Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Letztlich gilt das, was man bei einer Verfassungsänderung immer bedenken sollte: Wenn man solch ein Thema angeht, muss man es umfassend betrachten, eine Gesamtkonzeption haben und eine umfassende Diskussion zu den unterschiedlichsten Aspekten führen.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Schluss. Unsere Verfassung feiert im Jahr 2023 ihren 30. Geburtstag. 1993 wurde sie beschlossen und hat die Vorläufige Verfassung von 1951 abgelöst. Fast 30 Jahre nach dem Beschluss über die Verfassung sind wir an den Punkt gekommen, wo es immer wieder Änderungswünsche und möglicherweise auch Änderungsnotwendigkeiten gibt.

Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, unsere Verfassung zum 30. Geburtstag fit zu machen und sie einmal ganz grundlegend zu betrachten. Ich finde, sie wäre es wert.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun folgt für die FDPFraktion Herr Kollege Dr. Genthe. Bitte, Herr Dr. Genthe!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz aktuell zeigt die Corona-Krise, dass globale Herausforderungen wie diese Pandemie, aber auch Fragen des Umweltschutzes und der Sicherheit gar nicht mehr von einem Land alleine beantwortet werden können. Dazu bedarf es der Zusammenarbeit vieler Länder, insbesondere derer in direkter Nachbarschaft. Da gibt es für Deutschland auch gar keine Alternative zu einer umfassenden Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union.

Auch viele Ansprüche unseres Grundgesetzes lassen sich ohne eine solche Zusammenarbeit gar nicht mehr vernünftig realisieren. Es war daher richtig, die Frage der europäischen Zusammenarbeit auch in Artikel 23 des Grundgesetzes aufzunehmen. Insoweit ist es folgerichtig, ein Bekenntnis zum geeinten Europa auch in unsere Landesverfassung aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, der nun vorgelegte Antrag der Grünen ist für mich sehr schlüssig argumentiert und wird von uns daher grundsätzlich auch unterstützt.

(Dragos Pancescu [GRÜNE]: Danke schön!)

Sicherlich diskutieren müssen wir, an welcher Stelle unserer Verfassung ein solcher Passus aufgenommen werden sollte. Der Artikel 1 hat eine sehr hohe Bedeutung in der Rangfolge der einzelnen Artikel unserer Verfassung, und - eben wurde es schon gesagt - der Absatz 2 dieses Artikels enthält bereits einen Hinweis auf die europäische Völkergemeinschaft. Es wäre daher auch denkbar, einen umfassenden Hinweis in die Präambel unserer

Verfassung aufzunehmen. Diesen Weg ist beispielsweise Baden-Württemberg gegangen.

An dieser Stelle sind wir jedoch offen für die Diskussion und werden in den Ausschussberatungen sicherlich auch weitere Erkenntnisse gewinnen.

Meine Damen und Herren, das wird wirklich sorgfältig zu diskutieren sein; denn eine Veränderung der Verfassung ist keine Kleinigkeit und sollte nur mit einer möglichst großen Mehrheit dieses Landtages beschlossen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Calderone das Wort. Bitte, Herr Kollege!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ergänzung des Europabezuges in der Landesverfassung“ - dazu sagt man im ersten Moment: Ja, natürlich! Warum denn nicht schon lange? Und warum erst beantragt durch die Grünen?

(Dragos Pancescu [GRÜNE]: Wir können es gemeinsam machen! Kein Problem!)

Richtig: Europa und europäischer Zusammenhalt verlangen in heutigen Tagen mehr politisches Bekenntnis als vermutlich in der Vergangenheit und auch in der 30-jährigen Geschichte der Niedersächsischen Verfassung, Frau Kollegin SchröderEhlers.

Klar: Niedersachsen als weltoffenes Bundesland mit vielen Einwohnerinnen und Einwohnern aus europäischen Ländern sowie vielfältigen Handels- und sonstigen Beziehungen in die europäische Welt sollte sich auch in seiner Verfassung klar zu Europa bekennen.

Auf der anderen Seite - die Vorredner haben es angesprochen - haben wir bereits einen Europabezug in unserer Landesverfassung, und zwar nicht irgendwo in den Weiten der Verfassung, sondern recht prominent gesetzt in Artikel 1.

Dort heißt es im Absatz 2:

„Das Land Niedersachsen ist ein freiheitlicher, republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland und Teil der europäischen Völkergemeinschaft.“

Mit „Teil der europäischen Völkergemeinschaft“ ist - auch wenn es nur ein kleiner Halbsatz ist - ein deutlicher Europabezug - an hervorgehobener Stelle, wie ich betonen möchte - bereits in der Landesverfassung vorhanden. Deswegen erweckt der verfassungsändernde Antrag der Grünen hier für mich ein bisschen auch den Anschein von ein wenig Symbolismus, der am Ende wenig bewirken kann.

Und schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht es sich der Antragsteller mit der nicht ganz neuen Formulierung, auf die ich gleich noch zu sprechen komme - Frau Schröder-Ehlers hat es schon getan -, etwas zu leicht, indem er einfach die Begriffe „Europa“, „Staatszielbestimmungen“ und „Staatsstrukturprinzipien der Europäischen Union“ nebeneinanderstellt. Das ist sprachlich ein bisschen unklar, glaube ich, und deswegen schwierig für eine Verfassung. Europa ist schließlich mehr als die Europäische Union und die europäischen Institutionen, und die Europäische Union und die europäischen Institutionen sind integrativer als Europa.

