Protokoll der Sitzung vom 15.07.2020

Dieser Finanzbedarf soll

- in Höhe von 1,427 Milliarden Euro durch Einnahmen aus Krediten nach Artikel 71 Abs. 3 der Verfassung,

- in Höhe von 7,361 Milliarden Euro durch Einnahmen aus Krediten nach Artikel 71 Abs. 4 der Verfassung,

- in Höhe von 120 Millionen Euro durch eine globale Minderausgabe im Kernhaushalt und

- in Höhe von 880 Millionen Euro durch Verwendung des Jahresüberschusses 2019

gedeckt werden.

Wesentlicher Bestandteil des Gesetzespaketes ist die Zuführung von weiteren 6,481 Milliarden Euro an das Sondervermögen zur Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, das im Rahmen des ersten Nachtragshaushaltes errichtet wurde. Dieser Betrag soll zum größten Teil - 6,361 Milliarden Euro - aus Einnahmen aus Krediten nach Artikel 71 Abs. 4 der Verfassung sowie zu

120 Millionen Euro aus einer globalen Minderausgabe im Kernhaushalt finanziert werden.

Das Sondervermögen soll danach zusammen mit der bereits getätigten Zuführung aus dem Jahresüberschuss 2019 in Höhe von 480 Millionen Euro einen Bestand von 6,961 Milliarden Euro aufweisen. Davon sollen im Rahmen des Sondervermögens 2,599 Milliarden Euro zum Ausgleich von Steuermindereinnahmen und 4,362 Milliarden Euro zur Deckung von Mehrausgaben verwendet werden.

Die über das Sondervermögen auszugleichenden Steuermindereinnahmen von 2,599 Milliarden Euro werden nach Einschätzung der Landesregierung in Höhe von 1,192 Milliarden Euro durch Coronabedingte Steuersenkungen und in Höhe von 1,407 Milliarden Euro durch den Corona-bedingten Einbruch der wirtschaftlichen Entwicklung verursacht.

Die veranschlagten Mehrausgaben von 4,362 Milliarden Euro, die über das Sondervermögen verausgabt werden sollen, verteilen sich auf verschiedene Bereiche. Die Landesregierung unterscheidet dabei vier Säulen. Davon umfassen

- die Säule „Wirtschaft“ 1,924 Milliarden Euro,

- die Säule „Kommunen“ 1,105 Milliarden Euro,

- die Säule „Gesundheit“ 626 Millionen Euro und

- die Säule „Sonstige Corona-Hilfen“ 707 Millionen Euro.

In den Ausschussberatungen war die Kreditaufnahmeermächtigung nach Artikel 71 Abs. 3 der Verfassung in Höhe von 1,427 Milliarden Euro im Wesentlichen unstreitig.

Sehr umstritten war hingegen die Kreditaufnahmeermächtigung nach Artikel 71 Abs. 4 der Verfassung in Höhe von insgesamt 7,361 Milliarden Euro.

Einigkeit bestand darüber, dass die gegenwärtige COVID-19-Pandemie nach wie vor eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Vorschrift ist. Weitgehend Einigkeit bestand auch über die rechtlichen Voraussetzungen einer Kreditaufnahme nach dieser Vorschrift.

Ungeachtet des offenen Wortlauts der Verfassungsbestimmung ist Artikel 71 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Kreditaufnahmeverbot und deshalb eng auszulegen. Dies ergibt sich aus Artikel 109 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Ausgleich von Mindereinnahmen durch Einnahmen aus Krediten nach dieser Vorschrift ist daher nur zulässig, soweit die Mindereinnahmen durch eine Notsituation im Sinne des Artikels 71 Abs. 4 der

Verfassung verursacht worden sind. Die Deckung von Mehrausgaben durch Einnahmen aus Krediten nach Artikel 71 Abs. 4 ist nur zulässig, soweit die Mehrausgaben dem Zweck dienen, die Auswirkungen einer Notsituation zu bewältigen oder zu überwinden; außerdem müssen die Ausgaben zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sein. Darüber hinaus muss auch die Aufnahme der Kredite selbst zum Ausgleich der Mindereinnahmen und zur Deckung der Mehrausgaben erforderlich sein. Deswegen müssen auch andere Möglichkeiten zur Deckung des notsituationsbedingten Finanzbedarfs geprüft und in angemessenem Umfang in Anspruch genommen werden.

