Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 2016 wird es so sein wie 2015. Die Flüchtlingsströme nach Europa und nach Deutschland werden auch dieses Jahr das beherrschende Thema sein. Spätestens seit September letzten Jahres erleben wir in Deutschland eine Herausforderung, die wir so nicht erwartet haben – weder für den Bund noch für die Länder und vor allem nicht für unsere Kommunen.

Wenn mir zu Beginn des letzten Jahres jemand gesagt hätte, dass Nordrhein-Westfalen 330.000 Menschen aufnimmt, hätte ich ihn, offen gestanden, nach seiner Körpertemperatur gefragt. Trotzdem haben wir das geleistet, haben wir das geschafft. Das wird endlich sein; gar keine Frage.

Es geht um die Frage, wie wir mit den vielen Flüchtlingen der Welt umgehen. 60 Millionen – so viele wie noch nie in der Geschichte dieser Welt – sind auf der Flucht. Allein 8 Millionen syrische Flüchtlinge befinden sich in Syrien selbst auf der Flucht sind in Jordanien, im Libanon und in der Türkei.

Um es deutlich zu sagen: Diese Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung. Sie lassen sich von Debatten über Transitzonen oder Ähnlichem hier überhaupt nicht aufhalten.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Das ist eine Herausforderung, die Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen zu leisten hat. Man kann sie nicht mal so eben lösen. Das ist eine Herausforderung, die wir mit Vernunft, mit Ideen und auch mit ruhiger Hand angehen müssen. Völlig ungeeignet sind dabei Hektik, Hysterie und Panik.

Was seit September letzten Jahres in diesem Land gelegentlich von politischen Claqueuren an Lösungsvorschlägen vorgelegt worden ist, macht die Menschen noch unsicherer. Es macht ihnen noch mehr Angst.

Ein Teil davon – Herr Körfges hat es schon angesprochen – ist dieser Plan A2. Alle reden darüber. Ich weiß nicht, ob ihn alle gelesen haben.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das lohnt sich nicht!)

Das sind zwei Blätter mit ein paar Spiegelstrichen, mit denen die Flüchtlingspolitik für Deutschland neu erfunden werden soll. Ich finde diesen Titel ein bisschen lächerlich. Da werden speziell zur Karnevalszeit Sachen ausgegraben, die man auch „olle Kamellen“ nennen kann, meine Damen und Herren. Es wird hier aber genau das vorgeschlagen, was Herr Körfges und Frau Düker schon angesprochen haben. Das sind nicht einmal Ideen. Das sind noch nicht einmal Impulse. Das sind Dinge, die nicht zu Ende gedacht worden sind, aber die Menschen in diesem Land zusätzlich verunsichern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Grenzzentren werden vorgeschlagen. Ich war in Passau und habe mir angeschaut, was die Bundespolizei dort leistet. Personell ausgeblutet, schafft sie es gerade einmal, jeden zweiten Flüchtling zu registrieren. Nur jeden zweiten! Dieser Plan A2 geht von einer 100-%-Registrierung aus.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie diese Grenzzentren aussehen sollen. Entweder kommen alle dorthin. Dann reden wir über 300.000 Menschen, Herr Körfges. Das sagt zumindest der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, Herr Kiesewetter. Da soll dann an der bayrischösterreichischen Grenze mal eben eine Stadt wie Münster entstehen. Oder es kommt dazu, dass diese Grenzzentren gar nicht gefüllt werden, weil Frau Klöckner sich wünscht, dass die Grenze dicht gemacht wird – mit allen Folgen. Eine lückenlose Grenzschließung mit allen Folgen für das Transitland Deutschland, für dieses Land, das vom Handel und von Außenbeziehungen abhängig ist, wäre fatal.

