Protokoll der Sitzung vom 18.09.2008

Diese Stichprobe besagt, dass an den Schulen in Nordrhein-Westfalen in Wirklichkeit 4 % weniger Lehrer und Lehrerinnen beschäftigt sind, als Sie es den Menschen im Land draußen weismachen wollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Jetzt mache ich es einmal genauso wie Sie: Ich rechne diese 4 % auf alle Stellen hoch, die Sie im Haushalt ausgewiesen haben. Herr Witzel, wissen Sie, was das in toto ausmacht?

(Ralf Jäger [SPD]: Das weiß er nicht!)

Das sind 5.800 Stellen, die es in den Schulen nicht gibt, wobei Sie den Menschen zugleich erzählen, dass es sie gibt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das heißt, diese Stellen sind nur auf dem Papier vorhanden.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Blender!)

Ihre eigene Stichprobe belegt, dass diese Stellen in der Realität überhaupt nicht angekommen sind. Das halte ich für einen handfesten politischen Skandal! Noch mal: 5.800 Stellen!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dann wird das Bild auch rund; denn dann kann man sich erklären, warum das, was Sie hier im Landtag

erzählen – dass alles so wunderbar sei –, nicht mit der Realität an den Schulen des Landes übereinstimmt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Witzel guckt so ungläubig! Er kommt mit seinem Prozent- rechnen nicht nach!)

Ich zitiere den Titel der „Neuen Ruhr Zeitung“ vom 16. September 2008: „Statistischer Schein“. – Weiter heißt es dort: Das Bild, das unsere Leserinnen und Leser gezeichnet haben, scheint so gar nicht zu dem zu passen, was die Statistik wenige Stunden vorher gezeigt hat. – Das heißt, Sie sind durch die bildungspolitische Realität vor Ort entlarvt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Och!)

Herr Stahl, noch einmal: Ihre eigene Umfrage Anfang der Sommerferien dieses Jahres hat Ihnen bescheinigt, dass 73 % der Befragten den Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen beklagen. – Jetzt haben wir auch den Beleg dafür; denn angesichts dieser 5.800 Stellen, die im System gar nicht vorhanden sind, ist das überhaupt nicht verwunderlich.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Die Eltern wollen kein beschriebenes Papier. Die Eltern wollen auch keine virtuellen Lehrer oder Avatare, wie wir sie aus Second Life kennen. Die Eltern wollen Lehrer und Lehrerinnen „in echt“. Und Sie gaukeln den Menschen hier in Nordrhein-Westfalen etwas vor. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Schäfer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Beer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie es in der Partei der FDP so üblich ist, war Frau Pieper-von Heiden heute im Gagamobil unterwegs. Das hat man sehr deutlich gemerkt, und anders kann ich diesen Redebeitrag leider nicht einordnen.

Ja, meine Damen und Herren in der Koalition der Enttäuschung, wer auch immer bei Ihnen für die Themenfindung für Aktuelle Stunden zur Schulpolitik verantwortlich ist, der muss eine besondere Beziehung zu Australien haben – denn er wirft einen Bumerang nach dem anderen.

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

So würde es wirklich Spaß machen, die Aufführung des schwarz-gelben Stadls und das Drehbuch „Unterrichtsausfallstichprobe“ zu sezieren, wenn nicht die Eltern, wenn nicht die Schülerinnen und Schüler

sowie die Kolleg(inn)en auf der anderen Seite tagtäglich den Ernst und die Realität erleben würden.

Ich will auch noch einmal an das erinnern – man kann es nicht oft genug sagen –, was Sie, Frau Ministerin Sommer, am 31. Mai 2006 hier laut Plenarprotokoll versprochen haben.

2008/2009 werden wir die erheblichen technischen und organisatorischen Vorbereitungen getroffen haben, um eine flächendeckende Erhebung des Unterrichtsausfalls zu ermöglichen. Wir sind dabei,“

ich betone dies noch einmal, das haben Sie gesagt –

ein unbürokratisches Verfahren zu entwickeln, um verlässliche Daten aus den Schulen zu erhalten.

Sie sind so weit weg von dieser Ankündigung wie der Mond von der Erde. Es gibt keine flächendeckende Erhebung. Es gibt keine verlässlichen Daten. Und unbürokratisch ist das Ganze auch nicht.

Was Sie da mit Ihrer Stichprobe fabriziert haben, Frau Ministerin, das ist Katzengold, versuchtes Blendwerk für die Öffentlichkeit ohne durchschlagenden Mehrwert für die Schulen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die neuen Jubelarien des Ministeriums der Koalition der Enttäuschung basieren auf einer Stichprobe, die die Hochrechnungen für eine repräsentative Aussage geradezu abenteuerlich machen.

