Protokoll der Sitzung vom 11.05.2016

Ein Letztes ist mir noch wichtig: Es ist schon interessant, wenn man sich das Verhältnis der Umlandgemeinden zum Köln/Bonner Flughafen und zum Düsseldorfer Flughafen anguckt. Daran kann man auch eines lernen – und das ist parteiübergreifend ein wichtiges Thema –, nämlich: Wie man mit den Menschen umgeht, wie man sie unterstützt, wie man ihnen hilft, hat auch einen Anteil daran, wie stark die Proteste jeweils sind. Es ist schon augenfällig, wenn man das vergleicht.

Deshalb haben wir eine große Verantwortung, keine politischen Monstranzen vor uns herzutragen, so zu tun, als ob wir so klar sind in der Richtung, obwohl wir genau wissen, dass es in unseren eigenen Parteien Diskussionen dazu gibt. Es geht darum, ganz nüchtern und sachlich zu fragen: Was macht Sinn? Und wie kriegt man einen vernünftigen Abwägungsprozess hin? Ich weiß, dass wir bei diesem Minister einen solchen Abwägungsprozess genau in den richtigen Händen haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Ott. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zur Aktuellen Stunde nicht vor. Damit sind wir am Ende Aussprache. Ich schließe die Aktuelle Stunde.

Bevor wir Tagesordnungspunkt 2 aufrufen, habe ich eine Bitte. Ich würde mich freuen, Herr Kollege Marsching, wenn Sie das T-Shirt entweder bedecken oder den Saal verlassen und es wechseln, weil Sie auf dem T-Shirt eine politische Aufforderung tragen. Das ist hier im Hohen Hause nicht üblich und auch kein parlamentarischer Brauch.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Ich darf Sie bitten, das so zu machen, wie Sie es für am praktischsten halten. Das Einfachste ist wahrscheinlich, Sie ziehen etwas drüber. Aber so sitzen bleiben können Sie hier leider nicht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich denke darüber nach!)

Bitte. Danke schön.

Wir rufen auf:

2 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den

Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfa- len – VSG NRW)

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU Drucksache 16/11892

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Als ersten Redner habe ich auf meinem Zettel für die CDU-Fraktion den Kollegen Daniel Sieveke stehen. Herr Sieveke, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 16. März dieses Jahres sind bei Terroranschlägen in Brüssel 35 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden. Unsere Gedanken sind weiterhin bei den Opfern und deren Angehörigen.

Unmittelbar nach dieser schrecklichen Tat hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger aus seinem Ministersessel in Düsseldorf in unglaublich arroganter Weise die belgischen Sicherheitsbehörden kritisiert. In der „WAZ“ vom 22. März 2016 erklärte der Minister, die Belgier hätten „möglicherweise eher eingreifen müssen“. Er zeigte sich „erschrocken darüber, dass eine mutmaßliche Terrorzelle … über Jahre unentdeckt bleiben konnte.“ O-Ton Ralf Jäger:

„Es geht nicht um einzelne, sich selbst organisierende Täter, sondern es wurde strukturiert und abgesprochen vorgegangen. Das setzt Zellenbildung voraus. … Es ist leichter, solche Zellen zu entdecken, als radikalisierte Einzeltäter. Und das ist das Erschreckende, dass eine solche Zelle dort nicht entdeckt werden konnte.“

Dazu fällt mir nur ein: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Spätestens nach dem Sprengstoffanschlag auf den Sikh-Tempel in Essen vor dreieinhalb Wochen müssen Sie, Herr Minister Jäger, diese überheblichen Aussagen wieder einsammeln. Denn bei den mutmaßlichen Attentätern handelt es sich um zwei 16-jährige Schüler aus Essen und Gelsenkirchen, die bekanntlich inzwischen festgenommen werden konnten. Vergangene Woche wurde ein weiterer Jugendlicher aus dem Kreis Wesel festgenommen, der nach einem Bericht der ARD-Sendung „Report München“ als Befehlshaber der Gruppe fungiert haben soll. Er soll Kontakte zur zweiten Generation der „Lohberger Brigade“ in Dinslaken gehabt haben.

Alle drei Jugendlichen werden dem salafistischen Spektrum zugeordnet und waren in einer zwölfköpfigen WhatsApp-Gruppe untereinander vernetzt. – Warum diese Zelle nicht rechtzeitig entdeckt werden konnte, hat Innenminister Jäger der Öffentlichkeit bislang leider nicht verraten wollen.

Meine Damen und Herren, dass Nordrhein-Westfalen die bundesweite Salafistenhochburg Nummer eins darstellt, ist bereits seit längerer Zeit bekannt. Seit dem Amtsantritt von Herrn Jäger als Innenminister des Landes hat sich die Zahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen von 500 auf 2.700 mehr als verfünffacht. 600 von diesen Personen gelten nach Angaben des NRW-Verfassungsschutzes als gewaltorientiert und davon wiederum 150 als besonders risikobehaftet.

Dass insbesondere bei militanten Islamisten eine fortschreitende Verjüngung des potenziellen Täterkreises zu beobachten ist, war in der Öffentlichkeit bislang weniger bekannt. Der Essener Anschlag hat dieses Problem jedoch sehr deutlich vor Augen geführt. In der letzten Innenausschusssitzung am 28. April 2016 gab der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes bekannt, dass sich allein die Zahl der minderjährigen Salafisten in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen beiden Jahren verdoppelt habe.