Ich kann nur sagen: Aus dem Chemieunterricht weiß ich, dass O2 Luft ist. Von Frau Klöckner wissen wir jetzt, dass A2 ganz heiße Luft ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Asylpaket II ist auf den Weg gebracht worden. Warum es noch nicht im Deutschen Bundestag ist, um dann möglicherweise dem Bundesrat zur Beschlussfassung vorgelegt zu werden, hat einen einzigen Grund: Der Bundesinnenminister hat sich bei der Vorlage dieses Asylpaketes nicht an die Absprachen gehalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Plötzlich sollen syrische Flüchtlinge nur noch subsidiären Schutz genießen; der Familiennachzug soll eingeschränkt werden. Selbst wenn man das in der Politik ernsthaft diskutiert, muss man doch einmal den Blick nach draußen wagen. Zurzeit kommen 3.000 bis 4.000 Flüchtlinge pro Tag nach Deutschland. Der Anteil von Frauen und Kindern ist deutlich steigend. Der Familiennachzug findet auf der Balkanroute längst statt, meine Damen und Herren, weil sich die Menschen, die aus diesem Bürgerkrieg kommen, nicht von Diskussionen pro oder kontra Familiennachzug aufhalten lassen. Wir werden das übrigens so, wie es die Union hier diskutiert, nicht mittragen.

Herr Laschet ist jetzt leider nicht anwesend. Das ist eine Situation, die mich – ich sage es ganz offen – unglaublich ärgert.

(Armin Laschet [CDU]: Hier hinten bin ich!)

Hallo, Herr Laschet! – Menschen in diesem Land macht diese Situation Sorgen. Manchen macht das auch wirklich Angst. Deshalb brauchen wir klare Linien im Umgang mit diesem Thema.

Die Union fährt zurzeit dreigleisig. Da gibt es einmal Frau Merkel, bei der Richtung und Tempo unklar sind. Außerdem gibt es Herrn Seehofer, dessen Richtung ziemlich klar ist. Und dann gibt es einen Abzweig von Frau Klöckner. Die Union muss sich doch auf ein Konzept, einen Fahrplan und eine Richtung konzentrieren, damit wir dieses Flüchtlingsproblem gestemmt bekommen.

Herr Laschet, Sie sind ja nahe an Frau Klöckner dran. Vielleicht können Sie dazu beitragen, dass solche Beiträge, die niemandem etwas bringen, sachlich nicht fundiert sind und in der Praxis gar nicht umsetzbar sind, in der öffentlichen Diskussion – auch wenn man im Wahlkampf steht – gefälligst unterbleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für Nordrhein-Westfalen heißt das: Wir müssen das leisten, was wir können, was wir auch im letzten Jahr geschafft haben. Jeder nach NordrheinWestfalen geflüchtete Mensch hatte, wenn er hier ankam, abends ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit und ein Bett. Niemand hat in Nordrhein-Westfalen in kalten Zelten leben müssen. Darauf sind wir ein Stück weit stolz.

Aber es reicht nicht. Wir als Land haben inzwischen ein stabiles Aufnahmesystem mit ausreichend Kapazitäten, mit ausreichend Registrierungsmöglichkeiten. Aber wir müssen den Kommunen helfen, diese Herausforderung, von der sie den größten Teil zu tragen haben, zu stemmen. Und das tun wir.

4 Milliarden € sehen wir in diesem Haushalt 2016 zur Unterstützung der Kommunen bei der Finanzierung der Flüchtlingsarbeit in ihren Gemeinden vor.

Wir bauen im engen Dialog mit den Kommunen die Zahl der Unterkünfte ab, 10.000 an der Zahl, um auch Turnhallen, wenn es in den Gemeinden denn gewünscht ist, für den Schulsport wieder zur Verfügung stellen zu können. Wir haben inzwischen einen Puffer geschaffen, sodass wir den Kommunen weitere Verschnaufpausen verschaffen können. Im September und Oktober war es noch so, dass manche von uns im Ministerium abends nach Hause gegangen sind nicht wissend, ob wir alle untergebracht haben.

Wir fahren auf Sicht. Wir schauen uns jeden Tag an, wie viele Menschen nach Nordrhein-Westfalen kommen. Aber solange wir das als Land schaffen können, werden wir denjenigen Kommunen, die ihre Zuweisungsquote, ihre Aufnahmequote erfüllt haben, keine weiteren Flüchtlinge zuweisen.

