Protokoll der Sitzung vom 31.08.2006

Dies würde den Kommunen den Jo-Jo-Effekt der ständig schwankenden Gewerbesteuer ersparen. Gleichzeitig hätten sie Zugriff auf die am stärksten sich entwickelnde Steuerart. Das wäre eine vernünftige Reform. Dazu kann man aber eben nicht nur über Steuersätze diskutieren. Man muss das Steuersystem diskutieren. Diese Diskussion ist ausgeblieben. Ich bedauere das. Ich würde mir wünschen, dass wir eines Tages in die Systemdiskussion kommen. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Rai- ner Schmeltzer [SPD])

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Sagel.

Herr Weisbrich, es wäre sehr schön gewesen, wenn Sie etwas zu der Finanzierungslücke in Höhe von 30 Milliarden € gesagt hätten, die der Finanzminister gerade aufgezeigt hat. Es wäre interessant gewesen. Den entscheidenden Fragestellungen sind Sie völlig ausgewichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu dem Populismusvorwurf des Finanzministers muss ich sagen: Herr Finanzminister, für eines stehen wir Grünen. Wir erklären ganz deutlich: Wir wollen Kapitalgesellschaften be- und den Mittelstand entlasten. – Das ist das, was wir wollen. Wir wollen aber tatsächlich auch eine gerechtere Besteuerung. Die Finanzierungslücke ist ein ganz zentrales Thema. Sie haben selbst davon gesprochen.

Offensichtlich ist die Finanzierungslücke bei den Gesprächen in Berlin zumindest im Moment noch deutlich größer geworden. Ich zitiere aus dem „Handelblatt“ von heute, wo es heißt, die SPD sei nun bereit, ihren umstrittenen Plan der Hinzurechnung ertragsunabhängiger Elemente aufzugeben. Der Plan sah vor, 50 % der Zinsen und der Finanzierungsanteile an Mieten, Pachten oder Leasingraten dem zu versteuernden Gewinn hinzuzurechnen. Stattdessen wolle die SPD einen Gegenvorschlag der Union akzeptieren. Wir wollen wegkommen von der Hinzurechnung und hin zu unseren Überlegungen einer zeitlichen Zinsabzugbeschränkung, so sagt es der CDU-Sprecher.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das ist doch eine Ente!)

Nach wie vor gibt es eine Lücke von 1 Milliarde €. Wie sie zu schließen ist, ist nach wie vor ungeklärt. Das ist das Problem.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das haben wir selbst doch eben gesagt! Haben Sie nicht zugehört?)

Die SPD kann sich ja dazu äußern, ob das nicht stimmt oder doch stimmt. Ich glaube dem „Handelsblatt“ da mehr als anderen.

(Ralf Jäger [SPD]: Ist schon klar!)

Ja, das ist in der Tat so.

Auch die Messzahl für die Gewerbesteuer soll nicht wie bisher geplant von fünf auf vier, sondern auf 3,3 gesenkt werden. Das sind ganz zentrale Punkte.

Es scheint wieder einmal, als ob Verlass auf die SPD ist: Sie knickt im Zweifelsfall ein, wenn es hart auf hart geht. Andere können sich dann durchsetzen. Offensichtlich hat der SPDBundesfinanzminister doch etwas größeren Einfluss, als es vor allem den Linken in der SPD lieb ist. Das scheint die Realität bei dieser Geschichte zu sein. Von daher kann ich unserem Finanzminister etwas die Sorge nehmen. Dieser Verlass wird sich niederschlagen, was die Finanzierungslücke angeht.

Eines muss man auch noch betonen. Was heißt denn „weitgehend aufkommensneutral“, meine Kollegen von der SPD? Womit sind Sie denn einverstanden? Sind Sie mit einer Deckungslücke in Höhe von einer Milliarde, mit fünf Milliarden oder acht Milliarden einverstanden?

(Gisela Walsken [SPD]: Das habe ich auch gerade gesagt!)

Was heißt denn „weitgehend aufkommensneutral“? Wo ist Ihre Grenze? Das ist doch so nebulös, wie es nur sein kann.

Das ist die sich leider abzeichnende Realität. Ich kann nur festhalten: Die SPD ist eingeknickt. Was die CDU vorschlägt und was die Große Koalition in Berlin macht, ist alles andere als gerecht. Das geht zulasten der kleinen Leute. Diese finanzieren letztendlich die Deckungslücke mit dem Aufkommen der Mehrwertsteuer. Das ist nicht das, was wir uns unter sozialer und gerechter Politik vorstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Freimuth das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sagel, jemand, der sozusagen das Begriffspaar Kapitalgesellschaften auf der einen Seite und Mittelstand auf der anderen Seite aufwirft und dann einen großen Widerspruch sieht, argumentiert auf einer Ebene, bei der es schwierig wird.

