Herr Finanzminister, unser Ministerpräsident hat von den Problemen gesprochen, die entstehen, wenn zwar Steuern gesenkt werden und daraus große Ausfälle bei der öffentlichen Hand resultieren, aber keine Arbeitsplätze entstehen. Also, die Steuern werden gesenkt, aber trotzdem entstehen keine Arbeitsplätze. Ist diese Finanzierungslücke, die mit 5 bis 8 Milliarden € beziffert wird, für Sie kein Problem? Und was passiert, wenn sich die Wirtschaft nicht wie im Moment in einem Aufwärtstrend befindet, sondern weniger boomt und daraufhin große steuerliche Ausfälle entstehen? Ist diese im Moment noch vorhandene Finanzierungslücke für Sie kein Problem?
Herr Sagel, vielleicht hören Sie sich meine Ausführungen weiterhin an. Ich werde auf die Finanzierungslücke noch ausgiebig zu sprechen kommen. Ich möchte Ihnen allerdings eines sagen: Der Ministerpräsident hat nie erklärt, dass es keine Auswirkungen hinsichtlich des Arbeitsmarktes gebe. Er hat vielmehr deutlich gemacht, dass nicht die einfache Rechnung gelte, dass Arbeitsplätze in dem Maße entstünden, wie die Steuern gesenkt würden. Das ist eine Binsenwahrheit, und ich habe deshalb zu Recht auf die unterschiedlichen Verhältnisse heute und zu einer Steuerreform zu Zeiten von Stoltenberg verwiesen. Da Sie sich vermutlich damals nicht mit Steuerrecht beschäftigt haben, sollten Sie das mal nachlesen. Dann werden Sie die Unterschiede sehr deutlich erkennen, und insofern gebe ich ihm in dieser Beziehung Recht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die steuerliche Entlastung soll nur bei Gewinnen greifen, die im Unternehmen bleiben. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Und inwieweit dann Ihre Forderungen nach einer weitgehenden Unterstützung des Mittelstandes berechtigt sind oder nicht, möchte ich noch aufgreifen.
Es geht um die Stärkung der Attraktivität des Standortes und keine Unternehmensteuerreform nur für Kapitalgesellschaften. Falls ich den Antrag richtig interpretiere, sind wir uns hier einig.
Außerdem geht es um die Beseitigung von Strukturdefiziten auch bei der Gewerbesteuer und die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Kommunen. Auch dazu möchte ich gerne etwas sagen, weil wir an der Stelle sehr unterschiedlicher Meinung sind.
Ferner geht es um die Eindämmung übermäßiger Finanzierungsgestaltungen, also um das, was immer unter „Missbrauch“ und „Gewinnverlagerung ins Ausland“ zu verstehen ist.
Erfüllen die Vorschläge aus dem Bundesfinanzministerium diese Vorgaben? – Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Die Absenkung des Körperschaftssteuersatzes von 25 % auf 15 %, wie Steinbrück das vorgeschlagen hat, kostet alleine schon 11 Milliarden €. Das sage ich Ihnen nur, damit Sie einmal nachvollziehen können, in welchen Größenordnungen argumentiert wird. Rotgrün selber hat schon beim Jobgipfel ein Niveau von 19 % vorgeschlagen, und zwar ohne eine Gegenfinanzierung. Auch daran müssen Sie sich natürlich messen lassen.
Die vorgesehene Senkung der Gewerbesteuermesszahlen sowie die verbesserte Anrechnung der Gewerbesteuer werden mit 10 Milliarden € zu Buche schlagen. Eine generelle Thesaurierungsbegünstigung ohne Bedingungen und Begrenzungen für Personenunternehmen – Frau Walsken, so hat das aus Ihrem Mund geklungen – würde ein zusätzliches Finanzierungsloch in Höhe von rund 6 Milliarden € aufreißen.
Es wird viel diskutiert, ohne dabei Zahlen zu nennen, weil man dann beliebig schieben kann, je nach der Gruppe, vor der man spricht. Dazu sage ich Ihnen nur: Rechnet man zu den Defiziten auch noch die Steuerausfälle aus der vorgesehenen Einführung einer Abgeltungssteuer dazu – auch das ist geplant –, kostet das insgesamt 29 Milliarden €. Das ist zwar nicht finanzierbar, aber Sie, Frau Walsken, haben vorhin gesagt, Sie unterstützten die Vorschläge voll und ganz. Herzlichen Glückwunsch!
