Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Aber – jetzt muss ich wiederum einen Tropfen Wasser in den Wein schütten – dieser Betrag wird durch die Rückzahlungen von sogenannten privaten Vorfinanzierungen von Tunnelmaßnahmen in Wuppertal und Plettenberg belastet. Ich tue mich schwer mit dem Begriff „private Vorfinanzierungen“; denn das ist ein Etikettenschwindel einer großen Kategorie: Bis 2022 werden in der Spitze bis zu 16 Millionen € pro Jahr aufgebracht werden müssen, um die Kosten dieser sogenannten privaten Vorfinanzierungen abzudecken. Das schmälert natürlich über einen sehr langen Zeitraum, der über die Geltung des Bedarfsplans hinausgeht, das Investitionsvolumen.

Ich bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss und hoffe, dass die Opposition die Blockadehaltung, die sie bei der IGVP an den Tag gelegt hat, überwindet und bei dem Bedarfsplan zu einer dem Lande dienenden Kooperation findet. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Schulte. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Keymis.

(Zuruf von der SPD: Immer der Größe und der Stimmenzahl nach! – Gegenruf von Syl- via Löhrmann [GRÜNE]: Der Stimmenzahl nach, ganz genau!)

Bitte schön, Herr Keymis hat jetzt das Wort, meine Damen und Herren.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über die herzliche Atmosphäre, die zwischen den Kollegen herrscht, obwohl das Thema eigentlich gar nicht so lustig ist. Immerhin geht es um die vom Minister jetzt durchgepeitschten IGVP, die die Grundlage für das Landesstraßenausbaugesetz bildet, über das hier diskutiert wird.

(Minister Oliver Wittke: Sechs Jahre!)

Herr Minister, ich weiß das alles ganz genau. Ich bin im sechsten Jahr im Parlament, also müssen Sie mir das nicht vorrechnen. – Die IGVP – die Integrierte Gesamtverkehrsplanung – war die Grundlage dessen, was jetzt vorliegt. Herr Wittke, wir haben bereits im Ausschuss darüber diskutiert, dass dieses Verfahren insgesamt nicht so gelaufen ist, wie man sich das für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorstellt. Wir haben übrigens auch die Problematik, dass Sie landauf, landab erklären, dass Sie die Schienenvorrangpolitik des Landes jetzt beenden, obwohl sie noch im IGVPGesetz steht. Von daher haben wir es hier insgesamt mit einer Situation zu tun, die, jedenfalls aus unserer Sicht, nicht rechtskonform ist.

Diese Auffassung ist auch begründet, und zwar nicht durch uns, sondern durch die Aussagen, die wir in der Anhörung am 26. April gemeinsam entgegennehmen konnten. Es wurde uns ein über 80-seitiges Protokoll vorgelegt, in dem die Aussagen der Anzuhörenden stehen, die uns noch einmal deutlich und sehr eindrucksvoll dargelegt haben, dass es sich nach ihrer Einschätzung bei der IGVP nicht um eine wirkliche integrierte Gesamtverkehrsplanung handelt, und zwar nicht aufgrund ihrer Systematik, sondern aufgrund der Durchführung des Verfahrens. Ich zitiere aus der Stellungnahme des Städtetags Nordrhein-Westfalen Drucksache 14/0340 Seite 2:

„Vor der Ermittlung der bedarfsplanrelevanten Infrastrukturvorhaben hätte eine landesverkehrspolitische Gesamtverkehrskonzeption als landespolitisches Zielkonzept und landespolitischer Handlungsrahmen erstellt und beraten werden müssen. Diese integrative Grundlage und Klammer fehlt gänzlich.

