreitung unterbrochen werden kann, also insbesondere bei der Beschränkung von sozialen Kontakten, bei der Begrenzung von Begegnungen,

wo das Virus von Mensch zu Mensch weitergegeben wird.

Meine Damen und Herren, die von der Landesregierung ergriffenen Maßnahmen, die wir derzeit erleben, stellen in der Tat schwere - ich würde sogar sagen: schwerste - Eingriffe in die bürgerlichen Freiheitsrechte dar, und zwar in einem bisher nicht bekannten Ausmaß mit dramatischen Auswirkungen auf all das, was eine freiheitliche Gesellschaft im Kern ausmacht.

Es geht um den sozialen Kontakt miteinander. Es geht um das Miteinander und den Austausch von Gedanken. Es geht um das kulturelle Leben, es geht um das gesamte gesellschaftliche Leben, das soziale Leben, das politische Leben, das im Prinzip zum Erliegen gekommen ist. Der Kern der freiheitlichen Demokratie, der freiheitlichen Gesellschaft ist somit von diesen Maßnahmen schwer betroffen.

Das Ganze hat weitere Auswirkungen - wie wir jetzt dramatisch sehen - auf das Wirtschaftsleben und damit auch auf die finanziellen Grundlagen für unseren Wohlstand und für unsere Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, man muss sich eines vergegenwärtigen. Was hier alles betroffen und eingeschränkt ist, gleicht im Prinzip einem Ritt durch den Grundrechtskatalog: die allgemeine Handlungsfreiheit, mindestens in Form der Bewegungsfreiheit, aber auch in vielen anderen Formen. Es gibt Eingriffe in die Privat- und Sozialsphäre. Die Berufsausübungsfreiheit ist eingeschränkt. Die Versammlungsfreiheit ist eingeschränkt, ein demokratisches Grundrecht, das ganz wesentlich ist. Die Eigentumsgarantie wird eingegrenzt, die Wissenschaftsfreiheit, die Freiheit von Forschung und Lehre. Man bedenke, was hier an den Universitäten los ist usw. Es ist also wirklich sehr dramatisch auf der einen Seite, was die Bedrohungslage angeht, aber auf der anderen Seite auch, was die Konsequenzen der Maßnahmen angeht.

Solche Maßnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie am Ende während ihrer gesamten Dauer auch verhältnismäßig sind. Das ist für uns die Leitschnur. Sie müssen tatsächlich geeignet sein. Sie müssen erforderlich sein. Und sie müssen am Ende auch in der Abwägung von Gesundheitsschutz und Freiheitsrechten bestehen. Vor dieser großen Herausforderung stehen wir, und deshalb unterstützen wir zumindest zum jetzigen Zeitpunkt als freiheitliche Fraktion, als liberale Kraft in diesem Parlament diese Maßnahmen. Wir werden sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.

Das große Problem ist ja, dass wir die Wirksamkeit der Maßnahmen im Moment gar nicht bemessen können. Wir wissen nicht, ob diese einzelnen Maßnahmen in jedem einzelnen Fall tatsächlich wirksam sind. Wir wissen nur, dass es richtig ist, soziale Kontakte zu unterbinden. Aber welche Maßnahme im Einzelnen welche Relevanz hat, können wir heute noch nicht sagen.

Wir werden die Auswirkungen leider erst mit einem zeitlichen Verzug von 10 bis 14 Tagen sehen. Aber dann wird sich eine Bewertung zwingend ergeben. Dann können wir versuchen, zu beurteilen. Dann haben wir Kriterien, ob diese Maßnahmen den Ansprüchen, die wir an sie haben müssen, tatsächlich genügen, nämlich dass sie geeignet, erforderlich und auch weiterhin angemessen sind.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie sehen es: Wir sehen die Notwendigkeit, aber wir wollen auch ein klares Augenmerk auf die Schwere der Eingriffe richten, die damit verbunden sind. Es ist klar, dass daraus folgt, dass all das nur auf Zeit hinnehmbar sein wird. Wir werden natürlich sehen müssen, wie sich die Dinge entwickeln. Ich bin aber der festen Überzeugung: Auf Dauer hält das eine freiheitliche Gesellschaft kaum aus, weil es eben den Kern der freiheitlichen Gesellschaft trifft.

