Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

(Beifall von der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Forderung ist nichts anderes als eine gelebte gegenseitige Rücksichtnahme bei der Verteilung von Kosten und Lasten in der kommunalen Familie. Genau deshalb sieht dieser Gesetzentwurf – übrigens auf unsere Initiative hin – vor, dass die kreisangehörigen Gemeinden in den Prozess der Umlagegenehmigung dann auch stärker eingebunden werden.

Ich darf daran erinnern, dass wir mit dieser Regelung den Kommunen vor Ort ein Recht zur Stellungnahme bei der Aufsichtsbehörde geben, bevor eine Umlageerhöhung genehmigt wird. Dieses wird – dessen bin ich sicher – helfen, den schwieriger gewordenen Dialog zwischen den Kommunen im kreisangehörigen Raum und den Kreisen zu verbessern. Schwieriger geworden ist er deshalb, weil die finanzielle Situation vor Ort so ist, wie sie ist.

Meine Damen und Herren, dass eine Pflicht zur Aufstellung von Haushaltssicherungskonzepten für Umlageverbände eingeführt wird, dass eine Gesetzeslücke geschlossen wird, die es den Umlageverbänden bislang verwehrte, verlorenes Eigenkapital wiederherzustellen, ergibt sich aus dem Text des Entwurfs. Ich glaube, auch das ist deutlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele von uns haben kommunale Erfahrungen, bevor sie in den Landtag gekommen sind, oder haben auch noch kommunale Mandate. Man weiß: Nichts ist in der kommunalen Finanzbeziehung so streitig wie eine Debatte um Kreisumlagen oder Landschaftsverbandsumlagen. Oftmals erschöpft sich vor Ort in den Debatten um die Haushalte jegliche Argumentation lediglich in der Fragestellung, um wie viele Prozentpunkte eine Umlage – meistens – steigen soll. Das ist für alle in der kommunalen Familie sehr ermüdend, denn hier werden Rituale gepflegt – das ist uns hier im Landtag ja völlig fremd, meine Damen und Herren –, und dadurch geraten andere Themenbereiche völlig aus dem Blickfeld.

Deswegen soll dieser Gesetzentwurf sicherstellen, dass eine Umlagebemessung in Zukunft noch besser rechtskonform ist, dass eine Umlagebemessung unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme erfolgt und dass eine Umlagebemessung auch vorhandene Konsolidierungspotenziale bei den Umlageverbänden stärker in den Blick nimmt. Das ist die Stoßrichtung dieses Gesetzes.

Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf damals mit erarbeitet und mit eingebracht. Deshalb werben wir um Zustimmung. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe zum ersten Mal, dass der Innenminister die Stirn kraust. Herr Jäger, es stimmt, am heutigen Tag gab es für Sie nur Anlass, sich zu freuen. Sie wissen aber, dass wir bei dem Gesetzentwurf, über den wir jetzt reden, keinen Anlass sehen, sich wirklich zu freuen.

Ich musste gestern lachen, als der Kollege Rasche sagte – er ist gerade nicht da –, man solle schnell die kommunalen Gesetzentwürfe mit FDP-Einfluss behandeln. Ich glaube, der FDP-Einfluss war hier entweder nicht allzu groß oder nicht besonders glücklich. Wir nehmen nämlich etwas auf – das haben wir gerade schon gehört –, was wir in der letzten Legislaturperiode schon einmal hier besprochen haben. Dazu hat es seinerzeit auch keinen Beifall von uns gegeben.

Sie machen konsequent ein Umlagegesetz nach dem Motto: Wir wollen den Bezirksregierungen die Möglichkeit geben, ein wenig einzugreifen, und zwar als vernünftige Ergänzung zum Stärkungspakt. Die Lösung wäre vernünftig, wäre der Stärkungspakt vernünftig. Sie wissen doch, Herr Hübner, was Ihnen Ihre eigenen Bürgermeister dazu gesagt ha

ben. Sie haben etwas angeboten und lassen sich groß feiern für etwas, was im Grunde niemand haben will.

(Zurufe von Hans-Willi Körfges [SPD] und Michael Hübner [SPD])

Aber Sie treiben damit einen Keil in die kommunale Familie.

(Beifall von der CDU)

Das haben wir ausführlich besprochen, und darüber werden wir weiter ausführlich reden. Sie haben denselben Keil mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz hineingetrieben. Sie bringen auch hier nicht einmal Hoffnung. Es gibt keine Hoffnung. Sie erwecken in Kommunen, die selbst in Notlagen sind, den Eindruck, als ob sie aufgrund des Umlagegenehmigungsgesetzes über die Bezirksregierungen Einfluss nehmen könnten auf die Kreisumlage. Sie könnten ja Einfluss nehmen – nur, welche Bezirksregierung wird irgendeine Umlageänderung vornehmen? Ich prognostiziere das deshalb mit einer relativen Sicherheit, weil das auch in den letzten Jahren nicht geschehen ist, obwohl auch in dieser Zeit die Bezirksregierungen die Chance gehabt hätten, einzugreifen.

