Protokoll der Sitzung vom 15.09.2020

Ich halte die Untersuchung dieses Punktes deshalb auch für ein Zeichen an das Volk: Wir sind für euch in diesem Parlament. Wir kümmern uns um eure Belange. Wir lassen die großen Verlierer dieser Corona-Maßnahmen nicht allein und nicht aus dem Blick. Wir wollen sie wenigstens bei einem späteren Pandemiegeschehen nur genau so weit belasten, wie es zwingend erforderlich ist.

Wenn dieser Sonderausschuss nicht nur für die Regierung arbeiten will - denn man könnte durchaus sagen, eine solche Evaluierung sei Regierungsaufgabe -, dann darf er seine Aufgabe nicht losgelöst von den Menschen definieren, die dieses Parlament gewählt haben.

Das ist meine dringende Bitte. Dann fällt mir meine Zustimmung zu diesem Antrag noch um einiges leichter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke, Herr Wichmann. - Die FDP wird jetzt durch den Abgeordneten Christian Grascha vertreten.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben seit Beginn dieser Pandemie - insbesondere zu Beginn der Pandemie - massive staatliche Eingriffe erlebt. Viele davon konnte man sich vor einem halben Jahr noch nicht vorstellen.

Diese Maßnahmen - das sage auch ich, das sagen auch wir - waren zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbar und richtig. Diese Vollnarkose - wenn man so will -, in die unser Land gelegt wurde, war zum damaligen Zeitpunkt richtig. Aber ich glaube schon, dass man heute mit vielen Kenntnissen, die wir in Bezug auf den Umgang mit der Pandemie haben, anders reagieren würde. Wir leben glücklicherweise in einer Staatsform, die immer wieder lernend ist. Dieser Corona-Sonderausschuss ist auch genau dafür gedacht, dass man die Entscheidungen, die getroffen wurden, und die Auswirkungen, die sich dadurch ergeben haben - Herr Wichmann, auch die Auswirkungen auf soziale und ökonomische Fragen, die Sie hier angesprochen haben -, in dem Ausschuss entsprechend auswertet und daraus die notwendigen Konsequenzen für zukünftige Entwicklungen zieht.

Deswegen fand ich es gut, dass der Bundesgesundheitsminister vor ein paar Tagen gesagt hat, dass mit dem Wissen von heute der Lockdown nicht so drastisch ausfallen würde, wenn wir jetzt erneut darüber diskutieren würden. Vor dem Hintergrund des heutigen Wissens würde man wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres Friseure, Einzelhändler etc. schließen oder Besuchsverbote in Pflegeeinrichtungen aussprechen.

Ich halte es für wichtig, dass die Politik den Bürgerinnen und Bürgern auch sagt, dass es heute neuere, weitere Erkenntnisse gibt und wir dementsprechend die politischen Entscheidungen möglicherweise anders treffen würden bzw., um bei dem Bild der Vollnarkose zu bleiben, nicht mehr das Land in eine Vollnarkose legen müssten, sondern örtliche Eingriffe vornehmen würden, die regional oder lokal dort beschränkt sind, wo das Infektionsgeschehen entsprechend vorhanden ist.

Diese Entscheidungen betrafen und betreffen natürlich verschiedenste Einrichtungen - Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Ärzte, Pflegeheime, Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel, Handwerk, Gesundheitsämter, Forschungseinrichtungen. Ver

schiedene Institutionen und Einrichtungen waren und sind betroffen. Überall haben wir laufend Entwicklungen, sodass wir auf neuere Erkenntnisse

reagieren und wieder zu neuen Entscheidungen kommen.