Ich habe viel Verständnis dafür, dass man angesichts der bisherigen Dynamik schnell entscheiden muss. Wenn diese Dynamik aber hoffentlich gebrochen werden kann, wünsche ich mir, dass wir bei jeder Phase, was die Vorausschau angeht, noch viel stärker bei einzelnen Entscheidungen parlamentarisch eingebunden werden.

Nicht ohne Grund gilt das Prinzip, dass wesentliche Entscheidungen dem Parlament vorbehalten bleiben. Auch wenn die Landesregierung ohne Zweifel eine Ermächtigungsgrundlage für ihr Handeln hat, sind diese Entscheidungen doch von ihrer Qualität so wesentlich, dass wir bei dem, was noch vor uns steht, das Parlament sehr eng eingebunden sehen wollen.

(Beifall bei der FDP)

Dazu gehört für uns auch, dass wir als Parlament eine noch viel stärkere Nutzung digitaler Möglichkeiten sicherstellen wollen. Wir haben als Fraktion der FDP einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir sind darauf hingewiesen worden, dass das alles mit der Niedersächsischen Verfassung nicht so ohne Weiteres vereinbar ist.

Wir müssen genau über diesen Punkt reden, in solchen Zeiten die Handlungsfähigkeit des Parlamentes zu erweitern, auch mit Techniken, die zu der Zeit der Formulierung der Niedersächsischen Verfassung noch gar nicht ausgereift waren. Diese modernen Technologien sollten wir nutzen, um die parlamentarische Kontrolle und Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Ich würde mich freuen, wenn wir dazu in einen engen Austausch treten können und hier zügig zu den notwendigen Entscheidungen kommen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, viel wichtiger ist aber, dass die durch die einschneidenden und aus unserer Sicht auch notwendigen Maßnahmen gewonnene Zeit dafür genutzt wird, dass wir das Gesundheitswesen jetzt maximal ertüchtigen, so wie es der Ministerpräsident für die Landesregierung angekündigt hat und es auch die Vorrednerinnen der SPD-Fraktion und der Fraktion der Grünen dargestellt haben.

Ich will hier schon einmal darauf hinweisen - bei aller Unterstützung werden wir unsere Oppositionsrolle weiter wahrnehmen -, dass es noch vor wenigen Tagen, vor 10 oder 14 Tagen, Berichte gab, in denen die Landesregierung gesagt hat, das Gesundheitssystem sei gut vorbereitet. Das zeigt sicherlich die Dynamik der Lage. Das zeigt aber auch, dass man mit den Einschätzungen vielleicht nicht immer richtig liegt.

Die Ertüchtigung des Gesundheitswesens ist also von zentraler Bedeutung, insbesondere - da sind wir uns sicher einig - die Aufstockung der Intensivkapazitäten. Und uns ist wichtig, dass wir die Zwischenzeit nutzen, um Strategien zu entwickeln, wie es uns gelingt - wenn es uns hoffentlich gelingt, die Dynamik zu brechen und die Infektionszahlen zu reduzieren, man kann das ja modellieren, es gibt entsprechende Modelle -, wieder zu einem freiheitlicheren Leben zurückzukehren. Was ist verantwortbar? Welche Bereiche kann man in welcher Form eigentlich wieder hochfahren? Wie kann wieder ein stärkeres wirtschaftliches, soziales, kulturelles und gesellschaftliches Leben stattfinden, ohne dass sofort wieder eine neue Infektionswelle droht.