(Beifall von der FDP)

Viele Mittelständler sind auch in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft, der GmbH, der GmbH & Co. KG usw. organisiert.

(Zuruf von der SPD)

Insofern sollte man, wenn man diese Diskussion führt, mittlerweile auch berücksichtigen, dass Sie mit der Politik, die Sie in den vergangenen Jahren auf der Bundesebene mitverantwortet haben, systematisch dazu beigetragen haben, dass viele Kleinunternehmer und Mittelständler aus der Personengesellschaft in die Kapitalgesellschaft geflüchtet sind, weil wir eben leider keine Rechtsformneutralität im Steuerrecht haben, sondern mit der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Körperschaftsteuerrecht auf der einen und Einkommensteuerrecht auf der anderen Seite versuchen, Steuerungen vorzunehmen.

Weil wir eben diese Rechtsformneutralität im Steuerrecht bedauerlicherweise nicht haben, haben wir an dieser Stelle spezifische steuerliche Situationen bei den Personengesellschaften, den Kapitalgesellschaften und den Einzelunternehmen, die wir natürlich berücksichtigen müssen. Und auch bei den Kapitalgesellschaften – wenn Sie darüber diskutieren wollen –, muss man sicherlich zwischen großen und kleinen unterschei

den und deren jeweiligen Situationen beachten, denn nicht immer ist es hilfreich, alles über einen Kamm zu scheren. Da würde ich mir in der Tat etwas Detailschärfe und Detailgenauigkeit wünschen.

Der Kollege Weisbrich hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir uns – ich habe das in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt – nicht allein über die Steuersätze auseinandersetzen sollten. Das sind durchaus wichtige Zahlen. Aber es geht in der Tat um die Systematik des Steuerrechts. Sie wissen, dass die FDP eine sehr grundlegende Reform des Einkommensteuerrechts und des Körperschaftsteuerrechts, einhergehend mit einer Unternehmensteuerreform, angeboten hat, und zwar mit einem Stufentarif und den Steuersätzen von 15, 25 und 35 %, mit einer deutlichen Vereinfachung, ohne die vielen Sonder- und Ausnahmetatbestände. Wir haben das durchgerechnet und Ihnen vorgelegt. Sie waren leider nie bereit, diese Diskussion um eine grundlegende Reform der Steuersystematik sowohl im Einkommen- als auch im Körperschaftsteuerrecht ernsthaft zu führen. Ich bedauere das sehr. Ich freue mich aber, dass wir bei dem einen oder anderen immerhin ein Nachdenken über die Steuersystematik ausgelöst haben.

Bedauerlich finde ich, dass wir immer noch über das Thema Gewerbesteuer reden müssen. Im Augenblick sprudelt die Gewerbesteuer wieder etwas und die Kommunen können daraus wieder mehr Einnahmen erzielen. Vor zwei, drei Jahren war genau das Gegenteil der Fall, und es war ein großes Klagen zu vernehmen. Wir haben als FDP-Fraktion mehrfach darauf hingewiesen, dass die Gewerbesteuer eine ausgesprochen konjunkturanfällige Steuer ist und es immer diesen Achterbahn- oder Jo-Jo-Effekt, wie immer man es bezeichnen mag, geben wird.

(Martin Börschel [SPD]: Das ist doch lo- gisch!)

Genau aus diesem Grunde ist meine feste Überzeugung, dass wir diese konjunkturabhängige „Achterbahnsteuer“, die Gewerbesteuer, abschaffen und dafür ein anderes Element einfügen müssen, das den Kommunen tatsächlich eine verlässliche Finanzierungsgrundlage bringt.

(Gisela Walsken [SPD]: Was ist das, Frau Kollegin?)

Da würde ich, Frau Kollegin Walsken, um diese Frage direkt zu beantworten, ganz klar sagen: Es ist ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer für die Kommunen. Das ist aus meiner Sicht unbedingt erforderlich, denn die Umsatzsteuer ist die am

stetigsten fließende Steuer. Verteilungsmaßstab ist dabei dann die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse an einem Standort.

(Gisela Walsken [SPD]: Umsatzsteuer? Ich dachte immer, Sie wollten einen Anteil an der Einkommensteuer!)

