insbesondere vor dem Hintergrund - lieber Deniz Kurku, das hast du richtigerweise angesprochen -, dass wir zunehmend beobachten, dass diese Demonstrationen durch Rechtsextreme gekapert und ganz gezielt genutzt werden.
Wir haben in Leipzig die sächsische HooliganSzene, die dort mobilisiert wurde und aufgetreten ist, gesehen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es teilweise eine Arbeitsteilung zwischen denjenigen, die diese Veranstaltung angemeldet und betrieben haben, und denjenigen - wie den Hooligans - gab, die dazu da waren, Polizei anzugreifen und Aufruhr zu veranstalten.
Ich möchte deshalb, dass wir uns diese Verbindungen, diese Connections ganz genau anschauen und auch „Querdenken“ aufseiten der Veranstalter beleuchten. Wir als Staat müssen diesem Treiben ganz entschieden entgegentreten! Es kann nicht sein, dass Rechtsextremisten Demonstrationen für ihre Zwecke missbrauchen und in unserem Land solche Signale setzen.
Insofern will ich abschließend sagen: Lassen Sie uns in Niedersachsen gemeinsam - ich bin ziemlich vertrauenswürdig - - -
Lassen Sie uns gemeinsam das Versammlungsrecht überprüfen! Ich habe großes Vertrauen in unsere Genehmigungsbehörden und Gerichte und auch in unsere Polizei. Deswegen hoffe ich, dass uns in Niedersachsen solche Bilder erspart bleiben.
Vielen Dank, Herr Lechner. Die Maske kann man schon hier aufsetzen. Dann hat man sie auch auf, wenn man zum Platz geht. - Alles klar.
Jetzt fahren wir fort. Das Wort hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Limburg. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle müssen in diesen sehr besonderen Zeiten auch viele neue Begriffe lernen, und dazu gehören leider auch sogenannte Hygienedemos, der aus meiner Sicht verharmlosende Euphemismus „Corona-Kritiker“ und Ähnliches.
Mein Kollege Deniz Kurku hat es gesagt: Zum größten Teil - oder zumindest auf der Seite der Organisatoren - sind das einfach Nazis, rechtsextreme Antisemiten, und sie müssen auch genauso genannt und benannt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich glaube, wir alle haben Verständnis dafür, wenn Bürgerinnen und Bürger in diesem Land auch Kritik an einzelnen oder vielen Anti-Corona-Maßnahmen üben. Das ist - das hat ja auch Herr Kurku gesagt - natürlich zulässig und möglich. Es gibt aber in der Tat auch Raum dafür. Wenn so getan wird, als gäbe es keine Meinungsfreiheit mehr, als gäbe es kein Demonstrationsrecht mehr, wenn das suggeriert wird, dann sind das schlichtweg Lügen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben hier vor dem Landtag Demonstrationen von Busunternehmen gehabt, wir haben Demonstrationen der Veranstaltungswirtschaft gehabt, und wir haben jetzt eine Demonstration des BUND zum Thema Artenschutz und vieles mehr. Das sind nur einige Beispiele. Natürlich ist es auch in diesen Wochen und Monaten möglich, zu demonstrieren und auf andere Art und Weise seine Meinung frei zu äußern. Aber menschenverachtende Meinungen haben keinen Anspruch darauf, unwidersprochen im Raum stehen zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben die schrecklichen Bilder vom Wochenende aus Leipzig gesehen, und da, lieber Herr Kollege Lechner, bin ich ausdrücklich anderer Auffassung als Sie. Natürlich muss es möglich sein, über einen solchen Polizeieinsatz, der eine bundesweite Dimension hat, auch kritisch zu diskutieren. Wichtig finde ich aber, bereits im Vorfeld anzufangen. Es ist wohlfeil, jetzt im Nachhinein auf das Oberverwaltungsgericht in Bautzen verbal draufzudreschen, hier massive Richter- und Justizschelte zu betreiben.
- Nein, Entschuldigung, Sie haben das nicht gemacht, Herr Lechner. Aber in der Debatte ist es ja vielfach zu hören.
Wichtig finde ich, sich im Vorfeld anzuschauen, wie denn eigentlich die Verbots- bzw. Verlegungsbegründung aussah. Wie genau war denn die Gefahrenprognose der Polizei in Leipzig? Wie sah denn eigentlich die sächsische Verordnung aus in diesem Bereich? - All das sind Dinge, die natürlich betrachtet werden müssen, bevor man sich hinstellt und ein Urteil in pauschaler Weise diffamiert.
