Für uns ist klar, dass man für eine solche neue Verordnung zu einer grundsätzlich anderen Herangehensweise kommen muss. Man muss von
einer Verbots- zu einer Gebotspolitik kommen. Man darf nicht mehr länger sagen, dass alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, sondern es muss alles erlaubt sein, was nicht ausdrücklich verboten ist. Das ist nicht nur ein gesetzgeberischer, technischer Formalismus, sondern es ist Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft, dass alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, erlaubt ist. Sie halten an etwas fest, was eigentlich unser Rechtsordnung, unserem System, unserer Verfassungsordnung und unser freiheitlich verfassten Gesellschaft völlig fremd ist.
Daran halten Sie fest. Auch dazu kein Wort, sondern eben nur der Hinweis: Wir gucken mal, wie wir uns einigen, und dann gibt es vielleicht eine neue Verordnung. - Wie gesagt, wir wissen ja, wie einigungsfähig Sie im Moment gerade in dieser Landesregierung sind.
Das einzige, was Sie dazu bringt, sind die Urteile des Oberverwaltungsgerichts. Da haben Sie ja nun reihenweise Schlappen bekommen. Da sind Sie dann immer dabei sozusagen nachzusteuern.
Aber da wird schon deutlich, dass diese Verfassungsmäßigkeitsprüfung bei Ihnen intern nicht mehr ausreichend funktioniert.
Sie sprachen von einer Teststrategie und haben in Aussicht gestellt, dass die Gesundheitsminister nunmehr an einer gemeinsamen Teststrategie arbeiten. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man eigentlich wirklich nur noch lachen. Wir reden hier seit Monaten über eine Teststrategie. Wir haben verschiedene Anträge eingebracht. Sie ist immer wieder Gegenstand im Corona-Ausschuss, also im Sozialausschuss, gewesen. Und jetzt verkünden Sie uns, jetzt sei man soweit, nach der Sommerpause werde man an einer gemeinsamen Teststrategie arbeiten. Da ist man, ehrlich gesagt, ziemlich sprachlos, weil deren Notwendigkeit, der Druck, der dahinter ist, und die Bedeutung, die sie für eine effektive Pandemiebekämpfung tatsächlich hat, eigentlich hinreichend bekannt sind. Ich befürchte, das ist symptomatisch für Ihre Politik.
Auch die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes haben wir hier in diesem Hause schon wiederholt thematisiert. Auch dazu haben wir Anträge in die Debatte eingebracht. Jetzt erklären Sie uns, dass man dort bis Ende 2022 diese 5 000 Stellen bundesweit, davon 500 für Niedersachsen, schaffen will. Auch hier fragt man sich ja, was eigentlich in den letzten sechs Monaten passiert ist. Anstatt tatsächlich neue Stellen zu schaffen, neue qualifizierte Personen bei den Gesundheitsämtern einzustellen, erleben wir in Niedersachsen, dass am Ende Katastrophenschutzeinheiten mobilisiert werden, um diese Defizite zu füllen.
Nichts Konkretes ist in der Aufstockung des öffentlichen Gesundheitsdienstes passiert. Ich hätte von Ihnen zumindest erwartet, dass Sie uns hier konkrete Zahlen nennen, wann was vorangegangen ist und wo Sie wann hinwollen. Auch hier bleiben Sie oberflächlich.
Sie haben sich zu den Schulen und Kitas geäußert. Das Zentrale und aus meiner Sicht eine der Lehren ist - Frau Modder hat es eben dankenswerterweise ausgeführt -, dass die Digitalisierung komplett verschlafen wurde. Jetzt heißt es, Sie seien froh, dass jetzt so langsam Endgeräte ankämen und dass immerhin schon die Hälfte die Bildungscloud habe. Anders gesagt: Eigentlich ist das, was wir hier erleben, ein Zeugnis des Versagens der Digitalisierung im Rahmen der Bildungspolitik.
