Protokoll der Sitzung vom 01.10.2014

(Nach wie vor Unruhe im Plenarsaal.)

Ich bitte Sie, sich auch wirklich daran zu halten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und nicht mit dieser Lautstärke bei diesem doch auch wichtigen Tagesordnungspunkt den Plenarsaal zu belasten.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Der Herr Präsi- dent hat um Ruhe gebeten!)

Es geschah so um das Jahr 2000 herum, da trafen in Berlin ein paar Technikenthusiasten, experimentierfreudige Bastler,

Programmierer und Idealisten aufeinander. Und diese Menschen einte eines: der Spaß an neuen

Technologien und das Bedürfnis, daraus etwas für die Allgemeinheit zu tun.

Diese Zeit – das war die Geburtsstunde einer erfolgreichen Graswurzelbewegung, die wir heute „Freifunk“ nennen. Mittels damals gerade noch so erschwinglich gewordener WLAN-Technologie sollte ein Netzwerk geschaffen werden, welches sich über die Straßenblöcke und Stadtgrenzen spannt.

Das Besondere: Dieses Netzwerk sollte frei, unabhängig, dezentral und fest in der Hand der Bürger sein, ein Netzwerk von Bürgern für Bürger – und das schon vor 15 Jahren, also in einer Zeit, in der nicht mal 30 % der Bundeshaushalte einen Computer hatten, geschweige denn einen Internetanschluss.

Die technische Entwicklung schritt voran, die Digitalisierung der Gesellschaft nahm immer mehr zu, und der Netzzugang und das Internet haben fest in das Leben der Menschen Einzug gefunden. Möglichkeiten der Kommunikation und gesellschaftlichen Teilhabe sind entstanden, von denen wir vor 15 Jahren nicht zu träumen wagten.

Heute, in einer Zeit, in der die meisten Haushalte mit einem Internetanschluss versorgt sind, in einer Zeit, in der wir Politiker nicht darüber streiten, ob Internet, sondern wie schnell Internet sein sollte, in dieser Zeit könnte man meinen, die Freifunker gäbe es nicht mehr. Doch wer das glaubt, der irrt. Seit Jahren wächst die Zahl der aktiven Freifunkerinnen und Freifunker. Fast wöchentlich entstehen neue Communities, neue Gruppen, neue Vereine in ganz Deutschland und vor allem auch bei uns in NRW. Es finden regelmäßige Treffen statt, auf denen gefachsimpelt wird. Es wird Wissen ausgetauscht und von- und miteinander gelernt.

Ging es früher hauptsächlich darum, sich mit seinem direkten Nachbarn digital zu vernetzen, sind heute ganz andere Ziele in den Vordergrund gerückt. Mitten in unserer digitalisierten Gesellschaft gibt es Menschen, denen der Zugang zur digitalen Teilhabe verwehrt bleibt. Häufig sind es Menschen, die unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten sind: Senioren, deren Rente für einen Internetanschluss nicht reicht; Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen und so die Möglichkeit bekommen, mit den Verbliebenen daheim Kontakt aufzunehmen. Diese Menschen profitieren von einem freien WLANNetzwerk. Denn Freifunk ist Bestandteil der digitalen Allmende; Freifunk ist höchst sozial.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber auch Besucher und Touristen freuen sich über ein freies und kostenloses Internet. Durch Freifunk steigt die Standortqualität, und so entdecken immer mehr Städte und Kommunen Freifunk für sich. Lokale Freifunkinitiativen werden städtisch unterstützt; das Potenzial dieses bürgerschaftlichen Engagements wurde erkannt.

Auch über Parteigrenzen hinweg gibt es in der Kommunalpolitik Bestrebungen, diese ehrenamtlichen Anpacker, die Leute, die den Netzausbau einfach selbst in die Hand genommen haben, zu unterstützen. Egal ob von der SPD, von den Grünen, von der CDU oder gar von der FDP, aus allen Richtungen bekommen die Freifunkinitiativen Zuspruch, und das ist toll.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können heute einen Beitrag dazu leisten, Freifunk noch bekannter und erfolgreicher zu machen. Allein der Zugang zu den Dächern der landeseigenen Gebäude würde den Freifunkern viele neue Möglichkeiten zum weiteren Netzausbau bieten und eine nachhaltige Signalwirkung entfalten. Eine landesweite Informationskampagne für Städte und Kommunen würde die Akzeptanz steigern und den Freifunkern viele Türen eröffnen. Wenn NRW auch noch dazu beitragen kann, dass die Störerhaftung für WLAN-Betreiber fällt, können wir uns alle hier gemeinsam auf die Schultern klopfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Dieser Antrag wird gleich in die Fachausschüsse überwiesen. Es würde mich wirklich freuen, auch dort über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten, damit am Ende etwas Gutes erreicht wird, hinter dem wir alle stehen. Lassen Sie uns zusammen einen Grundstein legen, um dieses Engagement zu würdigen und zu fördern, damit aus NRW ein wahrer Freifunkleuchtturm wird! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schneider.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über das Thema „Freifunk“. Die Piraten haben es mit Ihrem Antrag auf die Tagesordnung gebracht. Dafür möchte ich vorab erst mal Danke sagen. Im Gespräch miteinander waren wir schon der Auffassung, etwas Gemeinsames machen zu wollen. Sie sind da wieder etwas ungeduldiger gewesen. Das macht nichts, völlig in Ordnung. Denn ich kann es verstehen, die Zeit rast, und so eine Wahlperiode geht für den einen oder anderen relativ schnell zu Ende.

