Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Dann soll das Programm zum 1. November starten. So, wie ich das verstanden habe, müssen aber der Ausbildungskonsens und der Regionalkonsens erst noch darüber beraten. Da frage ich mich, wie das bis zum 1. November stattfinden soll. Da muss es ja einen Konsens geben.

Überdies höre ich aus den Regionen, dass auch da noch als sehr problematisch eingeschätzt wird, ob es überhaupt Unternehmen gibt, die bereit sind, Jugendliche aufzunehmen, die jetzt nicht mehr wie bei den Jugendwerkstätten sehr spezifisch und passgenau ausgewählt werden, sondern einfach in der Masse und zum Teil auch gar nicht wirklich kommen. Die Frage ist also, wie dafür noch Unternehmen gefunden werden sollen. Das wäre auch eine Frage, von der ich hoffe, dass wir sie, wenn wir im Ausschuss darüber beraten, noch einmal im Detail diskutieren können.

Abschließend: Ich sehe nicht, dass das Werkstattjahr das Gelbe vom Ei und die Lösung ist. Als ein Baustein für einen sehr geringen Teil können wir, wie gesagt, gern darüber reden, aber nicht für 23.000. Das halte ich für unrealistisch. Lassen Sie uns da lieber im Detail noch einmal über qualitativ hochwertige Angebote reden - wenn auch dann nur für weniger Jugendliche -, die den Jugendlichen, die daran teilnehmen, auch eine sehr hohe Einstiegschance in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Das sehe ich bei dem vorgestellten Programm nicht. Das ist vielmehr eine Warteschleife, in der einige Jugendliche gut aufgehoben sind, aber mehr auch nicht. - Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Steffens. - Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Dr. Romberg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schmeltzer, ich hatte schon einen ähnlichen Eindruck wie Herr Henke. Sie waren sehr leise. Das war ein leises Mosern. Wenn man bedenkt, dass auch von Ihrer Seite die ersten Reaktionen recht positiv waren, dann fand ich das jetzt ein bisschen unpassend. Sie haben ja auch selbst noch einmal

die Realität aufgezeigt. Wir haben junge Menschen, die - wenn überhaupt - nur einen Tag in der Woche in der Berufsschule ankommen. Wenn wir denen eine passende Alternative anbieten, finde ich es unpassend, dass Sie das so stark kritisieren.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben es nicht verstanden! Es wird nur ein Tag ange- boten! Sie müssen zuhören und verstehen!)

- Es ist ja immer die Frage, wie Sie mit Ihren Äußerungen ankommen, Herr Schmeltzer.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das können Sie ja nachlesen!)

Frau Steffens, bei Programmen, die dreimal so viel kosten, kann man natürlich davon ausgehen, dass sie auch passender ankommen. Wir haben aber auch die Situation zu berücksichtigen, dass die Finanzen dieses Landes grottenschlecht aussehen. Bei einem Schuldenstand von 110 Milliarden € muss man sich schon überlegen, wie man das Geld einsetzt.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja!)

In der Vergangenheit gab es sicher gute, aber häufig teure Projekte, und dies für eine ganz kleine Auswahl von Menschen. Dann ist die Frage - die haben wir uns gestellt -: Ist es nicht besser, ein Angebot für die breite Masse und nicht nur für einen ganz kleinen Teil zu schaffen? Wir meinen, es ist gerechter für diese kritischen Jugendlichen, wenn wir allen die Möglichkeit geben, an einem solchen Programm teilzunehmen. Das ist zumindest uns recht wichtig.

(Beifall von der FDP)

Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Das wird sicher in Zukunft ein immenses Problem sein. Wir sprechen aber heute gerade über Jugendliche, die nie eine hoch qualifizierte Ausbildung schaffen werden. Es gibt eben nicht nur Höherbegabte, sondern es gibt auch Menschen, die mit der Theorie sehr arge Probleme haben und die häufig auch mit der Praxis Probleme haben. Auch für die müssen Angebote geschaffen werden.

Da hat sich in der Ausbildungslandschaft ja auch einiges verändert. Früher hat man gesagt, diese Menschen könnten vielleicht einem Gärtnerberuf nachgehen und dort eine Ausbildung machen. Wenn man aber mit einem Kreisgärtnermeister spricht, dann sagt der: Wir haben heute eine Hightech-Ausbildung, und dafür braucht man hoch qualifizierte Bewerber.

