Protokoll der Sitzung vom 30.06.2020

Ich kann mich auch noch an sogenannte Runde Tische erinnern, damals unter Wirtschaftsminister Olaf Lies, der solche Gespräche auch schon mal abgebrochen hat. Es gab z. B. einen Landwirtschaftsminister Meyer, bei dem ich nicht weiß, ob er an dieser Stelle so erfolgreich war.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Ich war ja beim Gipfel dabei! Wir haben gemein- sam abgebrochen!)

Dann kam die groß angekündigte Eigenverpflichtung der Fleischindustrie. Ich sage Ihnen heute mit den Erkenntnissen, die wir jetzt haben: Es bedarf eines konsequenten Durchgreifens des Staates. Sonst geht es nicht. Hier ist ein System entwickelt worden, das auf Ausbeutung der Arbeitnehmer angelegt ist. Deshalb ist der Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil richtig, in der Fleischindustrie das Verbot von Werkverträgen voranzutreiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich begrüße ausdrücklich, dass jetzt auch die CDU diesen Verstoß unterstützt.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das sollte sie mal selber sagen!)

Die in der letzten Woche aufgestellten „10 Kernforderungen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der

Schlacht- und Zerlegeindustrie“ sind richtig und bedeuten auch Rückenwind für die Forderung von Bundesminister Heil: Wir müssen jetzt dieses System beenden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht weiter zulassen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter katastrophalen Arbeitsbedingungen und menschenunwürdigen Wohnverhältnissen in unserem Land diese schwere Arbeit verrichten. Jetzt scheint ja Bewegung in diese Diskussion zu kommen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Wo sind die Gesetzentwürfe? Wo sind die Verordnungen?)

Es gilt, diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter vernünftigen Bedingungen in die Stammbelegschaft zu übernehmen und aus unternehmerischer Verantwortung auch für vernünftige Wohnverhältnisse zu sorgen.

In diesem Zusammenhang kann uns das Wohnraumschutzgesetz ein Stückchen weiterhelfen, weil wir hier nicht nur die Versorgung mit Strom, Wasser, Sanitäreinrichtungen, Licht und Heizung fordern, sondern auch eine Mindestgröße der vermieteten Wohnungen von mindestens 10 m² pro Person. Das würde uns schon ein Stückchen weiterbringen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Hinweis an die FDP, und zwar an Sie, Herr Kollege Försterling. Er ist, glaube ich, da.

(Björn Försterling [FDP]: Hier!)

Herr Försterling, Ihre Aussage, unsere Lehrkräfte seien die Schlachthofmitarbeiter der Bildungspolitik, wo wie im System Tönnies gespart werde, war, milde gesagt, eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herr Försterling, ich glaube, es wäre wirklich angebracht - denn ich habe Sie anders kennengelernt -, sich für diese Entgleisung zu entschuldigen.

Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Plenum noch zwei weitere Anträge zum Thema Corona auf der Tagesordnung, die auch die Spannungsbreite sehr gut verdeutlichen.

Im Antrag der FDP geht es um die Gefahr einer zweiten Pandemiewelle und darum, dass Niedersachsen sich gut vorbereiten sollte. Ich kann das nur begrüßen und Sie beruhigen: Genau das tun wir auch mit dem zweiten Nachtrag.

Im Antrag der AfD geht es darum, sämtliche Corona-Schutzmaßnahmen aufzuheben, die CoronaApp nicht zu bewerben und auch sämtliche anderen Entscheidungen, insbesondere bezüglich der Großveranstaltungen, auf regionaler Ebene zu verantworten. Ich halte diesen Antrag für verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Ich will nur hier ganz vorsichtig darauf hinweisen, dass zu Beginn der Corona-Pandemie Sie, Herr Wichmann, der Parlamentarische Geschäftsführer, hier an den Sitzungen teilgenommen haben - sicherlich aus Gründen des persönlichen Schutzes und auch des Schutzes Dritter - mit Mundschutz, mit Handschuhen, mit Taucherbrille. Das habe ich überhaupt nicht zu kritisieren. Das kritisiere ich in keiner Form.

