Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Herr Ministerpräsident, was aus unserer Sicht auch besser werden muss, ist die Nachvollziehbarkeit und Berechenbarkeit Ihrer Politik. Wie ich gerade schon erwähnt habe, haben Sie sich vor zwei Tagen noch dahin gehend geäußert, dass es keine Veranlassung zu aktionistischem Handeln gibt. Jetzt sehen Sie sich zum Handeln genötigt. Aufgrund Ihrer Einschätzung - wie ich meine, hat sich die Lage eben nicht qualitativ verändert; Sie haben da eine andere Einschätzung - sagen Sie: Jetzt müssen wir ganz dringend sofort handeln.

Das ist nicht mehr nachvollziehbar. Sie kommen da in eine Art Begründungsnotstand, den Sie dringend beenden müssen. Sie müssen, zumindest was Kriterien und Maßstäbe angeht, zu einer ver

lässlichen und nachvollziehbaren Politik kommen. Denn wenn Sie das nicht machen, verlieren Sie die Menschen bei der Pandemiebekämpfung - so wie bei dem Beispiel der Schulen. Das wird, wie gesagt, dort zu extremer Verunsicherung führen. So etwas können Sie durch Klarheit beseitigen. Insofern müssen Sie verhindern, dass Sie diesen Politikstil, den Sie jetzt an den Tag legen, weiterführen.

Nur wenn Sie endlich Ihre Kriterien und Maßstäbe nachvollziehbar offenlegen, damit einigermaßen berechenbar ist, in welche Richtung dann Ihre Politik geht, werden auch dieses Vertrauen und die Einsicht in die Handlungen tatsächlich gegeben sein. Dann wird auf Dauer auch eine Pandemiebekämpfung funktionieren.

Das Entscheidende, meine Damen und Herren, ist aber, dass jetzt endlich die Schlussfolgerungen aus dem gezogen werden, was sich in den letzten Wochen und Monaten zugetragen hat. Denn man hat sich eben nicht auf die zweite Welle vorbereitet. Daraus muss man jetzt die Schlussfolgerungen ziehen, um nicht im Frühjahr wieder in eine gleiche Situation zu kommen. Das muss dringend verhindert werden.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Für die CDUFraktion hat nun Herr Fraktionsvorsitzender Toepffer das Wort. Bitte!

(Beifall bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, auch ich bedanke mich für eine Unterrichtung zum aktuellen Thema Corona, von der ich sicher weiß, dass sie auch gekommen wäre, wenn Sie nicht darum gebeten hätten, Herr Birkner. Das ist in der Vergangenheit stets so gehandhabt worden. Ich kann Ihnen für die regierungstragenden Fraktionen erklären: Wir wissen, dass diese Unterrichtung ohnehin gekommen wäre. Dazu bedarf es nicht Ihrer Aufforderung.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU - Christian Meyer [GRÜ- NE]: Was war gestern?)

Es ist auch richtig, dass diese Unterrichtung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem man sich im Kabinett einig ist und das Ganze dort besprochen und auch beschlossen hat.

Das, was uns hier vorgestellt worden ist, ist sehr moderat. Man fragt sich eigentlich, warum es eine so aufgeregte Diskussion über das gibt, was hier verkündet worden ist. Ich halte die vorgestellten Änderungen, nämlich Rücknahmen von Lockerungen, für sehr, sehr, sehr zurückhaltend. Schauen wir nur einmal ins europäische Ausland! Dann wissen wir, dass das, was wir hier machen, den Namen „Lockdown“ kaum verdient.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das stimmt!)

In Italien darf man am 25. und 26. Dezember, also am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag, seine Stadt oder Gemeinde nicht verlassen. Frankreich hat einen wirklichen Lockdown; dort müssen die Menschen einen besonderen Grund haben, um überhaupt ihre Wohnung zu verlassen, und dürfen sich zu Ausflügen eine Stunde oder 1 km von der Wohnung entfernen. In Österreich hat man jetzt die tägliche Ausgangssperre aufgehoben; es gibt nur noch eine nächtliche Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr.

Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man über das redet, was wir hier machen, und wenn man den Teufel an die Wand malt und sagt: Hier ist allzu viel beschlossen worden; es sind zu viele Einschränkungen; es wird zu sehr in die Grundrechte eingegriffen.

Inhaltlich will ich zu den drei Punkten Folgendes sagen, damit Herr Birkner sieht, dass sich auch die die Regierung tragenden Fraktionen durchaus kritisch mit dem auseinandersetzen, was das Kabinett beschließt:

Ich persönlich habe beim Thema Weihnachten, ehrlich gesagt, noch ein bisschen Bauchschmerzen - das sage ich als guter Christenmensch -, wenn ich sehe: zehn Personen plus Kinder. Ja, ich weiß; das ist anders nicht durchsetzbar. Viele in meiner Fraktion finden das gut und richtig so. Ich sage ausdrücklich, dass dies eine Einzelmeinung ist. Aber das zeigt einfach, wie schwierig es auch bei diesem Thema ist, wirklich Lösungen zu finden, die konsensual sind. Ich persönlich hätte Weihnachten vielleicht sogar noch eine Einschränkung vorgenommen. Aber nun soll es so sein.

Ich finde - da spreche ich auch für die CDU-Fraktion - die darüber hinausgehende Regelung mit

den fünf Personen durchaus richtig, insbesondere für Silvester. Glücklicherweise unterscheidet sich das Weihnachtsfest vom Silvesterfest in Deutschland noch in weiten Teilen dadurch, dass Weihnachten weniger Alkohol getrunken wird. Insofern gibt es da wahrscheinlich einen guten Grund, dass man Silvester anders behandelt.

