Meine Damen und Herren, zum Schluss will ich noch kurz auf die Corona-Verordnung eingehen. Aus meiner Sicht war es absolut richtig, die Verordnung in einer noch unklaren Situation, als keiner von uns wusste, wie sich die Situation nach der Sommerpause entwickeln würde, bis Ende dieses Monats zu verlängern. Auch die Entscheidung auf Bundes- und Länderebene, Großveranstaltungen bis zum Ende des Jahres zu verbieten, halte ich für absolut richtig.
Wir werden in diesem Tagungsabschnitt den Sonderausschuss zur Corona-Pandemie beschließen und einsetzen, um uns auch mit den Erfahrungen der jetzigen Krise für zukünftige Szenarien gut aufzustellen. Ich halte das für sehr wichtig, weil in vielen Gesprächen, die wohl wir alle an unterschiedlichsten Stellen geführt haben, sehr deutlich geworden ist, dass diese Pandemie wie ein Brennglas auch auf die Schwachstellen hingewiesen hat, wenn ich nur an die Beschaffung und Bevorratung von Schutzkleidung oder Medikamenten
rung denke. Das ist doch überhaupt keine Frage. Wir alle lernen hoffentlich daraus und ziehen die richtigen Schlüsse für unser Land zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren, wir erleben täglich, wie uns in persönlichen Gesprächen oder emotionalen Schreiben und E-Mails von Menschen, die ihre Existenz in Gefahr sehen oder auch Kritik an den Grundrechtseingriffen üben, Zukunftsängste gespiegelt werden. Diese Ängste müssen wir sehr ernst nehmen, wir müssen unsere Maßnahmen erklären und Perspektiven aufzeigen. Wir müssen, wie es heute im Gottesdienst gesagt wurde, Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen. Das erwarten die Menschen.
Klar muss aber auch sein: Wir werden einer Minderheit, die zwar laut und auch aggressiv ist, nicht die Deutungshoheit in unserem Land überlassen.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU - Wiard Siebels [SPD] - zur FDP -: Da können Sie ruhig einmal mitklatschen!)
Jede und jeder, der das hohe Gut der Versammlungsfreiheit in unserem Land für sich in Anspruch nimmt, muss wissen, dass er, wenn er gemeinsam mit Nazis und gewaltbereiten Rechtsextremisten demonstriert, eine Grenze überschreitet, die nicht toleriert werden kann.
Vielen Dank, Frau Kollegin Modder. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt der Vorsitzende, Herr Dr. Birkner. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie diese Regierungserklärung dann doch abgegeben haben. Offensichtlich hatten Sie das ursprünglich nicht vor. Aber ich denke und wir meinen schon, dass es notwendig ist, sich als Regierung immer wieder zu erklären und tatsächlich für das, was man tut, zu werben, damit die Menschen auch nachvollziehen können, warum es diese Einschnitte gibt. Deshalb grundsätzlich der Dank.
Aber was haben Sie dann getan, Herr Ministerpräsident? Sie haben gleich zu Beginn gesagt, dass Sie gar keine Erklärung abgeben wollen. Sie wollen es also nicht erklären, sondern Sie wollen eigentlich nur unterrichten. Sie wollen eigentlich nur erzählen, was Sie so tun, und Sie werben nicht einmal um das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger, sondern stellen sich hier hin und sagen: Ich gebe hier nur eine Unterrichtung ab, damit der Landtag auch einmal weiß, was wir so machen. - Das ist viel zu wenig.
Dies ist das Haus, in dem die Bürgerinnen und Bürger repräsentiert werden, und hier müssen Sie Ihre Politik erklären!