(Zuruf von der AfD: Das tun Sie doch gerade!)

Aber dass Sie jetzt eine solche Kehrtwende machen - das zeigt der Antrag Ihrer Fraktion -, macht deutlich, was Sie eigentlich im Sinn haben.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Diese Kehrtwende müssen Sie erklären, Herr Wichmann.

Meine Damen und Herren, wir alle wünschen uns sicherlich so schnell wie möglich eine Normalität zurück, die wir vielleicht erst jetzt in der Krise so richtig schätzen gelernt haben: keine Einschränkungen mehr im persönlichen Umgang, herzliche Begrüßungen, Umarmungen, ein spontaner Besuch im Altenheim, richtige Feiern mit Freunden und Bekannten. Wer wünscht sich das nicht? Dazu gehört auch ein ganz normaler Besuch von Konzerten oder Fußballspielen - und noch vieles mehr, wenn ich an die bevorstehende Sommerpause denke und an die Freiheit, ohne große Einschränkungen und ohne große Bedenken zu reisen.

Wir alle hoffen, dass die sogenannte zweite Welle ausbleibt und schon bald ein Impfstoff zur Verfügung steht, der uns diese Normalität vielleicht wieder zurückgibt.

Jetzt aber gilt es, unsere ganze Kraft auf die Bekämpfung der Corona-Krise zu konzentrieren, unser Land mit einem Kraftakt wieder ans Laufen zu bringen und Mut zu machen, dass wir das gemeinsam schaffen können.

Das Bündnis „Niedersachsen hält zusammen“ kann dafür ein gutes Beispiel sein und macht deutlich, worauf es jetzt ankommt, nämlich auf Zusammenhalt und darauf, gemeinsam für ein starkes Niedersachsen zu kämpfen und zu arbeiten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und leb- hafter Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Modder. - Nun folgt für die FDPFraktion der Fraktionsvorsitzende. Herr Dr. Birkner, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ministerpräsident Weil hat in der Regierungserklärung am 12. Mai 2020 den Stufenplan vorgestellt. Darin sind auch Maßstäbe formuliert. Damit hat er auch unsere Kritik aufgegriffen, dass bis dahin eben nicht klar war, mit welchen Maßstäben und Kriterien diese Landesregierung eigentlich all die Maßnahmen, die sie ergriffen hat, begründet. Er hat damals ausgeführt, dass es notwendig sei für eine erfolgreiche Krisenbewältigung, allen Bereiche unserer Gesellschaft ein Gefühl dafür zu geben, wann und unter welchen Bedingungen sie einen einigermaßen normalen Alltag wiederaufnehmen können.

Außerdem hat er gesagt, es sei eine plausible Abwägung zwischen den Risiken und Schäden nötig, die durch die Maßnahmen entstehen. Dazu diente ja der Stufenplan.

Jetzt sind wir aber, Herr Ministerpräsident, am Ende dieses Stufenplans angekommen. Die letzte Stufe ist in der Umsetzung und umgesetzt worden. Sie sagen allerdings nichts dazu, wie es denn weitergehen soll. War es das denn jetzt? Was sind denn Kriterien und Maßstäbe für die vielen Beschränkungen, die noch aufrechterhalten sind? Was ist denn die Perspektive etwa für die Veranstaltungsbranche und für all die anderen, die nach

wie vor von deutlichen Einschränkungen betroffen sind? Die Grund- und Freiheitsrechte sind nach wie vor sehr deutlich und weitgehend eingeschränkt. Wir erleben das ja alle auch in unserem privaten Bereich.

Wenn man sich die neue Verordnung anschaut, die im Übrigen - Frau Modder, da haben Sie völlig recht - im Entwurf überhaupt nicht an Klarheit gewonnen hat, stellt man fest, dass sie den ganzen Versprechungen, die wir gehört haben, jetzt werde endlich Rechtsklarheit kommen, in keiner Weise genügt.

