Protokoll der Sitzung vom 18.01.2006

Zweitens. Wir brauchen den Ausbau von Ganztagsangeboten in unseren Schulen und Kindergärten.

Drittens. Wir müssen die Angebote flexibilisieren, wenn wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen, weil sich die Arbeitsplätze auch der Eltern in unserer Arbeitsgesellschaft wandeln.

Viertens. Wir wollen die Qualität in den Einrichtungen verbessern, weil es nicht nur um Betreuung, sondern auch um Bildung geht, nach dem Motto: Auf den Anfang kommt es an.

Und wenn wir diese vier höchst prioritären Anforderungen erfüllt haben – und allein das erfordert enorme Anstrengungen aller Ebenen: vom Bund, vom Land, von den Kommunen und den Eltern –, dann reden wir gerne über Beitragsfreiheit und steuerliche Entlastungen, weil natürlich auch wir wollen, dass Kinder unabhängig vom Portemonnaie der Eltern den Kindergarten besuchen, und weil wir wollen, dass die Infrastruktur und das Angebot so gut sind, dass es Eltern und insbesondere Frauen möglich ist, Kinder und Karriere unter einen Hut zu kriegen, und dass sich wieder mehr für Kinder entscheiden.

Dass wir mit dieser Prioritätensetzung nicht ganz verkehrt liegen, zeigt der Artikel „Nicht zu Ende gedacht“ im „Handelsblatt“ vom 12. Januar; ich zitiere Auszüge:

„Dennoch muss man die Pläne für eine steuerliche Förderung der Kinderbetreuung und das geplante Elterngeld mit Skepsis betrachten. … Es geht vor allem darum, die zunehmend kinderabgeneigten Akademiker zu erreichen. Haupthindernis dieser Gruppe ist nicht in erster Linie fehlendes Geld, sondern der unglaubliche Organisationsaufwand, der nötig ist, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. … Rot-Grün hatte deshalb entschieden, das knappe Geld voll auf den Ausbau der Betreuung zu konzentrieren: bei den ganz Kleinen mit dem Kinderausbaubetreuungsgesetz, bei den Schülern mit den Ganztagsschulen. Das war richtig.“

Meine Damen und Herren, Nachbessern reicht hier nicht. Halten Sie inne! Verteilen Sie keine Steuergeschenke, die niemand bezahlen kann und die in der Substanz nichts bringen. Besinnen Sie sich auf das, was heute notwendig ist! Investieren Sie in die öffentlichen Güter! Denn das ist es, was Eltern und Kinder wirklich brauchen und was gut für unser Land insgesamt ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Als Nächste spricht Frau Doppmeier von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, Sie sprechen von Konzeptionslosigkeit.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist es doch!)

Was das ist, das konnten die Bürger und Bürgerinnen in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren erleben.

(Beifall von der CDU)

Wo waren denn da Ihre Konzepte für Familien? Familien, das war für Sie doch ein veralteter Gesellschaftsbegriff. Wenn wir davon geredet haben, wie wichtig es ist, Familien Unterstützung und Hilfe zu geben, dann haben Sie uns nur belächelt. Jetzt haben auch Sie erkannt: Familie ist die Keimzelle des Staates. Und wenn diese Keimzelle krank oder beschädigt ist, dann hat das Auswirkungen auf den Staat, auf die Gesellschaftsform. Also müssen wir da ansetzen. Endlich haben auch Sie es erkannt.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Zur Sache!)

Frau Löhrmann, Sie kritisieren, diskutiert werde über Vorschläge und Pläne. Aber genau so funktioniert doch konstruktive Konzeptentwicklung: Wir müssen verschiedene Ansätze diskutieren und dann aus allen Ideen den größtmöglichen Synergieeffekt finden. Es gilt, unterschiedliche Ideen zu sammeln. Wir werden sie dann zu einem Leitbild zusammenfügen. Das gehört schließlich zur Demokratie. Das sollten auch Sie wissen.

(Beifall von der CDU)

Es geht um die Auseinandersetzung um den besten Weg zum Ziel. Am Ende steht für uns ein klarer Entschluss: ein klarer Weg für die Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen. Glauben Sie mir: Das

sehen die Familien in Nordrhein-Westfalen ebenfalls so.

