Protokoll der Sitzung vom 15.03.2006

Die harten Fakten sind: Sie benötigen über 14.000 Stellen zur Einlösung ihrer bildungspolitischen Versprechungen, beispielsweise Englisch ab Klasse 1, die Ausweitung des Unterrichts in der Sekundarstufe I, für die Bekämpfung des Unterrichtsausfalls oder die Förderung des Ganztags. Macht unter dem Strich summa summarum 700 Millionen €.

Wir haben diesen Antrag deshalb gestellt, weil es die Landesregierung in mittlerweile zehn Monaten Amtszeit nicht geschafft hat, in diesem zentralen Politikfeld für Klarheit zu sorgen, ganz im Gegenteil. Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen, kommunale Schulträger sowie Gewerkschaften und Verbände sind mehr als irritiert über die bildungspolitische Geisterfahrt dieser Regierung.

(Beifall von der SPD – Unruhe – Glocke)

Transparenz und Verlässlichkeit haben Sie angekündigt, Herr Dr. Rüttgers. Ich kann dazu nur sa

gen: Wer bei Ihrer Regierung Transparenz sucht, der ist verlassen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass diese Regierung gerade in der Bildungspolitik keinen Kompass hat. Sie weiß offensichtlich nicht, wohin die Reise gehen soll.

(Beifall von der SPD)

Angesichts von soviel hektischer Orientierungslosigkeit ist es mehr als angebracht, dass die Landesregierung dem Landtag und vor allem den Menschen in diesem Land endlich einmal klipp und klar oder besser transparent und verlässlich mitteilt, was sie wann mit welchen Mitteln umsetzen möchte.

(Beifall von der SPD)

Dies ist bislang nicht geschehen, aber trotzdem bitter nötig.

Betrachten wir beispielsweise die vollmundigen Versprechungen von CDU und FDP vor der Wahl. Die CDU wollte 4.000, die FDP gar 8.000 neue Lehrerstellen als Sofortmaßnahme schaffen, um den Unterrichtsausfall zu bekämpfen. Die CDU wollte eine Unterrichtsgarantie einführen, die FDP gar ein Unterrichtssicherungsgesetz beschließen.

Wir möchten nun von Ihnen wissen: Wann werden Sie hier tätig? Wann liegt uns der Entwurf des Unterrichtssicherungsgesetzes vor? Wann kommt die Unterrichtsgarantie und wie sieht sie aus? Gibt es eine echte Garantie oder wieder nur eine Mogelpackung wie die angebliche Geld-zurück-Garantie von Herrn Pinkwart bei seinen Studiengebühren? Oder gilt auch hier Rüttgers Gesetz: „versprochen und gebrochen“?

Die Menschen in NRW wollen von Ihnen wissen, wann sie mit welchen Maßnahmen rechnen können, und sie wollen wissen, wie Sie das finanzieren wollen. Wir reden hier nicht über Peanuts. Nein, hier geht es entsprechend Ihres Koalitionsvertrages um Tausende von zusätzlichen Lehrerstellen und um sehr viel Geld.

Dabei wird in unserem Antrag deutlich, dass in den 710 Millionen € noch nicht einmal die Kosten beispielsweise für Lernstudios oder Sprachstandsfeststellungen eingerechnet sind. Legen Sie endlich offen, ob und wie Sie das schulische Personal aufgrund des demographischen Wandels, sprich: aufgrund rückläufiger Schülerzahlen, anders einsetzen möchten. Wann wollen Sie welche Maßnahme einführen, und wie wollen Sie diese Maßnahmen finanzieren?

Oder wenden wir unseren Blick auf das zweite Schulrechtsänderungsgesetz, das bereits zum 1. August, also in wenigen Monaten, in Kraft treten soll. Dabeii

warten Sie natürlich nicht die wissenschaftliche Auswertung des Modellprojekts „Selbstständige Schule“ ab, immerhin des größten entsprechenden Modellvorhabens in der ganzen BRD. Nein, Sie handeln direkt frei nach dem Motto der Sheriffs im Wilden Westen: Erst schießen, dann fragen!

(Beifall von der SPD)

Oder liegt Ihnen etwa der Zwischenbericht der Auswertung schon vor? Mir noch nicht. Jedenfalls werden künftig über 6.500 Schulleiter in NRW Dienstvorgesetzte. Das scheint für Sie das einzige zentrale Thema bei dem Modellversuch gewesen zu sein. Dieses Stärken seiner Stellung in der Schule bedeutet aber gleichzeitig, dass eine Fülle neuer Aufgaben auf den Schulleiter wartet. Die Schulleiterinnen und Schulleiter müssen gezielte Schulungs- und Qualifizierungsangebote erhalten, um ihren neuen Aufgaben gerecht werden zu können. Darüber hinaus werden sie zwingend mit neuen Verwaltungsaufgaben konfrontiert, Aufgaben, die sie zeitlich noch stärker belasten als bisher.

Planen Sie, Verwaltungskräfte in die Schulen zu schicken? Woher sollen diese Stellen kommen? Planen Sie Umschichtungen des Verwaltungspersonals aus den Ministerien oder bei den Bezirksregierungen, oder wird es zusätzliche Stellen geben? Wie wollen Sie was wann machen, und wie wollen Sie das finanzieren? Diese Frage bleibt leider offen, weil Sie die Antwort bis jetzt schuldig geblieben sind.

(Beifall von der SPD)

Gleiches gilt für die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für über 6.500 Schulleiter. Wie wollen Sie diese Maßnahmen finanzieren? Wann gibt es die Angebote? Für wen gibt es diese Angebote?

