Protokoll der Sitzung vom 14.05.2014

(Beifall von der SPD)

Herzlichen Dank an beide Kollegen für die nachgereichte Frage und deren Beantwortung. Wir fahren fort, und ich erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Nettelstroth das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nunmehr sollen wir

uns wieder mit der Änderung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen befassen, und zwar mit dem Ziel, das Kumulieren und Panaschieren in das Kommunalwahlrecht einzuführen.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass mit der Veränderung des Wahlrechts die eine, bislang maßgebliche Wahlstimme nachhaltig differenziert würde.

In meiner Heimatstadt Bielefeld hätte ein Wähler sodann 66 Stimmen und damit genau so viele, wie der Gemeinderat Sitze hat. Diese Stimmen könnten anschließend auf alle antretenden Parteien und Wählervereinigungen verteilt werden. Damit würde ein hochkomplexes Wahlsystem entstehen, das höchste Anforderungen an die Wahldurchführung stellt und mit einem vermehrten Organisations- und Verwaltungsaufwand verbunden wäre.

Erschwerend käme hinzu, dass jedem Kandidaten bis zu drei Stimmen gegeben werden können. Bei Ausschöpfung des Stimmpotenzials – am Beispiel meiner Heimatstadt Bielefeld – könnte ich also maximal 66 Bewerbern, bei voller Ausschöpfung des Stimmpotenzials von drei Stimmen maximal 22 Bewerbern meine Stimme geben. Damit würde die Stimmdifferenzierung erheblich erweitert. Erschwerend käme weiter hinzu, dass kleine Parteien oder Gruppen noch nicht einmal so viele Listenbewerber hätten.

Im Endeffekt würde hier ein äußerst kompliziertes Wahlverfahren stehen mit riesig langen Stimmzetteln zwecks Aufnahme sämtlicher Listenkandidaten, die sich um ein Amt bewerben. In Bielefeld treten bei dieser Wahl allein 329 Direktkandidaten an, die noch um weitere Kandidaten ohne Direktmandat ergänzt werden müssen. So können schnell bis zu 400 Kandidaten auf einem Stimmzettel aufgeführt werden.

Der Gedanke des Piratenantrages liegt im Wesentlichen darin, die von den Parteien und Gruppen selbst aufgestellten Listen in ihrer Listenplatzreihenfolge verändern zu lassen. Das setzt zum einen voraus, dass man erhebliche Zweifel an der richtigen Listenaufstellung durch die Parteien hegt, die gemäß Art. 21 Grundgesetz nun gerade an der politischen Willensbildung mitwirken sollen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Gerade in den Parteien besteht jedoch die persönliche Nähe zu den Kandidaten, um deren Bedeutung für eine Wahl einschätzen und gewichten zu können. Der Wahlbürger in den Großstädten wird jedoch diese Nähe zu sämtlichen Bewerbern einer Wahlliste nicht haben, sodass es dem einzelnen Wähler schwer fallen dürfte, die Listenplätze insgesamt neu zu gewichten und zuzuordnen.

Zum anderen würde ein so hochkomplexes System viele Bürger auch irritieren mit der Folge, dass sie ihre Wahlmöglichkeiten nicht voll ausschöpfen oder wegen falscher Stimmenzuordnung den Wahlzettel

gar ungültig machen. Empirische Untersuchungen bestätigen dies, in denen festgestellt wurde, dass in Wahlsystemen mit Kumulieren und Panaschieren die Quote der ungültigen Stimmzettel teilweise doppelt so hoch ist wie bei dem derzeitigen NRWWahlsystem. Außerdem könnte die Komplexität des Wahlsystems viele Bürger davon abhalten, ihre Stimmzettel überhaupt abzugeben, was die Quote der Wahlbeteiligung weiter negativ beeinflussen würde.

In dem Zusammenhang hilft es auch wenig, dass die Piraten auch die Stimmabgabe für eine Partei alternativ erhalten wollen, da der Stimmzettel grundsätzlich für das hochkomplexe Wahlsystem ausgelegt sein muss. Wenn dann auch noch einzelne Kandidaten auf der angekreuzten Liste durchgestrichen werden können, so wird diese Differenzierung noch unübersichtlicher.