Kaum streitig war auch der Ausgleich von Steuermindereinnahmen durch Einnahmen aus Krediten nach Artikel 71 Abs. 3 und 4 der Verfassung. Der Streit betraf vor allem drei Fragen, nämlich ob erstens die Mittelbewirtschaftung über das Sondervermögen als solche zulässig ist und ob die Grundsätze des Haushaltsrechts gewahrt werden, ob zweitens die Kreditaufnahme in der vorgesehenen Höhe erforderlich ist oder nicht vorrangig andere Finanzierungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden müssten und ob drittens die veranschlagten Mehrausgaben tatsächlich zur Bewältigung der Notsituation geeignet und erforderlich sind bzw. ob sie ausreichend und zielgenau sind. Dazu haben sich die kommunalen Spitzenverbände allerdings nicht geäußert. Sie waren mit den vorgesehenen Mehrausgaben des Landes im Wesentlichen einverstanden.

Sehr kritisch hat sich hingegen der Landesrechnungshof geäußert. Der notwendige besondere sachliche Grund für die Mittelbewirtschaftung über ein Sondervermögen sei nach wie vor nicht gegeben. Die Abwicklung über das Sondervermögen führe auch nur scheinbar zu mehr Transparenz, weil zahlreiche Überschneidungen mit Ansätzen im Kernhaushalt vorhanden seien. Außerdem müssten andere Möglichkeiten zur Finanzierung des zusätzlichen Finanzbedarfs - etwa eine Entnahme aus Rücklagen - vorrangig genutzt werden. Ferner sei bei einer Reihe von Maßnahmen nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang sie mit der COVID-19-Pandemie stünden. Dies gelte vor allem für eine im Rahmen des Sondervermögens vorgesehene globale Mehrausgabe in Höhe von 500 Millionen Euro sowie mehrere im Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums vorgesehene Maßnahmen. Nach Auffassung des Landesrechnungshofs ist der Gesetzentwurf daher in mehreren Punkten verfassungswidrig.

Dieser Kritik haben sich die Oppositionsfraktionen im Wesentlichen angeschlossen und jeweils angekündigt, zum Plenum Änderungsanträge einbringen zu wollen - jedoch mit unterschiedlichen Zielrichtungen.

Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind der Kritik entgegengetreten. Sie halten die Mittelbewirtschaftung über das Sondervermögen für sinnvoll, um alle finanziellen Vorgänge zur Bewältigung des Sondervermögens transparent und gebündelt darzustellen. Außerdem sei die Notwendigkeit einer Kreditaufnahme in Höhe von 880 Millionen Euro durch die Verwendung des Jahresüberschusses 2019 sowie in Höhe von 120 Millionen Euro durch die Veranschlagung einer globalen Minderausgabe vermindert worden. Es seien also tatsächlich andere Finanzierungsmöglichkeiten in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Euro genutzt worden. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten - wie etwa die Entnahme aus Rücklagen - müssten nicht zwingend vorrangig genutzt werden, auch die haushaltspolitische Handlungsfähigkeit des Landes in der Zukunft dürfte nicht übermäßig eingeschränkt werden. Die globale Mehrausgabe in Höhe von 500 Millionen Euro sei erforderlich, um Vorsorge für noch nicht absehbare Entwicklungen im Pandemiegeschehen zu treffen. Eine zweckwidrige Verwendung dieser Mittel sei auch nicht zu befürchten, weil insoweit ein qualifizierter Sperrvermerk ausgebracht werde. Dadurch bedürften Ausgaben aus diesem Titel der Einwilligung des Haushaltsausschusses. Die für den Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums vorgesehenen Maßnahmen müssten schließlich weniger als Einzelmaßnahmen, sondern vielmehr als Gesamtpaket zur Stützung der niedersächsischen Wirtschaft betrachtet werden. In ihrer Gesamtheit seien sie geeignet und erforderlich, die Auswirkungen der Pandemie auf die niedersächsische Wirtschaft nachhaltig zu bewältigen.

Im Übrigen waren sowohl der Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes als auch der Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes, der Änderungen von insgesamt fünf Gesetzen vorsieht, im Wesentlichen unstreitig.

Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich darauf, dass über die - öffentlichen - Sitzungen des Haushaltsausschusses Wortprotokolle angefertigt wurden, die bei Bedarf von allen Kolleginnen und Kollegen eingesehen werden können. Außerdem liegt Ihnen zum Haushaltsbegleitgesetz in der Drucksache 18/7018 ein ergänzender ausführlicher Schriftlicher Bericht vor.