Hier ist auch offen geblieben, Herr Ministerpräsident, was Ihre Konzepte für den Unterricht im Herbst und im Winter sind. Was sind denn die Mittel, die die Schulen zur Verfügung bekommen, um tatsächlich Unterricht zu gewährleisten und um die Belüftung der Räume sicherzustellen? Denken Sie darüber nach, die Luftreinhaltung durch technische Geräte zu ermöglichen? - Es sind ganz konkrete Antworten, die die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler von Ihnen erwarten. Man kann jetzt nicht einfach die Schulträger im Stich lassen und sagen: Wir gucken mal, wie sich das entwickelt. Dazu müssen heute Entscheidungen getroffen werden! Wir erwarten dazu konkrete Vorschläge. Aber auch dazu haben Sie nichts gesagt.
Frau Modder, auch bei Ihnen war ich etwas überrascht. Ich unterstütze Sie, wir unterstützen Sie komplett, wenn es um die Schausteller geht, weil das sicherlich eine Branche ist, die besonders betroffen ist. Ich glaube, wir sind uns sehr einig darin, dass für sie etwas getan werden muss. Mich wundert aber, dass Sie unter dem Stichwort „Veranstaltungen“ die Veranstaltungsbranche im Weiteren überhaupt nicht erwähnt haben und überhaupt nicht im Blick haben.
Ist das an Ihnen vorbeigegangen? #AlarmstufeRot? Dass diejenigen, die dahinter stehen, die ganzen Soloselbständigen - - -
(Wiard Siebels [SPD]: Das hat sie ge- sagt! Sie müssen mal zuhören! Das ist ja abenteuerlich! Unglaublich!)
Der Ministerpräsident hat es nicht gesagt, Frau Modder, weil er dazu eben keine Ideen hat. Deshalb ist es schon sehr erschreckend, dass man diese Branche, die man in besonderer Art und Weise in die Verantwortung nimmt - - -
Einen Moment, bitte, Herr Dr. Birkner! - Alle Fraktionen - das ist die gute Nachricht - haben ausreichend Redezeit. Von daher können sich alle noch einmal zu Wort melden.
Auch für die Veranstaltungsbranche ist es notwendig, zu konkreten Vorschlägen und Angeboten zu kommen und es nicht bei dieser Oberflächlichkeit, in der Sie hier verblieben sind, zu belassen.
Zur Wirtschaftspolitik fällt Ihnen, Herr Ministerpräsident, dann nicht viel mehr ein, als dass Sie regelmäßige Gespräche mit der Industrie führten. Das begrüßen wir. Das ist immer gut. Wir würden uns wünschen, dass Sie sie immer mit allen Branchen in Niedersachsen führen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Außerdem verweisen Sie auf die Förderrichtlinien des Landes, die zum Teil noch in Erarbeitung seien.
Auch das ist aus unserer Sicht zu wenig, um Niedersachsen am Ende wettbewerbsfähig zu gestalten. Wir brauchen zukunftsfähige Arbeitsplätze in Niedersachsen, und dafür brauchen wir eine Politik, die Investitions- und Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich erhöht. Insoweit sind wir dem Finanzminister dankbar, weil er Vorschläge zur Unternehmensteuerreform gemacht hat, weil er konkrete Vorschläge gemacht hat, wie sich Niedersachsen auch im Bund positionieren könnte. Aber Sie, Herr Ministerpräsident, haben dann gleich signalisiert, das seien nicht Ihre Vorschläge, und sind dann auf Herrn Scholz‘ Vorschläge eingegangen und haben gesagt, die Steuererhöhungen seien eher Ihr Modell.
Da ist genau das zutage getreten, was ich vorhin meinte: Sie sind in wichtigen Fragen nicht in der Lage, sich zu einigen. Es wären zwei ganz entscheidende Punkte, dass Niedersachsen in der Wirtschaftspolitik auch bundesweit mit einer Stimme spricht und die Rahmenbedingungen bundesweit so gestaltet werden, dass davon auch wir in Niedersachsen profitieren. Aber darin gibt es eben keine Einigkeit! Der Ministerpräsident ist im Wahlkampf bei Herrn Scholz, und Herr Hilbers macht in der Sache vernünftige Vorschläge, hat aber im Kabinett dafür nicht die Unterstützung.
