Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Silvesternacht kam es zu einem Ereignis, das Nordrhein-Westfalen weltweit in die Schlagzeilen brachte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Ereignis hier aus diesem Land sowohl in der „Washington Times“ als auch in der „New York Times“ sowie in der „BBC“ zeitgleich am selben Tag lief.
Gut, Sie können sich erinnern. Während meiner aktiven Zeit hier ist das sicherlich eines der seltenen Ereignisse.
Parallel dazu ist aber auch zu bemerken – ich sage es einmal in meinen Worten –, dass der Vorfall wie eine Schockwelle durch Nordrhein-Westfalen ging. Nicht nur die Medien hatten ein Thema, über das sie intensiv berichteten. Egal mit wem man zusammensaß – es war immer die Frage: Was ist denn da los?
Wir haben in den Tagen nach der Silvesternacht mitbekommen, wie viele Fragen gestellt wurden: Wie konnte es dazu kommen? Ließe sich so etwas verhindern? – Erst recht wurde gefragt: Darf ich denn weiterhin unbesorgt auch abends und nachts durch die Straßen in den Großstädten oder auf dem Land gehen?
Wir haben viele dieser Fragen bis heute nicht beantworten können, weil nicht die Zeit und die Ruhe da war, sich einmal intensiv darum zu kümmern: Was ist geschehen? Wie konnte es dazu kommen? Was muss passieren, damit wir so etwas in Zukunft vermeiden?
Deshalb begrüße ich, dass sich heute bis auf die Piraten alle Fraktionen des Landtags darauf einigen konnten, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Allein daran, dass wir heute auch schon die personelle Besetzung festlegen, ist zu bemerken, wie wichtig wir die Situation nehmen; denn üblicherweise werden die Personen, die den Ausschuss bearbeiten sollen, erst in der nachfolgenden Plenarsitzung einberufen.
Das macht aber auch deutlich, welch enges Zeitfenster uns zur Verfügung steht. Wir wissen, dass wir bis in den Spätherbst hinein Zeit haben, dieses Thema zu bearbeiten, danach dann aber keine Zeit mehr haben werden, um Zeugen zu vernehmen oder Akten zu lesen; denn dann muss der Abschlussbericht geschrieben werden.
Ich mache uns allen keine Illusionen: Wir haben die sitzungsfreie Zeit um Ostern, wir haben die sitzungsfreie Zeit im Sommer, und wir haben die sitzungsfreie Zeit im Herbst. Das heißt, unser Zeitfenster ist eng, und die Notwendigkeit groß; denn es werden viele Sitzungen erforderlich sein, weil es viele Zeugen zu hören gibt.
Das macht auch deutlich, dass ich die Kolleginnen und Kollegen, die in dem Ausschuss mitmachen wollen, schon jetzt bitte, sich doch darauf einzustellen, dass sie für ihre übrige Ausschussarbeit häufig Vertretungen brauchen, denn wir werden nicht damit auskommen, vielleicht einmal in der Woche zu tagen. Dann bleiben nicht viele Wochen.
Auch hier weiß ich, wie schwierig das etwa bei den kleineren Fraktionen sein wird, denn auch hier müssen Vertretungen gefunden werden. Ich schaue dabei Herrn Schulz an; er bekommt es auch in dem anderen Ausschuss mit. Es wird jedoch nötig sein; denn sonst kriegen wir unsere Arbeit nicht hin.
Die vorrangigste Aufgabe dieses Ausschusses ist aus meiner Sicht, das Vertrauen in der Bevölkerung wiederherzustellen oder zu sichern – je nachdem, wie Sie es betrachten –, dass der Rechtsstaat sich in Nordrhein-Westfalen keine Auszeit nehmen kann und auch keine Auszeit nimmt. Wir müssen deutlich machen, dass unsere Ordnungskräfte – hier steht insbesondere die Polizei im Fokus – in die Lage versetzt wird, die Einsätze zu schaffen, die erforderlich sind, um auch solche Großlagen zu beherrschen und in den Griff zu bekommen.
