Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Dennoch ist die Situation keineswegs entspannt. Die CDU-Fraktion teilt die Hoffnung, dass ein großer Teil der noch unversorgten Jugendlichen ein Angebot bekommen wird. Es wäre schlimm, wenn einzelne Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, obwohl es für sie noch Bewerber gibt. Deswegen bin ich dem Ministerium dankbar, dass es sich zum Beispiel in den Krankenpflegeschulen an den Universitätskliniken und in diesem Fall gemeinsam mit dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie darum kümmert, dass die dort Anfang Oktober noch freien Ausbildungsplätze wirksam nachbesetzt werden können.

Es kann gar nicht genug getan werden, um die Nachvermittlungsphase bis Weihnachten erfolgreich zu gestalten. Auch dies ist eine wichtige Aufgabe der Akteure im nordrhein-westfälischen Ausbildungskonsens. Die Ausbildungslücke ist grundsätzlich jedoch nur durch eine Politik konjunktureller Belebung zu lösen. Wir brauchen - das sage ich auch in Richtung der zurzeit in Berlin geführten Koalitionsverhandlungen - die richtigen Rahmenbedingungen für die Entstehung neuer Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Wir brauchen eine andere Wirtschafts- und Steuerpolitik als bisher, mehr Entschlusskraft beim Umbau der sozialen Sicherungssysteme als bisher, mehr Mut bei der Flexibilisierung am Arbeitsmarkt als bisher und weniger Einfluss für diejenigen in den Tarifparteien, die immer nur blockieren und in alten klassenkämpferischen Kategorien denken.

Wenn wir aus der Misere heraus wollen, dann müssen wir für den Mittelstand durch eine kluge Steuerpolitik, Bürokratieabbau und hohe Flexibilität eine Situation schaffen, bei der alte wie neue Mittelständler eine neue Chance erkennen.

Unsere Bitte an die Gewerkschaften: Helfen Sie mit und machen Sie bei den Ausbildungsvergütungen kurzfristig Entwicklungen, auch Abschläge möglich, damit die jungen Leute, wenn auch zu

gegenwärtig schlechteren Bedingungen als früher, eine Ausbildung erhalten, denn diese Ausbildung gibt ihnen für ihr ganzes Leben bessere Chancen.

Unsere Bitte an die Unternehmensführungen: Helfen Sie mit und tun Sie alles in Ihrer Macht stehende, um ausreichend Ausbildungsplätze bereitzustellen. Denken Sie nicht nur an die betriebliche, sondern auch an die gesellschaftliche Bedeutung der Berufsausbildung für die Zukunft Deutschlands und Nordrhein-Westfalens.

Von der Landesregierung erwarten wir Dreierlei, nämlich erstens alle nur möglichen Anstrengungen, damit jeder junge Mensch nach Beendigung seiner schulischen Laufbahn eine faire Chance zum Start ins Arbeitsleben erhält, zweitens die Fortsetzung der bereits erfolgreich begonnenen Verbesserungen unserer Schulausbildung, damit die allgemeinbildenden Schulen wieder stärker für die duale Berufsausbildung qualifizieren, und drittens die konkrete Gestaltung einer dritten Säule der Ausbildung, die neben die akademische und duale Berufsausbildung gestellt wird.

Vor allem mit dem letzten Punkt - deswegen bin ich auch dafür, dass wir den Entschließungsantrag befürworten - verbinden wir die Absicht, neue berufliche Chancen für die Menschen zu schaffen, die heute durch die hohen theoretischen Anforderungen im dualen System - hier ist ja eine Entwicklung in vielen Berufen vorhanden, die die theoretischen Anforderungen im gewohnten dualen System steigert - keinen Ausbildungsplatz finden können. Die Einführung des Werkstattjahres zum 1. November 2005 ist ein wichtiger Schritt dazu - ein Schritt zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen benachteiligter Menschen.