Nun komme ich zu den Schulen. Lieber Herr Birkner, um es gleich offen und deutlich zu sagen: Ich bin wirklich bemüht, einen fairen, sachlichen Debattenstil mit Ihnen zu praktizieren und, wenn wir ihn noch nicht gefunden haben, ihn zumindest in der Zukunft zu finden. Ich will Ihnen auch nicht absprechen, dass Sie von hehren Motiven getrieben sind. Aber Sie stellen sich hierhin und beklagen, dass eine Unsicherheit ins Land getragen wird, übersehen allerdings, dass Sie selbst derjenige sind, der diese Unsicherheit stets schürt.

(Wiard Siebels [SPD]: Ja! So ist es!)

Das ist einfach nicht real. Das kann nicht sein.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Grascha, Sie schütteln den Kopf. Dann muss ich mich doch an Herrn Birkner wenden. Er ist Jurist und kennt die Corona-Verordnung. Wir beide wissen doch, dass diese Corona-Verordnung in Niedersachsen überhaupt nicht geändert werden muss, um das, was der Ministerpräsident gerade verkündet hat, durchzusetzen. Darin steht jetzt schon, dass Kinder vom Schulunterricht befreit werden können. Die Verordnung muss nicht einmal geändert werden.

Ich habe gerade noch einmal beim Kultusminister nachgefragt. Alle niedersächsischen Schulen sind bereits über das informiert worden, was hier geplant ist. Sie kennen auch die jetzigen Vorschriften, wie Kinder befreit werden können. Da gibt es keine Unsicherheit. Der Einzige, der Unsicherheit schürt, sind Sie von dieser Stelle aus.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wenn wir richtigerweise immer wieder darauf hinweisen, dass Regeln akzeptiert werden sollen, dann ist es die vornehmste Aufgabe dieses Parlaments, dafür zu sorgen, dass solche Unsicherheiten nicht entstehen. Dieser Aufgabe entziehen Sie sich fortwährend.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Zum Thema Handel: Das ist ein schwieriges Thema. Es ist schwierig für die Betroffenen. Es ist schwierig für die Menschen, die dort arbeiten. Es ist schwierig für die Geschäftsinhaber. Ich halte es für wichtig, zu sagen: Ja, auch da ist es eben so, dass uns jetzt die verlässliche Strategie und Planung fehlt, weil wir nicht wissen, wie sich dieses Virus entwickeln wird, um in der jetzigen Situation eine richtige Entscheidung zu treffen.

Eines liegt mir dabei sehr am Herzen. Herr Ministerpräsident, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich habe aber den Hinweis darauf vermisst, dass, wenn überhaupt über eine Schließung des Handels nachgedacht wird, die Produkte des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel, davon ausgenommen worden sind.

(Ministerpräsident Stephan Weil nickt)

Ich betone das an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich, weil ich weiß, welche Reaktionen in der Öffentlichkeit entstehen, wenn man solche Dinge nicht öffentlich anspricht. Dann wird nämlich plötzlich wieder das Toilettenpapier knapp, weil die Bevölkerung denkt, wir würden möglicherweise den Lebensmittelhandel und den Handel des täglichen Bedarfs schließen. Dann haben wir ein Problem. Deswegen lag mir daran, an dieser Stelle darauf hinzuweisen.

Liebe Frau Kollegin Hamburg, auch Ihnen möchte ich das seriöse Bemühen nicht absprechen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Zu gütig!)

Aber die Selbstgefälligkeit, mit der Sie sich hier hinstellen und eigentlich implizieren, dass Sie ja immer alles besser gewusst hätten, sich andere nur daran hätten halten müssen, ist schwer nachvollziehbar.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Sie stellen sich hier tatsächlich hin und sind so mutig, zu sagen, die Wissenschaft hätte schon vor Wochen gesagt, wie sich das alles entwickeln würde,

(Zuruf von den GRÜNEN: Hat sie!)

und daraufhin hätte man eine verlässliche Planung entwickeln können. Das ist doch wirklich irre! Wenn Sie heute mal gucken, ist die Wissenschaft nicht in der Lage, zu sagen, wie es weitergeht, und sie war es auch vor vier Wochen nicht, und sie wird es auch nicht sein.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Christian Grascha [FDP]: Die Nerven müssen ja ganz schön blank liegen!)

Und, liebe Frau Kollegin, wenn Sie tatsächlich so genau wissen, wie es weitergeht, dann erklären Sie uns das doch bitte jetzt hier an dieser Stelle. Ich sehe, Sie werden gleich noch eine Wortmeldung abgeben. Ich warte voller Spannung darauf, was Sie uns sagen werden, wie es in 14 Tagen mit den Zahlen aussieht, dass Sie uns sagen, was wir mit dem Handel konkret machen sollen. Ob Sie sich dann aber auch wirklich im Januar-Plenum hinstellen und sagen können, Sie hätten recht gehabt? - Ich glaube, das wird Ihnen nicht möglich sein.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Und dann diese billige Forderung nach einer Strategie!

(Christian Grascha [FDP]: Ist ja auch zu viel verlangt!)

Die Strategie ist gefragt, eine nachhaltige Strategie ist gefragt. Aber sagen Sie uns doch einmal, wie Ihre Strategie aussieht! Diese Chance, Herr Birkner, haben Sie vertan. Sie haben sich hier eingangs hingestellt und Ihren Redebeitrag damit begonnen - - -

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: 18 Punkte haben wir aufgeschrieben!)

Sie haben sich hier hingestellt - - -

(Weitere Zurufe von Dr. Stefan Birk- ner [FDP])

- Herr Birkner, hören Sie doch mal eine Sekunde zu, ohne mit sich selbst zu reden!

(Glocke der Präsidentin)