Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

Damals sind große Probleme verursacht worden. Wir haben die Einführung miserabel genannt. Ja, das ist zwar eine Zuspitzung, aber so war es doch auch. Sie haben die Schulzeitverkürzung im Mai verabschiedet und zum 01.08. in Kraft treten lassen. Das geschah ohne Lehrbücher, ohne Lehrpläne. Die Schulen und die Schulträger waren mit dem Mittagessen und dem Thema „Mensa“ völlig überfordert. Alles von jetzt auf gleich einzuführen, das nenne ich miserabel.

Ich will aber noch einmal deutlich sagen – das gilt auch für mich –: Wir haben hier damals als Fraktion die Verkürzung vehement kritisiert. Wir haben darüber auch im Landtagswahlkampf gesprochen. Aber wir haben jetzt nicht mehr die gleiche Zeit wie 2008

und 2009. Wir sind einen Schritt weiter. Heraklit hat einmal mit dem berühmten „panta rhei“ ausgedrückt: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

Die Schulen haben sich auf den Weg gemacht. Viele Schulen haben sehr gut gearbeitet und erkannt: Wir können nicht mehr weiterhin in der gleichen Taktung wie früher, im 45-Minuten-Rhythmus, arbeiten. Wir müssen zu anderen Rhythmisierungen kommen. Wir gehen in den Ganztag hinein. Da ist sehr viel Positives passiert, weil sie sich genau dem Anspruch der individuellen Förderung gewidmet haben.

Das ist die Abwägungsentscheidung, die ich auch bei vielen Teilnehmern am runden Tisch gespürt habe. Keiner war über die damalige Entscheidung begeistert. Sie haben aber gefragt: Wohin lenken wir in den nächsten fünf Jahren die Energien – gehen sie in einen Rückabwicklungsprozess, kann das das Motto sein, oder geht es jetzt weiter, geht es jetzt darum, alle Lehrerenergien – die sind eine wertvolle Ressource – in die Schulentwicklung nach vorn hineinzugeben, damit dieser einmal begonnene Weg weitergeführt werden kann und wirklich in allen Schulen ankommt?

Herr Kollege Kaiser, ich habe mich ein bisschen über Ihre gerade gemachten Ausführungen gewundert. Ja, wir sind uns wohl sehr einig, was die Verbindlichkeit der Umsetzung der jetzigen Handlungsempfehlungen anbelangt. Aber es ist mehr als das, was wir beim ersten, von der Ministerin einberufenen runden Tisch hatten, weil das diesmal mit einer ganz anderen Vehemenz und Überzeugung auch von den Lehrerverbänden mitgetragen wird. Das ist ein wichtiger Punkt.

Wir schätzen doch gemeinsam sehr wert, dass wir die selbstständige Schule in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht haben. „Selbstständige Schule“ heißt, diesen Entwicklungsprozess in Schulen zu respektieren

(Klaus Kaiser [CDU]: Und weiterzuentwi- ckeln!)

und weiterzuentwickeln. Sehr gut, Herr Kollege Kaiser.

Dazu gehört aber auch, mit in den Blick zu nehmen, dass diese Prozesse natürlich so angelegt werden, dass es nicht so aussieht, als ob jetzt der Schulsheriff komme. Vielmehr muss der Prozess nachhaltig angelegt werden und alle müssen an einem Strang ziehen. Das ist das Signal des zweiten runden Tisches, dass genau diese Handlungsempfehlungen Verbindlichkeit einfordern, dass dies auch die Lehrerverbände tun und dass die Eltern in dem Prozess ernst genommen und natürlich auch die Schülerinnen und Schüler eingebunden werden.

Deswegen bin ich der Ministerin besonders dankbar für ihre Aussage, dass es einen pädagogischen Tag

geben muss, an dem die Eltern und die Schülerinnen und Schüler beteiligt sind, weil die Lösungen für Fragen in Bezug auf ein Lernzeitkonzept, auf eine Balance von Schul- und Hausaufgaben etc., gemeinsam entwickelt und getragen werden müssen. Das haben uns doch die Eltern vorgetragen, dass man zwar die Konzepte besprochen habe, dass das aber leider in der Schulkonferenz nicht zum Tragen gekommen sei.

Deswegen geht es jetzt um eine gemeinsame Anstrengung beider Seiten: Das Ministerium muss sämtliche unterstützenden Maßnahmen bieten, die Schulen und die Lehrerverbände müssen die Hilfe annehmen, um die Umsetzung konsequent voranzubringen. Das ist mehr, als wir vorher hatten, wie ich noch einmal sehr deutlich sagen will. Ich möchte mich dafür bedanken, dass alle miteinander diesen Weg gehen.

