Protokoll der Sitzung vom 04.07.2012

Wir kommen zu:

5 Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlge

setzes

Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/120

erste Lesung

Ich erteile für die Piratenfraktion Herrn Sommer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen jetzt zu einem Gesetzentwurf der Piratenfraktion, der emotional nicht ganz so aufgeladen ist wie gerade die Diskussion über den Nichtraucherschutz.

Nichtsdestotrotz sollen Gesetze die Aufgabe haben, die Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft widerzuspiegeln. Sie sollen uns helfen, unser gesellschaftliches Miteinander gerecht zu regeln.

§ 42 Abs. 4 Kommunalwahlgesetz Nordrhein-Westfalen muss als ein klassischer Fall gelten, in dem dieser Anspruch nicht verwirklicht werden konnte. Dieser Absatz hat die Wiederholungswahl in Kommunen zum Gegenstand; er regelt sie leider nicht zur gesellschaftlichen Zufriedenheit. Die Bestimmung ist aber nicht in Gänze fern der Lebenswirklichkeit, sondern nur in einem bestimmten Teil.

Während bei einer Wiederholungswahl sechs Monate nach der Hauptwahl das Wählerverzeichnis neu erstellt werden muss und damit alle neuen wahlberechtigten Bürger diese Möglichkeit haben, sieht es beim passiven Wahlrecht leider anders aus.

Neue politische Bewegungen dürfen sich nicht zur Wahl stellen. Die alten Parteien und Listen hingegen dürfen nicht nur unverändert antreten, sondern es wird ihnen durch § 67 Abs. 4 Satz 2 Kommunalwahlverordnung sogar die Möglichkeit offeriert, die alten Wahlvorschläge zu modifizieren. Dies ist der Fall, wenn die Bewerber gestorben sind, ihre Wählbarkeit verloren haben, ihre Zustimmung zurückziehen oder aus der Partei ausgeschieden sind.

In einem aktuellen Fall, der Ratswahl in Dortmund, kann man diese Anpassung an die Lebenswirklichkeit übrigens sehr deutlich erkennen.

Dabei darf es aber nicht bleiben; denn nicht nur ausgeschiedene Bewerber sollten ersetzt werden können, sondern der Wähler muss auch die Möglichkeit erhalten, ganz neue politische Gruppierungen zu wählen.

(Beifall von den PIRATEN)

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Gleichsetzung von aktivem und passivem Wahlrecht. Es ist den Wählern verfassungsrechtlich gerade noch zuzumuten, innerhalb von sechs Monaten nach der Hauptwahl auf ihr aktives und passives Wahlrecht zu verzichten – danach nicht mehr, ganz unabhängig davon, ob die Wiederholungswahl ein oder vier Jahre später erfolgt.

Meine Damen und Herren, Sie sehen damit anschaulich, wie § 42 Abs. 4 des Kommunalwahlgesetzes nicht der Lebenswirklichkeit entspricht und deshalb geändert werden muss. Solche Änderungen an Gesetzen oder evtl. auch die Ablehnung von Gesetzen sind eine schwierige Geschichte. Deshalb bitte ich, dass Sie die Überweisung an den Ausschuss unterstützen.

Ich möchte aber auch unseren Kollegen des EUParlaments danken, die einer Gesetzesvorlage mit überwältigender Mehrheit nicht zugestimmt haben. Ich darf Ihnen, falls Sie es nicht mitbekommen haben, gerne berichten, dass vom EU-Parlament um kurz vor 1 Uhr die Vorlage zu einer Regelung namens ACTA komplett abgelehnt worden ist.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte mich bedanken, dass man der Lebenswirklichkeit Rechnung getragen hat, und hoffe, dass wir das auch mit Bezug auf diesen Entwurf zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes im Ausschuss für Kommunalpolitik tun können. – Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. Ich darf natürlich mit Freude zur Jungfernrede gratulieren. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hübner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will eines direkt vorwegnehmen: Wir werden uns für die Überweisung aussprechen und nicht dagegen sein, weil es sich hier in der Tat um eine etwas schwierige Rechtsmaterie handelt.

Allerdings ist es so, dass eine Wiederholungswahl nur bei schwerwiegenden Mängeln angeordnet wird. Ich glaube nicht, dass wir sehr häufig bewusst Situationen erzeugen sollten, bei denen es zu Wiederholungswahlen kommt. Diese Wahlen laufen dann nach ganz bestimmten Regelungen ab. Eine davon ist, dass die alten Listen maßgeblich sind. Damit wird sozusagen Rechtskraft erzeugt.

In der Tat sprechen Sie das Problem des Auseinanderklaffens von aktivem und passivem Wahlrecht an, denn die Wähler, die nicht mehr im Wahl

gebiet wohnen, sind gegebenenfalls nicht mehr wahlberechtigt, wenn eine zu lange Zeit zwischen erster und Wiederholungswahl liegt.