Die Infrastrukturvorhaben sind nur einzeln und nicht in ihrern (teilräumlichen) Gesamtwirkungen und den Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsträgern bewertet worden. Dieser Schritt hin zu einem die Verkehrsträger integrierenden Infrastrukturplan ist völlig ausgelassen worden.“

Das ist aus der Stellungnahme des Städtetags zu der Anhörung. Ich könnte so fortfahren. Herr Mi

nister, die IGVP, so, wie Sie sie zu Ende gebracht haben, ist nicht die IGVP, wie wir sie begonnen haben. Das macht die Problematik deutlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Minister Oliver Wittke: Da lag auch eine Wahl dazwischen!)

Jetzt verfahren Sie entsprechend. Sie haben das Verfahren schon in einer Weise durch die Regionalräte gepeitscht, dass die dort ehrenamtlich tätigen Politikerinnen und Politiker nicht in der Lage waren, die über 600 Projekte – Bahn-, Auto- und Straßenprojekte – wirklich umfassend zu überprüfen. Sie haben Ihren Kollegen Uhlenberg im Kabinett düpiert, indem Sie ihm die Unterlagen für die entsprechende Kabinettssitzung 48 Stunden vorher zugeleitet und ihn gebeten haben, das zu überprüfen. Die Experten – seine Beamten – haben dem Minister in einem Brief geschrieben: Das können wir nicht. Wir halten dieses Vorgehen rechtlich für bedenklich. – Herr Minister, Sie können weiter scherzen und schwätzen, aber Sie kommen um diese Diskussionslage leider nicht herum. Sie ist Fakt. Das liegt schriftlich vor.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es macht an dem Punkt auch keinen Spaß, darüber hinwegzulächeln – auch wenn Sie sich jetzt hier kraft Ihrer Mehrheit brachial und über alles hinweg durchsetzen. Die Kritik an der mangelnden Beteiligung ist nicht nur von Ihrem Kollegen Uhlenberg, sondern auch vom Städtetag geäußert worden. Auf diese Weise ist die Situation entstanden, vor der wir heute stehen.

Die eigentliche Sorge, die Sie immer haben, ist doch, dass Sie die Strategische Umweltprüfung durchführen müssen, die ab dem 20. Juli 2006 auch in Nordrhein-Westfalen Pflicht ist. Das ist eine europäische Gesetzgebung. Deshalb haben Sie den Gesetzentwurf auch heute schon eingebracht. Deshalb haben Sie bereits am 11. Mai den Ausschuss mit seiner schwarz-gelben Mehrheit das Einvernehmen herstellen lassen. Im Prinzip haben Sie damit die Diskussion über die IGVP sehr schnell beendet.

Wir hatten zwischen der Kenntnisnahme des Protokolls, das über 80 Seiten umfasst, und der Ausschussentscheidung exakt zwei Tage Zeit. Die Kollegen wissen, wovon ich rede. Die anderen Kollegen wissen es auch, aber sie brauchen es ja nicht mehr zu lesen. Ihr hebt nur noch die Hand, wenn es darauf ankommt, Herr Schemmer.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Bern- hard Schemmer [CDU])

Deshalb braucht Ihr Euch mit den Aussagen derer, die die Anhörung sehr kritisch gestaltet ha

ben, gar nicht mehr auseinander zu setzen. Das ist ja auch klar.

Der Herr Minister hat eben angekündigt, dass er mit derselben Dynamik weiterarbeiten will. Auch das ist mir klar. Herr Kollege Schulte, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie irgendwann einmal eine neue Platte auflegen würden. Sie haben immer dieselben Platten.

(Zuruf von der SPD: Die Rückseite!)

Noch ein Tipp: Wir leben im CD-Zeitalter. Da kann man auf „Repeat“ drücken. Damit haben Sie es einfacher. Das, was Sie uns hier vorgehalten haben – Blockadepolitik, die Straßenpläne seien möglicherweise nach den Wünschen einzelner Abgeordneter entschieden worden –, halte ich für ziemlichen Humbug. Sie haben auch keinen Beleg dafür.