Meine Damen und Herren, ich finde, das Entscheidende haben sowohl Sie, Herr Ministerpräsident, als auch Frau Modder überhaupt nicht diskutiert. Was sind eigentlich die Maßstäbe für Ihre CoronaPolitik? Da ist immer die Rede von einer bestimmten Infektionsdynamik, die wir haben und die wir möglichst gering halten müssen. Dann sagen Sie, Herr Ministerpräsident: Wir haben ein Infektionsgeschehen von etwa 100 Neuinfektionen am Tag, das wir auf diesem Niveau halten sollten. Damit muss man zurechtkommen. - Ist das Ihr Maßstab? Kann man pro Tag 100 Neuinfektionen verkraften, oder sind es mehr, oder sind es weniger? Worum geht es eigentlich? Diese Grundlagen machen Sie nicht deutlich. Damit kann niemand wirklich nachvollziehen, nach welchen Maßstäben und nach welchen Kriterien Sie eigentlich handeln. Man kann eine Debatte darüber, was an Lockerungen tatsächlich möglich ist, mit Ihnen eigentlich gar nicht führen, weil man gar nicht so richtig weiß, nach welchen Kriterien Sie vorgehen.
Sie sprechen davon, das Gesundheitssystem sei nur mäßig belastet. Das ist eine gute Sache, das unterstützen wir ausdrücklich und begrüßen es natürlich auch. Da kommt so ein bisschen der Gedanke durch: Die Belastung des Gesundheitssystems könnte ein Maßstab sein. Aber auch bei der Frage, was das genau bedeutet, lassen Sie uns wieder im Dunkeln.
Ich möchte Bezug nehmen auf ein Interview, das der Virologe Streeck gestern in der Welt am Sonntag hatte. Er führte dort nämlich aus: Wir dürfen uns bei der Bewertung der Situation nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken. - Es heißt weiter: Wir müssen die Faktoren ins Zentrum stellen, die in der Pandemie wichtig sind: stationäre Belegung, intensivmedizinische Belegung, Anzahl der Tests, die es braucht, um einen Coronapositiven Menschen zu finden.
Das sind doch Punkte, über die man diskutieren kann. Wir möchten gern einmal wissen, wie Sie dazu stehen. Wo sind denn Ihre Maßstäbe und Grenzen, die dann am Ende zu entsprechenden Reaktionen einschränkender Natur führen müssen? Sie haben doch selbst einmal Maßstäbe aufgestellt. Warum sagen Sie denn dazu nichts mehr? Sie deuten ja nur an: Es gibt noch diesen Stufenplan, also dessen Fortschreibung. Den ursprünglichen kennen wir natürlich. Da ging es bis Stufe 5, aber die Stufe 5 ist ja längst überschritten. Nach welchem Plan arbeiten Sie denn jetzt? Ist das, was Sie machen, irgendwie im luftleeren Raum? Wir wissen es nicht. Die Bürgerinnen und Bürger wissen es nicht. Sie sagen nur: Da kommt demnächst etwas; wir arbeiten an etwas. Aber woran bleibt in der Blackbox.
So erklären Sie Ihre Corona-Politik nicht. So werden Sie nicht auf Akzeptanz und Zustimmung stoßen, und so überlassen Sie auch denjenigen das Feld, die dieses Ungewisse für sich benutzen, um Menschen zu radikalisieren und in die falsche Richtung zu drängen. Das ist am Ende eine verantwortungslose Politik, die Sie betreiben.
Sie haben Kriterien, und bei dem angewandten Stufenplan spiegelt sich auch viel Gutes, viel Richtiges und Nachvollziehbares wider. Da sprechen Sie vom Infektionsschutzgesetz-Impact, von volkswirtschaftlichen Schäden, von betriebswirtschaftlichen Schäden, von gesellschaftlichen Schäden. Das sind Kriterien, die man anlegen kann. Daraus lässt sich eine Strategie entwickeln. Sie haben es ja für die ersten fünf Stufen tatsächlich gemacht.