Das heißt nicht, dass Gerichtsurteile außerhalb jeder Kritik stehen - überhaupt nicht. Aber wenn ein hochrangiger Politiker aus Sachsen in der „Tagesschau“ dem Oberverwaltungsgericht bei seinem Urteil allen Ernstes ideologische Erwägungen unterstellt, dann ist das schon ein massiver Angriff auf die dritte Staatsgewalt, den wir in dieser Form nicht unwidersprochen hier so stehen lassen sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ein zweiter Punkt zu Leipzig: In Leipzig hat sich die Bewegung ein ganzes Stück weit demaskiert. - Das ist kein bewusstes Wortspiel, sondern ich meine damit, dass der Veranstalter ja tatsächlich öffentlich erklärt hat, er sei gar nicht für die Durchsetzung der Hygieneschutzmaßnahmen zuständig, das sei Aufgabe der Polizei. Er müsse lediglich die Auflagen verlesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schlicht falsch. Natürlich sind Veranstalterinnen und Veranstalter von Demonstrationen mit Ordnern und anderen dafür zuständig, dass Auflagen auch tatsächlich durchgesetzt werden. Wer so öffentlich offenkundig macht, dass er überhaupt nicht gewillt ist, auch nur den Versuch zu unternehmen, Auflagen einzuhalten, der muss in der Tat damit rechnen, dass zukünftig unter dem geltenden Versammlungsrecht - völlig ohne Verschärfungen - seine Demonstrationen dann eben nicht mehr gestattet werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht noch ein Wort zu Schweden, weil auf diesen Demonstrationen ja immer wieder Schwedenfahnen zu sehen sind. Ich glaube, Schweden hat sich in dieser Debatte wegen einem behaupteten Sonderweg sehr zu einem Kristallisationspunkt für beide Argumentationsseiten entwickelt. Auf der einen Seite gab es ein sehr pauschales Bashen der schwedischen Regierung und der schwedischen Politik, vor allem auch aus Reihen der SPD, und auf der anderen Seite gibt es Schwedenfahnen auf CoronaLeugner-Demos.
Wenn man sich die schwedische Politik anschaut, dann stellt man fest, dass es natürlich Unterschiede zu Deutschland gibt. Aber es ist grundfalsch, so zu tun, als würden in Schweden die Gefahren des Coronavirus geleugnet. Schweden verhängt natürlich drastische Maßnahmen gegen die Gastronomie und gegen andere Bereiche. Es ist eine Mär, dass Schweden sozusagen mit reiner Freiheit viel besser durch die Pandemie kommt als wir. Auch
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen - leider, muss ich sagen - nicht nur nach Sachsen schauen, wenn wir Corona-Leugner sehen wollen. Wenn ich sehe, dass sich Professor Dr. Stefan Homburg von der Universität Hannover im Internet und in anderer Form öffentlich als massiver Corona-Leugner betätigt und allen Ernstes Vergleiche der jetzigen Lage zu 1933 zieht, dann ist das für die deutsche, für die niedersächsische Universitätslandschaft beschämend, und ich bin froh und dankbar, dass es Studierende gibt, die sich dem offensiv entgegenstellen. Die verdienen unser aller Rückendeckung, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei ihrem Engagement gegen solchen Hass und solche Hetze.
Abschließend möchte ich - gerade auch einen Tag nach dem Jahrestag der Reichspogromnacht, aber auch einen Tag nach dem Jahrestag des Mauerfalls - sagen: Es ist mehr als beschämend, es ist widerlich, wenn Menschen so tun, als seien ihre Aufmärsche gegen die Corona-Schutzmaßnahmen so etwas Ähnliches wie die Bürgerrechtsbewegung 1989. Wer 1989 gegen Honecker und Krenz demonstriert hat, der hat riskiert, ins Gefängnis zu kommen, oder Schlimmeres. Wer heute demonstriert, der wird von der Polizei dabei geschützt. Diese Vergleiche sind absolut unzulässig und widerlich. Wir sollten sie in aller Schärfe zurückweisen.
Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Pistorius das Wort. Bitte, Herr Minister!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bilder von Leipzig haben wir alle vor Augen: rund 20 000 Menschen dicht an dicht, ohne Abstand, die allermeisten ohne Maske - eine diffuse Mischung aus CoronaLeugnern, Impfgegnern, Esoterikern, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten.
