Protokoll der Sitzung vom 12.05.2020

Vielen Dank, Herr Kollege Siebels.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Wir haben zwei Wünsche nach Kurzinterventionen. Zunächst spricht Herr Dr. Birkner. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Siebels, zunächst einmal habe ich Ihren Einwand, dass wir unrechtmäßige Kritik äußern würden, nicht verstanden. Warum unsere Kritik unrechtmäßig sein soll, erschließt sich mir nicht. Aber vielleicht können Sie das gleich erläutern.

Das Entscheidende ist, dass dieses Pandemiegeschehen weiter andauert. Wir hören, dass es uns über Monate, wenn nicht sogar über Jahre begleiten wird. Offensichtlich ist beabsichtigt, dass weiter aufgrund solcher Rechtsverordnungen gehandelt werden soll. Das halte ich angesichts der Grundrechtseinwirkungen und des Wesentlichkeitsprinzips, wonach wesentliche Entscheidungen den Parlamenten vorbehalten sind, für problematisch. Wir würden mit unserem Gesetzentwurf die Ent

scheidung am Ende gar nicht selber treffen. Wir würden an der Rechtsetzung der Exekutive nur beteiligt, aber wir würden zumindest etwas parlamentarische Beteiligung bringen und damit diesem Wesentlichkeitsgedanken zumindest Rechnung

Ich möchte noch den Einwand entkräften, dass man nur Ja oder Nein sagen kann. Ja, das ist schon klar. Nur hat das für die Landesregierung ganz andere Wirkungen. Wenn die Landesregierung weiß, dass eine Verordnung der Zustimmung des Parlaments bedarf, dann wird doch gerade mit den Regierungsfraktionen vorher eine viel intensivere Abstimmung erfolgen. Es geht effektiv am Ende doch gar nicht um die Minderheiten, um die Opposition, es geht am Ende um die Stärkung des Parlaments, um die Stärkung der Mehrheit. Das ist doch das, was am Ende eintritt. Das ist das, was passiert und wo die Kontrolle ausgeübt wird.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Deshalb ist diese Diskussion hier im Saal im Stile von Opposition gegen Landesregierung gar nicht das Thema. Es geht um die Stärkung des Parlaments an sich. Und davon profitiert am Ende immer die Mehrheit.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Eine weitere Kurzintervention: von Bündnis 90/Die Grünen, vom Kollegen Limburg. Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Siebels, Sie haben unseren Vorwurf, den Frau Hamburg in der Tat heute Morgen erhoben hat und den ich bekräftigt habe, die Landesregierung würde durch ihre Weigerung, den Landtag vorab zu unterrichten, gegen Artikel 25 verstoßen, pauschal zurückgewiesen, ohne in der Sache in irgendeiner Form darauf einzugehen. Ich gehe davon aus, dass Ihnen der Wortlaut von Artikel 25 bekannt ist. Deswegen verzichte ich darauf, ihn Ihnen noch einmal vorzulesen. Auch das haben wir ja schon mehrfach getan.

Artikel 25 erlegt der Landesregierung die Pflicht auf, den Landtag in die Überlegungen für Verordnungen von wesentlicher Bedeutung einzubezie

hen. Jetzt sagen Sie mir doch einmal bitte, welche Verordnung damit gemeint sein könnte, wenn nicht eine Verordnung, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das Grundrecht auf Religionsfreiheit, das Grundrecht auf Freizügigkeit, das Grundrecht auf Zugang zu Bildung, das Grundrecht auf Ausübung eines Gewerbebetriebes, das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit und weitere Grundrechte einschränkt? Welche Verordnung, wenn nicht diese, ist denn wesentlich und muss deshalb vorab Gegenstand einer Unterrichtung werden?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Herr Kollege Siebels, Sie sind in Ihrer Ablehnung des FDP-Entwurfs bedauerlicherweise überhaupt nicht darauf eingegangen, dass es längst mehrere Länder gibt, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ansätzen eigene Landesinfektionsschutzgesetze erlassen. Auch dazu ist natürlich das richtig, was Herr Dr. Birkner gesagt hat. Der Weg, ein Gesetz im Wesentlichen mit dem Ziel einer Verordnungsermächtigung zu verabschieden, ist in der Form neu, aber es ist keineswegs neu, dass sich Landesparlamente auf den Weg machen. Insofern wiederhole ich meine Bitte von vorhin: Machen Sie von SPD und CDU eigene gesetzgeberische Vorschläge, wie sich dieser Landtag mit der Bewältigung des Corona-Geschehens aktiv und nicht nur in der Rolle des hinterher Nachfragenden auseinandersetzen kann!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Herr Kollege Siebels, Sie möchten antworten. Bitte sehr!

Herr Kollege Limburg, zunächst zu dem Hinweis, die Regierung möge doch weitere Gesetze vorlegen, damit sozusagen Ihre Ansprüche als Opposition gewahrt sind. Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern wir sind mit dem, wie die Regierung handelt, natürlich zufrieden. Deshalb läuft die Motivation, die Sie zu übermitteln versucht haben, ins Leere.

Der nächste Punkt betrifft die Unterrichtungspflicht. Wir sind jetzt allerdings in einer Diskussion über Artikel 25. Aber auch dazu verliere ich gerne noch

ein oder zwei Sätze. Wenn Sie sich das Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen vom 11. März zu Gemüte führen wollen, dann erkennen Sie, dass in der Sitzung ganz ausdrücklich ausgeführt worden ist - das bestätigt zufälligerweise auch meine Position;

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

- das ist tatsächlich Zufall -, dass eine Landesregierung, bevor eine Unterrichtungspflicht ausgelöst wird, natürlich erst einmal selbst den Sachverhalt erforschen können und danach selbst eine Position beziehen darf.