Diesen Abwägungsprozess, diese Diskussion haben wir ja auch immer wieder in diesem Haus. Überall findet das statt - fast überall; denn bei der parlamentarischen Beteiligung sind wir leider immer noch bei dem Stand von Februar und März.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Das Geschehen wird von der Landesregierung immer noch über die Ministerverordnungen geregelt - ohne parlamentarische Debatte, ohne parlamentarische Beteiligung. Diese parlamentarische Beteiligung wird leider bis dato immer noch verweigert. Ich halte es auch für einen entscheidenden Punkt, aus diesem Krisenmodus von Februar und März herauszukommen und jetzt wieder breite parlamentarische Debatten zu diesem Thema zu führen und auch Entscheidungen zu treffen. Das steigert definitiv die Qualität der staatlichen Eingriffe. Es steigert auch die Verständlichkeit und die Nachvollziehbarkeit dieser Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Deswegen ist neben den Fragen, die ansonsten ja auch im Antrag formuliert sind, dieser entscheidende Punkt für uns sehr wichtig. Es geht darum, dass die parlamentarischen Rechte wahrgenommen werden können, dass der Parlamentarismus auch in einer solchen Situation funktioniert und entsprechend auch hier reagieren kann und zu Entscheidungen kommt. Eine solche Situation ist nicht nur die Stunde der Regierung, sondern eben auch die Stunde des Parlaments.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Ich rufe den Beitrag von Bündnis 90/Die Grünen auf. Kollege Limburg!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank, Herr Kollege Siebels, für die ausführliche Einbringung des gemeinsamen Antrags. Wir werden ihn ja aller Voraussicht nach dann im Oktober-Plenum endgül

tig beraten und beschließen und damit diesen Ausschuss einsetzen.

In der Tat - Herr Siebels, Sie haben das zu Recht dargestellt; der Kollege Grascha hat das auch getan; das darf man bei aller Nachbetrachtung natürlich nie vergessen - war die Situation im März und im April einfach so, dass wir ganz vieles nicht wussten, und zwar nicht nur wir hier in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland und auch weltweit. Über ein vergleichsweise neuartiges Virus, auch wenn es in China offensichtlich schon viele Monate grassierte, wusste man einfach relativ wenig. Es ist ausdrücklich nachvollziehbar, dass alle Landesregierungen in Deutschland - nicht nur diese, sondern in allen politischen Farbkonstellationen - dann zunächst sehr schnell relativ drastische Maßnahmen ergriffen haben. Wie gesagt, ist das aus der Zeit heraus natürlich verstehbar und nachvollziehbar.

Gleichwohl ist es richtig und notwendig, jetzt mit etwas Abstand - immer noch in der Pandemie; das darf man nie vergessen; aber trotzdem mit etwas Abstand - zu der dramatischen Situation als Parlament, als Volksvertretung der Menschen in Niedersachsen dann noch einmal rückblickend zu schauen: Welche Maßnahmen waren auch in dieser Schärfe notwendig? Welche Maßnahmen hätten weniger drastisch ausfallen können? Dazu hat der Kollege Grascha ja auch schon einiges gesagt. Was hätte man vielleicht auch anders machen müssen?

Ich will beispielhaft einmal den ganzen Bildungsbereich herausgreifen. Da kam es zu flächendeckenden bundesweiten Schulschließungen und ehrlicherweise einer Situation, in der dieses Land darauf nicht annähernd vorbereitet war. Die Situation der Schülerinnen und Schüler in ihren jeweiligen Wohnungen und Häusern war sehr, sehr unterschiedlich. Für den, der eine gute Internetverbindung, eine gute Computerausstattung und vielleicht noch einen großen Garten hatte, war das relativ gut aushaltbar. Auch für ihn waren das Einschränkungen; das sollte man nicht kleinreden; aber das war relativ gut vertretbar. Für den, der in einer kleinen, engen Wohnung gelebt hat, vielleicht ohne Balkon und Garten, ohne schnelles Internet oder mit einem Computer, den man sich mit der ganzen Familie teilt, war das schon sehr, sehr viel schwerer erträglich - vor allem in der Zeit, in der draußen auch wirklich alles geschlossen war. Ich will noch einmal daran erinnern. Wir hatten eine Zeit, in der kein öffentlicher Platz, kein Spielplatz, kein Park zugänglich war. Wenn Sie dann in einer kleinen

Wohnung leben müssen, ist das schon ein herber Einschnitt.