Ich bitte Sie herzlich, dem Entschließungsantrag von CDU und FDP zuzustimmen. - Schönen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Henke. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Steffens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Egal, über welche Maßnahme im Zusammenhang mit der Jugendarbeitslosigkeit wir reden: Wir müssen als Erstes schauen, in welcher gesellschaftlichen Situation wir uns im Moment befinden.

Wenn man gerade in den letzten Tagen, aber auch schon in den letzten Wochen und Monaten Berichte, Studien und Untersuchungen gelesen

hat, ist einem noch einmal deutlich geworden, dass wir in etwa ab dem Jahr 2010 bundesweit - aber natürlich auch hier in Nordrhein-Westfalen - ein massives Problem mit dem Fachkräftemangel bekommen. Der Fachkräftemangel wird sich ab dem Jahr 2010 zeigen und dann kontinuierlich zunehmen. Es wird ein paar stärkere Anstiegswellen geben. Klar ist aber auf jeden Fall, dass wir diesen Fachkräftemangel bekommen werden.

Wir haben zwei Möglichkeiten, das Problem mit dem Fachkräftemangel zu lösen. Die erste Möglichkeit ist, unsere Jugendlichen bestmöglich zu bilden und zu qualifizieren, damit sie dann als Fachkräfte einspringen können. Die zweite Möglichkeit ist, das Problem über Zuwanderung zu lösen.

Meine Damen und Herren von der Regierung, ich weiß, dass Ihnen die zweite Lösung, die Zuwanderung, nicht wirklich am Herzen liegt. Also müsste die erste Lösung, nämlich die bestmögliche Qualifizierung der Jugendlichen, wirklich Ihr Ziel sein.

Wenn wir uns ansehen, wie die Zahlen für Nordrhein-Westfalen aussehen, stellen wir fest - das werfe ich der neuen Regierung nicht vor, sondern das sind einfach die Fakten -, dass wir im Moment eine Jugendarbeitslosigkeit von 11,3 % haben. 54 % der jugendlichen Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Man könnte jetzt an die Diskussion von heute Morgen anknüpfen: Ein Drittel dieser Jugendlichen lebt im Ruhrgebiet, was die besondere Aufmerksamkeit auf diese Region lenken müsste. Das ist einfach die Ausgangslage.

Faktisch haben wir noch sehr viel mehr arbeitslose Jugendliche, als die Statistik ausweist, weil - Herr Laumann, das haben Sie eingangs auch gesagt - all die Jugendlichen, die sich in Fördermaßnahmen der Arbeitsagentur oder in Auffangkonzeptionen befinden, nicht in der Statistik auftauchen. Diese Jugendlichen kommen noch hinzu.

Wenn wir uns also die Zahlen ansehen, die die Bundesagentur für Arbeit herausgibt, erkennen wir, dass wir quasi eine Bugwelle von Jugendlichen vor uns herschieben, die aus Warteschleifen kommen und immer wieder auf den Arbeitsmarkt bzw. auf den Ausbildungsmarkt drängen; denn eine Warteschleife ist keine Ausbildung.

(Minister Karl-Josef Laumann: Da müssen wir eine Lösung finden!)

- Genau, wir müssen eine Lösung finden. Wir ringen ja heute im ersten Anlauf darum, ob das ein

Schritt zu einer Lösung ist oder ob wir andere Lösungen finden müssen. Wir müssen, wie ich denke, viele Lösungen finden.

Das heißt, wir brauchen eigentlich eine bestmögliche Qualifizierung der Jugendlichen. Darin sind wir uns wieder einig. Über eine bestmögliche Qualifizierung werden wir im Zusammenhang mit der Bildungspolitik noch intensiver diskutieren müssen: Wie verschaffen wir den Jugendlichen eine bestmögliche Bildung und Qualifizierung, damit sie das Problem der mangelnden Berufsbildungsfertigkeit, unter dem sie heute zum Teil leiden, nicht mehr haben? Wie sorgen wir in diesem Bereich für eine bestmögliche Qualifizierung?