Das ist innerhalb kürzester Zeit ein wirklich besorgniserregender Anstieg, der zu der Frage führt, ob die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden über das nötige Rüstzeug für den Umgang mit diesen Jugendlichen verfügen. – Die ganz eindeutige Antwort ist: Nein, natürlich nicht.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Nach geltender Rechtslage darf der NRW

Verfassungsschutz personenbezogene Daten von minderjährigen Extremisten erst dann speichern, wenn diese Personen mindestens 16 Jahre alt sind. In dem konkreten Fall aus Essen konnten die nordrhein-westfälischen Behörden die beiden mutmaßlichen Attentäter deshalb erst überführen, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz ihnen entsprechende Daten zur Verfügung gestellt hatte.

Im Gegensatz zum nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz dürfen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzämter von 13 anderen Bundesländern entsprechende Daten bereits dann speichern, wenn die Jugendlichen das 14. Lebensjahr vollendet haben.

Aus Sicht der CDU-Fraktion ist der Zustand in NRW absolut inakzeptabel.

(Beifall von der CDU)

Es kann in unseren Augen nicht angehen, dass ausgerechnet das große Bundesland Nordrhein-Westfalen, das noch dazu das gravierendste Salafistenproblem in ganz Deutschland aufweist, gegenüber

minderjährigen Islamisten ohne Hilfe von außen schutzlos ist. Deshalb haben wir bereits vergangene Woche in der Fraktion beschlossen, dem Landtag den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes vorzulegen.

Nachdem sich Innenminister Jäger unseren Vorstoß bereits am Wochenende zu eigen gemacht hat, sich sogar eher damit brüstet, gehe ich davon aus, dass auch die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dem Vorschlag der CDU-Fraktion zustimmen werden und dass wir das Beratungsverfahren im Innenausschuss beschleunigen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Sieveke.- Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Körfges das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es mit einem sehr ernsten Problem zu tun. Vieles von dem, was Kollege Sieveke gerade angeführt hat, ist in der Tat erwägenswert.

Nur, lieber Herr Kollege, ich ermahne nicht nur Sie, sondern uns alle, an der Stelle bei aller politischen Einordnung das nötige Maß an differenzierter Betrachtung walten zu lassen. Denn zum Beispiel der Versuch, die schrecklichen Terroranschläge in Brüssel und das sicherlich auch erschreckende Ereignis in Essen sozusagen aus parteipolitischen Gründen gleichzusetzen,

(Daniel Sieveke [CDU] schüttelt den Kopf.)

dient weder der inneren Sicherheit noch den demokratischen Strukturen in unserem Land, Herr Kollege.

(Beifall von der SPD)

Lieber Herr Kollege, Sie sollten vielleicht, wenn es wirklich ernst wird, von Ihrem parteipolitischen KleinKlein ein wenig Abstand nehmen und sich stattdessen etwas verantwortlicher um die innere Sicherheit in unserem Lande kümmern.

Denn wir haben ein Verfassungsschutzgesetz, das in der derzeitigen Fassung ganz ausdrücklich versucht, die notwendige Beobachtung extremistischer Bestrebungen – insbesondere gewaltorientierter und gewaltbereiter Bestrebungen – auf der einen Seite und schutzwürdige persönliche Interessen und Belange auf der anderen Seite in Einklang zu bringen.

Wir haben uns bei der Beratung dieses Gesetzes mit dieser Güter- und Interessenabwägung intensiv beschäftigt. Ich erinnere an Anhörungen und Diskussionen zu diesem Punkt. Auch deshalb galt und gilt unser Verfassungsschutzgesetz in breiten Kreisen der

Innen- und Sicherheitspolitik nach wie vor als vorbildlich in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Allerdings – und da bin ich nahe bei Ihnen, Herr Kollege – haben nicht erst die jüngsten Ereignisse in Essen die schreckliche Erkenntnis verstärkt, dass zunehmend auch sehr junge Menschen – manchmal fast noch Kinder – in den Sog von Hass, Gewalt und Terror geraten und zu Tätern werden.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Ja, warum?)

Das ist aber eine Entwicklung – und da widerspreche ich ganz ausdrücklich; das lässt sich auch durch Zahlen und Statistiken belegen –, die nicht nur NRW betrifft. Die betrifft ganz Deutschland und ganz Europa. Ich glaube, auch da kommt es einer Verharmlosung des Problems gleich, wenn Sie immer nur den Fokus auf die Vorfälle in Nordrhein-Westfalen richten. Terror ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, an der Stelle leider nicht so einfach zuzuordnen. Dann wären nämlich die Probleme nicht so groß.

Herr Kollege Sieveke, auch wir in unserer Fraktion sehen uns in der Notwendigkeit, in diesem Zusammenhang kurzfristig tätig zu werden.

Ich will aber zwei Dinge vorwegschicken: In Hannover sitzt derzeit eine 15-Jährige in Haft, die – mit dem Hintergrund des religiösen Fanatismus und der Nähe zur Ideologie des Salafismus – einen Polizisten schwer verletzt hat. Sie gehört offensichtlich der Salafistenszene an. In Niedersachen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt – gemäß § 9 des Verfassungsschutzgesetzes – bereits das, was Sie hier an der Stelle für Nordrhein-Westfalen fordern, ausdrücklich. Darüber hinaus ist eben ja schon auf die Attentate in Belgien und Frankreich Bezug genommen worden.

Auch das zeigt, dass die bloße Kenntnis von möglicherweise gewaltbereiten Personen zwar eine wichtige Sache ist, aber natürlich nicht ausreicht, um dann erfolgreich Terror zu verhindern.