Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Können Sie bitte noch einmal darstellen, welche Möglichkeiten das aktuelle Schulgesetz bietet, auf die demografischen Veränderungen einzugehen? Mir scheint nämlich, dass die demografischen Veränderungen vor dem Hintergrund dessen, über das wir hier gerade diskutieren, zu den Kernüberlegungen gehören.

Vielen Dank, Herr Hollstein. Was das Schulgesetz, wie es jetzt gelebt wird, betrifft: Es wird schon an verschiedenen Stellen so gelebt. Wir haben acht Standorte, die die Öffnung des Schulgesetzes sehr gern aufgenommen haben und damit auch sehr gut umgehen können.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Verbünde. Das fängt bei den Grundschulen an. Grundschulverbände können gebildet werden. Das kann auch bei den Hauptschulen erfolgen. Man kann aber auch eine Gesamtschule mit einer Hauptschule zu einer Aufbauschule zusammenfassen. Man kann auch eine Hauptschule, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt werden, durch einen Realschulzweig ergänzen und umgekehrt.

Es gibt im Land also flexible Möglichkeiten, und ich freue mich, dass es nicht nur diese acht Standorte

gibt, sondern dass auch andere bereits in der Warteschleife sind.

Ich war in der letzten Woche in Medebach, wo zusammen mit Hallenberg und Winterberg ein Standort gebildet worden ist. Ich muss sagen: Gerade die Bürgermeister der drei Kommunen waren sehr stolz auf dieses Ergebnis. Sie freuen sich auch, dass sie von überall im Land Anfragen erhalten, weil viele diesem Beispiel folgen wollen. Ich denke, das ist eine gute Lösung – gerade für den Aspekt Demografie, den Sie genannt haben.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Löhrmann hat eine Frage.

Frau Ministerin, ich wüsste gerne einmal von Ihnen, in welchen anderen Ländern es schon keine Hauptschule mehr gibt bzw. in absehbarer Zeit aufgrund von rechtlichen Regelungen keine Hauptschulen mehr existieren werden.

Frau Löhrmann, dass würde ich gerne beantworten. Bevor ich jetzt aber eine umfassende Antwort bezogen auf 15 weitere Länder gebe, würde ich das gerne eruieren und Ihnen schriftlich mitteilen.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Hendricks.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass in dieser Legislaturperiode die Mittelschule nicht zum Tragen kommt. Gleichzeitig haben Sie aber gesagt, dass man nach 2010 neu nachdenken muss. Nun gehe ich nicht davon aus, dass das neue Nachdenken erst mit dem Tag der Wahl passiert.

Mich würde also interessieren, welche Überlegungen derzeit im Ministerium im Hinblick auf eine neue Schulreform in Nordrhein-Westfalen angestellt werden, wenn Sie schon fokussieren, dass man neu nachdenken muss.

Frau Hendricks, ich habe gerade in der Beantwortung der Frage von Herrn Hollstein sehr deutlich gesagt, dass nach meiner Einschätzung das Schulgesetz in seiner jetzigen Ausführung genügend Möglichkeiten bietet, um flexibel auf Demografie zu reagieren. Aber der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wird dann eventuell festlegen, dass es auch andere Wege gibt. Ich aber stehe jetzt auf diesem Standpunkt.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Schäfer, bitte.

Frau Ministerin, ich komme noch einmal auf den Anfang Ihrer Ausführungen zu sprechen. Da haben Sie gesagt, warum und weshalb Hauptschulen wichtig sind. In der WDRSendung „hartaberfair“ vom 8. Dezember 2004 hat Jürgen Rüttgers, damals noch als Oppositionsführer, Folgendes über die Kinder, die Hauptschulen besuchen sollen, gesagt – Zitat –: Die haben Probleme mit Formeln, die haben Probleme mit Theorie, die können aber mit ihren Händen praktisch was machen. – Ich wollte Sie einfach einmal bitten, uns zu definieren, was aus Ihrer Sicht eine praktische Begabung ist.

Frau Kollegin Schäfer, wir haben gerade schon mehrfach über den Bereich der praktischen Begabung gesprochen. Sie haben diese Frage auch schon beantwortet bekommen, denn Sie haben sie ja schon einmal gestellt.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Beer, Ihre dritte und letzte Frage. Bitte.