(Beifall von den GRÜNEN)

Trotzdem haben wir ein Problem mit den Jugendlichen, die jetzt und hier auf der Straße stehen. Wir haben ein Problem mit den Jugendlichen - das ist die Zielgruppe, die Sie jetzt hier erfasst haben -, die, wenn sie Glück haben, bisher zwei Tage in der Woche, sonst nur einen Tag, in die Berufsschule gehen können und sonst anscheinend auf der Straße stehen.

Jetzt sind Sie mit dem Werkstattjahr als Angebot gekommen. Aber das Werkstattjahr, das ein bisschen als eine neue Idee, als eine Erfindung dargestellt wird,

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist es auch!)

ist nicht ganz neu. Wir haben mit der Jugendwerkstatt im Grunde genommen ein vom Prinzip her genauso angelegtes Konzept. Jugendwerkstatt in der Jugendhilfe - das müssten die Jugendpolitikerinnen und Jugendpolitiker kennen. Dieses Konzept ist sehr viel kostenaufwendiger. Es ist fast dreimal so teuer wie das Konzept, das Sie jetzt vorlegen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ja!)

Dadurch wird aber auch ein sehr viel passgenaueres und spezifischeres Angebot für die Jugendlichen geschaffen.

Jetzt ist die Frage, ob wir mit dem Angebot auf niedrigerem Niveau, das Sie jetzt vorlegen, für die 23.000 Jugendlichen wirklich das erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Ein großer Teil der jugendlichen Zielgruppe, die Sie jetzt erfassen, geht heute gar nicht mehr in die Berufsschule, obwohl sie eigentlich schulpflichtig sind. Die kommen dort gar nicht an.

Jetzt frage ich mich: Wie kann ich mit dem geringen Personalstab und den geringen Finanzmitteln

die Jugendlichen überhaupt motivieren, dorthin zu gehen? Schon bei der Jugendhilfe - bei den drei- oder vierfachen Kosten - war es fast gar nicht möglich, diese Jugendlichen zu erreichen. Die Zielgruppen überschneiden sich ja; sie sind zum Teil identisch.

Wie wollen Sie diese Zielgruppe dann mit einem viel geringeren Budget erreichen? Ich glaube nicht, dass das gelingt. Deshalb lassen Sie uns darüber streiten, ob das Programm - bei diesem qualitativen Niveau - nicht nur bedeutet, dass wir Masse statt Qualität schaffen, und ob wir die Jugendlichen damit überhaupt erreichen. Schließlich wollen wir alle das Bestmögliche für die Jugendlichen.

Herr Henke, wenn Sie hier sagen, wir suchten nur Haare in der Suppe, finde ich das ein bisschen daneben. Wir haben nämlich - nur mit vertauschten Rollen - genau dieselbe Diskussion über Qualität oder Masse geführt, als es um die Programme BUS und BUT ging. Ich könnte jetzt wieder von Ihnen und von Herrn Wilp Zitate aus den Plenar- und Ausschussdebatten heraussuchen. Das erspare ich Ihnen heute. Lesen Sie das selbst nach.

Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie keine Notlösungen, sondern passgenaue Angebote haben wollten. Sie wollen Angebote haben, die die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Sie wollen aber kein Angebot für die Masse.

Auch hier ist das Problem, dass sich 23.000 Jugendliche in dieser Problemlage befinden. Sehen Sie sich einmal in den Berufsschulen an, was für Jugendliche das sind, die einen oder zwei Tage kommen sollen, es aber nicht tun. Die erreichen Sie damit nicht. Deshalb stimme ich Ihren Argumenten von damals voll zu: Wir brauchen passgenaue und spezifische Angebote, aber keine Notlösungen.

Herr Minister, ich glaube zwar, dass es für einen Teil der Gruppe gut ist, wenn Sie Angebote machen, die in die Breite streuen. Ich glaube aber nicht, dass das eine Lösung für 23.000 Jugendliche ist.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das habe ich nicht gesagt!)