Dennoch glaube ich, dass wir am Ende zu einem gemeinsamen Papier kommen werden, getragen von mehr als nur einer Fraktion. Denn Freifunk ist wichtig und findet schon in mindestens 44 Orten in Nordrhein-Westfalen statt. Damit wird auf der einen Seite die Internetszene und auf der anderen Seite das gesamtgesellschaftliche Leben bereichert.

Denn beim Freifunk geht es nicht allein darum, die kostenlose WLAN-Verbindung für alle zu realisieren – an der bundesdeutschen Störerhaftung vorbei. Nein, das wäre zu kurz gesprungen.

Da führt auch der Titel – zugegebenerweise nur der Titel – Ihres Antrags etwas in die Irre. Denn Freifunk bleibt am Ende kein adäquater Ersatz für die Abschaffung der Störerhaftung. Wir waren uns im Plenum alle einig: Die Störerhaftung gehört abgeschafft. – Daran kommen wir auch mit dem Freifunk nicht vorbei. Freifunk ist momentan eine Hilfskrücke, um die schiefe Gesetzeslage, die es leider noch gibt, zu umgehen.

Vereinfacht gesagt – ich finde es wichtig, das hier noch mal darzustellen –, funktioniert Freifunk technisch so: Die kompletten Internetverbindungsdaten werden über einen Computer beispielsweise in Schweden umgeleitet, sodass der Eindruck entsteht, man sei als schwedischer Internetnutzer in Deutschland unterwegs. Laut Gesetzeslage in Schweden muss die Identität des Anschlussinhabers nur offengelegt werden, wenn eine Straftat, die mit einer Strafe von mehr als zwei Jahren Gefängnis bedroht ist, über diesen Internetanschluss begangen wurde.

Zivilrechtliche Ansprüche können auf diesem Weg – über diese Hilfskrücke – nicht geltend gemacht werden. Vor allem ist der Internetanschlussinhaber nicht automatisch für die Taten der anderen Nutzer mitverantwortlich.

Doch freies WLAN ohne Passwortzugang ist nur ein Add-on, eine nützliche Begleiterscheinung. Zugegeben, für viele Teilnehmer des Projektes ist es das Argument für eine Beteiligung. Wie heißt es aber so schön: „Der Wurm muss am Ende dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“? Denn am Ende zählt nur, möglichst viele Menschen für die Idee zu begeistern; Sie haben es gerade richtig gesagt. Basis dafür ist aber, die Internetnutzer darüber aufzuklären, wie Freifunk technisch funktioniert.

Beim Blick auf Internetseiten von zahlreichen Freifunkinitiativen sieht man, dass sie sich sehr viel Mühe geben, Laien in Wort, Bild und Ton zu erklären, wie man den eigenen Internetrouter in die Lage versetzt, am sogenannten Mesh-Netzwerk teilzunehmen. Das ist nicht einfach, aber machbar.

Beispielsweise bietet der Chaos Computer Club in Köln derzeit einen Kurs für Menschen – man höre und staune – unter 23 Jahren an, um sie tief in die Materie einzuführen. Dieses Technikwissen ist nicht unbedingt für jeden Teilnehmer dieses Netzwerks erforderlich, aber zumindest an den Dreh- und Angelpunkten ist Expertise wichtig. Hier können wir als Land tatsächlich zusätzlich ermuntern und fördern. Denn Freifunk bietet neben dem kostenlosen WLAN-Zugang noch weitere Möglichkeiten.

Die Idee ist, ein lokales Ortsnetz zu schaffen, in dem aktuelle Informationen offen und frei für jeder

mann zugänglich werden können, sozusagen ein soziales Netzwerk für die lokale Freifunkcommunity.