Herr Kollege Kaiser, ich bitte noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit: Es geht um das Thema „Schulen des längeren gemeinsamen Lernens“. Das heißt doch nicht, dass alle das Abitur machen müssen, aber das bedeutet, dass alle, die das Potenzial haben, auch die Gelegenheit haben sollten, den bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist genau der Punkt. Wir müssen uns doch nichts vormachen, weil wir das doch aus den Erhebungen an den Gesamtschulen wissen: 75 % derjenigen, die im Zentralabitur das Abitur ablegen, hatten keine Gymnasialempfehlung. Das zeigt, was in den Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen steckt. Deswegen haben wir doch die unterschiedlichen Wege. Das sollten wir wertschätzen.

Leistung zu befördern, Lernfreude zu erhalten und zu stiften, ist nicht nur Aufgabe des Gymnasiums. Das gilt für alle Schulformen und für alle Schulen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Machen Sie da bitte keine Gegensätze auf.

Ja, Herr Stamp, jetzt komme ich zur FDP. Ich danke für Ihren Zuruf, weil mich das darauf hinweist, dass ich mich ihr auch einmal widmen müsste.

Gestern ist ja wieder dieser Mythos der Vernachlässigung des Gymnasiums angelegt worden. Um Himmels willen: Was wollen Sie denn noch mehr? Nach dem doppelten Abiturjahrgang haben wir im ersten Jahr zusätzlich 1.000 Stellen im System belassen und im zweiten Jahr 500 Stellen über die normale Schüler-Lehrer-Relation hinaus draufgelegt. Keine Schule, die den Ganztag beantragt hat, ist nicht in den Ganztag gekommen. Das ist eine etwas andere Handschrift als das, was SchwarzGelb mit den Gesamtschulen gemacht hat. Ich will das noch einmal deutlich unterstreichen. Deswe

gen: Lassen Sie diese Mottenkiste der Vernachlässigung doch weg.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nein!)

Das trägt leider nicht durch.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Wollen Sie eine Schule für alle oder nicht?)

Und wir haben – daran waren Sie nicht beteiligt, Herr Stamp, denn dann wäre das gar nicht möglich gewesen, weil ein ganzer, ein gesamter Bildungsbegriff im Raum stand – 2010 gemeinsam mit der CDU einen Antrag auf den Weg gebracht, in dem es um die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems gegangen ist. Es geht um ein inklusives Gesellschaftsverständnis und ein inklusives Bildungssystem. Das hat der Landtag beschlossen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Und eine Schule für alle?)

Genau diesem Weg wissen wir uns sehr verbunden.

Sie waren dann noch bei etwas anderem nicht dabei. Wir haben mit dem Schulkonsens – das ist ein großer Mehrwert in Nordrhein-Westfalen – ein verlässliches Fundament für Schulentwicklung mit verlässlichen Rahmenbedingungen über mehr als zwei Legislaturperioden hinweg festgelegt. Darin sind im Prinzip die zwei Wege angelegt. Das bedeutet, dass die Schulen jetzt genau für die Schulentwicklung, die ich eben angesprochen habe, die Zeit haben. Auch das ist ein Fundament des Schulkonsenses.

Wir haben im Land Situationen, Herr Stamp, die vielleicht nicht in Bonn direkt fassbar sind. Kommen Sie einmal mit mir nach Ostwestfalen. Ich mache das mit Herrn Kaiser ab und zu auch schon mal. Wir fahren dann durch den Hochsauerlandkreis und gucken uns kleine Grundschulen an.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Aber mit Herrn Stamp würde ich auch gerne fahren, um die Schulsituation im Land deutlich zu machen und zu zeigen, an welchem Ausgangspunkt wir sind. Da reicht es längst nicht mehr für das gegliederte Schulsystem. Sie sehen ja auch, in welcher Breite Eltern längeres gemeinsames Lernen in diesem Land wollen. Das ist die Grundlage, an der wir arbeiten, nämlich der Elternwille. Dafür haben wir den Weg im Schulkonsens freigemacht. Das tut dem Land gut. Deswegen haben wir diese zwei Wege im Land fest etabliert.

Also: keine Vernachlässigung, keine Benachteiligung und die Kultur des Behaltens. Es geht um die Kinder. Wir machen keine Schulformpolitik, wir machen Politik für die Kinder und Jugendlichen, Herr Stamp. Davon sind Sie schon eine Weile weg. Sie machen sich ja nur zur Gymnasialpartei, und mit dem Rest haben Sie eigentlich nicht mehr so viel am Hut. Das sieht man ja.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass im Augenblick diese gesamte Debatte um Schulzeitverkürzung begrenzt auf Schule viel zu kurz greift. Denn wenn es um gute Zeit für Bildung geht, müssen wir die Fragen an Eltern und an das gesamtgesellschaftliche Umfeld stellen. Auch das ist in der Debatte deutlich geworden:

Druck fängt nicht erst im gymnasialen Bildungsgang an. Das geht schon in der Grundschule los. Beispielsweise fragen Eltern, wenn die Klasse ihres Kindes im Wald Blätter sammeln war und die Parallelklasse bereits einen Buchstaben weiter ist: Wie soll mein Kind da Abitur machen? – Ich habe das jetzt etwas zugespitzt, aber es ist so. Welche Leistungserwartung gibt es aufseiten des Elternhauses und von der Gesamtgesellschaft? Ein „Befriedigend“ ist für manche Eltern keine gute Note mehr. Auch da kommt Druck aus dem Elternhaus. Das ist ein gesellschaftlicher Diskurs, den wir miteinander führen müssen. Dort können wir Entschleunigung hineinbringen und Druck für die Kinder und Jugendlichen herausnehmen.

