Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

Ich wünsche mir dies in Sonderheit deshalb, weil in den Unternehmen genauso wie in den Stadtwerken und in anderen Energieversorgungsunternehmen Zigtausende – in Nordrhein-Westfalen dürfen wir sogar von Hunderttausenden sprechen – Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgehalten werden, die im Interesse unserer Bevölkerung jeden Tag ihren Dienst leisten. Sie sorgen dafür, dass wir Licht haben und dass es warm in unseren Räumen ist, dass wir die Umwelt besser entlasten können und dass wir eine Energieversorgungssicherheit haben, und zwar sowohl für die Haushalte als auch für die Betriebe in diesem Land.

Nordrhein-Westfalen – ich bemühe die Worte von Frau Kraft – ist ein Industrieland. Ja, wir sind ein Industrieland, und wir wollen ein modernes Industrieland bleiben, und dafür brauchen wir in Zukunft sichere und bezahlbare Energie.

(Beifall von der FDP und von der CDU)

Es ist die große – auch staatspolitische – Leistung von Helmut Schmidt und Otto Graf Lambsdorff gewesen, Anfang der 80er-Jahre im Kontext der zweiten Ölpreiskrise ein energiepolitisches Gesamtkonzept für Deutschland zu entwickeln. Dieses war

lange Grundlage für die Sozial- und Wirtschaftspolitik in Deutschland. Es ist in den letzten Jahren auch aufgrund der Verwerfungen zwischen den verschiedenen Parteien leider nicht gelungen, ein solches Energiekonzept fortzuschreiben und mit den neuen Notwendigkeiten zu versehen, die sicherlich bestehen, um Umwelt und Menschen in einer globalisierten Welt auch langfristig gerecht zu werden.

Ich finde, mit dem Konzept von Angela Merkel und Rainer Brüderle ist der neuen Bundesregierung ein großer Wurf gelungen. Denn endlich können wir hier in Deutschland wieder ganzheitlich über Energiefragen reden. Wir können die Fragen der Versorgungssicherheit, der Bezahlbarkeit und des Umweltschutzes in einem Gesamtkonzept absichern.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Und was ist mit der Entsorgung?)

Das kann in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland nur gelingen, wenn wir auf einen breiten Energiemix aus möglichst vielen Quellen setzen, meine Damen und Herren. Das ist die Grundvoraussetzung für Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit auch in Zukunft.

(Beifall von der FDP und von der CDU – Hans Christian Markert [GRÜNE]: Und die Entsorgung?)

Genau das liegt jetzt vor: ein breiter Mix aus möglichst vielen Quellen, mit dem sehr ehrgeizigen Ziel, die Energieversorgung in Deutschland dauerhaft ganz überwiegend auf erneuerbaren Energien aufzubauen. 2050 – so das Ziel – sollen 50 % der Gesamtenergiemenge aus erneuerbaren Energien gewonnen werden; beim Strom sollen es 80 % sein. Es liegt also eine gewaltige Kraftanstrengung vor uns.

Wir alle wissen: Dafür brauchen wir leistungsfähige Netze, die wir in der Form heute noch nicht haben; das wissen Sie. Und wir brauchen Speichertechnologien, die in der Lage sind, die erneuerbaren Energien – wir wissen, der Wind weht nicht immer dann, wenn wir Strom brauchen, und auch die Sonne scheint nicht immer dann, wenn wir Energie benötigen – in einer wirtschaftlichen Form für breite Anwendungen nutzbar zu machen. In dieses Vorhaben sollen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Milliarden in einer Weise investiert werden, wie es bisher in Deutschland noch nicht möglich war.

Meine Damen und Herren, gleichzeitig wird über die Verlängerung der Laufzeiten für die friedlich genutzte Kernenergie in Deutschland sichergestellt, dass auch in diesem Übergangsprozess unsere Haushalte weiterhin verlässlich mit Strom versorgt werden können. Dazu müssen wir wissen, dass in diesem Moment – draußen scheint nicht viel Sonne – der Strom für jede vierte Glühbirne hier in diesem Haus aus einem friedlich genutzten Kernkraftwerk in Deutschland kommt, in der Grundlast jede zweite Glühbirne. Wenn es gleich draußen noch dunkler

wird, dann wird bei uns jede zweite Glühbirne aus friedlich genutzter Kernenergie beleuchtet, damit wir diese Debatte führen können

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

und die Wohnungen der Menschen im Land warm sind. Das müssen wir den Bürgern auch sagen, um auch das Vertrauen in vernünftig handelnde Politik zurückzugewinnen.

