In den Regierungsfraktionen wird längst mehr oder weniger offen zugegeben, dass das bestehende gegliederte Schulsystem angesichts der gestiegenen Qualitätsanforderungen und der demografischen Entwicklung nicht zukunftstauglich ist. So schreibt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 17.10.2008 über den Generalsekretär der FDP NRW, Christian Lindner: „Insbesondere die Hauptschule hat nach Lindners Einschätzung keine Zukunft mehr. Sie könne gemeinsam mit der Realschule zu einer Schulform neuen Typs zusammengefasst werden: der regionalen Mittelschule.“
Damit folgt Christian Lindner den Ausführungen des FDP-Landesvorsitzenden und stellvertretenden Ministerpräsidenten Pinkwart, Schulformen dürften „kein Selbstzweck“ sein, sondern müssten angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Qualitätsanforderungen am Arbeitsmarkt offen für Weiterentwicklungen bleiben. Pinkwart sieht deutlich einen Entwicklungsbedarf des dreigliedrigen Schulsystems wegen rückläufiger Schülerzahlen und steigender Anforderungen am Arbeitsmarkt.
Die kommunalen Spitzenverbände fordern schon seit Langem mehr Gestaltungsfreiheit im Zusammenführen der Bildungsgänge und Schulformen. Dies wird den Kommunen landesweit beharrlich verwehrt, obwohl selbst in der Landesregierung trotz aller Beteuerungen die Einsicht gegriffen hat, dass die Hauptschule keine Zukunft mehr hat. Die derzeit von der Landesregierung immer noch forcierten einzügigen Hauptschulen
sind in Bezug auf die Qualität und Abschlussoptionen für die Schülerinnen und Schüler besonders kritisch zu sehen.
Warum hält die Landesregierung nach außen an ihrer Blockadehaltung in Fragen der kommunalen und regionalen Schulentwicklung fest, obwohl es innerhalb der Landesregierung offensichtlich einen anderen Erkenntnisstand gibt?
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Beer, lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich in Ihrer Mündlichen Anfrage einen sehr erfreulichen Passus gefunden habe. Ich freue mich darüber, dass Sie geschrieben haben, es handele sich hier um gestiegene Qualitätsanforderungen. Ich finde das positiv und sehr begrüßenswert, dass Sie anerkennen, dass wir uns um steigende Qualitätsanforderungen bemühen.
Ihre Frage, sehr geehrte Frau Beer, provoziert zunächst eine Gegenfrage, und zwar: Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass sich die Landesregierung in Bezug auf kommunale und regionale Schulentwicklung nicht einig ist? – Wir haben hier eben schon gehört, es ist die Zeit der Feen und Elfen. Aber das halte ich doch für Kaffeesatzleserei.
Ich mache hier noch einmal deutlich: Die FDP hat in ihrem Leitantrag zum Parteitag gesagt, dass sie das gegliederte Schulsystem weiterentwickeln will. Das ist eine wichtige und richtige Kernaussage. Wenn es denn richtig ist – ich glaube, darüber sind wir uns alle einig –, dass Schule etwas ist, was sich ständig bewegt und durchaus auch veränderbar ist und verändert werden muss, dann kann ich an dieser Kernaussage überhaupt keinen bösartigen Vorgriff erkennen.
Wenn ich dagegen Ihre Intention sehe, die Sie auch im Plenum sehr stark verfolgen, nämlich Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen und Gesamtschulen abzuschaffen und die Einheitsschule einzuführen, dann frage ich mich: Was ist denn da noch wirklich beweglich?
Ich darf darauf verweisen: Wir haben vor gar nicht langer Zeit, nämlich am 17. Oktober, auf SpiegelOnline einen Beitrag von der Wirtschaftsjournalistin Inge Kloepfer lesen können, immerhin einer renommierten Journalistin, die sich durchaus sehr kritisch zur Hauptschule äußert, aber dennoch festhält: Entscheidend ist, was im Unterricht passiert. Für vorrangig hält sie eine Verbesserung der Lehrerausbildung und eine stärkere Konzentration auf erzieherische Fragen.
den Unterricht geformt, erzogen und gebildet werden kann, sind unsere Kernsätze, die wir schon lange vertreten. Mit ihrer Qualitätsoffensive Hauptschule hat die Landesregierung ja nicht nur die Eigenverantwortlichkeit institutionalisiert, sondern diesen Gedanken auch nachhaltig unterstützt. Ich meine, dass wir diese Unterstützung gerade für alle Schülerinnen und Schüler brauchen, die in den Hauptschulen eine sehr solide Grundbildung bekommen müssen und die wir als zweite Zielsetzung zu einer Ausbildungs- und Berufsreife hinführen wollen.