Wer sich allerdings tiefer in die Daten hineinbegibt, der findet die Belege dafür, wie die Werte zustande kommen und wer sie unter welchen Bedingungen erbringt. Die Schönfärberei der Landesregierung wird auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Qualität des Unterrichts erkauft und durch die Lehrkräfte erwirtschaftet.

Die Landesregierung hat wahrlich nur wenig Grund, sich damit zu brüsten. Längst ist das Wahlversprechen von CDU und FDP „Unterrichtsgarantie“ Schnee von gestern. Gleiches gilt für die Zusage einer flächendeckenden Erhebung zum Unterrichtsausfall. Das ist auch ein klarer Beleg dafür, dass selbst das Schulministerium offensichtlich nicht an seine Unterrichtsausfallmärchen glaubt.

Jetzt nehme ich Sie einmal mit hinein in die Tiefen dieser Informationen zum Thema Unterrichtsausfall. Statistik, meine Damen und Herren, das ist wahrhaftig etwas anderes.

Ich will zunächst darauf aufmerksam machen, welche Bezugsgrößen das Ministerium für die Berechnung des Unterrichtsausfalls zugrunde gelegt hat. Ich zitiere:

… das tatsächliche planmäßige Unterrichtsangebot jeder einzelnen teilnehmenden Schule …, d. h. der gesamte nach den Stundenplänen der

Schülerinnen und Schüler in Klassen, Kursen und sonstigen Lerngruppen zu erteilende Unterricht …

„Achtung, liebes Publikum!“, sage ich nur. Es handelt sich gar nicht um den Unterricht nach Ausbildungs- und Prüfungsordnungen und damit den in Stundentafeln festgeschriebenen. Wenn Unterricht, den es nach den Stundentafeln eigentlich geben müsste, grundsätzlich nicht stattfindet, taucht er in der Stichprobe gar nicht auf. Das ist doch entlarvend.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Eltern werden sich bedanken, denn an vielen Grundschulen wird aufgrund fehlender Lehrerstellen der Unterricht nicht nach der Stundentafel der AOGS erteilt. Das haben kompetente Menschen aus Schulverwaltungen in den Kommunen den Eltern schon mitgeteilt. Diese Stunden, die eigentlich erteilt werden müssten, finden nicht statt, wurden in dieser Statistik aber überhaupt nicht mitgezählt. Das ist das erste Potemkinsche Dorf, das Sie errichten.

Aber die Eltern kennen die Rückseite Ihrer Fassadenpolitik: Ausweislich der Daten Ihrer Stichprobe gibt es Förderschulen, die nur eine Stellenbesetzung von gut 82 % vorweisen können, Gesamtschulen 93 % und Gymnasien 94 %. Denen müssen Ihre Verkündigungen, dass es eine Bedarfsdeckungsquote zwischen 101 und knapp 103 % an der jeweiligen Schulform gibt, wie Hohn vorkommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Nebensatz gibt die Landesregierung zu, dass es offensichtlich einen eklatanten fachspezifischen Mangel gibt, der bisher von Ihnen immer heruntergespielt worden ist, Frau Ministerin. Angesichts dieser Ausgangslage muss die Aufhebung des Mangelfacherlasses mitten im Vollzug durch die Landesregierung als GAU für die Versorgung mit dringend benötigten Fachlehrkräften gebrandmarkt werden. Sie werden dieses Thema immer wieder auf den Tisch bekommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Was Sie in den Schulen mit Ihrem Druck anrichten, machen die Kategorien Ihrer Stichprobe nur zu deutlich: Unterricht in besonderer Form heißt vor allem in der Oberstufe selbstgesteuertes Lernen. Es lohnen sich Gespräche mit Oberstufenschülerinnen und -schülern, die berichten, dass das häufig genug bedeutet: Der Kurslehrer ist nicht da. Bleibt in der Klasse sitzen und macht Hausaufgaben; sonst muss ich das nämlich als Unterrichtsausfall melden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Mit dem Druck, den Sie ausüben, zwingen Sie die Schulen zu solchen Manövern. Den Schwarzen Peter laden Sie nämlich gerne bei den Schulleitungen ab. Hauptsache, die Zahlenwelt im Ministerium ist in Ordnung.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Ein Blick auf die Aufstellung zum Vertretungsunterricht ist in der Tat sehr interessant: Der Anteil des Vertretungsunterrichts bewegt sich mit 4,8 % auf dem Niveau des Jahres 2005, als die rot-grüne Landesregierung noch im Amt war. In den beiden vergangenen Jahren lag er sogar bei 6,2 % und 5,8 %. Geschickterweise wird für dieses Untersuchungsergebnis erst gar kein Erklärungsversuch unternommen.

(Lachen von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])