Ich teile die Einschätzung, Herr Ministerpräsident: Wir werden mit diesem Virus leben müssen. Wir werden uns auch darüber Gedanken machen müssen - das kann nicht allein die Politik machen, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe für alle Akteure -, wie eigentlich ein Leben mit dem Virus

aussehen kann. Das wird vielleicht vieles, was uns bisher alltäglich erscheint, verändern. Aber auch darüber müssen wir in der Zwischenzeit, auch in der Politik, nachdenken.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es ist mir auch ein Anliegen, darüber nachzudenken, wie denn eigentlich Strategien aussehen sollen. Da sehen wir die Landesregierung insbesondere in der Verantwortung, weil sie die Kenntnisse, die Zuständigkeiten und die Ressourcen dafür hat, auch unter Einbeziehung von Wissenschaft und Forschung, wo wir in Niedersachsen in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt sind, aber natürlich auch unter Einbeziehung bundes-, europa- und weltweiter Kompetenzen. Wenn wir dann hoffentlich alsbald wieder zu einem relativ normalen Leben zurückkehren können: Wie gelingt es dann eigentlich, mit neu aufkommenden Infektionswellen, mit denen ja zu rechnen ist - man spricht von zwei bis drei weiteren Wellen -, dieses Virus einzudämmen und die Infektionen einzudämmen, ohne das gesamte Leben wieder flächendeckend stilllegen zu müssen? Welche Rolle hat da die Frage der flächendeckenden Testung und Ähnliches? Auch hierauf muss man sich entsprechend vorbereiten. Hierauf erwarten wir Antworten in den nächsten Wochen, wenn es denn gelingt, hier tatsächlich Zeit zu gewinnen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist angesprochen worden, und es ist eine der weiteren großen Herausforderungen neben der Ertüchtigung des Gesundheitssystems, die wirtschaftlichen, sozialen und auch kulturellen Folgen abzufedern, die diese Entwicklungen haben.

Wir brauchen - das sage ich ausdrücklich für die FDP insgesamt - ein staatliches Rettungsprogramm. Als Liberale fällt uns das ja nicht leicht, aber in dieser Situation ist es notwendig, dass der Staat massiv unterstützt und die Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrem Wirken wirklich fördert und das auffängt, was hier von heute auf morgen weggebrochen ist. Das ist quasi eine Vollbremsung gewesen, die für viele existenzielle Bedeutung hat, nicht nur für Unternehmerinnen und Unternehmer, sondern natürlich auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit für alle Grundlagen der Finanzierbarkeit des Sozialsystems, des Gesundheitssystems usw. Das ist ein ganz zentraler Punkt, und deshalb sind hier massi

ve staatliche Unterstützungen tatsächlich notwendig.

Und das ist aus unserer Sicht in der Form von direkten Entschädigungszahlungen zu leisten - gerne auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes, wenn eine entsprechende Änderung auf Bundesebene tatsächlich kommt und die Mittel direkt fließen. Es wäre aber auch denkbar, das seitens des Landes zu machen. Also lautet die Bitte an die Landesregierung, dies zu prüfen und gegebenenfalls auf den Weg zu bringen.

Wir brauchen kurzfristige Liquiditätshilfe für die Unternehmerinnen und Unternehmer, auch in Form von Vollverbürgungen, die das Land zu gewähren hat, und durch direkte Kredite durch die NBank, wobei wir uns vorstellen, dass hier ein zusätzliches Garantievolumen von 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden muss, um tatsächlich kurzfristig zu helfen.