(Zuruf von Frank Sichau [SPD])

- So reden die Fachleute.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Einführung des Werkstattjahres erhalten Jugendliche, die extreme Schwierigkeiten haben, ins Berufsleben zu starten, ein neues Angebot und verbesserte Chancen. Es sind Jugendliche ohne Lehrstelle, die häufig schon die Lust an der Schule verloren haben, die meistens auch keine Perspektive mehr für sich sehen.

Es ist unsere Aufgabe, gerade für diese Problemgruppe Perspektiven zu erarbeiten und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Hier zeigt sich deutlich die soziale Verantwortung des neuen schwarz-gelben Bündnisses für NordrheinWestfalen, welche uns die Opposition immer wieder absprechen will. Dieses Bild von der sozialen Kälte, das Sie im Wahlkampf imaginiert haben, gibt es nicht.

(Beifall von der FDP)

Verehrte Kollegen, das ist ein Trugbild. Werfen Sie dieses Trugbild über Bord,

(Frank Sichau [SPD]: Wir werfen lieber et- was anderes über Bord!)

und wir werden der Realität einen großen Schritt näher kommen.

Unsere Gesellschaft braucht dringend soziale Erneuerung. Zu viele Nichtbedürftige nutzen heute die Bedürftigen aus. Das muss sich ändern, und hier stehen alle politischen Gruppierungen in der Verantwortung.

(Beifall von der FDP)

Die Jugendlichen, die künftig vom Werkstattjahr profitieren werden, sind bedürftig. Ihnen fehlt meist das Vorbild, ein eigener Zukunftsplan. Ihnen fehlen häufig einfache soziale und emotionale Fähigkeiten. Nicht selten leben sie in den Tag hinein und betäuben sich mit Suchtstoffen. Es kann niemand erwarten, dass sich bei diesen jungen Menschen durch das pflichtgemäße Absitzen von zwei oder nur einem Tag in der Woche in den Berufkollegs irgendetwas ändert.

Das Werkstattjahr bietet hingegen zahlreiche Veränderungschancen. Die durchgängige Wochenstruktur verfestigt so einfache Dinge wie das regelmäßige morgendliche Aufstehen, das leider keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Durch den Besuch der überbetrieblichen Werkstätten können Jugendliche praktische Talente entdecken und testen, ein Gefühl für eigene Stärken bekommen. Durch das Betriebspraktikum erhöhen sich die

Chancen, im Anschluss an das Werkstattjahr doch noch einen Ausbildungsplatz oder zumindest Arbeit zu finden. Durch die Möglichkeit, Qualifizierungsbausteine zu erwerben, wird das Werkstattjahr nicht zur Sackgasse für die jungen Menschen, sondern vielmehr ein wichtiger Schritt in ein erfolgreiches Berufsleben.

Nicht ohne Grund waren die ersten Stimmen aus der Opposition und von den Gewerkschaften zum Werkstattjahr durchweg positiv; das ist wenige Tage her.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Auch heute noch!)

Es ist sicher auch eine äußerst gelungene Leistung der neuen Landesregierung, innerhalb von nur wenigen Monaten ein solch großes Projekt zu konzipieren und umzusetzen. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall von FDP und CDU)

Ein Dank gebührt auch den Beteiligten des Ausbildungskonsenses, die mitgewirkt haben, dieses große Projekt innerhalb kurzer Zeit mit auf die Beine zu stellen.

Es bleibt das Problem, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr einfache Jobs weggefallen sind. Nicht jeder Mensch eignet sich für eine hoch qualifizierte Ausbildung. Gerade diese Menschen müssen wir wieder mehr in die Arbeitswelt integrieren. Das ist unsere politische Verantwortung, aber auch die der Unternehmer in diesem Land.

Jeder Mensch in Nordrhein-Westfalen muss die Chance haben, einer Beschäftigung nachzugehen, die seiner Begabung entspricht, mit der er seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten kann.

