Protokoll der Sitzung vom 11.11.2020

Noch viel wichtiger: Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie auf Grundlage von Nichtwissen eine ganze Branche mit einem quasi Berufsverbot belegen.

Was meinen Sie, was jetzt passiert? Glauben Sie, die Leute sitzen jetzt mit ihrer Alltagsmaske zuhause alleine auf dem Sofa und verfolgen die „Tagesschau“ und die neuesten Coronaberichte mit der Kanzlerin? Das mag auf gewisse Altersklassen vielleicht zutreffen. Aber glauben Sie wirklich, dass Sie junge Leute davon abbringen werden, sich zu treffen und zu feiern?

Warum sollten die das auch machen? Die Leute haben inzwischen ja bemerkt, dass diesseits des Rentenalters keine ernst zu nehmende Gefahr vom Virus ausgeht. Die Chancen sind sogar recht hoch, dass die Betroffenen eine Erkrankung gar nicht bemerken. Wer dann nicht zu einer anderen Risikogruppe gehört und nicht mit jemandem zusammenwohnt, der zu einer Risikogruppe gehört, sieht es zunehmend nicht mehr ein, dass er ein Einsiedlerdasein führen soll.

Ich sage es an dieser Stelle ganz klar: Ich habe vollstes Verständnis, ja Sympathie für die jungen Leute, die sich ihre Jugend nicht stehlen lassen, weil unsere Regierung bei der Coronabekämpfung inzwischen jedes Maß verloren hat.

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Aber dieses Ausweichen in private, unkontrollierte Räume – sei es die Garage, der Hobbykeller oder die WG-Küche – konterkariert natürlich alles, was Sie mit dem Lockdown der Gastronomie zu erreichen glauben; denn an diesen Orten hat keiner Plexiglasscheiben eingebaut, desinfiziert keiner die Tische und führt auch ganz sicher keiner Kontaktlisten. Vor allem wird dem Gesundheitsamt auch keiner sagen, dass er bei einer solchen Feier war; denn er muss ja Strafe

befürchten und würde seinem Gastgeber Unannehmlichkeiten bereiten

Währenddessen darbt die Gastronomie im Lockdown. Der Branchenverband DEHOGA und die Gewerkschaft rechnen damit, dass ein Drittel der Betriebe den Winter nicht überstehen wird. 8.300 Betriebe bundesweit sind akut insolvenzgefährdet, und das alles ohne wissenschaftliche Grundlage auf Verdacht. Meine Damen und Herren, das ist grob fahrlässiges Regieren und nichts anderes.

Jetzt sagen Sie den Gastronomen aber: Ihr kriegt ja Almosen, soundsoviel Prozent vom Vorjahresumsatz. – Das ist ganz klar besser als nichts, keine Frage. Aber das wird vielen nicht mehr helfen. Die sind schon vor dem zweiten Lockdown auf dem Zahnfleisch gegangen und haben jeden Euro gebraucht. Das ersetzt keine Trinkgelder, und dies hilft auch nicht den vielen Aushilfen in der Branche, die jetzt wieder keinen Cent Kurzarbeitergeld bekommen.

Sie vernichten Existenzen, und Sie vernichten jahrhundertealte Kultur – auf Verdacht, man kann es nicht oft genug sagen, und völlig unbegründet.

Die FDP, die in den Talkshows das freie Unternehmertum preist und die Coronamaßnahmen kritisiert, nickt hier in NRW brav alles ab, was sie von der CDU vorgesetzt bekommt. Sie, meine Damen und Herren von der FDP, hätten es genauso in der Hand. Sie sind hier in NRW genauso an der Regierung. Aber Sie machen mal wieder das, was Sie am besten können: Nichts.

Meine Damen und Herren, hören Sie endlich damit auf, die Menschen in relevant und irrelevant zu unterteilen. Gewähren Sie den Unternehmern und den Beschäftigten in der Gastronomie ihr selbstverständliches Recht, von ihrer eigenen Hände Arbeit leben zu können. Machen Sie Schluss mit diesem brutalen und sinnlosen Lockdown und stimmen Sie für unseren Antrag.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Preuß.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist anzuerkennen – und das ist auch meine persönliche Wahrnehmung bei Restaurantbesuchen –, dass die Gewerbetreibenden in der Gastronomie und ihre Mitarbeiter in den vergangenen Monaten gezeigt haben, dass sie verantwortungsbewusst und gewissenhaft mit den Herausforderungen der Coronakrise umgehen können. Gastwirte haben investiert, es gibt zahlreiche innovative Konzepte.

Aber darum geht es nicht. Es ist doch eine Tatsache, dass das Risiko immer dort besteht, wo viele Menschen zusammenkommen, sei es in Gaststätten, davor, auf dem Weg dorthin oder zurück,

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Nennen Sie mal eine Studie dafür!)

weil Kontakte genau die Ursache für die Übertragung des Virus sind. Und je größer die Menschengruppe ist, desto größer ist das Infektionsrisiko; das gilt grundsätzlich auch in einer Gaststätte.

Selbstverständlich kann man die Frage stellen, ob Sperrstunden oder Schließungen geeignet sind, Infektionen mit dem Coronavirus zu verhindern. Es gibt aber keine sichere Erkenntnis darüber, dass diese Maßnahmen nicht geeignet seien.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Deshalb ist es eine richtige und sogar kluge Politik, den sichersten Weg zu gehen. Das OVG Münster jedenfalls hat kürzlich die Maßnahme für verhältnismäßig erklärt.