Frau Ministerin, ich komme noch einmal auf Ihren Anfangsbeitrag zurück. Sie haben gesagt, dass Sie sich über die Einleitung der Frage gefreut haben, allerdings stand da nicht, dass ich Ihnen attestiere, die Anforderungen bestanden zu haben, sondern dass Sie jetzt schon einmal sehen, was die gestiegenen Qualitätsanforderungen angeht.

(Ministerin Barbara Sommer: Lassen Sie mich mal antizipieren!)

Ich würde Sie bitten, uns darzustellen, welche Qualität einzügige Hauptschulen in Bezug auf das Fächerangebot und die Abschlussmöglichkeiten noch vorhalten können. Denn sowohl Sie stellen ja Qualität in den Mittelpunkt als auch der stellvertretende Ministerpräsident, der ausformuliert hat, dass Schulformen kein Selbstzweck sein dürfen, sondern angesichts der demografischen Entwicklung und steigenden Qualitätsanforderungen am Arbeitsmarkt offen für Weiterentwicklung bleiben müssen. – Was können einzügige Hauptschulen leisten? Welche Fächerangebote? Welche Abschlüsse?

Sie können selbstverständlich alle Abschlüsse vergeben, die im Hauptschulbereich sonst auch vergeben werden. Sie können selbstverständlich auch an den fünf Punkten teilhaben, die ich Ihnen genannt habe, zum Beispiel dem Ganztag.

Bestimmte Schwierigkeiten, die in der Differenzierung entstehen können, kann man durch Kooperation beheben. Man kann sich in der Nachbarschaft umsehen. Je nachdem, wo die Schule gelegen ist, ist das möglich.

Frau Beer, da es Ihre dritte und letzte Frage ist, erlaube ich mir, Sie einmal etwas zu fragen – das ist mir wichtig, weil ich es nicht verstanden habe –: Sie haben in Ihrer Anfrage gesagt, Sie seien der Ansicht, dass Hauptschulen nicht zukunftstauglich seien. Ich habe Ihnen einfach so als Tipp einmal die Hauptschulen herausgeschrieben, die in Ihrer näheren Umgebung liegen und sogar zu Fuß zu erreichen sind. Ich glaube, es ist wichtig, dass Sie sich diese einmal ansehen. Dann sagen Sie denen bitte: Ihr seid nicht zukunftstauglich!

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, dann kriegen Sie eine andere Sichtweise – auch von Hauptschulen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die zweite und letzte Frage hat sich Frau Hendricks gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte nur kurz anmerken, dass ich meine Frage, die ich eben gestellt habe, nicht als beantwortet betrachte. Aber ich habe eine zweite Frage an Sie.

Sie haben darauf hingewiesen, dass die Kommunen im Bereich der Weiterentwicklung ganz besondere Kompetenzen haben. Wir haben auch in der Enquetekommission noch einmal festgestellt, dass es im kommunalen Bereich in der Tat Weiterentwicklungsmöglichkeiten geben soll.

Nun stellt sich für die Kommunen heraus, dass auch jenseits der Möglichkeiten des Schulgesetzes von den Kommunen Weiterentwicklungsmöglichkeiten eingefordert werden. Wie werden Sie die Kompetenzen der Kommunen vor dem Hintergrund, dass die am besten wissen, was vor Ort passiert, demnächst regeln? Können die sozusagen auch jenseits des Schulgesetzes Modellversuche auf den Weg bringen?

Sehr geehrte Frau Hendricks, wir werden diese Kommunen beraten. Das kostet allerdings kein Geld.

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die zweite und letzte Frage von Frau Kollegin Löhrmann. Bitte schön.

Frau Ministerin, darf ich, da Sie ja in der Koalition häufiger kommunizieren, davon ausgehen, dass Sie dem Kollegen Lindner, den Frau Beer ja nur zitiert hat, auch schon Hauptschulen genannt und ihm empfohlen haben, diese zu besuchen?

Sehr geehrte Frau Löhrmann, Sie wissen ja, dass sich Herr Lindner deutlich von dem Einwurf distanziert hat. Es gibt einen Brief, der Ihnen sicherlich auch vorliegt. Ich kann das aber auch noch einmal zitieren. Er fühlt sich völlig falsch verstanden und hat mir und auch Frau Beer diesen Brief zugesandt. Wenn Sie ihn nicht haben, dann fragen Sie einfach einmal Ihre Nachbarin hinter Ihnen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: In Ausreden sind Sie große Klasse!)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Trampe-Brinkmann hat sich noch einmal gemeldet. Bitte schön.