Die Frage der inneren Verfasstheit und der Struktur, die Frage der subsidiären und föderalen Ausbildung, die Frage der - analog müsste man es so formulieren - Unionszielbestimmungen der Europäischen Union müssen aber Fragen bleiben, die nicht durch eine Verfassungsänderung in Niedersachsen zu entscheiden sind. Ob wir beispielsweise ein Europa der Regionen befürworten, was ich tue, oder ein eher zentralistisch ausgerichtetes Europa, ist keine Frage der Änderung der niedersächsischen Landesverfassung.

Die Niedersächsische Verfassung regelt zu Recht, dass unser Land freiheitlich, republikanisch, demokratisch und sozial ist. Sie kann nicht regeln, dass Europa demokratisch, rechtsstaatlich, sozial, föderativ, subsidiär, regional und kooperativ ist. Das obliegt anderen Ebenen. Es obliegt zwar auch der politischen Einflussnahme aus Niedersachsen auf der europäischen Ebene und auf der Bundesebene, aber nicht der Niedersächsischen Verfassung, sondern den Einigungen der Mitgliedstaaten und der Regionen.

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist in der Gesetzesbegründung der Grünen die Behauptung schlicht unwahr, dass ein Großteil der Bundesländer ein Bekenntnis zur europäischen Integration in den Landesverfassungen besitzt. Denn 9 von 16 Bundesländern haben in ihren Verfassungen keinen Europabezug oder lediglich in der Präambel ihrer Verfassungen einen Europabezug, und nur Sachsen-Anhalt regelt neben Niedersachsen den Europabezug gleich in Artikel 1. Wir sind also verfassungsrechtliche Europavorbilder, würde ich sagen, zumindest was die Platzierung des Europabezuges angeht.

Nun will ich dem Antrag der Grünen zugutehalten, dass er sich nahezu wortgleich an der Formulierung in Artikel 3 a der bayerischen Verfassung orientiert. Und von Bayern lernen heißt mitunter, gute Argumente mitzunehmen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Da haben Sie ja gerade noch mal die Kurve ge- kriegt!)

Das bedeutet nicht, dass wir als Niedersachsen das Selbstverständnis haben müssen, gerade für unsere niedersächsische Verfassung eigene Formulierungen nicht zu wählen, sondern bei den Bayern abzuschreiben. Wir sollten eigene Formulierungen wählen und nicht kopieren.

Ich würde mich im Übrigen freuen, wenn die Grünen keinen Artikel aus der bayerischen Verfassung abschrieben, sondern in anderen Bereichen, für die ich hier auch ein bisschen stehe, nämlich in den Bereichen Innen und Recht, von den Bayern lernten, was die Unterstützung der Polizei, die Unterstützung der Justiz,

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Man kann uns wohl nicht vorwerfen, dass wir die Justiz nicht unterstützen! Jetzt wird es wirklich ein bisschen fragwür- dig!)

die Durchsetzung des Rechts oder die Durchsetzung der allgemeinen inneren Sicherheit anbelangt.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss verdeutlichen, dass die Verfassung „Verfassung“ heißt, weil sie der Grundsatz, das Ruhende und das Feste in unserem Rechtssystem ist. Verfassungsänderungen sollten deshalb mit der nötigen Sorgfalt und mit einer nötigen Minimalität durchgeführt werden. Wir haben es eben nicht

mit einer normalen Gesetzgebung zu tun und sollten inflationären Änderungsbestrebungen grundsätzlich entgegenwirken. Verfassungsänderungen sind insbesondere kein Mittel des politischen Alltagsgeschäftes. Wir müssen die Würde der Verfassung erhalten. „Würde der Verfassung erhalten“ heißt zumindest für einen Konservativen, dass das auch etwas mit Beständigkeit zu tun hat.

Es lebe Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch und gerade in diesen Tagen! Wie gut, dass die Niedersächsische Verfassung bereits jetzt daran keinen Zweifel lässt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Es folgt nun für die AfD-Fraktion Herr Abgeordneter Emden. Bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Darauf hat die Welt gewartet. - Oder sagen wir doch lieber: Europa gewartet. - Wir wollen es doch nicht übertreiben.

Die ganzen Probleme, die die Europäische Union umtreiben, jetzt endlich haben wir die Lösung gefunden: Durch die Ergänzung der Niedersächsischen Verfassung in Artikel 1 wird das alles besser.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist wirklich mal ein toller Antrag. Bravourös!

Ich frage mich, was Sie damit eigentlich wollen. Rein juristisch haben wir es - das klang schon an - mit einer Staatszielbestimmung zu tun, haben wir es im Endeffekt auch mit einer Auflistung von Selbstverständlichkeiten zu tun.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Juristisch gesehen, ist das kein Antrag, sondern ein Gesetzentwurf, Herr Kollege!)

Glauben Sie wirklich, dass irgendein Problem dadurch gelöst wird, dass irgendein sprichwörtlicher Sack Reis in China umfällt, weil wir diese Regelung in die Verfassung aufnehmen? Meinen Sie denn ernsthaft, bisher sei der Integrationsprozess, wie er in Niedersachsen umgesetzt wird, quasi nicht vorhanden, sodass man nachjustieren müsse.

Oder meinen Sie etwa, die Europäische Union sei bisher nicht demokratisch, sei bisher nicht rechtsstaatlich, sei bisher nicht föderativ ausgestaltet, sodass es genau dieser Regelung bedarf, damit Niedersachsen darin Vorreiter wird, die Europäische Union zu demokratisieren und zu einem föderativen und rechtsstaatlichen Staatenbund auszuformen? - Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ganze ist wirklich obsolet. Ich glaube, man braucht darüber nicht groß zu beraten.