Wir werden uns dem Thema konstruktiv nähern. Nur eines möchte ich feststellen: Eine Wiederholungswahl bleibt eine Wiederholungswahl. Wir sollten schon schauen, dass die Bedingungen, die zu Zeiten der ersten, dann später angefochtenen Wahl galten, nach Möglichkeit komplett abgebildet werden. Von daher werden wir uns das Thema im Kommunalausschuss anschauen, aber so sehr optimistisch, dass man da ohne Weiteres herangehen kann, bin ich nicht, weil das aus meiner Sicht verfassungsrechtlich etwas schwierig sein dürfte. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank auch Ihnen, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion hat Frau Middendorf das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sommer, Sie sind genauso Dortmunder wie ich Dortmunderin bin. Ich finde das Thema, über das wir hier diskutieren, ein sehr emotionales, weil es ja auch um die Wahlwiederholung in Dortmund geht. Ich denke, das ist nicht einfach so abzutun, sondern da muss man Klartext sprechen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf plädiert die Fraktion der Piraten für eine Gleichstellung von aktivem und passivem Wahlrecht bei Wiederholungswahl und einer entsprechenden Änderung des Kommunalwahlgesetzes.

Wie ich gerade schon sagte, wählen wir in Dortmund am 26. August. Das ist eine Wiederholung der Ratswahl. Dafür, warum es eine Wiederholungswahl gibt, gibt es bestimmte Hintergründe.

Warum wurde überhaupt Einspruch bei der Kommunalwahl am 30. August 2009 eingelegt?

Den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern in Dortmund wurden vom damaligen Oberbürgermeister, dem Stadtdirektor, der jetzt Bürgermeister unserer Stadt ist, und der Kämmerin, die wir Gott sei Dank nicht mehr haben, wissentlich wahlkampfrelevante Informationen vorenthalten. Damit hat ein Fall unzulässiger Wahlbeeinflussung stattgefunden.

Worum geht es in Zahlen?

Die Finanzsituation – das wissen viele Kommunen im Ruhrgebiet, und so ist es auch in Dortmund – ist ein zentrales Wahlkampfthema zu der Frage gewesen, wie der Haushalt aufgestellt wird.

Bereits am 29. Mai 2009 wurden dem damaligen Oberbürgermeister Langemeyer und dem jetzigen Oberbürgermeister Sierau durch die Stadtkämmerei vertrauliche Unterlagen zugestellt. Aus diesen Un

terlagen ging deutlich eine Verschlechterung der Finanzlage der Stadt Dortmund hervor. Um die Größenordnung einmal zu nennen: Wir sprechen hier von einem Haushaltsloch von über 100 Millionen €.

Das war dem Oberbürgermeister, der Stadtkämmerin und dem jetzigen Oberbürgermeister seit dem 5. Juni bekannt. Aber es wurde natürlich erst nach der Wahl, und zwar einen Tag danach, am 31.08., preisgegeben.

(Beifall von der CDU)

So wurden – das ist das Schlimme, und das muss man auch hier verdeutlichen – die Dortmunder Wählerinnen und Wähler getäuscht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf! Sinn und Zweck des § 42 Kommunalwahlgesetz bestehen darin, Wahlfehler der Hauptwahl zu korrigieren, wenn die Hauptwahl wegen ihrer Mängel für ungültig erklärt worden ist. Deshalb findet bei einer Wiederholungswahl wie im Falle von Dortmund auch keine Neuwahl statt. Eine Wiederholungswahl ist demnach weder Neuwahl noch Nachwahl.

Die erste unregelmäßige Wahl ist zu wiederholen, um am Ende eine fehlerfreie – das ist das Entscheidende –, legitimierte Vertretung auf der Grundlage der existierenden Wahlvorschläge zu haben.

Wichtig ist: Die bei der Hauptwahl angetretenen Wahlbewerber waren von Beeinträchtigungen betroffen. Die Chancengleichheit der sich damals zur Wahl stellenden Bewerber und die Parteien wurde beeinträchtigt. Deshalb lautet der Grundsatz, dass bei der Wiederholungswahl keine neuen Wahlvorschläge zugelassen werden – eine logische Konsequenz, gerade auch weil es nie Zweifel an der Korrektheit der damals aufgestellten Wahlvorschläge gab.

Auf eine zeitnahe Umsetzung der Wiederholungswahl können die Bürgerinnen und Bürger gleichwohl nicht immer setzen. Im Dortmunder Fall liegt zwischen Haupt- und Wiederholungswahl ein langer Zeitraum.

Frau Middendorf, lassen Sie eine Frage des Kollegen Sommer zu?

Nein, lasse ich nicht.

Verantwortlich dafür ist eine Reihe von Klagen der SPD-Ratsmitglieder, die auch für das Haushaltsloch in Dortmund verantwortlich waren. Erst mit dem Beschluss am 9. Mai 2012 konnte die Auflösung des Rates rechtskräftig werden. Erst damit wurde der Weg für die Wahlwiederholung frei.

Gestatten Sie mir zum Schluss meiner Rede noch einen letzten Verweis auf Dortmund. In Dortmund wollen die Piraten bei der Wiederholungswahl des Rates am 26. August 2012 antreten. Da sie das laut

Gesetz aber nicht dürfen, weil sie 2009 noch nicht kandidiert haben, und eine Klage keinen Erfolg verspricht, soll nun wohl ein Umweg über den Landtag mit den vorgeschlagenen Änderungen der gesetzlichen Grundlagen beschritten werden. Das halte ich für äußerst fragwürdig.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ist auch falsch!)

Wiederholungswahl, lieber Herr Sommer, heißt: Wenn wir am 26. August 2012 wählen, dann wählen wir für die nächsten anderthalb Jahre bis 2014, bis wieder Kommunalwahlen sind. Dann haben Sie die Chance, als Piraten anzutreten, und dann können Sie in Dortmund alles verändern. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.