Damit will ich Folgendes sagen: Wir sollten rückblickend auch betrachten, wie man, falls wir in vergleichbare Situationen kämen, diese doch noch ganz besonderen Probleme schon frühzeitig von Anfang an abmildern könnte, um zu verhindern, dass hier Menschen tatsächlich drastisch in ihrem Alltag eingeschränkt werden und sich daraus vielleicht wirklich schwere Probleme, schwere soziale und andere Verwerfungen ergeben.

Ein anderer Aspekt - das hat Herr Grascha angesprochen - ist das komplette Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen. Aus der Zeit heraus ist das sicherlich erklärbar. Wir haben ja auch erlebt, dass es da, wo in einem Seniorenheim das Virus ausgebrochen ist, sehr schnell zu sehr vielen Todesfällen kam, die natürlich dramatisch und unendlich traurig sind. Gleichwohl hatte dieses Besuchsverbot, ohne dass die Ausgleichsmaßnahmen wie z. B. Videotelefonie und Ähnliches so schnell da waren, natürlich auch drastische Folgen wie Vereinsamung und hat auch zu einsamen Toden geführt. Das ist ein weiterer Aspekt, bei dem wir genau hinschauen müssen und überlegen müssen: Welche Konzepte können wir jetzt entwickeln, um zukünftig vergleichbare Situationen abzumildern?

Letzter Punkt: Herr Grascha hat völlig zu Recht die parlamentarische Kontrolle und Begleitung angesprochen. Hier müssen wir dringend nach vorne kommen. Gerade auch, um die Akzeptanz und die Qualität solcher Maßnahmen zu verbessern, ist es notwendig, dass dieser Landtag, die gewählte Volksvertretung, und zwar nicht nur die Opposition, sondern natürlich auch die Koalitionsfraktionen stärker als bislang bei allen Entscheidungen beteiligt werden.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Als letzter Redner hat sich nun der Kollege Jens Nacke für die CDU-Fraktion gemeldet.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe noch versucht, dieses Zitat zu googeln - ich bin mir nicht ganz sicher; ich mei

ne, es ist von Armin Laschet -, aber habe es so schnell nicht gefunden. „Wenn man alles wüsste!“ Ich weiß, es klingt nach Helmut Schmidt; aber ich glaube, es ist von Armin Laschet.

(Heiterkeit)

Ich freue mich, dass wir diesen gemeinsamen Antrag der vier Fraktionen hier auf den Weg gebracht haben und dass wir jetzt einen solchen Ausschuss bekommen werden, weil ich glaube, dass ein Sonderausschuss für diese Frage tatsächlich das richtige Instrument ist. Denn es geht nicht darum - das sollte man an dieser Stelle vielleicht einmal deutlich machen -, dass dieser Sonderausschuss nun die Aufgabe hätte, etwas Kritikwürdiges an der Landesregierung zu beleuchten und im Nachhinein entsprechend aufzuklären. Das ist nicht - so nehmen wir es jedenfalls wahr - seine vorrangige Aufgabe. Wir sind sehr zufrieden damit, wie die Landesregierung in der Corona-Krise reagiert hat und wie in diesem Land die entsprechenden Regelungen getroffen worden sind.

Und doch ist es aus meiner Sicht ein Satz in der Begründung, der für mich diese Aufgabe des Ausschusses noch am ehesten beschreibt. Dort heißt es - ich zitiere aus der Begründung des Antrags -:

„Für die Bewältigung einer Pandemie als dauerhafte Krise braucht es mehr und andere Entscheidungs-, Kommunikations- und Partizipationswege als für einen Terrorakt oder ein Hochwasser. Die etablierten Verfahren im Katastrophenschutz sind dafür bisher nicht ausgerichtet.“

Das ist richtig. Im Katastrophenfall - ich nehme einmal ein Hochwasser als Beispiel - muss man ganz schnell reagieren, und eine Landesregierung muss sagen: Jetzt müssen wir schnelle Entscheidungen treffen; jetzt brauchen wir einen Krisenstab, und den setzen wir auch ein. - Wenn eine Kommune nachfragt, sie könnte helfen, habe dies und habe das, und ob ihr die Kosten erstattet werden, dann muss es bestenfalls einen Telefonanruf dauern, bis die Antwort ja oder eben nein lauten kann - im besten Fall natürlich ja.