Aber als ich Ihnen im Ausschuss einen Beleg vorgetragen habe, der nicht von mir, sondern von den Bürgern in Mönchengladbach stammte, nämlich dass der Kollege Schroeren als Immobilienmakler, als Mitglied des Stadtrates und als Mitglied des Landtags die L 19 politisch vorantreibt, die bei Ihnen jetzt in Stufe 1 steht, haben Sie sich aufgeregt. Sie finden es politisch nicht in Ordnung, wenn man einmal ausspricht, was politisch Fakt ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber Ihre pauschalen Vorwürfe, Herr Kollege Schulte, die Sie an die SPD-Kollegen und an uns gerichtet haben – angeblich wegen der Vergangenheit –, ziehen nicht. Herr Kollege Haseloh hat schön auf die großen Sprüche hingewiesen, die noch vor der Wahl gemacht worden sind. Herr Rasche, darin waren Sie Meister. Sie haben erklärt, wie viel Sie für den Ausbau in den Haushalt einstellen wollten. Hinter Ihnen sitzt Ihre haushaltspolitische Sprecherin. Sie springt Ihnen ins Genick, wenn Sie heute vorschlagen, pro Jahr 167 Millionen € in den Neubau von Straßen zu stecken. Das war Ihr haushaltspolitischer Vorschlag, den wir mit einer Mehrheit – das war eine Mehrheit der Vernunft, wenn ich das einmal so sagen darf – abgelehnt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Machen wir uns an dieser Stelle nichts vor. Herr Minister, ich habe den festen Eindruck, dass Sie hier einen Landesstraßenausbauplan vorlegen, der dem entspricht, was man ideologisch „Straßenausbaupolitik“ nennen kann. Den Schienenvorrang haben Sie sowieso erledigt. Jetzt wird eben gebaut, so gut es geht.

Ein Problem bleibt Ihnen erhalten, und das finde ich entscheidend – Herr Rasche, wir kehren in dem Punkt in ein paar Jahren alle wieder zur Vernunft zurück –: Mit jeder Straße, die wir neu bauen, vergrößern wir das Problem, dass wir die Straßenerhaltung nicht finanzieren können.

Tatsache ist, dass wir immer noch nicht – das ist auch die Kritik an unserem ehemaligen Koalitionspartner – die Systematik umstellen, mehr Geld für den Erhalt von Straßen als für den Neubau von Straßen auszugeben. Dass Sie sich dieser Systematik nicht verschreiben, weil ja für Sie Straßenbau über alles geht, ist mir klar, aber wir haben es in der alten Koalition leider auch nicht aushandeln können. Diese umgestellte Systematik führt am Ende dazu, dass wir das hochdichte Straßennetz in Nordrhein-Westfalen für die Menschen in einem befahrbaren Zustand halten können.

So wie Sie jetzt agieren und wie auch der Gesetzentwurf lautet, geht das genau in die andere Richtung. Vor dem Hintergrund kann ich nur sagen: Es ist bitter für uns. Es ist bedauerlich für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Ich glaube auch nicht, dass es zu wesentlich Neuem führt, das für die Menschen von großem Vorteil ist. Sie machen vielmehr die falsche Politik an der Stelle weiter, an der wir sie immer kritisiert, aber bisher nicht durchgesetzt haben. Aber dass man sich als kleiner Partner nicht immer durchsetzt, Herr Rasche, werden Sie gleich noch einmal beweisen, wenn Sie uns erklären, wie Sie die 167 Millionen € im nächsten Jahr in den Haushalt einstellen, die Sie, als Sie noch nicht an der Regierung waren, gefordert haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön. – Für die FDP hat Herr Kollege Rasche das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf kommt die Landesregierung einer gesetzlichen Verpflichtung nach, die Rot-Grün über Jahre hinweg ignoriert hat. In § 1 des Landesstraßenausbaugesetzes vom 20. April 1993 heißt es:

„Für den Bau neuer und die wesentliche Änderung bestehender Landesstraßen in der Landesstraßenbaulast des Landes wird ein Landesstraßenbedarfsplan aufgestellt, …

Der Landesstraßenbedarfsplan umfasst die langfristigen Planungen für Landesstraßen; …

Nach Ablauf von jeweils fünf Jahren wird der Landesstraßenbedarfsplan durch Gesetz fortgeschrieben.“

Dieser gesetzlichen Verpflichtung hat sich die rotgrüne Mehrheit Anfang 1999 per Landtagsbeschluss entledigt. Zu groß war damals der Investitionsstau im Landesstraßenbau, sodass man den tatsächlichen Bedarf nicht durch eine Fortschreibung offen legen wollte. Das ist doch der wahre Grund, warum Sie das Gesetz nicht fortgeschrieben haben.

Seitdem hat das Verkehrsministerium im Wege der Ausnahmeregelung von § 5 Landesstraßenausbaugesetz alleine über Änderungen des Landesstraßenbedarfsplans entschieden. Auf diesem Weg, der nach dem Gesetz eigentlich auf Einzelfälle bei unvorhergesehenem Bedarf beschränkt bleiben soll, sind insgesamt 60 Projekte neu in dem Landesstraßenbedarfsplan aufgenommen worden.

(Oliver Keymis [GRÜNE]: Keine Blockade!)

60 neue Projekte!

(Oliver Keymis [GRÜNE]: Eben!)

Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie für diese 60 Projekte vorher keinen Bedarf gesehen hatten und sie alle völlig unvorhergesehen waren, wie es das Gesetz vorgibt. Nein, das war Willkürpolitik pur. Mit dem Verkehrsausschuss des Landtags wurde dabei lediglich das Benehmen hergestellt.

Der alte Bedarfsplan von Rot-Grün aus dem Jahre 1993 enthielt für die Stufe 1 einen Investitionsrahmen von 1,3 Milliarden €. Die Haushaltsansätze für das Landesstraßenausbauprogramm waren allerdings viel zu gering, um überhaupt zu diesem Bedarfsplan zu passen. Unterdeckung unter RotGrün, Herr Haseloh: 500 Millionen €. Sie müssten sich zumindest überlegen, was Sie uns für die Zukunft vorlegen. Das können Sie noch gar nicht belegen, weil wir noch nicht wissen, wie die Haushaltsansätze in neun oder zehn Jahren sein werden. Sie müssen sich zumindest vorhalten lassen, dass Sie bei Ihren Plänen in den vergangenen zehn Jahren eine tatsächliche Unterdeckung von 500 Millionen € hatten. Das ist das Ergebnis Ihrer Verkehrspolitik.

Die Auswahl der Maßnahmen orientierte sich am Bewertungsergebnis der IGVP, insbesondere am Nutzen-Kosten-Quotienten. Denn angesichts der schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen ist es unabdingbar, die einzelnen Vorhaben streng nach dem wirtschaftlichen Nutzen zu bewerten. Bei dieser Haushaltssituation bleibt uns nichts anderes

mehr übrig. Wir haben einen riesigen Investitionsstau, auch im Neubau: 500 Millionen € von Ihnen in Ihrem Programm hinterlassen. Zudem haben wir einen Riesenschuldenberg von 112 Milliarden €. Das sind die beiden Fakten.

(Bodo Wißen [SPD]: Sie setzen noch einen drauf!)

Wir haben keine andere Wahl, Herr Wissen. Wir hatten doch eben schon einmal den Begriff von Wissen und Unwissen in einer Person. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, ob ich Sie „Wißen“ oder „Unwissen“ nennen soll, mein lieber Kollege. Ich habe am Ende für Sie persönlich, Herr Wißen, weil ich Sie schätze, die große Angst, dass Sie das, was Sie hineinrufen, tatsächlich glauben. Das wäre schade.