Protokoll der Sitzung vom 28.01.2015

… wann Sie was machen wollen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitspolitik in NRW und auch in anderen Bundesländern steht vor einer großen Herausforderung. So wird der demografische Wandel nicht nur in der Pflege, sondern auch bei der Gesundheitsversorgung Änderungen mit sich bringen.

Die Menschen werden erfreulicherweise immer älter. Aufgrund der medizinischen Fortschritte können auch Menschen mit schweren gesundheitlichen Beschwerden ein hohes Alter erreichen. Doch mit dem Älterwerden steigt natürlich das Risiko von Alterseinschränkungen, chronischen und Mehrfacherkrankungen. Hierauf wie auch auf andere Bedarfslagen weiterer Personengruppen und Lebenslagen muss sich das Gesundheitssystem zukünftig stärker einstellen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Die Versorgungsangebote müssen sich noch stärker als heute daran orientieren, was die Menschen brauchen, um gesund zu werden, und was notwendig ist, um gesund zu bleiben. Zentrale Aufgabe der Gesundheitspolitik in den kommenden Jahren ist somit die Sicherstellung einer flächendeckenden, für alle zugänglichen wohnortnahen ärztlichen, pflegerischen und psychosozialen Versorgung. Diese muss für alle Menschen ohne Hürden zugänglich sein, unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Sicherstellung der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung in allen Gebieten ist hier eine zentrale Aufgabe, wie Herr Kollege Kern gesagt hat. Dabei sei aber noch einmal der Hinweis erlaubt, dass die Länder originär für die stationäre Versorgung zuständig sind, der Bund für gesetzliche Rahmenbedingungen und die Selbstverwaltung der Ärzteschaft für deren Sicherstellung. Trotzdem ist das Land natürlich daran interessiert, eine flächendeckende medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung sicherzustellen und die Selbstverwaltung nach unseren Möglichkeiten in dieser Richtung zu unterstützen. Deswegen hat das Land auch das Hausärzteprogramm weitergeführt und deutlich ausgeweitet.

Eine flächendeckende Gesundheitsversorgung lässt sich zukünftig oft nur sektorenübergreifend und kooperativ sicherstellen. Die Einrichtung eines sektorenübergreifenden Gremiums nach § 90a SGB V nutzen wir in NRW, um die stationäre, teilstationäre und ambulante Versorgung sektorenübergreifend besser miteinander zu verzahnen und gemeinsam zu planen. Aber das reicht nicht. Wir brauchen so

wohl auf der Bundesebene als auch auf der kommunalen Ebene ein Bündel von Maßnahmen, damit die Versorgung in allen Bereichen sichergestellt wird.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass mit den bestehenden Angeboten bislang nicht alle erreicht werden. Das heißt, es gibt Zugangsbarrieren. Die müssen wir abbauen. Prävention spielt dabei eine Rolle, Gesundheitsförderung spielt eine Rolle, und zwar da, wo die Menschen leben. Das settingorientierte Angebot im Gesundheitsbereich – in den Schulen, in den Kindergärten und in den Betrieben – ist eine wesentliche Säule der Gesundheitsversorgung in unserem Land. Deshalb halten wir es für notwendig, die gesundheitliche und psychosoziale Versorgung geschlechterorientiert zu gestalten; denn die Zugänge in der Gesundheitsversorgung sehen für Männer und Frauen anders aus.

Deshalb haben wir uns in unserem Entschließungsantrag nicht nur auf die hausärztliche Versorgung konzentriert, sondern alle Maßnahmen, die für eine flächendeckende, wohnortnahe medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung notwendig sind, aufgezählt. Damit gehen wir weiter als der CDU-Antrag. Um diese Ziele erreichen zu können, müssen auf der Bundesebene Fehlanreize bei der Vergütung durch die privaten Krankenversicherungen, die gesetzlichen Versicherungen im Hinblick auf die Honorierung der sprechenden Medizin gegenüber den apparativen Untersuchungen beseitigt werden.

Ich bitte alle Fraktionen im Interesse der guten Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung, unseren Entschließungsantrag zu unterstützen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Wal- ter Kern [CDU])

Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Schneider.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Droht NordrheinWestfalen ein Ärztemängel, oder kann eine Über-, Unter- und Fehlversorgung diagnostiziert werden? Haben wir allgemein zu wenig Mediziner oder nur zu wenig Allgemeinmediziner? Dies haben wir im Gesundheitsausschuss lange diskutiert und um die besten Lösungen gerungen. Einige Vorschläge teile ich uneingeschränkt, anderen Ideen stehe ich, vorsichtig ausgedrückt, ausgesprochen skeptisch gegenüber. – Deshalb, lieber Kollege Kern, hat die FDP-Landtagsfraktion einen Entschließungsantrag erarbeitet.