Dass derzeit viele Aspekte in der Diskussion stehen, hängt doch damit zusammen, dass Sie es während Ihrer Regierungszeit versäumt haben, etwas für Familien zu tun. Sie werden es sehen: Wir diskutieren, wir entscheiden und wir handeln – im Gegensatz zu Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Jetzt haben auch Sie erkannt, dass Kurskorrekturen überfällig sind, und zwar sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene. Wir stärken nämlich die Familien und schaffen neue Arbeitsplätze. Lassen Sie mich es so zusammenfassen: Familie schafft Arbeit! Mit der verbesserten Absetzbarkeit von den Kinderbetreuungskosten schaffen wir nicht nur Arbeitsplätze, sondern wir machen es auch für die Familien attraktiv, sich Tagesmütter zu nehmen, diese legal zu beschäftigen und damit aus dem Schwarzmarkt herauszuholen. Das heißt, das hilft den Eltern, die auf diese Weise ihre Kinderbetreuung endlich variabel gestalten können. Somit dient es genau dem Ziel, das wir, denke ich, alle haben: zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu kommen. Nicht nur den Eltern hilft es. Es hilft auch ganz vielen Frauen, die Teilzeitbeschäftigungen suchen und die hier eine Möglichkeit sehen, mit entsprechender Qualifizierung eine neue Berufsperspektive zu bekommen.

Meine Damen und Herren der Opposition, was ist denn die Bilanz Ihrer Arbeit? Kinder in Armut! Eine Million Kinder in Deutschland leben von Sozialhilfe, genauso wie 350.000 Alleinerziehende. Immer wenige junge Familien erhalten Unterstützung vom Staat, wenn ein Kind geboren wird. Was machte denn Rot-Grün? Rot-Grün senkte die Einkommensgrenze für das Erziehungsgeld so lange, bis die Durchschnittsfamilie in Deutschland leer ausging. Das war Ihr „Erfolg“.

(Beifall von der CDU)

Wir diskutieren über das Elterngeld, weil wir es für unzumutbar halten, dass sich junge Menschen zwischen Beruf und Kindern entscheiden müssen. Wie die Ausgestaltung dieses Elterngeldes genau aussieht, das lassen Sie uns doch in einem zielorientierten Dialog gemeinsam entwickeln.

Lassen Sie mich noch eine weitere Ihrer Nichtleistungen für Familien nennen: Rot-Grün strich den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende. Auch hier hat die Union den steuerlichen Freibetrag wieder gerettet – und nicht Sie haben das für die Familien getan.

(Beifall von CDU und FDP)

Auch der Ausbau der Kinderbetreuung blieb bei Ihnen auf der Strecke. Es gab unseriöse Finanzierungspläne und Familien gingen leer aus.

Ich habe auch noch eine weitere Stufe Ihrer „Erfolgsbilanz“: Rot-Grün verdanken es die Frauen, dass sie die Verliererinnen bei den Hartz-Gesetzen sind. Wer ein Kind bekommt und in den Beruf zurückwill, der darf nicht mehr auf die Unterstützung der Behörden zählen. Was war das Resultat? Nur 29 % der unterstützten Arbeitslosen sind Frauen. So geht es nicht weiter, nicht mit uns!

Was wollen wir? Frauen brauchen eine eigene Existenzsicherung. Es besteht dringender Handlungsbedarf für Kinder, die nicht in der Fürsorgeleistung verbleiben sollen, und für Familien, denen die Sozialhilfe erspart bleiben muss. Es stärkt vor allem die Kinder, wenn wir die Familien endlich aus der Sozialhilfe herausholen.

Meine Damen und Herren, Sie sprechen vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Politik jetzt von Konzeptionslosigkeit? Ich denke, das entlarvt Sie selber. In einem Punkt muss ich Ihnen allerdings zustimmen: Familien in Nordrhein-Westfalen brauchen Klarheit und Perspektive. Die – Sie werden es sehen – erhalten sie durch unsere Politik. Darum beginnen wir jetzt, ein breites Netzwerk an Familienzentren hier in Nordrhein-Westfalen aufzubauen, in denen alle Eltern wohnortnah und schwellenfrei Zugang zu den unterschiedlichsten Leistungen haben und dadurch die Möglichkeit erhalten, ihre Erziehungskompetenz gestärkt zu bekommen.