Weil das Ansteckungsgeschehen diffus ist, geht es darum, im Rahmen des Möglichen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und im Interesse des Gesundheitsschutzes aller Menschen das Risiko für jeden Einzelnen, ob jung oder alt, krank oder gesund, mindestens zu minimieren. Wir stimmen dem Antrag der AfD daher nicht zu.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD: Ah, das überrascht!)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD- Fraktion spricht der Abgeordnete Fortmeier.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! So wie der Kollege Preuß will auch ich anerkennen, dass die Gastronomie in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Monaten ihr Bestes gegeben hat und mit viel Kreativität, mit Fleiß und vielen Investitionen gute Hygienekonzepte erarbeitet hat.

Weil das so ist, erkennen wir als SPD-Fraktion auch an, dass es Hilfsmaßnahmen geben muss – jetzt, für diesen Monat, wo sie erneut herunterfahren müssen. Diese Hilfsmaßnahmen müssen unbürokratisch und schnell gezahlt werden, möglicherweise mit Abschlagszahlungen. Das wird man alles noch erarbeiten müssen.

Es geht bei dieser Debatte heute nicht darum, die Gastronomiebranche pauschal zu bestrafen, so wie es der Antrag vermuten lässt – ganz im Gegenteil. Aber wir wollen bei dieser gefährlichen Pandemie natürlich verantwortungsvoll handeln und so viele Freiheiten wie möglich zulassen. Das ist ein Drahtseilakt,

das sehen wir. Wir würden auch gerne auf diesen Drahtseilakt verzichten, aber ein falscher Schritt kann schlimme Folgen haben. Denn wenn das Virus erst einmal außer Kontrolle ist, dann steigen die Kranken- und Todeszahlen schnell an. Das sehen wir in Frankreich, in Belgien und auch in Nordrhein-Westfalen.

Sie von der AfD sind gar nicht in der Lage, so auszubalancieren, denn Ihre politische Sprache kennt nur Extreme. Wir erkennen die Coronarealität an, die Sie Hysterie nennen. Deshalb hören wir aus Ihrer Fraktion auch keine konstruktiven Vorschläge, sondern den gleichen Populismus, den wir bei anderen Themen in den vergangenen Jahren schon gehört haben.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Sie sind ja noch nicht so lange hier, vielleicht halten Sie sich et- was zurück mit solchen Urteilen!)

Ich nenne beispielhaft zwei Themen: Flüchtlingsprobleme und Klima. Deshalb überrascht es uns nicht, dass Sie willig politischen Profit aus einer Krise ziehen wollen nach dem Motto – der Kollege Engstfeld hat dieses Zitat vorhin auch schon bei Tagesordnungspunkt 5 gebracht – „Je schlechter es Deutschland im Allgemeinen geht, desto besser für die AfD“.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ich bin sicher, dass Sie schon entsprechende Pressemitteilungen oder Onlinebilder vorbereitet haben, in denen Sie erklären, dass allein die AfD die Öffnung der Gastronomie fordert –

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch eine andere Sache!)

ganz so, als gäbe es keine Coronakrise und nach dem aktuellen Stand keine 2.465 Tote in NordrheinWestfalen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Jede und jeder verantwortungsbewusste und verantwortungsvolle Politikerin und Politiker muss doch abwägen, was an der Stelle wichtig ist: das Leben der Menschen in unserem Land oder eine Öffnung der Gastronomie, der wir dann, wenn geschlossen wird, Hilfsmaßnahmen zahlen?

Ich hatte vorhin ein Gespräch mit dem neuen Geschäftsführer vom DEHOGA-Verband in NordrheinWestfalen. Die wissen ganz genau, wer sich um ihre Belange kümmert. Sie sind auch in den sozialen Netzwerken und Medien unterwegs und sehen genau, wer versucht, kurzfristig Kapital aus solchen Sachen zu ziehen, und wer sich tatsächlich ernsthaft kümmert.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Ihr Fraktionsmitglied Röckemann hat auf Facebook zu den Demonstrationen in Leipzig „Heldenstadt Leipzig“ gepostet und nennt die Angriffe auf Presse und Polizei „friedlich“. Sie, Herr Tritschler, sprechen

bei solchen Superspreaderevents davon, dass Besucher das eigene Risiko tragen.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja!)

Das ist, glaube ich, eine falsche Abwägung.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das nennt man eigenes Risiko! Eigenverantwortung! Das ken- nen Sie nicht bei der SPD! – Zuruf von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Wir sind der Auffassung, dass in solchen Zeiten die eigene Disziplin der größte Schritt zur Freiheit ist.

(Helmut Seifen [AfD]: Es geht um Gaststätten, Herr Fortmeier!)

Der Grad, in dem wir Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen, ist an den Infektionszahlen ablesbar. Das Virus lässt sich garantiert nicht von Ihren markigen Sprüchen beeindrucken.

Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Sie suggerieren auch eine falsche Richtung, wenn Sie von „Existenzvernichtung auf Verdacht“ in der Überschrift Ihres Antrages sprechen.

Wir diskutieren das jeden Monat sehr behutsam und maßvoll mit dem Minister zusammen im Wirtschaftsausschuss – alle Fraktionen außer der AfD. Wir diskutieren Maßnahmen, die zwischen Lösungen für die Gastronomie und dem Gesundheitsschutz abwägen. – Selbstverständlich lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fortmeier. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Schneider das Wort.