Eben erst hat die SPD eine Kampagne gestartet, in der sie danach fragt, wie wir alle in Zukunft digital leben wollen, denn das Digitale durchdringt alle Bereiche des täglichen Lebens:

So liegt der Marktplatz der Zukunft demnächst vielleicht nicht mehr vor dem Rathaus, sondern im lokalen Freifunknetz. Die Zutaten – beispielsweise für einen Thüringer Bratapfel – werden dann nicht im Stadtpark, sondern im passenden Forum ausgetauscht. Das alles kann man bedauern, aber es passiert. Wir wollen es gestalten und nicht nur staunend zuschauen.

Denn es eröffnen sich noch mehr Perspektiven, zum Beispiel, dass neue Formen des Mikrojournalismus in deutschen Netzen möglich werden oder die Chance, den Bürgern einer Stadt über ihr eigenes Netz wichtige lokale Informationen zukommen zu lassen, beispielsweise über Verspätungen im Nahverkehr, Störungen im Stromnetz oder Hintergründe zu politischen Beschlüssen im Rat.

Hinweisen möchte ich auch darauf, dass dieses Netzwerk vor der Überwachung durch die deutsche Justiz zunächst geschützt ist. In Zeiten der Enthüllungen von Edward Snowden ist das sicherlich einerseits ein schöner Nebeneffekt; andererseits darf dadurch natürlich kein rechtsfreier Raum entstehen, in dem illegale Angebote und Themen offeriert werden.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, jedes Kollektiv ist eben nur so ehrenhaft, wie es jedes einzelne Mitglied sein wird. Auch das ist ein Aspekt für unsere breit angelegte Diskussion zum Thema „Hashtag – digital leben“, an der gerne auch die Abgeordneten der Piratenfraktion teilnehmen dürfen. Denn das, so glaube ich, hat Zukunft und Perspektive auch über 2017 hinaus.

Ich komme zum Schluss, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In einen Thüringer Bratapfel gehört eine ordentliche Portion Blutwurst und in den Antrag der Piratenfraktion auch ein ordentlicher Schuss Perspektive. Letztere steuern wir im Fachausschuss gerne bei und stimmen deshalb der Überweisung gerne zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN sowie Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Schick.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal müssen wir uns im Landtag mit einem An

trag der Piraten beschäftigen, der sich ausschließlich mit Bundesrecht befasst.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Antrag lesen!)

Wieder einmal befassen wir uns mit einem Thema, zu dem der Landtag schon längst Stellung bezogen hat. Nur die Überschrift zu diesem Antrag ist ein wenig verändert worden.

Worum geht es in Ihrem Antrag? – Es geht Ihnen um die sogenannte Störerhaftung. Liegt eine Straftat zugrunde, ist es im Internet so, dass immer derjenige verantwortlich ist, der die Straftat begangen hat. Zivilrechtlich ist die Situation im Internet etwas komplizierter: Eine Verantwortung trägt auch derjenige, der einen Zugang zum Internet verschafft hat, wenn er zum Beispiel ein nicht gesichertes WLAN hat, über das die Straftat begangen worden ist. Wie gesagt: Das gilt nicht strafrechtlich, aber zivilrechtlich!

Zutreffend ist aber auch, dass die Verantwortung des Einzelnen richtigerweise – das betone ich an dieser Stelle – durch Urteile – zum Beispiel des BGH – immer weiter eingeschränkt worden ist.

Die Frage stellt sich: Warum befassen wir uns gerade heute mit dem Thema „Freifunk“ beziehungsweise „Störerhaftung“? – Die Antwort ist einfach: Es ist ein Gesetzentwurf der Bundesregierung angekündigt worden. Erste Pressemitteilungen lassen vermuten, dass es Erleichterungen bei der Störerhaftung für Cafés oder Hotels geben könnte, möglicherweise aber nicht für Privatpersonen. Wie gesagt: Das alles im Konjunktiv.

Außerdem hat es ein Interview des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel gegeben, das für etwas Aufregung gesorgt hat. Die Begriffe „zivilrechtlich“ und „strafrechtlich“ sind dort etwas durcheinandergeraten. Ich muss sagen, dass ich von ihm schon wesentlich bessere Interviews gelesen habe. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass er schon wesentlich schlechtere Interviews gegeben hat.

Entscheidend ist: Es gibt keinen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Thema „Störerhaftung“. Wir wissen also nicht, was der Bundeswirtschaftsminister vorlegen wird, fangen aber wieder einmal an, ein Thema zu diskutieren, obwohl wir uns im vergangenen Jahr schon klar positioniert haben. Aus diesem Grunde ist eine längere Befassung heute unnötig. Wir stimmen der Überweisung aber gerne zu.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben in den Debatten der letzten Zeit häufig festgestellt, dass die Ge