Ich darf in der Beantwortung Ihrer Frage, weil es gerade beim Thema Hauptschule für mich wirklich wichtig ist, dass ich ausführlich antworte, noch einmal fünf Punkte unserer Qualitätsoffensive herausstellen: erstens die Weiterentwicklung der Hauptschulen zu erweiterten Ganztagshauptschulen, zweitens die Stärkung der Basiskompetenzen, drittens die Neuausrichtung auf die Berufsorientierung und viertens die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderergeschichte. Den fünften und letzten Punkt verfolgen wir sehr stark, nämlich die Sicherung eines wohnortnahen Bildungsangebots. Das bezieht auch Hauptschulen ein, die einzügig sind.
Mit diesem Katalog dieser fünf unterschiedlichen Bereiche hat die Schule die Möglichkeit, vor Ort passgenaue Angebote zu entwickeln. Die Schulen entscheiden danach eigenverantwortlich, in welchem Kontext sie arbeiten und welche dieser Bereiche sie vorrangig bearbeiten.
Wir haben dazu ein neues Instrument gefunden, die Schulentwicklungskonferenz, von der ich mir wirklich viel verspreche, weil sie den Schulen auch die Möglichkeit gibt, da Spielräume abzugreifen und eigene Ideen zu verwirklichen.
Die nordrhein-westfälische Schulpolitik setzt bereits auf den Ausbau von Handlungsmöglichkeiten von Kommunen. Die stehen also sicherlich nicht außen vor. Wir wollen gemeinsam, Land und Kommune, Verantwortung für das Schul- und Bildungswesen tragen, gerade auch mit diesem relevanten Partner.
An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, dass wir da die regionalen Bildungsnetze gebildet haben. Wir haben inzwischen 19 an der Zahl. Das soll auf 54 aufgebaut werden. Die haben alle gerade mit den Kommunen auch einen, wie ich meine, sehr wirkungsvollen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Wir setzen also – um das hier noch einmal deutlich zu sagen – wirklich auf eine regionale Schulentwicklung unter Einbeziehung auch der Kompetenz der Kommunen.
Ich muss an dieser Stelle nicht erwähnen, dass es daneben natürlich auch noch Partner gibt aus Wirtschaft, Arbeitsverwaltung, Jugendhilfe- und Kultureinrichtungen.
Das verstehen wir im Prinzip unter einer differenzierten Infrastruktur. Man könnte auch sagen: horizontale Vernetzung.
Des Weiteren ist natürlich auch die vertikale Abstimmung wichtig, dass nämlich die verschiedenen Stufen des Bildungswesens sich untereinander absprechen und gemeinsame Ziele festsetzen.
Zum Schluss: Ich möchte gerne noch einmal daran erinnern, dass wir vor wenigen Monaten vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, gerade was die Reformbereitschaft unserer Schulpolitik anbelangt, eine große Dynamik attestiert bekommen haben. Ich denke, wir werden damit auch herausstellen können, dass die Landesregierung keine Entwicklung blockiert. Das Gegenteil ist eher der Fall. – Vielen Dank.
Frau Ministerin, herzlichen Dank für die umfangreiche und ausführliche Antwort. Wenn man mit den Vertretern der Kommunen spricht, stellt man fest, dass die eine andere Haltung zu der Frage haben, die Sie zuletzt angesprochen haben: was Sie alles gewähren und ob Sie an der Spitze der Schulentwicklung sind.
Ich habe als Alternative einmal die „Süddeutsche Zeitung“ mitgebracht. Da Sie auch ausgeführt haben, dass zwischen Sie, also zwischen CDU und FDP in der Koalition, kein Blatt passt und Sie sich so einig sind, möchte ich Sie zu dem folgenden Zitat befragen, das heute im Pressespiegel zu finden ist. Sie werden mit den Worten zitiert: In der Landesregierung werden die Pläne der FDP – Bezug regionale Mittelschule – als nicht notwendig angesehen.