Sie suggerieren bei kreisangehörigen Kommunen die Hoffnung, als ob es noch Einsparpotential bei den Kreisen gäbe. Sehen Sie die wirklich? Aus meinem eigenen Kreis kann ich sagen, dass wir dort bei 0,8 % liegen. Bei dieser Situation kommt nicht einmal mehr ein Bürgermeister auf die Idee zu sagen: Das könnten wir einsparen. – Das akzeptiert der.

Betrachten wir einmal insbesondere die Kreise, die viele Stärkungspaktgemeinden haben. Glauben Sie, dass diese Kreise nicht kommunalfreundlich sind und sagen, sie gäben noch mehr Geld aus, während die anderen bluten?

Sie haben in diesem Gesetzentwurf noch einen konstruktiven Fehler, der in dem Vorschlag gar nicht angesprochen ist, und der betrifft die Sonderumlage. Sie sagen: Dann, wenn sich das Vermögen des Kreises aufzehrt, soll er die Chance erhalten, sich bei den Kommunen mit einer Sonderumlage wieder Eigenmittel zu holen. Das muss man sich vor allem in den Kreisen einmal vorstellen – ich nehme als Beispiel die Kreise Unna und Recklinghausen –, die besonders arme Kommunen haben. Dort gibt es auch besonders viele Stärkungspaktkommunen. Denen zwingen Sie ein Sparpaket auf, von dem die Gemeinden sagen, dass sie das gar nicht schultern können. Zusätzlich wollen Sie aber die Kreise in die Lage versetzen, eine Sonderumlage zu erheben, um von den Stärkungspaktgemeinden wieder etwas abzuholen. Das ist das besonders Schöne: Die sollen sparen, wozu sie sagen müssen, dass sie das gar nicht können, erhalten ein wenig Landesmittel – ein paar Almosen –, und die holt sich der Kreis mit

der Sonderumlage wieder. Und das feiern Sie hier als kommunalfreundlich oder als Rettungspaket?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Kommunalfinanzen werden wir hier in den nächsten Monaten und Jahren sicher ausführlich debattieren. Lassen Sie uns das Gesetz ganz niedrig hängen. Es passt in Ihre Konstruktion. Nur das, was Sie anbieten, passt nicht. Es hilft weder den Kommunen noch dem Land. Es spaltet nur die kommunale Familie. Erwarten Sie bitte nicht, dass wir dem zustimmen. Das werden wir mit Sicherheit nicht tun.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege, ich darf eben Folgendes sagen: Es geht nicht um mich. Der jeweilige Präsident ist amtierender Präsident, egal ob er Vizepräsident ist oder Präsident. Ich möchte darauf in aller Freundlichkeit hinweisen. Es geht nicht um mich, sondern auch um die anderen Vizepräsidenten, die demnächst einmal die Sitzungsleitung übernehmen.

Entschuldigen Sie: Sehr geehrter Herr Präsident!

Die Kreisordnung, die Landschaftsverbandsordnung und das Gesetz über den Regionalverband Ruhr sollen geändert werden. Die beantragten Änderungen beziehen sich im Wesentlichen auf die folgenden Punkte:

Erstens. Die Genehmigung der Aufsichtsbehörde ist nun nicht mehr nur bei Erhöhungen, sondern bei jeder Festsetzung der Umlagen erforderlich.

Zweitens. Die Umlageverbände haben Haushaltssicherungskonzepte aufzustellen. Allerdings bestand diese Pflicht in der Sache bereits.

Drittens. Die Umlageverbände können eine Sonderumlage erheben, sofern im Jahresabschluss eine Inanspruchnahme des Eigenkapitals erfolgt ist. Die Sonderumlage ist zu erheben, sofern eine Überschuldung eingetreten ist, also nach der Bilanz das Eigenkapital angeknabbert wurde. Die Erhebung der Sonderumlage bedarf ebenfalls der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde.

Und – last but not least – viertens: Die Jugendamtsumlage wird in eine eigenständige Umlage umgewandelt.

Der Hintergrund ist, dass die Umlageverbände aufgrund des Rücksichtnahmegebots – je nachdem – die Kreisumlage, die Landschaftsverbandsumlage oder die Umlage des Regionalverbandes Ruhr zu niedrig angesetzt haben und daher ein Eigenkapitalverzehr eingetreten ist.