Wer soll das eigentlich bezahlen? – Die Koalition hat gesagt: Das ganze kostet 5 Milliarden €. Also müssten wohl 24 Milliarden € eingespielt werden. Denn das ist der Differenzbetrag. Dazu gibt es wunderschöne Vorschläge: Der vom Bundesfinanzminister vertretene Grundsatz oder – so möchte ich es lieber formulieren – Grundansatz, die steuerliche Behandlung von Finanzierungskosten zum zentralen Baustein der Gegenfinanzierung der Reform zu machen, schadet dem Grundanliegen des Reformvorhabens, den Standort Deutschland für den Erhalt von Arbeitsplätzen attraktiver zu machen.
Meine Damen und Herren, das BMF stellt alle Finanzierungsaufwendungen unter Generalverdacht, Teil eines internationalen Steuersparmodells zu sein. Dieser Ansatz trifft die Mehrheit der
Unternehmen, die keine steuergestaltenden Verlagerungsaktivitäten entfalten, ins Mark. Das können wir nicht mitmachen.
Eine so undifferenzierte Hinzurechnung von Finanzierungsaufwendungen – an der Stelle gebe ich der Wirtschaft vollkommen Recht – ist eine Substanzbesteuerung, die schlimmstenfalls Existenz bedrohend sein kann. Frau Walsken, vielleicht hören Sie mir einmal zu. Sie haben sich diese Argumentation doch vollständig zu Eigen gemacht. Sie haben gesagt, Sie möchten die Besteuerung gewinnunabhängiger Elemente unbedingt verstärkt bekommen. Stellen Sie sich bitte ein Unternehmen vor, das sich in der Gründungsphase befindet und entsprechend hohe Finanzierungskosten sowie in den ersten Jahren natürlich erst einmal Anlaufverluste hat. Obwohl dieses Unternehmen keinen Ertrag erwirtschaftet hat, müsste es für einen Teil seiner Finanzierungsaufwendungen Steuern zahlen, nämlich Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer. Das Modell – vielleicht haben Sie das noch nicht erkannt – will die Bemessungsgrundlage nicht nur für die Gewerbesteuer, sondern auch für die Körperschaftssteuer verbreitern.
Wenn Sie von Anreizen zur Selbstständigkeit sprechen, frage ich Sie: Wo sind die eigentlich, wenn Sie diese Substanzbesteuerung vornehmen?
Das NRW-Finanzministerium war auch unter den Vorgängern ein Finanzministerium, das gut rechnen konnte. Das hat sich nicht verändert. Die Recherche des Finanzministeriums will ich Ihnen gerne vortragen. Allein in Nordrhein-Westfalen – jetzt handelt es sich um echte Zahlen, nicht um eine politische Phantomdiskussion – würden 24 % der Kapitalgesellschaften steuerliche Mehrbelastungen gegenüber dem Status quo zu verkraften haben. Es wird zwar von Geschenken gesprochen; in Wirklichkeit aber handelt es sich um Belastungen. Insbesondere wären hiervon die kleinen und mittelgroßen Betriebe betroffen. Sie wollen die Stärkung des Mittelstandes, tun mit dem Modell aber das genaue Gegenteil.
Steuersystematisch ist es verfehlt, Aufwendungen, die aufgrund des Veranlassungsprinzips eindeutig und zweifelsfrei durch die unternehmerische Tätigkeit verursacht worden sind, mit dem Rasenmäher zu streichen. Meine Damen und
Ich habe hierzu immer nein gesagt, und ich werde auch in Zukunft hierzu immer nein sagen. Zu meiner Beruhigung höre ich, dass aus dem Finanzministerium offensichtlich neue Überlegungen in die Öffentlichkeit lanciert werden. Auch ich lese die Pressemitteilungen des finanzpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Poß, der natürlich bis zum letzten Atemzug für diese Lösung – Substanzbesteuerung – trommelt. Trauen Sie ihm in diesem Bereich bitte nicht. Seine Lösung ist für den breiten Mittelstand das Negativste, was Sie ihm überhaupt antun können.
Neben der Senkung der Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften schlägt das Bundesfinanzministerium auch für Personenunternehmen eine generelle Steuersenkung für im Unternehmen belassene Gewinne vor, also die so genannte Begünstigung thesaurierter Gewinne für alle.