Herr Lindner, in diesem Hause ebenfalls häufiger gesehen, führt dazu aus, für seine Partei innerhalb der Düsseldorfer Landesregierung beanspruche er die Meinungsführerschaft in der Bildungspolitik. Frau Ministerin, wie erklären Sie diese Sache? Wie beurteilen Sie das Kräfteverhältnis? Wie stellen Sie klar, dass Sie die Meinungsführerschaft haben?
Sehr geehrte Frau Beer, es geht nicht darum – ich glaube, das habe ich in den letzten dreieinhalb Jahren auch deutlich gemacht –, eine verfestigte Meinung zu haben, ohne andere anzuhören. Ich bin stets bereit – gerade bei den Debat
Es ist überhaupt nicht schädlich, wenn sich auch die Fraktion der FDP eine Meinung bildet. Im Übrigen geht es dabei sicherlich um die Meinungen zu Dingen – gerade wenn Sie die regionale Mittelschule ansprechen –, die in dieser Legislaturperiode in keinem Fall zum Tragen kommen würden.
Ich meine, es ist sinnvoll, über die Schule immer wieder neu nachzudenken; denn die Schule muss sich bewegen. Das habe ich behauptet, und dazu stehe ich auch. Jede kritische Bemerkung und jede weiterführende Bemerkung ist da willkommen.
Frau Ministerin, dann muss ich jetzt auch noch einmal nachhaken. In dem Fernsehbericht von RTL am 10. November 2008 haben Sie nämlich zu den Plänen der FDP gesagt:
Ideen, die man hat, sollte man auch immer diskutieren. Das finde ich immer sehr, sehr wichtig. Insofern ist es nicht verkehrt, was die FDP jetzt fordert.
Wie bewerten Sie in demselben Kontext die Aussage von Herrn Stahl, der seinerseits sagt, der Plan der FDP, nach 2010 in der regionalen Mittelschule unter einem Dach die Zusammenlegung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu ermöglichen, könne nicht funktionieren? Das steht heute in der „NRZ“. Das kann man den Menschen gar nicht mehr erklären.
Doch. Ich kann es Ihnen erklären. Ich kann Ihnen zum Beispiel erklären, dass es nicht verkehrt ist, Ideen zu haben. Die FDP hat Ideen; die darf sie doch haben. Ich höre auch Ihnen immer zu. Insofern ist das kein Problem.
Wir werden, sofern wir in der nächsten Legislaturperiode die Regierungsverantwortung haben, über Schule ganz sicher neu nachdenken müssen. Nochmals: Alle sind willkommen, mitzuarbeiten und Ideen einzubringen. Wir werden einen genauso gesicherten und abgesicherten Koalitionsvertrag schließen, wie wir ihn jetzt haben. Er bleibt so, wie er ist; fertig.
che, dass es angesichts der Ergebnisse des FDPParteitags vom vergangenen Wochenende keine parlamentarische Mehrheit für den Erhalt des gegliederten Schulsystems in seiner jetzigen Form gibt? Die ist eigentlich nicht mehr existent.
Aber, Frau Beer, wir werden gleich in einem anderen Kontext noch einmal über die FDP und den Parteitag reden. Das ist ein Meinungsbild. Da sind Beschlüsse gefasst worden. Aber es ist ein Parteitag. Wir sprechen über das Schulgesetz. Von daher ist die Sachlage eine ganz andere.
Frau Ministerin, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, so ist heute – wenn man den Sekundarstufe I-Bereich betrachtet – jede vierte Schule in diesem Land eine Hauptschule. Circa jeder sechste Schüler besucht eine solche Schule.
Können Sie bitte noch einmal darstellen, welche Möglichkeiten das aktuelle Schulgesetz bietet, auf die demografischen Veränderungen einzugehen? Mir scheint nämlich, dass die demografischen Veränderungen vor dem Hintergrund dessen, über das wir hier gerade diskutieren, zu den Kernüberlegungen gehören.