Frau Ministerin, das System Hauptschule wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Vor dem Hintergrund, dass Sie das hohe Lied der Hauptschule singen und wir hier schon verschiedenste Feierlichkeiten in den letzten drei Jahren des Hauses erlebt haben, möchte ich Sie dennoch abschließend fragen, wann wir denn eine Feierstunde Hauptschule in diesem Hause erleben dürfen.

Ist das eine ernst gemeinte Frage? Ich glaube, Herr Trampe-Brinkmann, man muss etwas ganz anderes tun. Man muss die Arbeit der Hauptschulen da würdigen, wo die Hauptschule ihre Leistungsfähigkeit beweist. Ich gehe sehr häufig in Hauptschulen, und ich würdige deren Aufgabe. Ich glaube, dass keine Hauptschule – dazu sind die viel zu bescheiden – daran interessiert wäre, wenn man hier eine Geburtstagskerze anzünden würde. Sie wollen eigentlich nur das, was wir auch wollen, nämlich Ihnen bestätigen, dass sie gute Arbeit machen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es gibt zu der Mündlichen Anfrage 252 keine weiteren Fragen.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 253

der Abgeordneten Frau Löhrmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf:

VBE-Appell: Ministerpräsident soll ständige Bildungskonferenz in NRW einrichten.

Seit Längerem wirbt der nordrhein-westfälische Verband Bildung und Erziehung (VBE) für ein pragmatisches Modell zur Reform unseres Schulsystems. Es will die Schulformen in der Sekundarstufe I zusammenführen und die starre Gliederung des Systems aufbrechen.

Angesichts der andauernden Blockade der CDU/FDP-Regierung in dieser Frage hat der Vorsitzende des VBE, Udo Beckmann, Ministerpräsident Rüttgers am vergangenen Freitag zur Umkehr aufgerufen. Ich zitiere aus seiner Grundsatzrede: „Es geht uns nicht darum, von heute auf morgen ohne jede Vorbereitung den Schalter im System umzulegen. Man kann nicht montags entscheiden, dass dienstags das alte System durch ein neues ersetzt wird. Das würde in der Tat zu dem Chaos führen, das die Regierungsfraktionen ja so gerne prophezeien, wenn man sie mit Veränderungswünschen konfrontiert. Niemand hier will das. Es kann aber auch nicht so weitergehen wie jetzt, dass die Landesregierung jede potenzielle Strukturveränderung blockiert und sich hinter hohen Mauern verschanzt. Wir brauchen eine Öffnungsklausel im Schulgesetz, die Schulträgern und Schulen mehr Freiheit verschafft. Was sonst ist Eigenverantwortlichkeit? (…)

Wenn wir nicht bald mal anfangen und den Schulträgern und Schulen Gestaltungsspielräume geben, werden die Probleme immer größer. Die Eltern verändern mit ihrem Schulwahlverhalten das System sowieso. Wer das ignoriert, riskiert die Demontage des alten Systems, ohne dem etwas entgegenzusetzen. Das kann keiner wollen.

Manchmal stelle ich mir eine Frage, auf die ich einfach keine Antwort finden kann: Wovor haben die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen eigentlich Angst? Hat die Mehrheitsfraktion etwa Angst davor, dass Horstmar und Schöppingen keine Ausnahme bleiben werden, wenn es erst einmal eine Öffnungsklausel gibt? Hat die CDU Angst davor, dass die eigene Basis ihren starren Vorgaben dann nicht mehr folgen wird? Dass mehr und mehr Kommunen diese Freiheit nutzen würden? (…)“

Angesichts der verfahrenen Situation und um nicht weiter wertvolle Zeit verstreichen zu lassen fordert Udo Beckmann den Ministerpräsidenten auf, eine ständige nordrhein-westfälische Bildungskonferenz einzurichten. Ich zitiere: „An dieser Bildungskonferenz sollen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Vertreter der Wirtschaft

und Wissenschaft sowie die Interessenvertretungen von Eltern, Lehrern und Schülern teilnehmen. Es soll darum gehen, einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzustellen, um endlich weiterzukommen. Im Mittelpunkt muss dabei das Verbindende und nicht das Trennende stehen. Es geht ausschließlich um das Wohl und die Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Dafür möchte ich heute werben und schon einmal eine Brücke bauen, über die die Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien aufeinander zugehen können. (…)“

Wird Ministerpräsident Rüttgers den Appell des VBE, eine ständige NRW-Bildungskonferenz einzurichten, aufgreifen?