Und weil der Zusammenhang so ist, haben die beiden Regierungen, die von Schröder und Fischer angeführt worden sind, seinerzeit den Ausstieg aus der Atomenergie eben nicht über Nacht vorgenommen. Denn wenn das alles so schrecklich wäre, wie die drei Wortbeiträge der antragstellenden Fraktionen uns Glauben machen wollen, dann hätten verantwortliche Politiker sagen müssen: Die müssen alle vom Netz. Aber das haben weder die Grünen noch die Sozialdemokraten in ihrer Regierungsverantwortung oder im Deutschen Bundestag beschlossen, sondern sie haben aus guter Einsicht heraus gesagt: Das geht jetzt nicht, das geht auch auf absehbare Zeit nicht, sondern wir müssen unser Land schrittweise auf erneuerbare, auf umweltfreundliche Technologie umstellen. Und für diese Brückenzeit brauchen wir diese Energiequelle.

Jetzt bringt die neue Bundesregierung kein ganz neues Konzept, sondern knüpft an ihr Regierungshandeln an. Ich halte es im Übrigen für sehr vernünftig, wenn in einer Demokratie nicht immer alles weggerissen wird, was Vorgänger geleistet haben, sondern wenn es weiterentwickelt wird. Die neue Bundesregierung macht nichts anderes, als Ihren Beschluss an der Stelle – darüber hinaus macht sie vieles besser, was Herr Lienenkämper gesagt hat und ich eingangs gesagt habe –, die von Ihnen definierte Brücke, so weit zu verlängern, dass unsere Energieversorgung das rettende Ufer auch tatsächlich erreichen kann – nicht mehr und nicht weniger.

Sie macht es im Übrigen in gleicher Form, was man bedauern kann. Ich als Staatsbürger dieses Landes – das sage ich in aller Klarheit – bedaure das. Aber es ist offensichtlich leider nicht anders möglich. Wir reden ja immer viel von Einladungen. Wenn sie aber nicht angenommen werden, dann muss Politik alleine handeln. So haben Sie damals alleine gehandelt, denn als Sie die Laufzeiten der Kraftwerke seinerzeit verkürzt haben, hatten Sie dafür im Bundesrat keine Mehrheit.

Was hat die damalige Bundesregierung gemacht? Sie hat gesagt: Lasst uns den Bundesrat beiseite nehmen! Wir können das auch alleine. Dann hat sie alleine verkürzt.

(Beifall von der FDP)

Die jetzige Bundesregierung, die sich in der gesamtstaatlichen Verantwortung sieht und deshalb

auch eine Verlängerung vornimmt, würde das gerne auch mit dem Bundesrat machen.

(Minister Johannes Remmel: Das ist eine völ- lig andere rechtliche Ausgangslage!)

Ich würde gerne die Grundfragen der Politik mit der Länderkammer bestimmen. Da Sie aber ideologisch blockiert sind,

(Minister Johannes Remmel: Staatsstreich ist das!)

geht das leider nicht. Deswegen macht das die Bundesregierung genauso wie Ihre Regierung: Sie entscheidet das, was sie alleine entscheiden kann, auch alleine, meine sehr verehrten Damen und Herren – nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall von der FDP)

Sie macht es nur verantwortungsethisch besser. Das hat Herr Lienenkämper hier schon dargelegt.

Solange Kraftwerke laufen, erst recht für die Zeit danach muss Vorsorge getroffen werden, was Sicherheit und Entsorgung anbetrifft.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Ja, Ent- sorgung!)

Ja, ja, Herr Markert, nun sind Sie ja neu im Landtag. Es war Ihre nordrhein-westfälische rot-grüne Landesregierung, die zusammen mit der rot-grünen Bundesregierung in Nordrhein-Westfalen Forschungslehrstühle für Entsorgungsfragen in dem Bereich abgeschafft hat.