Das ist im Übrigen genau die Konstellation, die Herr Bode in Bezug auf Herrn Althusmann, betreffend die Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom vergangenen Freitag, angesprochen hat. Das bestätigt genau, wie korrekt diese Landesregierung informiert - dass sie nämlich im Wirtschaftsausschuss die Variante A präsentiert und danach ihre Meinung noch einmal revidiert und dass dann in der Verordnung etwas anderes steht. - Das kritisieren Sie aber auch wieder. Das ist tatsächlich abenteuerlich.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss. Ich habe leider nicht mehr Redezeit. Der Präsident hat hier immer seine Glocke am Start. Ich bedauere das zutiefst.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber, Herr Kollege Dr. Birkner, wenn ich gesagt habe, dass die Kritik unrechtmäßig ist, dann dürfen Sie hier selbstverständlich jedes Wort gerne auf die Goldwaage legen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Ich habe gar nicht verstanden, was Sie mei- nen!)

- Ja, Sie haben es natürlich überhaupt nicht verstanden. Deshalb erkläre ich es ja noch einmal. Ich halte sie sachlich für schlichtweg falsch und unbegründet.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist okay! Damit kann ich leben! - Heiter- keit bei der FDP)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ganz überraschende Einigung in letzter Sekunde. Vielen Dank, Herr Kollege Siebels. - Für die Frakti

on der AfD kann sich schon einmal der Kollege Christopher Emden bereithalten.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir führen hier eine sehr wichtige Debatte. Ich glaube, das wird schon dadurch deutlich, dass wir uns nicht so sehr am Gesetzentwurf selber orientieren, sondern dass die Debatte eher ins Grundsätzliche gegangen ist. Es geht um den Artikel 25 der Niedersächsischen Verfassung, und es geht um Artikel 80 Abs. 4 des Grundgesetzes, und es geht eben auch um die Frage - die wir wirklich ausführlich debattieren müssen -, inwieweit man es nach der jetzigen Praxis als Parlamentarier zulassen darf bzw. mag, dass die Landesregierung über Rechtsverordnungen tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eingreift.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Störgefühl, das sich dadurch auftut und das ich als Jurist teile. Insofern finde ich es sehr richtig und gut, dass wir diese Debatte führen, und meine, dass es sicherlich ein Ansatz in die richtige Richtung ist, wenn wir uns hier mit dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion befassen. Es ist ein Ansatz - mehr allerdings auch nicht -; denn er ist relativ unausgegoren. So enthält dieser doch eher schlanke Gesetzentwurf keine Regelungen zur erforderlichen Mehrheit für die Zustimmung bzw. Genehmigung.

Ein anderer Punkt ist Artikel 80 Abs. 4 GG, den ich eben schon erwähnt hatte. Das ist rechtsdogmatisch ein bisschen schwierig, weil Artikel 80 Abs. 4 GG eigentlich etwas anderes vorsieht. Dabei geht es nämlich darum, dass ein Land das Recht haben soll, seine eigenen Befugnisse im Gesetzeswege zu regeln, obwohl es auch eine Ermächtigungsgrundlage für die Landesregierung gibt. Das bedeutet dann aber, dass es zu einem Gesetz kommen sollte. Das, was wir hier laut dem Entwurf der FDP haben, ist aber so eine Art

(Wiard Siebels [SPD]: Dauerschleife!)

Dauerschleife - genau, danke, so könnte man es nennen -,

(Zuruf von der FDP: SPD und AfD sind sich einig!)

weil dann nämlich die Landesregierung doch wieder ermächtigt wird. Das aber ist etwas, was Artikel 80 Abs. 4 gar nicht will, sondern danach soll das per Gesetz geregelt werden. Insofern ist das rechtsdogmatisch, rechtstechnisch sicherlich

Was mich auch ein bisschen umtreibt, wenn ich mir § 4 dieses Gesetzentwurfs anschaue, ist die Aufzählung der Grundrechte. Da wird abschließend aufgezählt: Freiheit der Person, Artikel 2 Abs. 2, Versammlungsfreiheit, Artikel 8, Freizügigkeit, Artikel 11, Unverletzlichkeit der Wohnung, Artikel 13, und zu meinem Erstaunen dann auch das Brief- und Postgeheimnis, Artikel 10. - Andere Artikel, wie z. B. Artikel 4, Religionsfreiheit, finden keine Erwähnung. Es erschließt sich mir nicht, warum es auf einen gewissen Bereich der Grundrechte beschränkt wird.

Ein anderer Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber doch folgender - das ist vorhin schon einmal ganz richtig angeklungen -: Wenn man Rechtsverordnungen hat, dann verkümmert auch ein bisschen der Rechtsschutz, den der Bürger vor den Eingriffen hat, die über eine Rechtsverordnung kommen. Dieser Rechtsschutz ist nämlich in der Praxis sehr, sehr schwierig.

Wir haben also das grundlegende Problem: Wir müssen sehen, dass es zu keinen Grundrechtseinschränkungen kommt. Wir müssen vor allen Dingen in Anbetracht dessen, dass mehr und mehr deutlich wird, dass die Corona-Pandemie bei Weitem nicht das Ausmaß hat, wie man zunächst angenommen hat, doch umso schneller dahin zurückkommen, dass sämtliche Grundrechtseingriffe im Zusammenhang mit irgendwelchen CoronaSchutzmaßnahmen unterlassen werden.

(Unruhe)