Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gesetz zur Senkung der Ausweisungshürden bei Straftätern: Auch das ist wieder so ein Etikettenschwindel. Erstens verringern Sie damit noch lange nicht die Verfahrensdauer bei genau den Problemfällen, die wir haben. Bei der Verfahrensdauer bleibt es erst einmal.

Das heißt, wenn wir die Verfahrensdauern reduziert haben und es tatsächlich zu einer Ablehnung kommt, denn die meisten der Straftäter aus Marokko und Algerien werden abgelehnt,

(Zurufe von der CDU)

dann haben wir zweitens noch das Problem, dass die Länder, in die diese dann abgeschoben werden sollen – Straftäter hin oder her; das hat damit im Übrigen gar nichts zu tun –, diese Straftäter gar nicht zurücknehmen. Das lösen Sie mit diesem Gesetz auch nicht.

Drittens lösen Sie mit diesem Gesetz nicht das Problem, dass die meisten der jungen Männer – das sind sie ja –, die hier wirkliche Problemfälle darstellen, wie Sie feststellen, wenn Sie sich die Statistik angucken, aus Spanien und aus Frankreich einreisen und damit zu sogenannten Dublin-III-Fällen werden. Auch diese Länder nehmen diese Straftäter nicht zurück.

Das heißt, all das, was Sie der Bevölkerung immer verkaufen – wir handeln jetzt, und morgen lösen wir damit die Probleme –, hat etwas mit Etikettenschwindel zu tun. Dass wir dazu nicht einfach Ja und Amen sagen, hat nichts mit dem Blockieren von Lösungen zu tun – das Gegenteil ist der Fall –, sondern wir wollen einen Weg hin zu realitätstauglichen Lösungen aufzeigen, statt dass die Leute hier für dumm verkauft werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wissen Sie, was am Ende passiert, wenn der ganze Blödsinn, der wahrscheinlich irgendwann beschlossen wird, nicht wirkt? – Dann rennen noch mehr von Ihren Wählern zur AfD, denn sie sagen sich, die können es doch nicht. Damit verursachen Sie mehr Politikverdrossenheit, als dass Sie tatsächlich mehr Vertrauen in staatliches Handeln schaffen.

Letzte Anmerkung: Es ist doch ganz einfach: Wir brauchen bei der Aufnahme geordnete Verfahren. Wir brauchen eine zügige und schnelle Integration für die, die bleiben. Wir brauchen eine wirksame

und humanitäre Rückführung für die, die nicht bleiben können, und wir brauchen – da stimme ich Ihnen ausnahmsweise zu, Herr Nettelstroth – bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen etwas mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Ich glaube, dann gibt es hier einen Konsens.

Anfang der 2000er-Jahre war das in diesem Land schon einmal möglich: Das war die Integrationsoffensive 1. Es war gut für dieses Land, dass wir uns alle zusammengesetzt und jenseits dieser parteitaktischen Spielchen gemeinsam an der Lösung der Probleme gearbeitet haben. Das hat damals funktioniert, das war ein Profit für alle. Ich glaube, so etwas brauchen wir auch jetzt wieder.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Herr Minister, Sie hatten sich noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Stamp, in Ihrem Wortbeitrag fiel der Satz: Das gehört zur Wahrheit dazu. – Ich habe das Gefühl, Herr Stamp, dass Sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.

(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)

Ich frage mich auch ganz offen, warum wir eigentlich regelmäßige Telefonschaltkonferenzen durchführen, wenn Sie am Ende etwas anderes behaupten, als das, wir miteinander besprochen haben.

(Zurufe von der FDP: Wo sind denn Ihre Maßstäbe? Er hat keine Maßstäbe! – Wider- spruch von der FDP)

So, jetzt mache ich mal die Maßstäbe. Fangen wir mit den sicheren Herkunftsländern an. Herr Stamp, Sie werfen der Landesregierung und den regierungstragenden Fraktionen vor, wir hätten da irgendetwas blockiert; es hätte alles viel eher kommen können.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das haben wir schon vor anderthalb Jahren beantragt!)

Ja, Herr Stamp, jetzt werden wir es einmal schön abschichten. Was eigentlich heißt „sichere Herkunftsländer“? Es heißt, dass dort eine niedrige Schutzquote herrscht und dass die Menschen, die aus diesen Herkunftsländern kommen, lange in den Landeseinrichtungen verbleiben dürfen. „Sichere Herkunftsländer“ bedeutet auch, dass das BAMF angezeigt ist, die entsprechenden Anträge möglichst schnell zu bearbeiten.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen in fünf Einrichtungen 1.700 Plätze für diese Menschen vorgesehen, Herr Stamp. 1.700!

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ja, jetzt!)

Wir könnten auch 5.000, wir könnten auch 10.000, wenn – was erforderlich wäre – die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge diese Anträge auch schnell bearbeiten würde. Dazu fehlen die Kapazitäten, Herr Stamp.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Die brauchen wir gar nicht!)