(Beifall von der FDP)

Das waren Sie, weil Sie die Frage ideologisch und nicht sachbezogen betrachten. Bleiben Sie doch einmal sachbezogen!

(Karl Schultheis [SPD]: Hochschulen haben Sie abgeschafft!)

Wenn Sie sachbezogen sind, dann müssen Sie doch zweierlei tun:

Sie müssen die Kraftwerke jetzt, wenn Sie sie nutzen – und Sie wollten sie auch weiter nutzen –, so sicher wie irgend möglich machen. Dazu müssen Sie weiter in Forschung investieren. Sie müssen in konkrete Sicherheitsverbesserungen investieren.

Auf der anderen Seite müssen Sie die erneuerbaren Energien besser machen. Dafür müssen Sie in Forschung investieren. Dafür müssen Sie in Anwendung investieren. Dafür brauchen Sie aber auch Geld, und Sie müssen sehen: Energiepreise sind die Brotpreise des 21. Jahrhunderts. Die kleinen Leute in unserem Land müssen sich Energie auch noch leisten können! Deswegen hat das auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme sehr gerne zum Schluss, Herr Präsident, wenn Sie mir noch eine Anmerkung gestatten.

Ich würde es sehr begrüßen, auch im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen,

(Karl Schultheis [SPD]: In wessen Interesse sonst?)

damit unsere Interessen auf der Forschungsseite wie auf der Anwendungsseite bei dieser Neuregelung des Energiekonzepts besser eingebracht werden, dass die Landesregierung nicht einfach blind klagt, wo sie nicht gewinnen wird, sondern dass diese Landesregierung den Weg unternimmt, auf die Bundesregierung zuzugehen, und dass sie versucht, für Nordrhein-Westfalen mit diesem neuen Energiekonzept das Beste für unsere Menschen, für unsere Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu machen. Hier wäre ein Gestaltungsfeld für die neue Landesregierung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Dr. Pinkwart. – Ich möchte darauf hinweisen, Kolleginnen und Kollegen, es gibt in der Aktuellen Stunde keine Möglichkeit, Zwischenfragen zu stellen – nur, damit nicht versehentlich auf den Knopf gedrückt wird. – Für die Landesregierung spricht Minister Voigtsberger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Pinkwart, ich möchte jetzt auch ganz sachbezogen an diese Thematik herangehen. Ich möchte Ihnen auch Recht geben: Nordrhein-Westfalen ist ein Industrieland. Nordrhein-Westfalen ist ein Energieland.

Deswegen haben wir auch seit Monaten auf ein Energiekonzept der Bundesregierung gewartet, das schon Ende letzten Jahres versprochen war und das eben lange auf sich warten ließ. Denn jeder, der von der Notwendigkeit des langfristigen Umbaus unseres Energieversorgungssystems mit den Zielen Klimaschutz und Energieeffizienz überzeugt ist, weiß natürlich, dass ein solches Konzept dringend nötig ist, weil wir verlässliche Perspektiven für die langfristig erforderlichen Investitionen brauchen.

Aber der Verlauf der Ereignisse seit Ende August macht, denke ich, deutlich, dass inzwischen von einem seriösen Erarbeitungsverfahren nicht mehr die Rede sein kann. Es ist immer klarer geworden, dass es der Bundesregierung gar nicht in erster Linie um das notwendige umfassende Energiekon

zept geht, sondern letztlich um die Laufzeitverlängerung, die im Prinzip schon verabredet war. Gutachten und Konzepte werden hierbei nur noch benötigt, um die politisch längst getroffene Entscheidung noch zu begründen. Dementsprechend ist das von der Bundesregierung gewählte Verfahren in mehrfacher Hinsicht vollkommen inakzeptabel, und das möchte ich Ihnen hier auch darlegen.

Dass es im Vorfeld gesetzgeberischer Entscheidungen von außerordentlicher Tragweite eine Geheimvereinbarung zwischen Bundesregierung und Betreiberseite gibt, wie dann auch nur durch Zufall bekannt geworden und auch nur nach massivem öffentlichem Druck offengelegt worden ist, ist in unserem Lande eigentlich unglaublich und entspricht nicht deutscher und mitteleuropäischer Kultur.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)