Ich habe Ihnen vorhin schon berichtet, was das kosten würde. Deshalb verwundert diese Maßnahme. Ursprünglich sollte mit dieser Steuerreform natürlich nur die Belastung jener Unternehmen gesenkt werden, deren Belastung im internationalen Vergleich definitiv zu hoch ist. Dabei geht es eindeutig um die Kapitalgesellschaften und sicherlich auch die – ich will sie mal so nennen – körperschaftsnahen Personengesellschaften, also vor allem viele GmbH & Co. KGs bei uns im Land. Über 90 % der in Deutschland ansässigen Personenunternehmen haben bereits eine Steuerbelastung von weniger als 30 %, weil sie eben wenig verdienen. 75 % der Personenunternehmen zahlen weniger als 15 %. In der mittelständischen Diskussion – ich bin nicht verdächtig, etwas gegen den Mittelstand zu sagen – haben wir es vielfach mit einer gefühlten Benachteiligung zu tun, auf die wir natürlich auch bei solchen Modellen Rücksicht nehmen müssen. Ich werde Ihnen auch einen Vorschlag machen. Ich sehe aber beim besten Willen keinen Bedarf, eine Steuersenkungsgießkanne über alle auszugießen, weil es nicht zu bezahlen ist.
Die allgemeine Thesaurierungsbegünstigung für alle Personenunternehmen geht über das ursprüngliche Ziel der Unternehmensteuerreform, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit international agierender Unternehmen zu stärken, weit hinaus.
Unternehmensteuerrecht auch erheblich kompliziert werden. Von den steuertechnischen Problemen für Unternehmen, Steuerberater und auch für die Finanzverwaltung wollen wir erst gar nicht sprechen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden besonders plastisch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es Personengesellschaften mit vielen Hundert Beteiligten, bei Fonds-Strukturen sogar mit vielen Tausend Beteiligten gibt, von denen jeder Einzelne seine eigenen Vorstellungen zur steuerlichen Optimierung verfolgen möchte. Das grundsätzliche Ziel einer Steuervereinfachung – und darüber wird mir in Berlin viel zu wenig gesprochen, meine Damen und Herren – würde mehr als konterkariert.
Das Fazit: Die bisher bekannt gewordenen Reformansätze des Bundesfinanzministeriums sind weder finanzierbar, noch erscheinen sie mehrheitsfähig. Im Gegenzug zum Bundesfinanzministerium hat das Finanzministerium des Landes NRW ein eigenes, sehr zielorientiertes, sehr zielgenaues Konzept zur Reform der Unternehmensbesteuerung – und zwar in Modulen – entwickelt. Das können Sie alles im Internet nachlesen. Für denjenigen, der sich interessiert, ist es dort sehr genau dargestellt.
Das Modell von NRW ist bei der Finanzierung wesentlich realistischer. Es knüpft an Module an, die unabhängig voneinander umgesetzt werden können, was die haushaltsmäßige Finanzierung in zeitlich versetzten Schritten möglich macht. Auch solche Möglichkeiten muss man überdenken, wenn man nicht alles gleich zu Beginn finanzieren kann.
Unser Modell ist bei der Missbrauchsbekämpfung viel zielgenauer und schädigt nicht die kleinen und mittelständischen Unternehmen durch eine Substanzbesteuerung in Folge von unsystematischen und gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verstoßenden Hinzurechnungen; die hatte ich Ihnen vorhin dargestellt.
Das modulare Konzept führt insbesondere nicht zu Mitnahmeeffekten. Es führt zur Abschaffung ertragsunabhängiger Elemente bei der Gewerbesteuer und kommt damit einer langjährigen Forderung der Wirtschaft nach, ohne dabei die berechtigen Belange der Gemeinden aus dem Blick zu verlieren, denn dafür gibt es auch einen Ersatz für die Kommunen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, über die Abschaffung der Gewerbesteuer – lassen Sie mich diesen Exkurs mal eben machen – wird schon sehr lange diskutiert. Ich kann mich erinnern, dass ich das seit 1980 in allen Wahlkämpfen vortrage. So lange gibt es diese Diskussion schon. Steigt die Gewerbesteuer so exorbitant wir zurzeit – ich habe Ihnen gestern vorgetragen, dass sie im ersten Halbjahr um 29,3 % netto gestiegen ist –, ist an eine Abschaffung der Gewerbesteuer überhaupt nicht zu denken, weil Sie nie einen Konsens bekommen und weil in der Koalition …
Natürlich ist das wünschenswert, ich unterstütze ihn. Ich habe Ihnen gesagt, was ich seit 1980 vortrage. Aber es ist nicht realisierbar, weil die Koalition in Berlin sich darauf verständigt hat, dass sie es nur im Konsens mit den Kommunen machen möchte. Das ist also überhaupt kein Gegensatz.