Davon heute nicht ein Wort! Stattdessen nur oberflächliches Reden von einer Infektionsdynamik, die man einschränken möchte: 100, mehr wollen wir eigentlich nicht! Und zu der Frage, ob das dann die
gravierenden Folgen, die bei vielen Menschen ankommen, tatsächlich rechtfertigt: kein Wort! Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist bei Ihnen in keiner Weise nachvollziehbar oder irgendwie erkennbar.
Wir sind also der Auffassung, dass eine Gesamtbetrachtung notwendig ist. Man muss die verschiedenen Aspekte zusammenbringen. Und für uns ist klar: Das Gesundheitssystem darf nicht überlastet sein. Wir brauchen eine bestmögliche Behandlung für jeden, der an COVID-19 erkrankt. Wir dürfen nicht in eine exponentielle Infektionsdynamik zurückkehren.
Besonders gefährdete Personengruppen müssen geschützt werden. Wir müssen alle ökonomischen und die sozialen Auswirkungen in die Gesamtbetrachtung miteinbeziehen, und daraus müssen wir eine Gesamtbewertung machen. Davon heute vom Ministerpräsidenten, der gemeinsam mit Frau Reimann zuständig ist - maßgeblich ist am Ende ja Frau Reimann, die als Ministerin immer die Verordnungen unterschreibt, zuständig -: kein Wort! Nicht ein Wort zu einer solchen Abwägung, sondern nur pauschale, oberflächliche Dinge! Das kann nicht ausreichen, um die gravierenden Einschnitte, die wir hier haben, in irgendeiner Weise zu rechtfertigen.
Um das einmal deutlich zu machen: Es geht um Perspektiven für Menschen, die davon gravierend beeinträchtigt sind. Die haben im Prinzip keine. Auch heute hieß es wieder: Ja, wir machen eine neue Verordnung - so ungefähr haben Sie es gesagt, Herr Ministerpräsident -, und die wird dann das Licht der Öffentlichkeit erblicken, wenn wir uns intern geeinigt haben.
Wir wissen ja inzwischen, wie bei Ihnen in der Regierung das Verhältnis zwischen CDU und SPD ist. Das heißt, der internen Einigung, diesem Aushandlungsmechanismus, in dem es mittlerweile eher um den Wahlkampf - so hat man den Eindruck - und um die persönliche Profilierung von einzelnen Akteuren geht, also Ihren partei- bzw. regierungsinternen Schwierigkeiten opfern Sie doch am Ende mit Blick auf den Wahlkampf eine neue Corona-Politik.
Das ist alles viel zu wenig. Sie haben ja Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und Sie müssen den Menschen hier anhand nachvollziehbarer Kriterien Perspektiven geben.
Seit der Sommerpause haben Sie nichts auf die Reihe gekriegt. Die Regierungserklärung hätten Sie genauso gut vor der Sommerpause halten können. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? - Nichts ist geschehen.
(Alptekin Kirci [SPD]: Das ist unglaub- lich! - Weitere Zurufe von der SPD - Glocke der Präsidentin)
Das ist besonders deutlich an der Verordnung erkennbar. Vor der Sommerpause hat uns diese Landesregierung erklärt, sie arbeite an einer neuen verständlichen Verordnung. Man hat in einer der Plenarsitzungen sogar gemeint, sie sei schon in der Abstimmung bzw. kurz davor. Dann haben uns die Fraktionen hier noch erklärt: Diese Verordnung geht ja gar nicht.
Dann ist sie zurückgezogen worden. Und seitdem ist im Prinzip - bis auf heute - keine Rede mehr von einer neuen nachvollziehbaren, verständlichen, neustrukturierten Verordnung gewesen. Man
macht einfach so weiter, wie bisher - entgegen der Zusagen, Herr Ministerpräsident, die Sie hier im Landtag gegeben haben. Und dann wollen Sie, dass die Menschen Ihnen in dieser Politik vertrauen? Sie tun zumindest viel, dass das nicht gelingt.
Für uns ist klar, dass man für eine solche neue Verordnung zu einer grundsätzlich anderen Herangehensweise kommen muss. Man muss von