Wie vielfältig die Fragen sind, die wir zu bearbeiten haben werden, zeigen schon die Überschriften. Es wird um die Einsatzplanung gehen. Es wird um die Durchführung des Einsatzes gehen, und es wird um die Nachbearbeitung des Einsatzes gehen, parallel mit der Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen herausfinden, wo die Pannen waren. Daraus können wir lernen. So etwas darf sich hier bei uns nicht wiederholen.
Wir werden uns um die Personalsituation der Polizei zu bemühen haben. Ist die Polizei noch in der Lage, mit den Kräften, die sie jetzt hat, solche Situationen und ihre anderen Aufgaben künftig zu meistern? Oder müssen wir möglicherweise etwas ändern?
Was lernen wir aus HoGeSa, aus der Silvesternacht, aus den anderen großen Einsätzen im Hinblick darauf, was erforderlich ist? Worüber müssen wir nachdenken, was die Einsätze angeht? Wir werden uns über die Ausrüstung der Polizei zu unterhalten haben. Die Klagen sind bekannt. Wir werden uns über die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen zu unterhalten haben. War das ein Einzelfall oder ein besonders dramatischer Fall? Wie sieht die Situation aus?
Wir müssen weiter fragen: Gibt es, wie es behauptet wird, die No-go-Areas, die rechtsfreien Räume? Kann es auch sein, dass sich die Situation so entwickelt hat, weil wir der Alltagskriminalität vielleicht nicht die Aufmerksamkeit gewidmet haben, die sie erfordert?
Sie merken: Das ist ein großes Paket. Der Ausschuss soll die Schlussfolgerungen daraus ziehen im Hinblick auf die künftige Vorbereitung und Durchführung entsprechender Einsatzlagen, in Bezug auf die Struktur, die Organisation und die Schwerpunktsetzung der Polizei, im Hinblick auf die Aufgaben der Polizei, auf ihre Eingriffsbefugnisse. Es geht um alle Maßnahmen, die notwendig sind, damit wir demnächst sagen können: Gehen Sie ruhig durch die Stadt, in der Sie wohnen, gehen Sie ruhig durch die Stadt, in der Sie gerade unterwegs sein möchten! Für Ihre Sicherheit ist gesorgt.
Ich habe inzwischen gelesen, wer für den Untersuchungsausschuss vorgeschlagen wird, und ich weiß: Das sind engagierte Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich auf die Arbeit im Ausschuss, ich mache mir aber keine Illusionen. Wir haben einen großen Berg an Arbeit vor uns liegen. Wir werden sehr viel Detailarbeit betreiben müssen. Wir werden zwischendurch auch immer zu überlegen haben: Welche Schlussfolgerungen sind wirklich möglich und nötig?
Dieser Ausschuss wird dann Erfolg haben, wenn es uns gelingt, den Eindruck zu vermitteln, dass wir uns ernsthaft um die Sache kümmern. Wir versuchen, Lösungen zu finden, und mit diesen Lösungen wollen wir das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen. Das ist wirklich sinnvoll. So können wir auch den notwendigen Schutz gewährleisten.
Das Gewaltmonopol in Nordrhein-Westfalen wollen wir nicht abgeben. Es muss beim Staat bleiben. Dann müssen aber die Kräfte, die uns dabei helfen sollen, auch in der Lage sein, dieses Monopol durchzusetzen und auszuüben.
Ich würde gerne die Obleute schon für den Freitagmorgen zu einem Gespräch bitten, damit wir anfangen können zu überlegen: Wann konstituieren wir uns? Wie setzen wir unseren Zeitplan? – Ich freue mich auf die Arbeit.
Ich hoffe, wir werden bald die Ergebnisse präsentieren können, von denen jeder sagt: Gut gemacht! – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Vorsitzender Biesenbach. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Lürbke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Silvesternacht war ohne Frage eine Zäsur in der innenpolitischen Diskussion in Deutschland; sie war aber vor allen Dingen eine Zäsur im Zusammenhang mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung unseres Landes. Das Sicherheitsempfinden, vor allen Dingen das Vertrauen in die Integrität unseres Rechtsstaates und der staatlichen Institutionen, wurden durch die Geschehnisse der Silvesternacht in erheblichem Maße beschädigt.
