die Vorkommnisse am vergangenen Samstag in Leipzig schockieren, waren sie kein Unfall und erst recht kein Zufall. Es ist auch kein Zufall, dass Hunderte bundesweit bekannte Neonazis und Hooligans zu den sogenannten Hygiene- und Querdenken-Demonstrationen fahren und sogar - tragisch genug - für die „Sicherheit“ dort sorgen.
Spiegel und Zeit schreiben von dutzenden Chatgruppen von Querdenkern, in die Neonazis und Reichsbürger explizit eingeladen werden, mit dem Hinweis, das „deutsche Volk“ dürfe sich nicht spalten lassen.
Klar ist: Kritik darf, Kritik muss sein, auch an Verordnungen. Auch hier in diesem Hause diskutieren wir sie.
In den Tagen, in denen es Rekordzahlen von Infizierten gibt und es um die Versorgung von uns allen geht, in einer Zeit, in der viele Menschen in Gesundheitsämtern, Arztpraxen, im Krankenhaus, bei der Polizei, aber auch bei der Neuorganisation von Schule, Unternehmen, der Gastronomie ihr Menschenmöglichstes tun - siehe Kulturschaffende, Veranstalter und mehr -, in diesen Tagen dürfen wir nicht vergessen, dass es bei allen Maßnahmen darum geht, der Pandemie Herr zu werden, damit wir alle in unser altes Leben so gut und so schnell wie möglich wieder zurückkönnen.
Während Menschen einander kaum treffen können, drängeln sich Zehntausende Menschen dicht und ohne Maske und ohne Verantwortung, rufen paradoxerweise „Grundrechteentzug“, „Diktatur“ und verharmlosen die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Das ist vor allem eines: hochgradig gefährlich,
Was treibt diese Menschen an, da mitzumachen? - Es ist bestimmt auch die Unsicherheit; so, wie sich viele von uns in Fragen der Globalisierung, der Digitalisierung, auch in Fragen der Zuwanderung, der sich veränderten Herausforderungen - manches Mal überfordert in Sorge um das ganz persönliche Leben, den Arbeitsplatz, die Zukunft - wiederfinden.
Wo aber Wut auf Unsicherheit trifft, wittern nicht selten Extremisten ihre Chance. Dass sich die Corona-Pandemie ganz hervorragend eignet, wur
de uns nicht allein in Dresden und Berlin vor Augen geführt. Besonders heikel wird es, wenn all das im Netz durch Filterblasen und Echokammern auch noch potenziert wird. Zu sehen auch an den panischen Reaktionen manches Trump-Anhängers, der in Biden die Gefahr der Sozialistischen Staaten von Amerika sieht.
Auch hier kann man nicht quer genug denken. So wähnen sich Corona-Leugner ernsthaft auf dem geschichtlichen Pfad der Wende und skandieren: „Wir sind das Volk!“, während sich Esoteriker bei Impfgegnern unterhaken, Yogabegeisterte gemeinsam mit Neonazis Lieder anstimmen und Reichsbürger auf einmal gemeinsame Sache mit Friedensbewegungen machen.
Ihnen und denen, die etwas weiter in Connewitz aus angeblich linken Motiven Polizei und damit den Staat angreifen, sagen wir ganz deutlich: Der Versuch, aus Unsicherheit Profit zu schlagen und womöglich Chaos zu verursachen, wird scheitern. Ein Weimar 2.0 wird es nicht geben, und ein Weimar 2.0 darf es nicht geben!
Von der Exekutive einer wehrhaften Demokratie erwarte ich - von Bund und Ländern -, passende Antworten denen zu geben, die meinen, unseren Rechtsstaat herausfordern zu müssen und sogar auf Polizistinnen und Polizisten, Gegendemonstranten und Reporter einschlagen.
Die Aufarbeitung scheint in vollem Gange zu sein und muss auch erfolgen; natürlich wird auch das OVG-Urteil diskutiert. Antworten müssen schnell gefunden werden, da wir gerade jetzt beobachten, dass die extreme Rechte strategisch versucht, Schwachstellen auszumachen, um bei der Mehrheit anzudocken, um dann in einem weiteren Schritt als „Wellenbrecher“ zu agieren. Auch wenn derzeit viele merkwürdige Allianzen geschmiedet werden und Corona für uns alle ein ziemlicher Test ist: Ich bin froh, dass der ganz überwiegende Teil alles dafür tut, dass wir das gemeinsam überstehen und wir vor allem zusammenhalten - jetzt erst recht!