Meine Damen und Herren, ich werde hier keine Bewertung des Einsatzes und auch keine Kommentierung dazu vornehmen. Aber eine Sache liegt mir am Herzen: Wenn Entscheidungen staatlicher Institutionen unterschiedlicher Ebenen dazu führen, dass die Polizei - Polizistinnen und Polizisten in großer Zahl - wieder einmal zum Prellbrock wird, dann, meine Damen und Herren, schwillt mir allmählich der Kamm.
Wir haben es zu tun mit einer außerordentlich schwierigen Lage, und wer auch immer welche Entscheidung zu verantworten hat - von Leipzig über Dresden und Bautzen -, der sollte sich bewusst sein: Ja, Polizei ist dafür da, Gefahren abzuwehren und die Freiheit, die Rechte, den Rechtsstaat und die Demokratie zu schützen. Aber sie sollte nicht herhalten als die Institution, die am Ende die Fehler oder die falschen Entscheidungen anderer - oder auch den fehlenden Mut, richtige Entscheidungen zu treffen - ausbaden muss. Das dürfen wir unseren Polizistinnen und Polizisten nicht länger zumuten. Die Zeiten sind schwer genug, und sie werden noch schwerer, meine Damen und Herren.
Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen gibt es auch anderswo in Deutschland. Übrigens ist am Freitag auch eine in Hannover angemeldet, von einem Vertreter dieser Bewegung. Mit einem Infobus soll eine Demonstration auf dem Opernplatz stattfinden. Bislang geht man laut Veranstalter von 200 bis 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus.
Überwiegend - Leipzig, Dresden, Stuttgart, Berlin sind Ausnahmen - wird bislang friedlich demonstriert. Aber wir sehen an den jüngsten Ereignissen, dass sich das zunehmend zu ändern scheint, und zwar auch in zunehmend großer Zahl. Wir in Niedersachsen, das kann ich Ihnen versichern, sind im Hinblick auf die Radikalisierung dieser Bewegung sehr, sehr wachsam. Wir haben es zu tun mit einer eher unübersichtlichen, heterogenen, zusammengeschlossenen Gruppe, die sich unter dem Dach der Ablehnung der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zusammengefunden hat.
Es kann kein Zweifel bestehen, meine Damen und Herren: Das Versammlungsrecht und der Grundsatz der freien Meinungsäußerung sind unverrückbare Grundpfeiler unserer Verfassung. Und darum
müssen wir es als starke Demokratie nicht nur ermöglichen, dass diese Veranstaltungen durchgeführt werden, sondern wir müssen auch aushalten, was da gesagt wird, und sei es noch so ein großer Unsinn - solange es nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und unsere Grundwerte geht. Dabei gilt aber gleichzeitig: Das Grundrecht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ist ebenfalls ein außerordentlich hohes Gut, und das muss in der aktuellen Lage eben immer wieder einbezogen und abgewogen werden. Und das heißt eben auch: Das Recht darauf, seine Meinung frei zu äußern, dafür zu demonstrieren und sich zu versammeln, entbindet nicht von der Pflicht, sich an Auflagen und Gesetze zu halten. Jeder, der das nicht versteht, versteht unser System, unsere Demokratie nicht, meine Damen und Herren.
Die Niedersächsische Corona-Verordnung trägt diesem Balanceakt, der schwierig ist, Rechnung, indem Versammlungen unter freiem Himmel von den Kontaktbeschränkungen der Verordnung ausgenommen sind. Auch sieht die Verordnung bislang keine Versammlungsverbote vor. Gleichzeitig müssen aber Schutzmaßnahmen wie das Einhalten der Abstände und das Tragen von Masken eingehalten werden, um die Gesundheit von Menschen zu schützen.
Um die Versammlungsbehörden in der aktuellen Situation bei ihren schwierigen Entscheidungen zu unterstützen, hat die Landesregierung an die Kommunen und die Polizeibehörden schon vor geraumer Zeit Hinweise für mögliche Maßnahmen und Beschränkungen bei Versammlungen herausgegeben, und natürlich reden wir im Kreise der Innenministerinnen und Innenminister auch längst darüber. Entscheidend ist hier, die Balance zu finden, meine Damen und Herren. Das sage ich ausdrücklich auch mit Blick auf die Polizei, die von diesen Versammlungen immer als Erste betroffen ist und dabei einem besonders hohen Gefährdungsgrad ausgesetzt ist.
Auch an dieser Stelle möchte ich deshalb die Gelegenheit nutzen, den niedersächsischen Polizistinnen und Polizisten noch einmal ausdrücklich für ihren herausragenden Einsatz zu danken, der sich in der aktuellen Pandemie wieder einmal ganz besonders zeigt.