Im Ergebnis sehen wir daher eine Änderung des Wahlrechts im Sinne des Piraten-Antrages äußerst kritisch. Wir freuen uns dennoch auf eine intensive Diskussion im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Krüger.

Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Herr Nettelstroth, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Sie haben ein Bild an die Wand gemalt für Bielefeld allein mit 400 Wahlmöglichkeiten, und das bekämen wir, um die Worte von Herrn Kämmerling aufzugreifen, wahrscheinlich nur auf einem Wahlzettel untergebracht, der einen Meter lang ist. Insofern sei das kein Verfahren, das sich bewährt habe, bzw. ein Verfahren, das die Wählerinnen und Wähler überfordert.

Fakt ist: Wir haben solche Formen der direkten Demokratie – Kumulieren und Panaschieren – mittlerweile in 13 Bundesländern. Ich nehme nicht wahr, dass die Wählerinnen und Wähler in diesem Zusammenhang überfordert sind.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wenn ich sehe, welche Anforderungen beispielsweise an Steuerbürger im Rahmen der Einkommensteuer- und Lohnsteuererklärung gestellt werden – die übrigens einmal jährlich vorzulegen ist und bei der sie auch nicht die Möglichkeit haben, sich nicht zu beteiligen –, dann denke ich schon, dass in diesem Zusammenhang durchaus die Kenntnis vorhanden ist, wie man mit solchen Instrumenten umgeht.

Und zu der Furcht vor einer geringeren Wahlbeteiligung: Schauen Sie sich einmal an, welche Wahlbeteiligung wir in Nordrhein-Westfalen haben, und vergleichen Sie sie einmal mit anderen Bundeslän

dern! Dann können Sie feststellen, dass wir uns in diesem Zusammenhang weiß Gott nicht auszeichnen, sondern dass es einen entsprechenden Handlungsbedarf gibt.

Insofern – das einmal in Richtung Torsten Sommer gesprochen – ist das ein guter Antrag, der hier gestellt wird. Aber, so ist das nun einmal mit Anträgen, er muss natürlich auch entsprechende Mehrheiten finden. Insofern hätte ich mir gewünscht, nicht nur auf die großen Fraktionen einzuhauen mit der Maßgabe „Wo seid ihr eigentlich?“, sondern zu versuchen, sie auch ein Stück weit zu gewinnen.

Warum ein guter Antrag? – Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Es wird letztendlich ein grünes Anliegen aufgegriffen. Ich freue mich auch, dass Sie fleißig in unserem Landtagswahlprogramm gelesen haben respektive gelesen haben, was wir in der vorvorigen Legislaturperiode dazu gemacht haben, als wir nämlich einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht haben.

Nur werden Sie auch wissen: Wir haben das zum Gegenstand der Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag für die Periode 2010 bis 2012 und für die Periode 2012 bis 2017 gemacht, und Sie wissen auch, dass wir das nicht umsetzen konnten. Das ist ein dickes Brett, was gebohrt werden muss.

Wir stehen natürlich zu der Überzeugung, dass wir uns für mehr Formen der Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung einsetzen wollen, respektive auch entsprechende Instrumente umsetzen wollen. Wir haben das auch getan. Ich nenne nur die Wiedereinführung der Stichwahl – mittlerweile abgearbeitet –, die Einführung der Abwahl von Hauptverwaltungsbeamten – mittlerweile eingeführt und auch schon praktiziert –, Erleichterungen bei Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren – miteinander vereinbart und so auch umgesetzt – und natürlich auch die Wiedereinführung der verbundenen Wahl zum Rat bzw. Kreistag und der Hauptverwaltungsbeamten, was wir erstmalig 2020 machen werden.