Aber was bedeutet das denn, Herr Ministerpräsident? Was sind denn Ihre Maßstäbe und Kriterien für die künftigen Entwicklungen? Wir sehen, dass Sie in die alte Politik vor dem Stufenplan zurückfallen und der Öffentlichkeit wieder nicht sagen können oder nicht sagen wollen, was Kriterien und Maßstäbe für die weiteren Entwicklungen sind.

Damit genügen Sie nicht mehr dem eigenen Anspruch, den Sie in der Regierungserklärung formuliert haben, dass man den Menschen ein Gefühl dafür geben muss - und das ist völlig richtig -, unter welchen Bedingungen sie denn mit Lockerungen rechnen können und wie es denn weitergeht, und dass Sie eine plausible Abwägung vornehmen, dass also erkennbar ist, was die konkreten Abwägungskriterien sind und wie Sie zu diesen Ergebnissen kommen. All dem genügen Sie nicht.

Für uns ist klar, dass das nicht die neue Normalität ist. Frau Modder hat ein bisschen davon gesprochen. Das, was wir jetzt haben, ist noch weit weg von irgendeiner Normalität, die aus unserer Sicht akzeptabel wäre. Wir müssen also weiter daran arbeiten, diesen Zustand zu beenden, und dürfen aus unserer Sicht nicht dazu kommen - das werden wir auch nicht hinnehmen -, dass man die jetzige Situation zu einer Normalität umdeklariert und so tut, als sei es das jetzt gewesen. Denn das war es bei Weitem nicht, meine Damen und Herren. Freiheits- und Grundrechte sind nach wie vor dramatisch eingeschränkt. Wir müssen dazu kommen, dass das beendet wird.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick auf das werfen, was in den letzten Wochen aus meiner Sicht und aus unserer Sicht besonders hervorsticht und eben überhaupt nicht gut gelaufen ist.

Frau Ministerin Reimann, uns erreichen immer noch zahlreiche Berichte von Angehörigen von Menschen, die in Pflege- und Altenheimen leben,

dass die Besuche sozusagen unter Kontrolle stattfinden, dass auch direkte Begegnungen nicht im privaten Bereich möglich sind, dass die Menschen, die in den Pflegeeinrichtungen leben, sich von ihren Angehörigen auf menschlich wirklich bittere Art und Weise entfremdet haben, was einem, wenn man die Berichte hört, ans Herz geht.

Da reicht es eben nicht aus, wenn eine Landesregierung einfach sagt: Na ja, wir haben da so ein paar Erlasse an die Heimaufsicht geschrieben. Die wird das dann schon regeln. - Diese Landesregierung sind Sie, die diese Verordnungen erlassen haben - sehr wohl wahrscheinlich in vielen Punkten aus guten Gründen, das ist zugestanden. Aber dann müssen Sie sich auch darum kümmern, wie das wieder ins Laufen kommt, und dürfen dann nicht den Heimaufsichten einfach nur sagen: „Macht mal!“. Die sind doch auch überfordert. Sie sind doch in der politischen Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das wieder ins Laufen und auch diese menschlichen Beziehungen nicht in Vergessenheit geraten! Ich kann Ihnen nur berichten, viele Menschen fühlen sich in der Hinsicht von der Politik schlicht im Stich gelassen. Das dürfen wir nicht hinnehmen, sondern müssen weiter daran arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Dazu haben Sie nichts gesagt, Herr Ministerpräsident. Sie haben gesagt, wie großartig das alles sei und wie toll Niedersachsen dastehe.

Aber gucken wir uns doch die weiteren Punkte im Einzelnen an.

Die Digitalisierung von Schulen. Man kann eigentlich nicht von „Digitalisierung“ sprechen. Man muss eigentlich von „Nicht-Digitalisierung von Schulen“ sprechen. Das ist doch verheerend. Natürlich haben die Lehrerinnen und Lehrer das Beste versucht - der eine so, der andere anders. Das gilt auch für die Schulleitungen. Natürlich war das für alle eine Belastung. Aber das, was vorher an politischen Fehlentscheidungen getroffen war, konnte doch in der kurzen Zeit gar nicht aufgeholt werden.