Auf den ersten Blick scheint das alles sehr vernünftig. Die Umlageverbände nehmen Rücksicht auf ihre Mitglieder. Nicht geplante Defizite sollen durch eine Sonderumlage behoben werden dürfen. Und die Aufsichtsbehörden sind qua Genehmigungsverfahren, an der Umlagefestsetzung beteiligt. Also alles in Ordnung?

Die Frage stellt sich aber, ob durch ein solches Gesetz die strukturellen finanziellen Probleme der Umlageverbände tatsächlich gelöst oder vielmehr nur Symptome behandelt werden. Man könnte auf der anderen Seite lax einmal sagen: Unter Aufsicht darf der eine nackte Mann dem anderen nackten Mann in die Tasche greifen.

Ich möchte, verehrter Herr Präsident, aus dem Gutachten von Junkernheinrich und Micosatt zum alten Gesetzentwurf Drucksache 15/3535, der Stellungnahme vom 20.01. dieses Jahres, zitieren:

„Bei Anwendung des Rücksichtnahmegebotes … wird das fiskalische Problem nur zeitlich verschoben, indem es breiter verteilt wird: Die Defizite der Gemeinden steigen nicht so schnell und folglich verlangsamt sich für sie die Aufzehrung des Eigenkapitals. Die mögliche Überschuldung tritt für sie später ein.“

Weiter heißt es:

„Ohne Lösung des grundsätzlichen Finanzierungsproblems schlägt die nachträgliche Erhebung einer Ausgleichsumlage bzw. die Verpflichtung zur Erhebung einer Sanierungsumlage“

im neuen Entwurf „Sonderumlage“ genannt –

„der strukturelle Finanzbedarf des Umlageverbandes umso härter auf die Mitgliedsgemeinden durch.“

Das grundsätzliche Problem wird auch vom Städtetag und vom Städte- und Gemeindebund NRW in ihrer Stellungnahme vom 17.01. gesehen. Und der Landkreistag hebt natürlicherweise die mangelnde finanzielle Ausstattung der Kreise hervor.

Generell ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass die Umlagesätze aller Verbände politisch immer heftiger diskutiert werden und die Atmosphäre zwischen den Gebietskörperschaften dadurch extrem belastet ist, in Einzelfällen sogar bis hin zu Vergiftungen.

Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel aus meiner Zeit als wissenschaftlicher Referent beim Landschaftsverband Rheinland geben: Ein Lehrer an einem Gymnasium will für seinen Schulunterricht eine Dienstleistung seines Kreises abrufen und fällt aus

allen Wolken, als er von der zuständigen Behörde des Kreises erfahren muss, dass die Gemeinde seines Schulstandortes sich zusammen mit drei weiteren Gemeinden aus der Finanzierung der gemeinsamen Dienstleistung des Kreises ausgeklinkt hat und ihm daher die Inanspruchnahme dieses Dienstes nicht gewährt werden kann.

Meine Damen und Herren, so etwas nennt man für gewöhnlich Verfall. Ein Mineraloge würde etwas schicker sagen: Erosion. Die Leidtragenden in dem Fall sind die Schülerinnen und Schüler, und wir befinden uns mitten in der Bildungspolitik. Das kann natürlich niemandem gefallen. Das alles als Konsequenz einer – hm – Kreislaufwirtschaft, in dem Fall einer Schuldenkreislaufwirtschaft.

Da generell viel von Schulden die Rede ist: Wie sieht es mit Informationsschulden aus? Bürgerinnen und Bürger, im konkreten Fall der Lehrer, haben überhaupt keine Möglichkeit, sich dazu zu verhalten. Im alten Griechenland wurden diejenigen, die sich nicht politisch engagiert haben, Idioten genannt. Mit den Idioten ist das aber so eine Sache. Dazu braucht es immer zwei: einen, der einen dazu macht, und der andere, der sich dazu machen lässt.

Schärfung der Transparenz im kommunalen Bereich heißt, dass Land und Kommunen einer Informationspflicht, einer Bringschuld, nachkommen. Das wäre in dem Fall angezeigt. Das beträfe auch die wichtigen Umlagen. Die Umlagen gehören zusammen mit den gegenstehenden Dienstleistungen laut und vernehmlich an die Rathaustüren genagelt, damit die Bürgerinnen und Bürger sich dazu verhalten können.

Zum Schluss ein versöhnliches Wort aus meiner Zeit beim Landschaftsverband. In dieser Zeit hat der zurückgetretene Minister Harry Voigtsberger in seiner Rolle als LVR-Direktor veranlasst, dass auf allen Dienstleistungen, in denen „Landschaftsverband“ drinsteckt, auch laut und deutlich „Landschaftsverband“ draufsteht.

Meine Damen und Herren, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, denen informationspolitisch weitere folgen müssen. – Ich danke für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und Ilka von Boe- selager [CDU])