Sie erinnern sich vielleicht an die Diskussion von vor vier Jahren, bei der die gleichen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände auch zu Ihnen kamen und Ihnen gesagt haben: Ersetzt doch bitte diese Gewerbesteuer durch stabile Elemente, durch einen größeren Anteil an der Umsatzsteuer, durch einen großen Anteil an der Lohnsteuer. – Das wissen Sie doch alles. Es ist zu populistisch, wenn man sich jetzt vor diesen Karren spannen lässt.
Meine Damen und Herren, der NRW-Vorschlag ist auch hinsichtlich der zukünftigen Besteuerungssituation von Personenunternehmen zielgenauer. Große Personenunternehmen, die international agierenden Kapitalgesellschaften vergleichbar sind, können nach dem Nordrhein-WestfalenModell quasi wie eine Kapitalgesellschaft besteuert werden. Unternehmensgewinne mit einer heutigen Steuerbelastung von 42 % in der Spitze hätten künftig wie Kapitalgesellschaften nur noch eine Unternehmenssteuerbelastung von rund 30 %.
Sie haben gesagt: Auch der große Mittelstand, die Personengesellschaften, muss entlastet werden für die im Unternehmen bleibenden Gewinne. Ich weiß, die Diskussion ist auch in Ihren Parteigremien sehr schwierig, aber Sie müssen sich dieser Schwierigkeit stellen; da braucht man ein bisschen Kenntnis und muss versuchen, auch Mehrheiten dafür zu gewinnen. Der Vergleich „Hier wird die Mehrwertsteuer erhöht und dort wird ge
Sie können nicht sagen, Sie müssten das aus Gründen des internationalen Wettbewerbs machen, weil die Firmen sonst abwandern, und gleichzeitig sagen, das Ganze soll aufkommensneutral sein. Das können Sie wirklich nicht machen.
Über den bisherigen Vorschlag, den ich Ihnen jetzt unterbreitet habe, ist es auch vorstellbar – das sage ich gerade in Richtung des Mittelstandes –, dass nicht nur großen, sondern auch mittelständischen Personenunternehmen, kleineren mittelständischen Unternehmen, die aber gut verdienen, die Möglichkeit eingeräumt wird, sich ohne Wechsel ihrer Rechtsform steuerlich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Jedes Unternehmen kann dann für sich entscheiden, welche Besteuerungsfolgen vorteilhafter sind. Allerdings werden dabei die Besonderheiten in Kauf genommen werden müssen, die für eine Besteuerung von Kapitalgesellschaften gelten. Auch darf eine solche Wahl im Interesse des Unternehmens nicht nur kurzfristig eingegangen werden.
Eine solche Besteuerungswahl ist meines Erachtens gerecht. Kein Personenunternehmen wird sagen können, es werde nur deshalb steuerlich schlechter behandelt, weil es in der falschen Rechtsform geführt wird. Im Unterschied zur Sondersteuer auf einbehaltene Gewinne ist eine solche Begünstigung des Mittelstandes haushaltsmäßig gerade noch verkraftbar. Auch das ist minutiös errechnet worden. Für „Feinschmecker“ bin ich gerne bereit, das noch besonders zu erklären.
Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen erhebt nicht den Anspruch, ein endgültiges, in sich abgeschlossenes Modell präsentiert zu haben, dem keine Bausteine mehr hinzugefügt oder aus dem keine Bausteine mehr entfernt werden können. Vielmehr unterbreite ich Ihnen, genauso wie ich es früher auch bei den Berliner Akteuren gemacht habe, Vorschläge, mit deren Hilfe Kernprobleme des aktuellen Unternehmensteuerrechts realitätsbezogen und wirksam gelöst werden können.
Ich bin davon überzeugt, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist, um die Attraktivität des Standortes Deutschland zu erhöhen, die Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen zu verbessern und damit natürlich auch zu mehr Arbeitsplätzen in Deutschland zu kommen.
Kontraproduktiv wäre es dagegen, würden Sie die Steuererleichterungen an die Bedingung einer Investition in Deutschland knüpfen, Frau Walsken. – Vielleicht könnten Sie da etwas aufmerksam sein! – Das führt zu Überregulierungen, zusätzlicher Bürokratie und ist zudem europarechtlich bedenklich. Ausländische Investoren, die wir zurückholen beziehungsweise hierhin locken wollen, dürfte das eher abschrecken als begeistern.