Tatsächlich hatten wir im letzten Jahr in unseren Einrichtungen 1.730 Fälle im beschleunigten Verfahren. Von denen haben 1.641 einen ablehnenden Asylbescheid erhalten. Übrigens: 1.146, Herr

Stamp, sind nach einer Beratung freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückgegangen – freiwillig!

Was heißt das? Was lehrt uns das? Auch auf die Erwiderung von Herrn Laschet möchte ich antworten: Nicht die Diskussion um sichere Herkunftsländer oder lange parlamentarische Verfahren ändert irgendetwas an der Situation, ob die Menschen zu uns kommen oder nicht zu uns kommen, sondern nur praktisches Verwaltungshandeln.

Eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von 2,1 Tagen hat das BAMF bei diesen 1.700 Fällen gebraucht. Herausragend! Zugleich aber braucht das BAMF 14,7 Monate bei Nordafrikanern, die die gleiche schlechte Schutzquote haben wie Menschen aus dem Westbalkan.

Damit wird deutlich: Diese ganze Diskussion um sichere Herkunftsländer ist ein Herumdoktern an den Ursachen. Wenn das Wirklichkeit wäre, was die Große Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart hat, dass nämlich Asylanträge in der Bearbeitung nie länger als drei Monate dauern, bräuchten wir diese Scheindebatten um Scheinlösungen überhaupt nicht mehr zu führen. Klares Verwaltungshandeln!

(Beifall von der SPD)

Wie ist das Asylverfahren? Wie sind die Verantwortungen, Herr Stamp? Sie wissen das eigentlich. Länder und Kommunen müssen faktisch alles leisten: Dach über dem Kopf, Bett, Essen, gesundheitliche Versorgung, Kindergartenplätze, Schulplätze – die komplette Leistung der Integration.

Was macht der Bund? Der Bund braucht nur Asylanträge zu bearbeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine Behörde, die lange Zeit im Dornröschenschlaf gelegen hat und jetzt langsam Fahrt aufnimmt, die aber noch längst nicht das Tempo hat, um das eigentliche Problem in Deutschland zu beseitigen –wir bezeichnen es als „Flaschenhals“ in diesem Asylverfahren –, nämlich nicht in die Pötte zu kommen, Herr Stamp.

(Zuruf Dr. Joachim Stamp [FDP])

Jetzt laden Sie Ihren Frust nicht hier ab, in völliger Unkenntnis und mit falscher Darstellung dessen, was wir miteinander besprochen haben. Kanalisieren Sie Ihre Kritik doch einmal dahin, wohin sie ge

hört – nämlich nach Nürnberg zu diesem Bundesamt, Herr Stamp.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Ich möchte noch eines deutlich sagen, Herr Stamp: Sie haben mich gerade zitiert – und dabei völlig aus dem Kontext gerissen – mit den Worten: „Fahren auf Sicht“. – „Fahren auf Sicht“ habe ich in der Tat gesagt, aber weiß Gott nicht bezogen auf die nordrhein-westfälische Flüchtlingspolitik. Sie wissen vielmehr ganz genau, in welchem Zusammenhang ich diesen Begriff benutzt habe: Es geht nämlich darum, dass wir den Kommunen weitere Verschnaufpausen verschaffen.

Das ist übrigens in keinem anderen Bundesland in dem Maße der Fall wie bei uns: Wir sind in Nordrhein-Westfalen mit einem stabilen Unterbringungssystem in der Lage, den Kommunen über einen längeren Zeitraum keine Flüchtlinge zuzuweisen, damit sie verdientermaßen eine Verschnaufpause machen können.

Da müssen wir auf Sicht fahren, Herr Stamp. Alles andere wäre unverantwortlich. Wir können das dann durchhalten, wenn wir wissen, wie viele Flüchtlinge jeden Tag nach Nordrhein-Westfalen kommen. Da müssen wir in der Tat auf Sicht fahren, weil sich diese Zahl jeden Tag verändert. Also, wenn Sie mich schon zitieren, Herr Stamp, dann bitte ordentlich im Kontext.

(Beifall von der SPD)

Sonst muss ich Sie daran erinnern: Sie haben in Ihrem Bericht die Wahrheit gepredigt, nicht ich. – Danke schön.

(Beifall von der SPD – Zuruf von den PIRATEN: Sie fahren auch sonst auf Sicht! Das ist das Problem!)

Vielen Dank, Herr Minister. – Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache, und ich schließe die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

3 Einsetzung eines Untersuchungsausschus

ses gemäß Artikel 41 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu den massiven Straftaten in der Silvesternacht 2015 und zu rechtsfreien Räumen in Nordrhein-Westfalen („Un- tersuchungsausschuss Silvesternacht 2015“)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und der Fraktion der FDP Drucksache 16/10798 – Neudruck

Änderungsantrag des fraktionslosen Abg. Schwerd Drucksache 16/10884

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDUFraktion dem Kollegen Biesenbach das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Silvesternacht kam es zu einem Ereignis, das Nordrhein-Westfalen weltweit in die Schlagzeilen brachte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Ereignis hier aus diesem Land sowohl in der „Washington Times“ als auch in der „New York Times“ sowie in der „BBC“ zeitgleich am selben Tag lief.