Vielen Dank, Herr Kollege Kurku. - Wir fahren fort mit der FDP-Fraktion. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Genthe. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Grundgesetz kennt einen umfangreichen Katalog von Grundrechten. Verschiedene Grundrechte können dabei durchaus in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten, in einen Konflikt. In einem solchen Fall sind diese Rechte in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das Recht, zu demonstrieren und sich zu versammeln, zählt sicherlich zu den wichtigsten Grundrechten unserer Bürgerinnen und Bürger. Entsprechend braucht es schon gute Argumente, das Demonstrationsrecht bzw. die Versammlungsfreiheit einzuschränken.
Allerdings ist es notwendig, Regelungen zu finden, die eine ausufernde Infektion der Gesellschaft mit all ihren negativen Folgen verhindert.
Bei der Demonstration in Leipzig wurde versucht, diese beiden Dinge - die Versammlungsfreiheit auf der einen Seite und den Infektionsschutz auf der anderen Seite - zusammenzubringen. Das, meine Damen und Herren, kann allerdings nur dann funktionieren, wenn die Teilnehmer einer solchen Veranstaltung einsehen, dass es auch außerhalb der Veranstaltung Menschen gibt, die ebenfalls Grundrechte haben, z. B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Meine Damen und Herren, nicht zuletzt die geplante Demonstration in Braunschweig macht offensichtlich, dass wir auch in Niedersachsen ein Konzept erarbeiten sollten, wie wir mit solchen Situationen umgehen wollen.
Es kann jedenfalls nicht sein, dass die Polizei in einer solchen Lage alleingelassen wird und dann nach der Situation oberschlau kritisiert wird. Der Innenminister ist daher aufgefordert, dieses Thema bei der nächsten Sitzung der Innenministerkonferenz auf die Tagesordnung zu bringen. Die Innenminister der Länder müssen sich überlegen, wie zukünftig sichergestellt werden kann, dass der Polizei bei solchen Veranstaltungen genügend Personal zur Verfügung steht.
In jedem Fall darf es nicht wieder passieren, dass die Polizei nicht in der Lage ist zu verhindern, dass sich die Teilnehmer einer solchen Demonstration weder an die Auflagen der Gerichte noch an die Auflagen der Genehmigungsbehörden halten. Der Rechtsstaat muss auch in einem solchen Fall durchgesetzt werden können.
Die Angriffe auf die Beamten und Journalisten sind überhaupt nicht zu akzeptieren. Überhaupt muss sich der Rechtsstaat bei solchen Gewaltorgien absolut resolut zeigen und am Ende auch tatsächlich der Stärkere bleiben.
Daneben muss man sich in der politischen Diskussion auch der Frage stellen, wie die Akzeptanz der pandemiebedingten Maßnahmen innerhalb der Bevölkerung gesteigert werden kann. Die immer wieder angemahnte parlamentarische Beteiligung der von den Menschen gewählten Abgeordneten ist insoweit ganz sicher ein ganz wichtiger Punkt.
Meine Damen und Herren, man muss sich jedoch auch klar werden, wer die gegenwärtige Situation auszunutzen versucht. Da gibt es immer wieder den Hinweis, dass sich auch rechte Extremisten auf diesen Versammlungen tummeln. In Niedersachsen wurde durch den Verfassungsschutz bestätigt, dass tatsächlich Rechtsextremisten auf solchen Demonstrationen auftreten. Sie haben jedoch bisher keinen prägenden Einfluss auf die Demonstrationen, wurde im letzten Monatsbericht des Verfassungsschutzes festgestellt. Dass aber ausgerechnet an dem Gedenktag an die Reichspogromnacht die Demonstration in Braunschweig stattfinden sollte, macht ganz sicher eine Neubewertung dieser Lage notwendig.
