Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 24. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen. Es sind auch einige Kolleginnen und Kollegen darunter, die krank sind und deswegen an dieser Landtagssitzung nicht teilnehmen können. Ich denke, wir senden ihnen Genesungswünsche, dass sie bald wieder an unseren Landtagssitzungen teilnehmen können.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch einmal daran erinnern, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben, den Antrag Drucksache 15/661 – „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter in NRW“ –, ursprünglich vorgesehen als Tagesordnungspunkt 9, heute nicht zu debattieren. Der nachfolgende Tagesordnungspunkt 10 wird entsprechend unserer Vereinbarung vorgezogen.
Die Fraktion der CDU und die Fraktion der FDP haben mit Schreiben vom 31. Januar 2011 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der obigen aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Prof. Dr. Sternberg das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern hier im Plenum eine höchst nervöse Ministerpräsidentin erlebt. Es läuft nicht gut: katastrophales Management bei den Finanzen, entsprechend schlechte Presse. Gestern verloren Sie sogar die Fassung hier im Haus.
Gibt es auch im Schulministerium Nervosität? Wir hören Meldungen über Redeverbote. Nein, eigentlich keine direkten Verbote, sondern viel subtiler und noch abstoßender: Empfehlung an Lehrende, sich nicht an Diskussionen über die sogenannte Gemeinschaftsschule zu beteiligen.
Es hatte deutliche Aussagen anwesender Pädagogen verschiedener Schulformen, die sich zum Teil als Eltern zu Wort gemeldet hatten, gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule insgesamt oder zu diesem Zeitpunkt gegeben. Diese Äußerungen haben dazu geführt, dass Pädagogen zu Dienstgesprächen nach Arnsberg einbestellt wurden.
Am 1. Februar schreibt die „Rheinische Post“: „Die Bezirksregierung Arnsberg hat Lehrer, die sich öffentlich kritisch über Gemeinschaftsschul-Projekte geäußert haben, ermahnt.“
Am 2. Februar ist dann in „WDR aktuell“ die Rede von weiteren 17 Fällen, in denen die Bezirksregierung Arnsberg offenbar versucht hat, Schulleiter und Lehrer einzuschüchtern.
Besonders erschreckend ist aber die Formulierung in der „Kölnischen Rundschau“ am 29. Januar. Da heißt es nämlich:
Ein Realschulleiter wird von der zuständigen Dezernentin aus Fürsorge auf seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Dienstherrn hingewiesen. Zitat: Falls dem Beamten etwas Unbedachtes über die Lippen komme, könne dies leicht disziplinarische Folgen haben.
Da empfiehlt man, man möge doch lieber nichts sagen, man könnte doch etwas Unbedachtes sagen, was dann Konsequenzen haben müsse.
Warum solche völlig unangemessenen Überreaktionen? Da hat die Regierung geglaubt, in der Schulpolitik den ganz großen Aufschlag machen zu können, und dann landet der Tiger als Bettvorleger. Die Alternative G8/G9, ein riesiger Flopp. Die Abschaffung der Kopfnoten trifft keineswegs auf allgemeine Begeisterung, in der Wirtschaft sogar auf herbe Kritik. Und dann sind 17 Gesamtschulen auch nicht gerade viele mit Blick auf die über 600, die es sein müssen, wenn der Koalitionsvertrag mit 30 % erfüllt werden soll, zumal ein großer Teil dieser 17 Schulen, die dann genehmigt werden, nicht den eigenen Ansprüchen und Kriterien genügt, denn beispielsweise sollen sechs dieser Schulen an reinen Hauptschulstandorten errichtet werden, und der regionale Konsens ist auch nicht überall nachgewiesen.
Mittlerweile gibt es auch Ärger in den Kommunen. Es gibt Ärger in den Kreisen und den Gemeinden. Man hört sogar davon, dass eine Bürgermeisterskatrunde zerbrochen ist, weil man sich über den Antrag auf Gründung einer Gemeinschaftsschule zerstritten hat.
Und dann melden sich zu alledem auch noch Lehrerinnen und Lehrer zu Wort. Diese haben eine ganze Reihe von Bedenken, die vielleicht nicht den schönen, aber doch manchmal etwas wirklichkeitsfernen Sprüchen von Pädagogikprofessoren entsprechen.
Die fragen nämlich nach: Wie geht das eigentlich mit Klassen, in denen man jeder Art von Begabung gerecht werden muss? Wie ist das mit Fremdsprachenunterricht in Klasse 6 für alle Kinder, den man in Klasse 7 einfach wieder abwählen soll, nachdem den Kindern ein Jahr lang deutlich gemacht wurde, dass das nichts für sie ist? Wie ist es mit Auswahl- und Differenzierungsmöglichkeiten in einer so kleinen Gesamtschule? Wie kann man Überforderung und Unterforderung in den so wichtigen Jahren zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr vermeiden? Was geht verloren, wenn allen Kindern in den Klassen 5 und 6 der gymnasiale Lehrplan aufgezwungen wird? Wie werden die Lehrenden eigentlich auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet? Gelten die vielen Extraangebote für die sogenannte Gemeinschaftsschule nur für die integrative oder auch für die kooperative Form? Und viele andere Fragen mehr. – Solche Fragen führen dann manchmal zu Meinungen, die man aber offensichtlich besser nicht äußert, wenn sie das wichtigste rot-rot-grüne Projekt gefährden könnten.
(Bärbel Beuermann [LINKE]: Lehrerinnen auch nicht! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP]: Wir meinen immer beide und Sie nur die Frauen!)
Ihre Erfahrungen und ihre Meinungen müssen geäußert werden können, sonst führt das dazu, dass sich – jetzt nenne ich sie – die Lehrerinnen nicht einmal mehr in kritischen Vereinigungen organisieren dürfen. Maulkörbe, Frau Löhrmann, sind ein Skandal. Und ich frage Sie: Haben Sie das nötig?
Die Frage, die sich stellt, lautet: Sind diese Redeverbote Ihre Vorgabe oder ist das die Wiederaufnahme einer alten Tradition des Apparates?
Mein Kollege Michael Solf hat schon am 31. März 2003 in diesem Haus eine Anfrage nach Maulkörben für Schulleitungen in Sachen Unterrichtsausfall gestellt, woraufhin er ausweichende Antworten bekommen hat.
Die Auswüchse von Einschüchterungen und Vertuschungen knüpfen offenbar an alte Traditionen an. Denk- und Redefreiheit gilt offenbar nur für die eigene Oppositionszeit – kaum an der Macht, werden Andersdenkende zur Räson gebracht.
Frau Ministerin Löhrmann, ich hoffe für Sie, dass Sie die genannten Methoden nicht angeordnet haben. In jedem Fall geht aber die Anforderung an Sie: Schaffen Sie Ordnung in Ihrem Haus!
Unterdrücken Sie die Meinungsfreiheit und offene Diskussion auch der Lehrenden und Lehrer nicht – auch dann nicht, wenn kritische Anfragen Ihrem letzten Lieblingsprojekt gelten. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und von der FDP – Ralf Michalowsky [LINKE]: Frau Schröder macht es ja gerade vor!)
Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Sternberg. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Pieper-von Heiden.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wird durch die aktuellen Vorkommnisse aus der Koalition der Einladung die Koalition der Gängelung? Wie war das noch:
„Wir Grüne wollen Schluss machen mit der Gängelung durch die Schulbürokratie. Wir vertrauen auf die engagierten Expertinnen und Experten in den Schulen und wollen sie in ihrer pädagogischen Kompetenz ermutigen und stärken.“