Ja, Frau Kollegin, einen Anteil an der Umsatzsteuer! Ich lege Ihnen gerne das GewerbesteuerAbschaffmodell und das kommunale Finanzmodell der FDP dar; das lässt die Redezeit nur im Augenblick leider nicht zu. Den Kommunen muss nach meiner Überzeugung ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer zufallen. Damit haben sie eine verlässliche und planungssichere Finanzierungsgrundlage und sind nicht mehr von der konjunkturabhängigen „Achterbahn“-Gewerbesteuer abhängig.

Zwei Anmerkungen möchte ich noch zu der Forderung der SPD machen, auch gewinnunabhängige Elemente in die Besteuerung einzubeziehen. Meine Damen und Herren, ich halte das angesichts der wirtschaftspolitischen Dimension, der Auswirkungen auf Arbeitsplätze für weit verfehlt. Und darüber müssen wir uns doch in allererster Linie Gedanken machen, wie wir unser Steuersystem so ausgestalten, dass die Unternehmen, die in diesem Lande Menschen Beschäftigung geben, und zwar egal in welcher Rechtsform, in der Lage sind, hier in Deutschland ihren Standort zu halten und weiterhin Arbeitsplätze für die Menschen hier zur Verfügung zu stellen, damit wir auch eine Chance bekommen, die viel zu hohe Zahl der Arbeitslosen in diesem Lande tatsächlich abzusenken.

(Beifall von der FDP)

Was ich von Ihnen dazu immer höre, sind Nebeldiskussionen. Die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen, dass sie in diesem Land arbeiten wollen, dass sie Güter und Dienstleistungen produzieren wollen, dass sie Gewinne erwirtschaften wollen, gehen bei Ihnen offensichtlich in irgendwelchen ideologischen Debatten völlig unter. Wir müssen uns mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit den Chancen der Menschen, hier in Deutschland eine Arbeit zu haben, auseinandersetzen und überlegen, wie Unternehmen hier einen Standortvorteil, einen Wettbewerbsvorteil bekommen, damit sie eben nicht abwandern müssen.

Bei der Einbeziehung gewinnunabhängiger Elemente müssen Unternehmen selbst dann, wenn sie keinen Gewinn machen, wenn Verluste geschrieben werden, trotzdem Steuern bezahlen.

Das ist eine Perversion jeglichen wirtschaftlichen Denkens. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen in Ihrer Fraktion – es gibt sie ja auch –, die ein Mindestmaß an wirtschaftlichem Sachverstand haben, das allen Ernstes so befürworten.

Die Einbeziehung gewinnunabhängiger Elemente ist falsch und verheerend. Deshalb sind Tenor und Forderung in Ihrem Antrag für uns in keiner Weise akzeptabel. Wir können dem Antrag leider nicht zustimmen.

Ich freue mich, wenn Sie irgendwann einmal so weit sind, dass Sie endlich in eine systematische Diskussion einsteigen wollen, wie die Menschen in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik Deutschland hier Unternehmen vorfinden, die an diesem Standort wettbewerbsfähig arbeiten und wirtschaften können. Dann können wir, glaube ich, diese Debatte auch zur Senkung der Arbeitslosigkeit weiterführen. – Danke.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Freimuth. – Jetzt noch einmal Herr Finanzminister Dr. Linssen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Bemerkungen. Frau Walsken, Sie haben behauptet, wir wollten mit der Körperschaftsteuersenkung unter das Modell von Berlin gehen. Die Berliner schlagen die Senkung von 25 % auf 15 %, wir von 25 % auf 18 % vor. Es ist also nachweislich falsch, was Sie hier vortragen.

(Gisela Walsken [SPD]: Das müssen Sie mal nachlesen!)

Wenn Sie die Debatte richtig vorbereitet hätten, Frau Walsken, dann hätten Sie vielleicht einmal ins Internet schauen und sich unser Modell ansehen können.

(Beifall von CDU und FDP)

Wenn Sie glauben, mit Ihren Vorschlägen den Kommunen etwas Gutes tun zu können, dann irren Sie. Denn der Bundesfinanzminister trägt in allen Runden vor, dass selbstverständlich das Mehr für die Kommunen, was bei seinem Modell herauskommt, voll über die Gewerbesteuerumlage wieder abgeschöpft wird. Das sind nach seinem Modell 7 Milliarden €, die zusätzlich natürlich in die Staatskasse von Bund und Ländern kommen müssen.