Genau dafür steht die CDU. Wir geben Familien Hilfe, Beratung und Unterstützung auf ihrem nicht einfachen Weg, Kinder zu erziehen, und zwar in einer Welt, in der immer mehr Menschen nach Werten, Stabilisierung und Orientierung suchen. Wir haben uns schon immer für die Familien stark gemacht. Das werden wir auch weiterhin tun. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes werden uns das danken.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Doppmeier. – Frau Fischer von der SPDFraktion hat nun das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir Frauen und Männer darin unterstützen wollen, ihren Kinderwunsch zu realisieren, brauchen wir drei Dinge, die für die Familienpolitik entscheidend sind: erstens eine

klare Perspektive für Familien, zweitens Verlässlichkeit und drittens ein breites Bündnis für Familien und ein familienfreundliches Klima.

Ich blicke auf die letzten Jahre zurück, die die Familienpolitik entscheidend geprägt haben: RotGrün in Nordrhein-Westfalen, Rot-Grün in Berlin.

(Heiterkeit von Manfred Kuhmichel [CDU])

Es gab konsequente und kontinuierliche Perspektiven, die auch Schritt für Schritt umgesetzt wurden. Die rot-grüne Koalition hat in NordrheinWestfalen gerade der Aufgabe der Familienpolitik eine hohe Priorität eingeräumt: durch konsequenten Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen, durch Stärkung der Bildungs- und Beratungsangebote und nicht zuletzt durch die Landesinitiative Chancengleichheit, die zusammen mit Arbeitgebern, Kammern und Gewerkschaften Modelle für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für flexiblere Arbeitszeiten und für eine Förderung der Frauenerwerbstätigkeit in qualifizierten Berufen und auch in Führungsfunktionen entwickelt hat. Auf der Bundesebene geschah das durch Steigerung des Kindergeldes, durch steuerliche Entlastung für Familien und dergleichen mehr.

Doch was geschieht nun? Es gab hier und dort einen Regierungswechsel. Ich schaue mich um und frage mich: „Oh Gott, was ist eigentlich in diesem Land los? Weiß die eine Hand überhaupt noch, was die andere tut?“

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident lässt nicht nach, zu wiederholen, wie wichtig ihm Kinder sind. Er ruft 2006 zum Jahr des Kindes aus. Er betont die Notwendigkeit, in Bildung zu investieren. Er sagt: Vorrang für Bildung!

Doch was tut Rüttgers wirklich? Er kürzt massiv: bei den Kindergärten 116 Millionen € Sachkosten und bei der Bezuschussung der Kindergartenbeiträge 75 Millionen €. Er verlagert diese Verantwortung auf die Kommunen und zwingt sie damit indirekt zu einer Beitragserhöhung. Er kürzt bei der gesamten Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien – im Kindergarten, in der Jugendhilfe, der Erziehungsberatung, der Krisenintervention, der Suchtvorbeugung und dergleichen mehr – und glaubt, mit dem Zauberwort seines Familienministers, der von Familienzentren redet und alles unter einem Dach zusammenfassen will, darüber hinwegtäuschen zu können, dass die Familieninfrastruktur massiv abgebaut wird.

(Beifall von der SPD)

Was ich Herrn Rüttgers wirklich vorwerfe, ist die Tatsache, dass er in der Öffentlichkeit zwar populistisch die richtigen Themen benennt, dann aber einen falschen Eindruck erweckt, weil er nämlich anders handelt und hinter seinen Worten die Wirklichkeit versteckt.

(Beifall von der SPD)

Für klare Perspektiven braucht man den Mut, Klartext zu reden, gemeinsam mit allen Akteuren Konsequenzen zu ziehen und Verantwortung nicht abzuwälzen.

Inzwischen zeigt sich ein „System Rüttgers“, das lautet: Versprechen, sich aus der Affäre ziehen und andere anklagen.

(Beifall von der SPD – Widerspruch von der CDU)

Der Rückzug aus der Mitfinanzierung des Defizits bei den Kindergartenbeiträgen belegt dies sehr gut.

(Zuruf von der CDU: Ach!)