Erste Formen der Selbstjustiz machen sich mittlerweile in unserem Land breit. Bürger rüsten auf. Die Verkaufszahlen von Pfefferspray oder auch die Nachfrage nach Kleinen Waffenscheinen steigen auf Rekordhöhe. Zugleich patrouilliert dieser Tage eine Bürgerwehr durch die Düsseldorfer Altstadt oder über den Bielefelder Boulevard. Rocker fühlen sich berufen – wie zuletzt in Neuss –, in unserem Land für Ordnung zu sorgen.
Meine Damen und Herren, das ist ein brandgefährlicher Trend, den wir hier nicht dulden können und vor allen Dingen auch nicht dulden wollen!
Deshalb ist es unsere Aufgabe, den Menschen das Vertrauen in ihre Sicherheit und den Rechtsstaat wieder zurückzugeben.
Hierzu muss der Parlamentarische Untersuchungsausschuss einen wesentlichen Beitrag leisten; Kollege Biesenbach hat das gerade schon erwähnt.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Nein, dieser In- nenminister muss dafür sorgen! Die Landes- regierung muss dafür sorgen, nicht der Un- tersuchungsausschuss!)
Die Bürger haben einen Anspruch darauf, sich jederzeit – egal wann und wo – in NordrheinWestfalen sicher zu fühlen. Das ist der Grundpfeiler unseres Zusammenlebens: Kriminelle müssen den Rechtsstaat spüren, und Bürger müssen sich auf ihn verlassen können.
Das war in der Silvesternacht nicht der Fall. Deshalb sind die Politik, der Rechtsstaat und wir in einer Art Bringschuld, dieses Sicherheitsgefühl wieder zu stärken. Dazu muss die lückenlose Aufarbeitung als eine Pflichtaufgabe ihren Beitrag leisten. Das sind wir auch den über 1.000 Opfern der Silvesternacht schuldig.
Das kann jedoch den Schmerz und die Demütigung der Opfer allenfalls mildern, aber natürlich nicht ungeschehen machen. Deshalb muss neben der Aufklärung des Geschehenen die Zielsetzung stehen,
Meine Damen und Herren, die Opfer dürfen sich nicht allein gelassen fühlen und vor allem nicht allein gelassen werden.
Deshalb müssen wir uns auch dem Opferschutz widmen; das steht außer Frage. Wir brauchen eine tragfähige Struktur des Opferschutzes, der Opferhilfe in Nordrhein-Westfalen. Wir werden diesen Punkt laut Tagesordnung gleich im Anschluss beraten.
Ich will jedoch in aller Deutlichkeit sagen: Die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses
ist das schärfste Schwert des Parlamentes, das aber an dieser Stelle notwendig ist. Die bisherige Aufklärung hier im Parlament – auch in der Sondersitzung des Innenausschusses – hat nicht ausgereicht, die Geschehnisse der Silvesternacht wirklich lückenlos zu durchleuchten.
Deshalb müssen strukturelle Defizite noch viel stärker in den Blick genommen und umgehend erkannt und beseitigt werden. Auch das ist zentrale Aufgabe des kommenden Parlamentarischen Untersu
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Fragen sind bis heute nicht restlos beantwortet: Wie gestaltete sich tatsächlich die Planung, die Durchführung, die Nachbereitung dieses Polizeieinsatzes bei den Sicherheitsbehörden, aber auch beim Innenministerium? Wie und wo sind da Zusammenhänge mit der lange bekannten angespannten Personalsituation der Polizei? – Das gilt übrigens sowohl für die Landespolizei als auch für die Bundespolizei.
Welche Lehren wurden aus HoGeSa oder der Loveparade gezogen – oder eben auch nicht? Wie steht es wirklich um die Situation rechtsfreier Räume in Nordrhein-Westfalen? Auch diese Fragen muss der PUA beantworten und vor allen Dingen auch, wo hier Ursachen zu suchen sind.