Was den CDU-Antrag und den rot-grünen Entschließungsantrag eint, ist ein naiver Glaube an die Wirksamkeit von staatlichen und staatlich aufgetra

genen Eingriffen in das System der medizinischen Versorgung. Für jedes kleinteilige Problem wird eine kleinteilige Lösung in Form von Programmen, Unterstützungsleistungen oder Maßnahmenpaketen angeführt. Das große Ganze und die vielen Abhängigkeiten bleiben dabei leider oft auf der Strecke. Im Dirigismus wird hier also das Heil gesucht, anstatt über mehr Freiheit oder gezielte Anreize nachzudenken.

(Beifall von der FDP)

Die heutige Bedarfsplanung hat es nicht zu verhindern gewusst, dass es mittlerweile Regionen in Nordrhein-Westfalen gibt, denen eine medizinische Unterversorgung droht. Die passende Antwort darauf von allen Seiten lautet: noch mehr Planung.

Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch Planungen der Bundesregierung im neuen Versorgungsstärkungsgesetz. Dieses Gesetz ist die Abrissbirne für die ärztliche Freiberuflichkeit, angefangen bei der Zwangsterminvergabe bei nicht frei wählbaren Fachärzten bis hin zum Zwangsaufkauf von Kassenarztsitzen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden gezwungen, in nach Definition überversorgten Gebieten überzählige Kassenarztsitze aufzukaufen. Der zugrunde liegende Gedanke lautet: Wir sperren diese Regionen für junge niederlassungswillige Mediziner und lenken sie – wieder nach Definition – in unterversorgte Bereiche. Oder besser: Wir lenken sie um.

Was ist das für ein Selbstverständnis von Politik? Hiermit gerät die Niederlassungsfreiheit als Teil des grundgesetzlich nominierten Rechts auf freie Berufsübung in Gefahr. Man sollte vielmehr überlegen, wie es gelingt, wieder mehr Freiheit im System zuzulassen.

(Ministerin Barbara Steffens: Super!)

Die Bedarfsplanung in ihrer heutigen Form gehört daher zumindest auf den Prüfstand, an deren Ende auch ihre Abschaffung stehen kann.

Die Dichte an Arztpraxen richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Einer Unterversorgung, namentlich auf dem Land, lässt sich nicht mit Zulassungsbeschränkungen in anderen Regionen entgegenwirken. Hingegen trägt ein verstärkter Wettbewerb in den Ballungszentren im Zusammenhang mit lokal gesetzten Anreizen für die Niederlassung auf dem Land wesentlich stärker zur Steigerung der Attraktivität bei, als es jede Quotenfestlegung könnte.

(Beifall von der FDP)

Ein anderer vorgeschlagener Ansatz ist, das Medizinstudium umzubauen. Natürlich muss sich dieses wie jeder andere Studiengang den Veränderungen der Zeit stellen und für Neuerungen offen sein. Vor einigen Wochen habe ich der Medizinischen Fakultät der Uni Münster einen Besuch abgestattet und war begeistert von den innovativen Lernmethoden. Diese sind aber nur durch allerlei Kunstgriffe mög

lich, da sowohl die Studierenden als auch die Approbationsordnung in vielerlei Hinsicht veraltet sind. Die universitären Prüfungen werden in Münster allesamt am PC abgelegt. Beim Examen ist man aber nach wie vor auf Stift und Papier verpflichtet.

Nicht nur beim Studium sollten wir neue Wege gehen. Wir bilden einfach auch zu wenige Allgemeinmediziner aus. Die vermeintliche Lösung: weitere Zwangsmaßnahmen. Beispielsweise wird ein verpflichtendes Praktikum für Medizinstudenten bei einem Landarzt gefordert. Ich glaube, dadurch schaffen wir nicht mehr Interesse für die landärztliche Tätigkeit, sondern bewirken eher das Gegenteil.

Die heutigen Studenten gehören zur Generation Y. Sie sind gut ausgebildet, das Sicherheitsbedürfnis ist groß, der Wunsch, Beruf, Familie und Freizeit in Einklang zu bringen, ebenfalls. Hier müssen wir also ansetzen. Es wäre ein Irrglauben, wenn wir uns anmaßten, die Generation Y umzuerziehen. Wenn es also um flexible Arbeitszeiten und um den Einklang von Beruf und Freizeit geht, ist es richtig, neue Kooperationsmodelle in der Niederlassung zu ermöglichen.

Auch den einzelnen Kommunen muss die Freiheit gegeben sein, dieses Vorhaben aktiv und kreativ mitzugestalten. Denn auch ihnen kommt nach Meinung der FDP-Fraktion eine besonders große Verantwortung zu. Wenn der Kommune die Möglichkeit gegeben wird, sich attraktiv darzustellen und durch innovative Konzepte Mediziner anzulocken, kann das Problem des Landärztemangels behoben werden.

