Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie namens des Präsidiums herzlich begrüßen und eröffne die 79. Sitzung im 29. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 18. Wahlperiode.
Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 20, das ist die Fortsetzung der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort, mit Ausnahme der Tagesordnungspunkte 31, 32 und 36 bis 40, die wir bereits gestern behandelt haben. Die heutige Sitzung soll gegen 20.50 Uhr enden.
Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Eilers mit. Bitte, Frau Eilers!
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für heute haben sich entschuldigt: von der Landesregierung die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, Frau Birgit Honé, bis 12.30 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Axel Brammer, Herr Karsten Becker ab 16 Uhr, Herr Dr. Christos Pantazis und Frau Doris Schröder-Köpf, von der Fraktion der CDU Herr Burkhard Jasper bis 17 Uhr und von der Fraktion der FDP Herr Dr. Stefan Birkner ab 16 Uhr.
Heute werden die Anträge der Fraktion der FDP, der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beraten.
a) Ministerin Reimann, die „Kammer des Schreckens“ und „Die unendliche Geschichte“ - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/6873
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dieser Aktuellen Stunde wollen wir zwei weitere Episoden dieser Geschichte näher betrachten, die sich um die Pflegekammer dreht, nämlich den Teil der Beitragsfreiheit und den Teil der Befragung der Mitglieder der Kammer.
Zur Beitragsfreiheit, meine Damen und Herren, möchte ich daran erinnern, was sich im November/Dezember 2020 im Lande politisch abgespielt hat. Die Fraktionen der Großen Koalition beschließen, die Pflegekammer über die politische Liste mit 6 Millionen Euro zu unterstützen. Dazu heißt es im Rundblick im November 2019:
„Wie die Fraktionschefs Johanne Modder … und Dirk Toepffer … vor Journalisten erläuterten, betrifft der spektakulärste Schritt die 80 000 Pflegekräfte in Niedersachsen. Ihre Pflichtmitgliedschaft bei der seit zwei Jahren existenten Pflegekammer bleibt, sie sollen aber keine Beiträge mehr bezahlen - und demnächst die bisher gezahlten Beiträge erstattet bekommen.“
Der Ministerpräsident äußert sich im Dezember des letzten Jahres auf seiner Internetseite zum Haushalt:
„Ebenfalls auf der Tagesordnung des Landtags steht der Haushalt für 2020. Eine der wichtigsten Entscheidungen ist das Ende eines langen Streits um Beiträge zur Pflegekammer, dafür kommt in Zukunft das Land auf. Es ist gut, dass damit wieder über das eigentliche Thema geredet werden kann: bessere Bedingungen für die Pflege“.
Und Frau Modder hat am 25. Februar dieses Jahres in unserer Aktuellen Stunde - das war sozusagen der erste Teil - „Ministerin Reimann und die ‚Kammer des Schreckens‘“ erklärt:
„Im letzten Jahr habe auch ich mich persönlich im Rahmen der Haushaltsberatungen sehr stark dafür eingesetzt, dass einer der Hauptkritikpunkte, nämlich die Mitgliedsbeiträge, aus der Welt geräumt wird. Wir haben damals Landesmittel in Höhe von 6 Millionen Euro über die politische Liste zur Verfügung gestellt. Unser Ansinnen war, damit die Pflegekammer dauerhaft beitragsfrei zu stellen.“
Meine Damen und Herren, die Worte hör ich wohl, allein es fehlen die Taten. Frau Modder, Herr Toepffer und Herr Ministerpräsident, ich glaube, diese Rechnung haben Sie ohne Ihre Ministerin gemacht. Denn bis heute hat es Ministerin Reimann nicht geschafft, die von diesem Landtag bereitgestellten 6 Millionen Euro an die Pflegekammer zu überweisen, um die Beitragsfreiheit tatsächlich zu realisieren. Das ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar und nach wie vor nicht erklärbar. Man bekommt den Eindruck, dass Minister Reimann diese von ihr wohl als aufgedrängtes Geschenk empfundene Zugabe torpediert und hintertreibt. Offensichtlich will sie diesen Beschluss des Niedersächsischen Landtages nicht umsetzen.
Weil wir das schon in der Debatte gemerkt haben - das war schon im Dezember zu spüren, als die Ministerin sich zu diesem Punkt der politischen Liste, den die Regierungsfraktionen als den entscheidenden Schritt, als das sensationelle Ergebnis der Haushaltsberatung gefeiert hatten, in der Haushaltsdebatte eigentlich gar nicht mehr geäußert hat. Dieser Punkt war der Ministerin keine bzw. nur wenige Worte wert.
Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kammergesetzes eingebracht, um die Beitragsfreiheit gesetzlich zu garantieren. Wir sind gespannt - er wurde noch nicht beraten -, wie Sie damit umgehen.
Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das ganze Drama um die Befragung. Auch hier ist es so, dass das, was eigentlich von allen erwartet wurde, von Ministerin Reimann nicht umgesetzt worden ist. Wir haben doch hier die Debatten geführt, wir haben auch einen Antrag zu der Vollbefragung der Mitglieder der Kammer gestellt. Auch der Kollege Meyer hat sich im Ausschuss und in diesem Hause dafür eingesetzt, dass endlich echte Vollbefragung mit einer fairen Fragestellung kommt. Alle haben eigentlich erwartet, dass das auch im Ministerium
Und was passiert? - Es wird eine Frage gestellt, die eben nicht offen, nicht fair ist, die eben in eine bestimmte Richtung lenkt. Was die Pflegekräfte erwarten und was ihnen von allen Seiten versprochen worden ist - die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, ob sie für oder gegen diese Pflegekammer sind -, wurde ihnen nicht eröffnet. Einmal mehr hat die Ministerin damit das, was der Niedersächsische Landtag - wie ich finde: unmissverständlich - zum Ausdruck gebracht hat, nicht umgesetzt.
Herr Ministerpräsident, die Frage ist doch eigentlich: Wie lange wollen Sie sich das eigentlich gefallen lassen? - Ich weiß, dass Ihre Strategie ist, dass zwischen Ihnen und jedem Problem mindestens eine Ministerin oder ein Minister stehen muss. Aber Sie müssen sich irgendwann auch einmal selber um die Dinge kümmern. Denn die Pflegekräfte, für die Sie ja immer lobende Worte haben, erwarten von Ihnen, dass Sie sich auch um ihre Themen und Probleme kümmern und sich nicht immer hinter anderen verstecken. Es ist Ihre politische Verantwortung, hier endlich für Klarheit zu sorgen.
Für uns ist dabei klar, Frau Ministerin, dass Sie spätestens mit diesem Unwillen oder Unvermögen - es ist für mich nicht klar, was es denn tatsächlich ist -, diese klaren politischen Willensäußerungen dieses Hauses zur Pflegekammer umzusetzen - ich habe den Eindruck, dass Sie sie systematisch hintertreiben -, das Vertrauen, das man in einem solchen Amte genießen muss, endgültig verloren haben. Deshalb ist es aus unserer Sicht Zeit - wir haben das auch in den letzten Wochen deutlich gemacht -, dass Sie diesen Platz räumen und ein Neustart in der Gesundheits- und Sozialpolitik gemacht wird. Wir meinen deshalb, dass es richtig wäre, Sie würden zurücktreten.
Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Es folgt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Janssen-Kucz. Bitte, Frau Kollegin!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Birkner hat es gesagt: Im Februar gab es schon einmal eine Aktuelle Stunde zur „Kammer des Schreckens“. Wie seit Jahr und Tag fordert die FDP die Auflösung der Kammer. Heute wird die alte Kamelle - ich muss es wirklich so sagen - noch einmal aus der Mottenkiste geholt, ergänzt um „Die unendliche Geschichte“, garniert mit einer Rücktrittsforderung.
Mein Eindruck ist, dass die FDP ihr liberal-soziales politisches Gespür und damit auch eine gewisse Kreativität komplett im Kampf ums politische Überleben verloren hat.
Aber der erweiterte Titel - „Die unendliche Geschichte“ - trifft den Nagel auf den Kopf. Denn unendlich ist doch Ihre destruktive Haltung in Sachen Pflegekammer.
Und gelernt haben Sie scheinbar nichts. Herr Kollege Birkner, wenn Sie konsequent wären, würden Sie doch endlich einmal die Abschaffung aller berufsständischen Kammern fordern, einschließlich der Anwaltskammer, deren Pflichtmitglied Sie sind. Nichts passiert!
Meine Damen und Herren, es geht bei der Pflegekammer als berufsständische Selbstverwaltung für die Pflegenden nicht um das Ob, sondern um das Wie.
und wie eine berufsständische, in Ruhe gelassene Pflegekammer aufgebaut werden kann, um einen bestmöglichen Beitrag zur Verbesserung der in der Pflege Tätigen und der zu Pflegenden zu leisten.
(Björn Försterling [FDP]: Dadurch hat keine Pflegerin mehr Zeit für die Pati- enten! - Gegenruf von Christian Grascha [FDP]: Nur weniger im Portemonnaie!)
Genau deshalb müssen wir hier und heute über die reale Situation in der Pflege und die der Pflegekräfte reden. Am Montag wurde bekannt, dass es in einem Pflegeheim in Celle zu schweren Misshandlungen gekommen sein soll. Menschen - Schutzbefohlene - wurden offenbar ans Bett fixiert, Toilettengänge sollen verweigert worden sein usw. Das „grenzt an Folter“, sagte der Präsident der Pflegekammer Rheinland-Pfalz.
Meine Damen und Herren, das dürfen in keinem Fall dulden. Wir alle sind in der Verantwortung, die körperliche und psychische Gesundheit der uns anvertrauten Menschen sicherzustellen.