Genauso ist es bei der Verordnung. Genau da sind Sie auch nicht in der Lage, sich zu einigen. Deshalb bleiben wichtige Themenfelder eben unbearbeitet. Das halten wir in dieser Situation für absolut nicht hinnehmbar, weil es am Ende die Zukunftsfähigkeit dieses Landes gefährdet.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen, meine Damen und Herren, nämlich noch einmal zur Akzeptanz der Corona-Politik. Ich habe es eingangs gesagt: Wir halten solche Debatten für absolut notwendig, und zwar hier im Haus. Diese müssen streitig sein. Wir müssen doch über die unterschiedlichen Positionen in der Sache streiten!
Wir müssen das öffentlich tun. Dieser Landtag muss viel aktiver und stärker eingebunden werden. Sie kennen unseren Vorschlag. Wir werben immer wieder dafür, dass man die Corona-Verordnungen, die am Ende das zentrale Instrument sind, diesem Landtag zur Zustimmung oder Genehmigung vorlegt. Denn dann finden doch zum ersten Mal eine
echte parlamentarische Legitimation durch uns als gewählte Vertreterinnen und Vertreter und zum ersten Mal auch eine öffentlich nachvollziehbare Debatte statt. Es sind doch sehr viele Menschen da draußen, die gar nicht mehr nachvollziehen können, wie diese Rechtsetzungen eigentlich zustande kommen, und die überhaupt nicht wissen, wie diese Prozesse verlaufen. Dafür sind die öffentlichen parlamentarischen Verfahren genau das Mittel der Wahl, etwa weil wir hier Anhörungen abhalten können. Wir tagen öffentlich. Alles das würden wir sicherstellen können. Es sind Wege möglich. Lassen Sie uns darüber ernsthaft diskutieren und es uns bitte nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben! Wir sind doch in der Lage dazu, Wege zu finden, die trotz einer parlamentarischen Debatte eine effektive Pandemiebekämpfung ermöglichen! Das geht zusammen! Baden-Württemberg hat es vorgemacht.
(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig! Baden-Württemberg hat als erstes deutsches Bun- desland eine entsprechende Regelung verab- schiedet. Warum sollen wir da nicht hinterherzie- hen? (Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)
Dabei geht es nicht um die Oppositionsfraktionen. Natürlich wollen wir mitdiskutieren und uns einbringen, und wir werden unsere Rolle wahrnehmen. Aber es geht am Ende doch darum, dass die Regierungsfraktionen - Sie! - ihren Auftrag wahrnehmen können,
137 Abgeordnete, und zwar in öffentlicher Sitzung, in nachvollziehbarer Sitzung. Dann hätte diese Landesregierung auch die Notwendigkeit, sehr, sehr genau und sehr, sehr streitig mit ihnen das Gespräch aufzunehmen und die Legitimation, die Zustimmung zu ihrem Handeln zu bekommen.
Dass das bisher nicht so gelaufen ist, wissen wir alle, meine Damen und Herren. Die Zeiten sind jetzt aber andere. Ich glaube, wir können das jetzt machen, ohne dass wie in der Anfangszeit der Pandemie ganz eilige sozusagen Von-heute-aufmorgen-Entscheidungen notwendig wären.
Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Es folgt Ihnen jetzt für die CDU-Fraktion Herr Kollege und Fraktionsvorsitzender Toepffer. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter, lieber Herr Kollege Dr. Birkner! Zunächst einmal herzlichen Dank für Ihren Einsatz für die Rechte der die Regierung tragenden Fraktionen. Das habe ich gern gehört. Machen Sie in der Richtung weiter! Das war schon einmal ein guter Anfang.
Danke aber auch an den Ministerpräsidenten für diese in der Tat fünfte Corona-Regierungserklärung. Ich gebe es ganz offen zu: Der von Ihnen festgestellte Sättigungseffekt hat sich bei mir durchaus eingestellt.