Die Präsidentin hat die eingegangenen weiteren Anträge der Fraktion der Grünen, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD in ihrem Eingangsvortrag genannt. Ich will das deswegen nicht wiederholen.

Zum Schluss bitte ich Sie im Namen des Ausschusses für Haushalt und Finanzen, den eingangs vorgetragenen Beschluss zu fassen und den beiden Beschlussempfehlungen zuzustimmen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wenzel für Ihren Bericht.

Ich eröffne nun die Beratung. Wir beginnen mit dem Redebeitrag der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Hamburg. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit Ihnen heute über Handlungsfähigkeit und über Scheuklappen sprechen.

Das, was Sie, liebe Fraktionen von SPD und CDU, und Ihre Landesregierung vorgelegt haben, zeigt einmal mehr, wie uneinig Sie sich in vielen Bereichen sind und dass diese Uneinigkeit am Ende dazu führt, dass Sie zwar viel Geld in die Hand nehmen, aber Niedersachsen damit nicht nachhaltig voranbringen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

8,4 Milliarden Euro sind eine Menge Geld; das können wir an dieser Stelle nicht wegreden. Sie, Stephan Weil, haben immer betont, dass Sie schon aus Ihren Erfahrungen als Kämmerer der Stadt Hannover wissen, wie wichtig es ist, Steuereinnahmen ins Laufen zu bringen und zu investieren. Sie sagten: Sparen allein macht einen öffentlichen Haushalt nicht gesund, und deswegen ist es wichtig, kraftvoll zu investieren.

Schauen wir uns diese 8,4 Milliarden Euro einfach einmal nüchtern an! Allein 5,1 Milliarden Euro gehen in die Kompensation von Einnahmeausfällen. Davon investieren Sie nicht einen zusätzlichen Cent für die Konjunktur.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann investieren Sie 600 Millionen Euro in die Vorsorge. Das ist angesichts der COVID-19-Pan

demie - die noch nicht beendet ist - sehr richtig. Aber ich frage mich: Wo ist denn da noch die Fähigkeit, langfristig und nachhaltig und - wie Sie sagen, Herr Ministerpräsident - kraftvoll zu investieren? Da bleibt am Ende schlichtweg nicht mehr viel Geld übrig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb schlagen wir einen Niedersachsenfonds vor, wie ihn der DGB in die Debatte gebracht hat. Anders als Sie würden wir die 1 Milliarde Euro nicht direkt investieren, sondern in einen Fonds einzahlen und damit weitere 10 Milliarden Euro heben, um kraftvoll und schlagkräftig in Niedersachsen zu investieren und die Konjunktur zum Laufen zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf der anderen Seite hätten wir damit die Chance, die Handlungsfähigkeit in unserem eigenen Landeshaushalt zu erhalten. Ein Niedersachsenfonds wäre also die Möglichkeit, etwa die Investitionen der Kommunen in den nächsten Jahren voranzubringen. Wir wissen um die Sanierungsbedarfe an unseren Schulen und um die Sanierungsbedarfe der digitalen Infrastruktur. Und wir wissen, dass die Finanzprobleme der Kommunen für die nächsten Jahre mit Ihren beiden Haushalten noch längst nicht gelöst sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese machen immerhin 50 % der öffentlichen Investitionen aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Investitionen in erneuerbare Energien, eine Mobilitätswende, die Hochschulbauten, die Universitätskliniken, der Umbau unseres Industriestandortes Niedersachsen, das Voranbringen unserer Gesellschaft, die Investition in Forschungen etwa in Bezug auf Wasserstoff: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind riesig. Wir haben riesigen Handlungsbedarf, und ich frage Sie: Womit wollen Sie das eigentlich bewerkstelligen? - Hierzu fehlen Ihre Antworten gänzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Niedersachsenfonds hingegen böte die Chance, dass wir, parlamentarisch kontrolliert, Maßnahmen definieren können, Tilgungspfade festlegen und durch Wertschöpfung, die wir als Land betreiben, auch die Refinanzierung gewährleisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Land würde mit seinem Haushalt handlungsfähig bleiben. Auch hier gibt es sehr viele Maßnahmen, die wir erledigen müssen, wie etwa einen Pflegebonuszuschuss für alle Pflegekräfte, liebe Kolleginnen und Kollegen, und nicht nur für Altenpflegekräfte. Sie haben einen Bonus verdient. Klatschen allein reicht hier nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)