Das muss schnell gehen. Insofern haben wir diesen Mechanismus, der eingeübt ist, auch in dieser Krise eingesetzt, und das war ganz zu Anfang sicherlich auch in Ordnung und richtig. Wenn sich aber eine Krise schon über sechs Monate hinzieht - das ist ja unbestreitbar so -, dann sind Krisenstäbe möglicherweise nicht mehr die richtige Reaktion.

Die Erkenntnissen, die jetzt noch frisch sind, wollen wir bewahren und Lehren aus ihnen ziehen, indem wir in diesem Ausschuss beleuchten, wie ein Krisenstab zu Anfang arbeitet, wie Mitbeteiligungen beispielsweise im Kabinett organisiert sind, wie das Parlament begleiten und mitentscheiden kann und was zu welchem Zeitpunkt die richtigen Ansätze sind, um in einer vergleichbaren Krise, die erkennbar über einen längeren Zeitraum anhalten wird, Entscheidungsprozesse so zu organisieren, dass wir beim nächsten Mal an der Stelle besser vorbereitet sind.

Das ist aus meiner Sicht die Aufgabe und das, womit sich dieser Ausschuss beschäftigen soll. Dazu benötigen wir natürlich die Unterlagen und Erkenntnisse der Landesregierung. Ich stelle mir daher auch vor, dass dieser Ausschuss insbesondere auch diese Fragestellung beleuchtet und mit den Kabinettsmitgliedern, mit den wesentlichen Entscheidungsträgern der Landesregierung, an dieser Stelle ins Gespräch kommt, die Akten sorgfältig sichten kann, damit wir sehen können, wie Entscheidungen getroffen wurden. Das bedeutet aber nicht, dass man, nachträglich betrachtet, oder womöglich gar mit dem Wissen von heute sagt: Was ihr 14 Tage nach Auftreten des ersten Falls in Niedersachsen entschieden habt, hätte sich vielleicht in dieser Tiefe und als Notwendigkeit gar nicht ergeben müssen. - Das wäre einfach.

Hartmut Möllring hat einmal zu einer vergleichbaren Frage in der ihm eigenen Art, die er als Finanzminister an den Tag gelegt hat, gesagt: Der Pathologe ist immer der Klügste. Er weiß es am besten, aber er kommt eben immer zu spät.

Das darf uns nicht passieren. Als Ergebnis dieses Ausschusses wollen wir einen Bericht haben, der eine Form von Blaupause für die Strukturen bieten kann, welche wir jetzt oder in Zukunft schaffen wollen, damit für den Fall einer langandauernden Krisensituation die richtigen Instrumente und die richtigen Beteiligungsformen, auch was das Parlament angeht, zur Verfügung stehen und wir angemessen reagieren können.

Wenn der Ausschuss dies zeitnah leistet, also jetzt, wo noch alle Erkenntnisse frisch sind und alle Beteiligten noch wissen, wie sie reagiert haben und warum, dann ist das eine gute Sache. Dieses Parlament fällt einen guten Beschluss, wenn es einen solchen Ausschuss jetzt ins Leben ruft.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Nacke.

Wir können jetzt zur Ausschussüberweisung kommen. Auch hier ist der Ältestenrat vorgeschlagen. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich nun um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? - Das ist auch nicht der Fall.

Dann sind wir jetzt am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Das Präsidium wünscht Ihnen einen schönen Feierabend.