Insofern bohren wir weiter an diesen Brettern. Wir haben, lieber Herr Fraktionsvorsitzender, 2017 die Möglichkeit

(Reiner Priggen [GRÜNE] lacht.)

dann wird er möglicherweise nicht mehr dabei sein; man weiß das nicht genau –,

(Heiterkeit von Reiner Priggen [GRÜNE])

das noch einmal in Angriff zu nehmen. Ich hoffe, ich habe damit auch im Sinne unseres Herrn Priggen gesprochen, und das Thema der Intervention ist entbehrlich. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. Ihr Hinweis auf weitergehende Spekulationen ist ungewöhnlich, aber durchaus

möglich. – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Abruszat nun das Wort, der sich sicherlich auch diesem Thema zuwendet.

Nur zu diesem Thema. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Piraten trifft im Kern auf Zustimmung der FDP-Fraktion in diesem Hause. Wir haben selbst bereits 2011 eine entsprechende Initiative ergriffen. Sie ist seinerzeit ohne Mehrheit geblieben. Mutmaßlich wird das bei Ihrem Antrag auch so sein.

Das ist ganz einfach deshalb so, weil SPD und CDU ihre Rolle als Platzhirsche in der Kommunalpolitik in Gefahr sehen. Sie haben kein Interesse daran, dass engagierte Bewerber aus kleineren Parteien in einem individualisierten Wahlverfahren Vorteile bekommen. Deswegen wollen sie dieses Wahlsystem nicht.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Kumulieren und Panaschieren ist fair. Es ist fairer als das jetzige antiquierte System. Das antiquierte System starrer Listen bietet nicht die Möglichkeit von mehr Demokratie zugunsten der Bürgerinnen und Bürger. Gerade im kommunalen Bereich sollen doch die Kandidaten in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Wer vor Ort durch seine Persönlichkeit überzeugt, soll sich auch profilieren können. Das ist übrigens auch eine Form von Leistungsgerechtigkeit.

(Dennis Maelzer [SPD]: Inhalte spielen keine Rolle?)

Sie wollen lieber die starren Listen, die Sie auf Ihren Parteitagen wählen, en bloc den Bürgerinnen und Bürgern vorsetzen. Das ist ein anderer Denkansatz. Aus Ihrer Sicht mag das nachvollziehbar und vertretbar sein, weil es um Ihre Interessen geht. Dann sollten Sie es aber auch so sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich will einen weiteren Aspekt nennen, der durchaus noch zu berücksichtigen ist und vielleicht auch im weiteren Beratungsverfahren diskutiert werden

könnte. Wir haben uns hier an anderer Stelle schon einmal darüber ausgetauscht, dass die Frage der Unregierbarkeit von Räten – Stichworte: Sperrklauselproblematik und Ausgleichs- und Überhangmandate, die zu großen Räten führen – ebenfalls angepackt werden soll. Mit dem Kumulieren und Panaschieren erreicht man mehr Effizienz; denn es gibt keine Direktkandidaten mehr, sodass auch keine teuren Ausgleichs- und Überhangmandate mehr entstehen können. Das heißt, dass die Größe der Kreistage und Räte konstant bleibt. Auch diesen Gesichtspunkt sollten wir uns noch einmal vor Augen führen.

Meine Damen und Herren, insgesamt gilt: Die Vorteile des Kumulierens und Panaschierens sind viel

fältig und gut, die Risiken eher gering. Wie der Kollege Krüger zu Recht gesagt hat, ist das in vielen anderen Bundesländern erprobt – außer in Schleswig-Holstein, in Berlin und im Saarland, glaube ich. Diese drei Länder sollten uns aber in mehrerlei Hinsicht kein Vorbild sein.

Deswegen sollten wir ergebnisoffen über diesen Antrag diskutieren. Wir freuen uns darauf, dass wir das dann im Ausschuss für Kommunalpolitik tun können. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Piraten hat zum Ziel, das Kommunalwahlrecht in NordrheinWestfalen grundsätzlich zu ändern – weg vom Einstimmenwahlsystem, hin zum Kumulieren und Panaschieren. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass dieses Thema nicht neu ist. Es ist ein bisschen wie beim Ungeheuer von Loch Ness – jetzt schon im Mai.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wann denn sonst? Im September?)

Wir haben eine Tradition, wenn nicht sogar schon das Brauchtum entwickelt, zu diesem Thema im Landtag zu diskutieren.