Wir brauchen auch die Gewährung von Zuschüssen, insbesondere von verlorenen Zuschüssen, insbesondere an die kleinen und mittleren Unternehmen und die Selbstständigen. Wir denken da sehr breit – wie es heute schon zu Recht gefordert worden ist - und beschränken uns nicht auf ein irgendwie eng gefasstes Bild von Unternehmerinnen und Unternehmern. Es ist doch klar, dass dies auch den kulturellen Betrieb, den sozialen Betrieb und die Erwachsenenbildung betrifft. Insbesondere aber auch Start-ups und Unternehmen, die sich gerade in der Wachstumsphase befinden, müssen direkt unterstützt werden und in ihrer Eigenkapitalsituation gefördert werden. Hier ist die Hilfe vielfach gerade besonders notwendig, weil die Not sehr schnell sehr groß wird - was nicht heißt, dass die Not an anderer Stelle nicht auch groß wird und dort nicht etwa auch geholfen werden müsste.

(Beifall bei der FDP)

Insofern denken wir eben gerade auch an die Soloselbstständigen in vielen Bereichen wie etwa im Kulturbetrieb.

Meine Damen und Herren, uns ist klar, dass das, was wir hier heute im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt besprechen, möglicherweise erst der Einstieg ist. Die FDP unterstützt diesen Nachtragshaushalt und die Ausnahme von der Schuldenbremse ausdrücklich. Sie wissen, dass wir für die Schuldenbremse sehr hart gekämpft haben und auch weiterhin für die Schuldenbremse einstehen. Ich will es bei dieser Gelegenheit aber auch schon sagen, weil es hier anklang: Wir sehen

keine Notwendigkeit, von der Zweidrittelmehrheit abzusehen. Wir beweisen doch gerade am heutigen Tage, dass die Zweidrittelmehrheit da ist, dass es funktioniert und dass wir in außergewöhnlichen Situationen als Parlament auch handlungsfähig sind.

(Beifall bei FDP)

Deshalb ist das für uns im Moment kein Thema, über das wir ernsthaft reden müssen, sondern wir demonstrieren Handlungsfähigkeit.

(Zurufe)

Aber insgesamt, Herr Ministerpräsident und Herr Wirtschaftsminister Althusmann, treibt mich bei den finanziellen Hilfen am meisten um, dass es schnell und unbürokratisch gehen muss. Es ist nicht möglich, noch Wochen zu warten. Es ist nicht möglich, sich irgendwelche Antragsverfahren zu überlegen, sondern diejenigen, die sich jetzt hilfesuchend an die Landesregierung, an die NBank, an die Institutionen, die damit beauftragt sind, wenden, die müssen schnell eine Antwort kriegen, ob sie gefördert werden können, ob sie Zuschüsse bekommen, ob sie unterstützt werden können.

Da geht es nicht, dass die noch lange warten müssen. Es ist klar, dass das in den ersten Tagen ein bisschen dauern wird - einverstanden. Aber dann muss das System sehr schnell hochgefahren werden, damit es hier im Prinzip innerhalb von Stunden eine entsprechende Antwort gibt. Auch da wäre darüber nachzudenken, ob man in dem Bereich nicht noch stärker digitalisiert, schlichtweg um am Ende effizienter zu arbeiten.

Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, sehen wir uns als liberale Fraktion in diesem Landtag in der Verantwortung, an der Bewältigung dieser Krise mitzuwirken. Für uns ist „Freiheit und Verantwortung gehören zusammen“ kein platter Spruch. Wir stehen für die Bürgerrechte, aber wir sehen auch die Notwendigkeit der Einschränkung. Wir sehen den Staat in der Verantwortung, jetzt zu handeln - und zwar schlagkräftig - und entsprechende Hilfen zur Verfügung zu stellen und die notwendigen Maßnahmen durchzusetzen. Wir unterstützen die Landesregierung und auch die Regierungsfraktionen grundsätzlich. Das zeigt sich bei der Krisenbewältigung.

Aber wir wollen auch deutlich machen, dass das kein Freifahrtschein ist. Wir werden unsere Rolle als kritische Opposition selbstverständlich auch in diesen Zeiten wahrnehmen. Deshalb möchte ich sagen: Herr Ministerpräsident, wenn Sie davon