Das ist im Übrigen nämlich leistungsfördernd, Herr Stamp.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: „Befriedigend“ nicht ist „Gut“!)

Sie gehören genau zu denen, die immer mehr Druck hineingebracht haben. Was mussten wir denn als Erstes tun? – Wir mussten das Vorziehen der Einschulung zurückholen. Die Kinder immer früher in die Schule zu bringen, ist das Erste, was wir gestoppt haben. Das hat den Schulen auch gut getan. Lassen Sie doch den Kindern und Jugendlichen Zeit, sich zu entwickeln, ihre Potenziale auszuschöpfen.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine Kollegin zitieren. Sie ist Gymnasiallehrerin und hat in diesem Jahr eine fünfte Klasse übernommen. Nach zwei Wochen Eingewöhnungszeit am Gymnasium – da gab es keinen Ganztagsunterricht und nachmittags nicht viele Hausaufgaben – wurden die Schülerinnen gefragt, wie es ihnen am Gymnasium geht. Diese Fünftklässler sagten: Wir leiden unter dem G8. – Die Frage ist also: Welche Projektion wird da in die Schulen vermittelt? Wir sollten an vielen Stellen ganz genau hinschauen.

Ein letzter Satz zu der Kollegin Pieper: Es ist ja nicht ganz korrekt, wie die Dinge hier aufgemacht werden. Auf dem Weg zur Beschlussempfehlung haben die Landesschülerinnenvertretungen gesagt: Eigentlich möchten wir die inklusive Ganztagsgesamtschule für alle. – Ich sage das auch, um Herrn Stamp noch einmal darauf hinzuweisen, was die Landesschülerinnenvertretungen wollen. Das ist das Erste.

Das Zweite war, dass GEW und VBE gesagt haben: Langfristig müssten wir darüber diskutieren: Wie sieht das aus? Aber die Frage ist: Gehen wir jetzt

auf den Weg, und muten wir den Schulen das zu? Da gab es ein einmütiges Votum, zu sagen: Genau das machen wir nicht. Wir wollen die Energien jetzt in die Schulentwicklung hineingeben und sie nicht mit einem Abwickeln von Dingen beschäftigen und da einen Rollback haben.

Auch das Gesellschaftsbild derjenigen, die bei den Bürgerinitiativen die Wortführer waren, ist nicht zu teilen. Das Gymnasium wieder in eine Halbtagsform zu überführen, ist gesellschaftspolitisch der vollkommen falsche Ansatz. Dem können wir nicht folgen.

Demokratie ist nicht Demoskopie. Das müssen wir auseinanderhalten. Das sieht man sehr deutlich an den Ergebnissen der Umfragen zur Schulzeitverkürzung auf der einen Seite und den konkreten Ergebnissen in Hamburg und in Bayern auf der anderen Seite. Ich will zugestehen, dass es in Hessen nicht optimal läuft und es auch in Niedersachsen schon ganz gewaltig ruckelt. Ich bin froh, dass wir uns in der Breite für Schulentwicklung nach vorne entschieden haben und jetzt gemeinsam alles dafür tun, dass das verbindlich in den Schulen passiert.

Da ist das Haus auf dem Weg. Das sollten wir unterstützen. Deswegen bitte ich um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Gleich vorweg: Liebe Kollegin Beer, ich habe an keiner Stelle gesagt, dass das, was die Bürgerinitiativen wollen, der Stein der Weisen ist. Ich habe immer ganz deutlich gesagt: Das ist nicht der Weg, den wir gehen wollen.

Bezüglich des runden Tisches habe ich offensichtlich eine etwas andere Wahrnehmung als alle anderen hier im Raum. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, wir würden uns dort vor Freude weinend in den Armen liegen. Das war an keiner Stelle der Fall.

Ich habe gleich in der ersten Sitzung des runden Tisches nachgefragt, wie es mit der Demokratie und den Mehrheiten aussieht. Darauf hat man mir gesagt: Nein, man würde nachher nicht sagen, es habe eine Mehrheit gegeben, sondern man würde da nur die Verbände aufführen. – Ich sage ganz klar: Die gesamte Schülerschaft aus NRW hat dort mit einer einzigen Stimme gesessen. Auf der anderen Seite saßen zig Rektorenverbände und andere. Von daher kann man nicht von Mehrheiten sprechen. Das hat mit den Proportionen in NRW gar nichts zu tun – um das ganz klar voranzustellen.

(Beifall von den PIRATEN)