Unter der Massenarbeitslosigkeit leiden leider die schwächer Begabten deutlich stärker. Schon um dieser Menschen willen sind wir weiterhin gefordert, die Rahmenbedingungen für Arbeit in Nordrhein-Westfalen weiter zu verbessern; Herr Henke hat einige Rahmenbedingungen aufgezählt. Ich hoffe, dass die Koalitionsverhandlungen in Berlin dazu beitragen, dass die Rahmenbindungen für Arbeit in Nordrhein-Westfalen besser werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Bischoff das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neue Ideen zur Unterstützung von Jugendlichen - und gerade von solchen Jugendlichen, die es besonders nötig haben, die besonders viele Schwierigkeiten und Probleme haben - sind zu begrüßen und finden unsere Zustimmung.

Zusätzliche Instrumente, um Jugendliche von der Straße zu holen und ihnen Perspektiven zu vermitteln, finden auch unsere Zustimmung. Die Betonung liegt aber auf „zusätzlich“. Wir haben auch vorher mit der Vorgängerregierung und mit der Vorgängerregierungskoalition eine Menge an Instrumenten entwickelt. Ich warne davor, so zu tun, als sei dies das erste Instrument, das es gebe.

Nein, Nordrhein-Westfalen war Vorbild - auch bundesweit. Ich hatte mehrfach das Vergnügen, an der Konferenz der arbeitsmarktpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen meiner Partei teilzunehmen. Mit dem Werkstattjahr sind wir einen Schritt weiter, um Vorbild zu bleiben. Auch das ist zu begrüßen.

Aber alle Instrumente, die wir entwickelt haben - das müssen wir alle gemeinsam zugeben -, haben nicht dazu geführt, das Phänomen Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen. Sie führen nur dazu, es für eine bestimmte Gruppe zu lindern. Das ist die Wahrheit, mit der wir uns auseinander zu setzen haben.

Deswegen sind in meinen Augen zwei Dinge wichtig: Wir begrüßen zwar das Instrument - Herr Henke, das ist jetzt kein Rummaulen, Nörgeln oder „Haare in die Suppe legen“, damit man sie finden kann -, brauchen aber eine realistische Einschätzung hinsichtlich der Erwartungshaltung gegenüber diesem neuen Instrument.

Dazu kann ich Ihnen als Praktiker, der viel Erfahrung im Bereich Jugendarbeit hat, sagen, dass die Motivation der jungen Menschen - zumindest der 17 000, die beschult werden, weil sie der Berufsschulpflicht unterliegen - ausgesprochen schwierig ist. Sie kommen häufig nicht zum Unterricht.

Wenn Sie mit Lehrerinnen und Lehrern reden, werden Sie wissen, dass diese Klassen halb voll sind und dass sie nur einen Tag haben. Das liegt nicht daran, dass die Vorgängerlandesregierung das so gewollt hätte, sondern weil es Praxis in den Schulen ist, da diese jungen Menschen so schwer zu beschulen sind. Sie kommen häufig nicht zum Unterricht, weil sie keine Perspektive damit verbinden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihre Verantwor- tung!)

Sie haben sich bisher auch nicht für eines der vielen Instrumente, die ich gerade zu skizzieren versucht habe, beworben. Sie haben nirgendwo versucht, in einen Bereich dieses Instrumentenkastens, den es bereits gibt, hineinzukommen. Das zeigt auch, dass ihre Motivation möglicherweise nicht die höchste ist. Und sie sind bei den Sekundärtugenden - das hat Herr Romberg kurz angesprochen - hinsichtlich Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sicherlich nicht die Vorbilder der Gesellschaft; das muss man deutlich sagen.

Jetzt wollen sie vor dem Hintergrund, den ich gerade geschildert habe, drei Ziele in einer Woche erreichen, nämlich erstens die Schule, zweitens den Träger und drittens den Praktikantenplatz.

Da ist es mir ganz wichtig, darauf hinzuweisen: Aus Sicht dieser frustrierten Jugendlichen - nicht aus gesellschaftspolitischer Sicht - ist das, was sie dafür bekommen, nämlich 55 € Erstattung für Fahrtkosten, sicherlich keine hohe Motivation. Die werden nicht die langfristige Perspektive im Kopf haben, sondern erst einmal nur merken, dass sie plötzlich fünf Tage in der Woche antreten müssen, wo sie doch der regelmäßigen Arbeit entwöhnt sind. Ich warne davor, zu glauben, dass das so einfach sein wird. Das scheint mir eine äußerst schwierige Motivationslage zu sein.

Ich warne davor, sollte das nicht so erfolgreich sein, wie Sie das jetzt hoffen, Herr Laumann,