- Ja, das war aber die Größe; die wollen Sie dort hineinbringen. - Deswegen glaube ich, dass wir auch da sehr viel differenziertere Angebote brauchen und dass wir einem Teil der Jugendlichen - vielleicht 5.000 - so etwas anbieten können. Aber ich glaube auch, dass wir für einen kleineren Teil der Jugendlichen lieber Angebote auf hohem Ni

veau machen und ihnen wirklich eine Chance auf den Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen, statt dass wir Geld in die Breite streuen, ohne dass am Ende etwas hängen bleibt und ohne dass dieser Zielgruppe der Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt wirklich ermöglicht wird.

Zum Antrag von CDU und FDP und zur dritten Säule: Wir werden Ihnen heute keinen Blankoscheck für irgendeine dritte Säule ausstellen. Sie definieren ja nicht einmal, was eine dritte Säule konkret heißt,

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

für wen sie gedacht ist und auf welchem Niveau liegen soll. Wir lehnen eine Schmalspurausbildung ohne eine existenzsichernde Perspektive für Jugendliche definitiv ab.

Bei dieser ganzen Diskussion um die dritte Säule habe ich ein bisschen das Gefühl: Damit soll eine Schnellausbildung eingezogen werden, die vielleicht irgendwohin führen kann, die aber nicht wirklich existenzsichernd ist. Wir haben heute schon zu viele Ausbildungsberufe - Friseurin zum Beispiel, aber auch andere -, die nur knapp am Existenzminimum vorbei schrappen. Das kann es nicht sein. Weitere solcher Ausbildungsberufe dürfen wir nicht haben.

Es liegt auch in unserer Verantwortung, Arbeit zu schaffen, die existenzsichernd ist. Nicht jeder schreit nur, er will Arbeit haben, sondern jeder schreit nach Arbeit, von der er sich ernähren kann. Das Recht haben auch die Jugendlichen.

Deswegen: Lassen Sie uns im Detail darüber streiten, was wirklich wo an darunter sortierter Ausbildung stattfinden kann, aber wir sollten nicht einfach pauschal neben akademischer und dualer Säule eine dritte Säule schaffen.

Wir brauchen meines Erachtens in erster Linie mehr Ausbildungsplätze. Ich kann es nur immer wieder sagen. Wir halten nach wie vor ein branchenspezifisches Umlagesystem für die einzig wirkliche Lösung, um zu Ausbildungsplätzen zu kommen. Wenn ich mir angucke, wen der Fachkräftemangel in fünf bis zehn Jahren treffen wird, dann sind das die Unternehmen. Denen werden die Fachkräfte fehlen. Die Unternehmen müssen jetzt auch endlich bereit sein, massiv auszubilden. Denn sonst stehen sie in fünf bis zehn Jahren ohne Fachkräfte da, und das ist mehr als kurzfristig.

Dann komme ich noch ganz konkret zum Konzept des Werkstattjahres. Auch da, Herr Minister, wundere ich mich ein bisschen. Eben erwähnte jemand das Merkblatt, das im Internet einsehbar ist. Ich alleine kenne schon zwei Merkblätter. Beim

ersten Merkblatt sollten pro Teilnehmer pro Jahr noch 4.000 € zur Verfügung gestellt werden. Beim zweiten Merkblatt ist das auf 2.600 € reduziert worden. Vielleicht können Sie noch etwas dazu sagen, warum man jetzt fast die Hälfte der Summe für realistisch hält, um dieses Werkstattjahr zu finanzieren. Ich halte das in Anbetracht dessen, was, wie gesagt, jetzt auch die Jugendwerkseinrichtungen kosten, für absolut unrealistisch.

Dann soll das Programm zum 1. November starten. So, wie ich das verstanden habe, müssen aber der Ausbildungskonsens und der Regionalkonsens erst noch darüber beraten. Da frage ich mich, wie das bis zum 1. November stattfinden soll. Da muss es ja einen Konsens geben.