(Ministerin Barbara Steffens: Quatsch!)

Wichtig ist dabei – ich möchte es abermals betonen –, dass die Freiheit vor Ort in der Stadt oder im Dorf gestärkt wird und nicht aus Düsseldorf oder Berlin diktiert werden darf.

(Beifall von der FDP)

Bei allen Überlegungen ist der FDP-Fraktion eines ganz besonders wichtig: Unsere Ärztinnen und Ärzte leisten einen außerordentlich wichtigen und wertvollen Dienst in unserer Gesellschaft. Wir sollten ihnen nicht pauschal unterstellen, sie hätten lediglich finanzielle Interessen. Wir müssen unseren Medizinern mit Respekt begegnen, unsere Ideen und Maßnahmen gemeinsam mit ihnen diskutieren und umsetzen.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

Dann sagt vielleicht der eine oder andere Medizinstudent: Okay, ich werde Hausarzt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Bayer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Liebe Patienten! Die hier zugrunde liegende Frage lautet: Wird es in Zukunft noch ausreichend Hausärzte geben, können Bernd und Berta auch in 25 Jahren noch in Beelen oder in Everswinkel einen Hausarzt aufsuchen, oder wird die hausärztliche Versorgung ausschließlich in Städten möglich sein?

Auf diese Frage müssen wir Antworten und Lösungen finden. Dabei geht es um Gestaltung der Arbeitszeiten, den Bürokratieabbau, die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, die Weiterbildung, das Studium, die Verminderung des Regressrisikos. Wir werden die Herausforderungen der demografischen Entwicklung nur meistern, wenn wir an mehreren Schrauben gleichzeitig drehen. So viel ist klar.

(Ministerin Barbara Steffens: Genau!)

Neben der Ausbildung von mehr Allgemeinmedizinern müssen wir zum Beispiel auch die weichen Faktoren berücksichtigen.

Die Kommunen und Landkreise müssen ein Umfeld schaffen, das für die Familien von Ärzten attraktiv ist: Wohnraum, Schulen, Kindergärten, Freizeitaktivitäten. Denn wieso soll sich ein junger Arzt in einer kleinen Gemeinde niederlassen, wenn zum Beispiel das Kind dort nicht einmal weiterhin zum Gymnasium gehen kann.

Die 50.000-€-Förderung für die Übernahme eines Arztsitzes ist keine Garantie dafür, dass in Zukunft Allgemeinmediziner von der Stadt zurück aufs Land ziehen. Ein praktizierender Hausarzt sagte in der Anhörung im Mai 2014 – so lange ist es schon her – dazu – ich zitiere –:

„Es wäre falsch, Ärzte aus irgendwelchen städtischen MVZs mit finanziellen oder strukturellen Anreizen abwerben zu wollen. Man muss unten anfangen. Die Aus- und Weiterbildung ist der Schlüssel. Leute wie mich, die 50 Jahre alt sind, eine Frau und Kinder haben, kann man auch mit 50.000 € nicht mehr zum Wohnortwechsel bewegen.“

Wir halten also fest: Finanzielle Anreize sind nicht handlungsleitend für die Niederlassung eines Arztes. Ausschlaggebend für die Entscheidung einer Niederlassung sind vielmehr familiäres Umfeld, Lebensperspektive für den Lebenspartner und Kindererziehungsmöglichkeiten.

Sowohl für die Ärzte als auch für die Patienten ist es außerdem von hoher Bedeutung, wie die Mobilität in 25 Jahren im ländlichen Raum organisiert ist. Wenn Menschen, die in ihrer individuellen Mobilität eingeschränkt sind, nicht einmal einen Bus oder ein Taxi zum Arzt nutzen können, wird das Problem sogar noch potenziert.

Uns liegen mittlerweile drei Anträge vor. In den ersten beiden Anträgen steht unserer Meinung nach

viel Wichtiges und Richtiges, wie man so schön sagt. Die CDU legt den Schwerpunkt eher auf die Ausbildung der Allgemeinmediziner mit verschiedenen Hilfsprogrammen, Anreizen und die Gründung einer Medizinischen Fakultät in Ostwestfalen-Lippe. Zu der habe ich 2012 schon geredet. Im rot-grünen Entschließungsantrag werden zahlreiche Maßnahmen aufgelistet, die aber die Regierung bereits umsetzt. Ich sage nicht, dass alles, was darin steht, falsch ist. Aber die zentrale Aussage des Antrags ist: Weiter so! – Man kann einmal das Wort „weiter“ in dem Beschlussteil des Antrags zählen. Da kommt man auf eine ganze Menge.