Aber zugleich, Herr Kuper, wissen Sie, dass auch die Kommunen, die ihre Quote noch nicht erfüllt haben, nicht weil sie es nicht wollten, sondern weil sie möglicherweise einen schwierigen Wohnungsmarkt haben, weil sich bauliche Maßnahmen nicht in dem Tempo haben verwirklichen lassen, wie es ursprünglich geplant war, im Sinne einer kommunalen Gerechtigkeit ihren Beitrag leisten müssen. Wir weisen nur noch den 21 Kommunen von 396 in Nordrhein-Westfalen zu, die diese Quote nicht erfüllt haben, weil wir in den Landeseinrichtungen in den letzten Monaten mit viel Kraft, mit viel Energie und übrigens mit viel Kreativität diesen Puffer aufgebaut haben. Wie wir mit dieser Situation umgehen, das ist praktische Flüchtlingspolitik und verantwortungsvoll, und das sollten auch alle politischen Akteure an den Tag legen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute und sieben Sekunden überschritten.

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Ralf Nettelstroth das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Flüchtlingspolitik“ beschäftigt uns alle, und das zu Recht, denn es ist eine der größten und historischsten Herausforderungen, die dieses Land je erlebt hat. Von daher ist es auch richtig, dass sich dieser Landtag mit dieser Frage befasst und die Frage aufgeworfen wird, wie diese rot-grüne Landesregierung mit dieser Thematik umgeht.

Lieber Herr Dr. Stamp, wenn die FDP diesen Antrag stellt, dann ist sie natürlich auch gefordert, Lösungen anzubieten. Die Lösung kann nicht sein, dass Sie auf der einen Seite am Anfang Ihres Redebei

trags sagen, dass Sie sich in einer humanitären Pflicht sehen – dem stimme ich zu –, andererseits aber sagen: Meine Lösung sieht so aus, dass wir zu Dublin III zurückkommen müssen mit der Folge, dass gerade die Staaten, die jetzt schon kurz vor dem Ende stehen und mit der Situation nicht klarkommen, wie Griechenland, wie Italien, alleine gelassen werden.

(Beifall von der CDU)

Sie fordern eine klare Wende in der Flüchtlingspolitik, zeigen aber nicht auf, wie diese aussehen soll. Leider muss ich feststellen, dass sich das durch die ganze Debatte gezogen hat. Hier wird an allem ein bisschen herumgemäkelt: Das BAMF leistet nicht so schnell, wie man sich das wünschen würde. An der einen oder anderen Stelle geht es nicht voran.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Aber zu der Frage der strukturellen Lösung, Herr Körfges, haben auch Sie hier keinen großen Beitrag geleistet.

(Beifall von der CDU)

Die SPD zieht den Kopf ein in der Hoffnung, dass andere für sie politisch zu Lösungen beitragen, und beschwert sich noch zunehmend darüber, dass dies offen stattfindet, und das in einer Demokratie.

Meine Damen und Herren, wir stehen in der Tat vor riesigen Herausforderungen. Deshalb ist es notwendig, dass wir dazu auch Antworten geben. Diese Antworten sehen nun einmal in einer globalisierten Welt nicht einfach aus. Sie lassen sich eben nicht national allein dadurch beantworten, dass man Grenzkontrollen und Zäune aufbaut und die Zäune immer höher baut, denn die Probleme in der Welt verschärfen sich.

In einer solchen globalisierten Welt müssen wir auch globalisierte Antworten geben. Deshalb bin ich in der Tat bei der Bundeskanzlerin Frau Merkel und ihrer Strategie, die darauf aufbaut, genau dort anzusetzen.

Ich gebe Ihnen recht, es gibt eine Vielzahl von Aufgaben, und sie sind schwierig anzugehen:

Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Die Länder, die diese Krisen ausgelöst haben, zu befrieden, ist eine enorme Herausforderung, aber sie wird angegangen. Wir sehen zum Beispiel, dass es in Libyen funktioniert und es auch erste Ansätze gibt, in Syrien zu Erfolgen zu kommen.

Man muss den Ländern helfen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesen flüchtlingsverursachenden Staaten sind. Es ist doch ein humanitärer Ansatz, der Türkei, die 2,6 Millionen Menschen aufgenommen hat, Unterstützung zu gewähren, den Leuten dort eine Perspektive zu geben, die über normales Essen hinausgeht. Diese Hilfe muss dazu führen, dass man einen vernünftigen Lebenswandel führen

und vor allem den Kindern Schule und Ausbildung vor Ort vermitteln kann.

(Beifall von der CDU)