Das alles macht es politisch aber umso wichtiger, dass man sich mit der überwiegend vernünftigen Diskussion in der Bevölkerung tatsächlich auseinandersetzt. Das geschieht am besten an dem Ort, den das Grundgesetz für solche Diskussionen vorsieht, nämlich in den Parlamenten. Parlamentarische Debatten, insbesondere über Grundrechtseingriffe, sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, die verschiedenen Rechte der Bürgerinnen und Bürger abzuwägen und transparent zu machen, warum welche Entscheidung getroffen wurde. Da,
Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Für die CDUFraktion hat nun das Wort Herr Kollege Lechner. Bitte, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder aus Leipzig, die uns in den vergangenen Tagen erreicht haben und die wir auch schon Berlin und Stuttgart kennen, wo Tausende von Menschen ohne Masken, ohne Abstand durch die Innenstadt einer großen deutschen Stadt ziehen und gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren, sind nach wie vor und immer wieder irritierend, verstörend, und es ist ganz klar, dass das Verhalten, das die Menschen dort an den Tag legen, eine Gesundheitsgefährdung für sie und für all diejenigen, die dort anwesend waren, aber auch für die Gemeinschaft insgesamt ist. Insofern verurteilen wir als CDU dieses Verhalten in Gänze und ganz klar.
Es ist auch völlig klar: Wenn Journalisten und Polizisten tätlich angegriffen werden, sind das Straftaten, die verfolgt gehören, die wir angehen müssen, denen wir entschieden entgegentreten müssen und bei denen wir als Rechtsstaat aufgerufen sind, diejenigen, die sie begehen, mit aller Härte und allen Instrumenten, die wir haben, einer Strafe zuzuführen.
Ich will aber auch sagen: Wir sollten uns vor pauschalen Verurteilungen aus der Ferne hüten. Ich fand es wirklich sehr angenehm, Deniz Kurku, dass du dich mit Äußerungen in Richtung der Polizei in Sachsen zurückgehalten hast. Das kann man leider von eurer Bundesvorsitzenden Esken nicht behaupten. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass mich die Pauschalkritik in Richtung Polizei, die Frau Esken gestern Abend in den „Tagesthemen“ abgelassen hat, wirklich verärgert hat. Ich glaube nicht, dass gerade Frau Esken nach ihren
Entgleisungen in der letzten Zeit diejenige ist, die sich hierzu als Allererstes zu Wort melden sollte.
Ich nehme aber zur Kenntnis, dass die niedersächsische SPD-Fraktion und auch die niedersächsische SPD dazu ganz andere Töne anschlagen. Insofern sollten wir uns, was das Urteil über diesen Polizeieinsatz angeht, insgesamt und gemeinsam zurückhalten. Das muss in den sächsischen Landtagsgremien aufgeklärt werden. Wenn dort Fehler passiert sind, dann müssen sie benannt werden, und wenn dort Fehler nicht passiert sind, dann muss auch das benannt werden. Das ist Aufgabe der sächsischen Landespolitik.
Was mir allerdings Sorgen macht, ist das, was auf Basis des sächsischen Versammlungsrechts möglich ist - und ich frage mich, ob das auch auf der Basis des niedersächsischen Versammlungsrechtes möglich ist -: dass wir Entscheidungen von Gerichten bekommen, die Demonstrationen in einer Innenstadt mit 16 000 Menschen als Höchstgrenze und 1,5 m Abstand, die die Menschen einhalten müssen, zulassen.
Ich meine, wir sollten uns überlegen und das Versammlungsrecht in Niedersachsen daraufhin anschauen, ob wir so etwas in diesen Pandemiezeiten wirklich zulassen möchten. Ich glaube, dass das Demonstrationsrecht ein wirklich wichtiges ist. Ich unterstütze sehr, dass wir Demonstrationen auch in Pandemiezeiten ermöglichen. Aber sie müssen unter Auflagen und Gegebenheiten passieren, die am Ende von der Polizei und von den Ordnungskräften beherrschbar sind, sodass daraus keine Gesundheitsrisiken für andere Menschen entstehen,
insbesondere vor dem Hintergrund - lieber Deniz Kurku, das hast du richtigerweise angesprochen -, dass wir zunehmend beobachten, dass diese Demonstrationen durch Rechtsextreme gekapert und ganz gezielt genutzt werden.