Mal abgesehen davon: Die zentrale Frage, wie das Fortbildungskonzept zeitlich aussehen soll, haben Sie auch noch nicht beantwortet. Welche Pläne haben Sie hier? Was wollen Sie hier wann machen, und wie wollen Sie das finanzieren?

Ich komme noch einmal zurück auf die geplanten Sprachstandsfeststellungen vor der Einschulung. Wir reden hier über 180.000 Kinder in ganz Nordrhein-Westfalen. In Duisburg, meiner Heimatstadt, führen wir diesen Test schon seit Jahren durch. Ich weiß also, wovon ich rede, und ich weiß, was das kostet.

Es wäre jetzt an Ihnen, zu erklären, wer diese Tests durchführen soll und wer diese Tests auswertet. Hier wird der Finanzminister erhebliche Mittel zur Verfügung stellen müssen. Die Frage,

die sich mir stellt, ist nur wann und in welchem Umfang. Es bleiben viele Fragen. Ich bekomme leider keine Antworten.

Meine Damen und Herren, werden Sie endlich konkret und legen Sie ein Konzept vor, in dem transparent nachvollziehbar ist, wann Sie welche bildungspolitischen Maßnahmen umzusetzen gedenken und vor allem wann Sie die entsprechenden Personal- und Sachkosten decken wollen.

Apropos Sachkosten! Wenn der Ministerpräsident mir jetzt einmal ganz kurz zuhören würde? Er hat am 13. Juli 2005 wörtlich in seiner Regierungserklärung gesagt:

„Wir werden die Schulen in die Lage versetzen, … eigenständig über ihre Mittel in Form von Stellen- und Sachmittelbudgets zu entscheiden.“

So weit der Ministerpräsident.

Ich frage mich: Warum hat man von der Landesregierung seitdem absolut nichts mehr zu diesem zentralen Punkt gehört? Was ist mit den Sachmittelbudgets? Soweit ich mich erinnere, wollten Sie einen gemeinsamen Topf mit den kommunalen Schulträgern bilden. Wie sieht es damit aus? Wann gibt es die Sachmittelbudgets für die Schulen, und welchen Umfang werden sie haben? – Viele Fragen, von Ihnen aber bis jetzt leider keine Antworten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Von daher mein abschließender Appell an die Landesregierung: Lassen Sie die Schnellschüsse und den Aktionismus sein, und legen Sie einen Stufenplan vor, aus dem man transparent erkennen kann, wann womit zu rechnen ist! Versuchen Sie es doch einmal auf die seriöse Tour! Wir als SPD-Fraktion sind daran interessiert, konstruktiv mit Ihnen gemeinsam bildungspolitisch sinnvolle Maßnahmen zu erarbeiten.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Worte sind schön, aber Hühner legen Eier. – Denken Sie einmal darüber nach! – Ich danke Ihnen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Link. – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Recker das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon abenteuerlich, von uns einzufordern, das in weni-i

gen Monaten nachzuholen, was Sie in 39 Jahren versäumt haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich will die Gelegenheit nutzen, darauf zu verweisen, dass der vorliegende Antrag in einer Passage Recht hat. Es ist richtig, dass die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen einen ambitionierten Koalitionsvertrag im Bildungsbereich geschlossen haben.

(Beifall von der CDU)

Es ist richtig: Wir werden 4.000 neue Lehrerstellen schaffen. Es ist richtig: Jährlich wird es 120 Millionen € für neue Ganztagsangebote geben. Es ist richtig, dass wir das Einschulungsalter auf fünf Jahre vorziehen. Und es ist richtig, dass es besondere Förderangebote für Kinder gibt. Es ist auch richtig, dass wir Schulen mit hohem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund besser ausstatten werden. Ferner ist es richtig und wichtig, dass wir all diese Maßnahmen auf den Weg bringen. Denn genau hier hat Rot-Grün seit Jahrzehnten versagt.

Es wäre total falsch, wenn wir in das alte Schema sozialdemokratischer Bildungspolitik verfielen und unsere grundlegenden Reformen auf einem Stufenplan – vielleicht sogar auf einem sogenannten verlässlichen Stufenplan – aufbauten. Rot-Grün hat uns gelehrt, dass an Stufenplänen nur eines verlässlich ist: Sie sind nicht verlässlich.

Bei dem Begriff „verlässlicher Stufenplan“ müssten bei Ihnen, Frau Schäfer, eigentlich alle Ampeln auf Rot gehen. Denn wir wissen, was das bedeutet hat.

(Beifall von der FDP – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ja, sehr gut!)

Wir erinnern uns an die damalige vollmundige Ankündigung von Frau Behler, 6.100 Stellen zusätzlich zu schaffen – 6.100 Stellen, von denen Sie gerade einmal 4.100 umgesetzt haben. 2.000 Stellen haben Sie als Luftnummer gebucht und durch die Mehrarbeit der Lehrerinnen und Lehrer erwirtschaftet. Das ist die Wahrheit.

(Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

Frau Schäfer, erklären Sie uns nicht die Funktion von Stufenplänen. Sie haben den Wortbruch mit begangen, und das sollte Ihnen eigentlich eine Lehre sein.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie regieren jetzt, Herr Kollege!)

Wie das mit den Stufenplänen wirklich war, lehrt uns eine Pressemitteilung der GEW vom November 2003:

„Endlich Klarheit! Der Stufenplan ‚Verlässliche Schule’ ist tot.“

Später heißt es:

„Die Schulministerin musste zugeben, dass das Versprechen, 6.100 zusätzliche Lehrerstellen bis 2005 zu schaffen, gebrochen wird.“