Aber mir ist auch wichtig: Die Berichte von Menschen jüdischen Glaubens machen deutlich, dass es nicht nur die Spitzen antisemitischer Gewalt sind. Was ihnen und auch mir Sorge bereitet, ist die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden, die es im Alltag gibt und die zunimmt. Jüdische Schülerinnen und Schüler berichten davon, dass sie Mobbing und Beschimpfungen auf dem Schulhof ausgesetzt sind.
Genau diese Erfahrungen waren ja der Anlass für die jüdische Gemeinde in Düsseldorf, vor einigen Wochen die Antidiskriminierungsstelle SABRA zu eröffnen. Diese Stelle berät in Fällen von Rassismus und Antisemitismus. Allein dass es die Notwendigkeit gibt, eine solche Stelle einzurichten, zeigt schon, wie groß der Bedarf ist. Das ist beschämend und ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können.
Um einmal vom Floskelhaften wegzukommen: Was heißt das konkret für die Politik? Das heißt, dass wir die Auseinandersetzung brauchen, die Diskussion über antisemitische, über rassistische Vorurteile und Einstellungen. Wir brauchen den Dialog zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.
Dafür gibt es Beispiele, wie seit einigen Jahren das Abrahamische Forum des Interkulturellen Rates. Es gab hier in Düsseldorf das wirklich tolle Projekt „Ibrahim trifft Abraham“ für jüdische, muslimische und christliche Jugendliche. Im nächsten Jahr soll zum 18. Mal das Abrahamsfest von christlichen, muslimischen und jüdischen Akteuren aus Marl und Recklinghausen mit vielen Veranstaltungen gefeiert werden.
Wir brauchen auch mehr niedrigschwellige Angebote. Dafür gibt es Vorbilder, zum Beispiel die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die sehr niedrigschwellig tätig ist und mit den muslimischen Communities zusammenarbeitet. Wir brauchen genau diese Einbindung der muslimischen Akteure.
Ich habe die Schülerinnen und Schüler angesprochen. Natürlich müssen wir auch die Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Fällen von Diskriminierung, von Antisemitismus in der Schule stärken, damit sie angemessen reagieren können.
Auch müssen wir einmal hinterfragen, inwiefern die Polizeiliche Kriminalstatistik, also die Erfassung von antisemitischen Straftaten, eigentlich vollständig ist; denn wenn man sich die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik ansieht, stellt man fest, die Zahlen sind auf einem gleichbleibenden Niveau. Sie steigen leicht an, aber wir haben keine große Kurve. Insofern gehe ich davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Dann müssen wir diese Dunkelziffer doch aufarbeiten und schauen, was eigentlich dahintersteckt. Was erfassen und sehen wir nicht, das aber vorhanden ist?
Wichtig ist auch – vielleicht ist das sogar das Wichtigste –, dass wir verantwortlich mit dem Thema und differenziert mit dem Phänomen umgehen, dass wir ganz klar Probleme benennen, aber Minderheiten nicht gegeneinander ausspielen und nicht von einem importierten Antisemitismus sprechen, weil das Negieren würde, dass Antisemitismus und Judenhass seit Jahrhunderten in Deutschland verankert sind.
Das sage ich auch mit Blick auf eine Fraktion, die gleich nach mir noch reden wird, eine Fraktion, die in diesem Parlament ist, in deren Partei Holocaustverharmloser und Wehrmachtsverehrer in höchste Ämter gewählt werden. Uns Demokratinnen und Demokraten eint doch eines: Wir sehen jüdisches Leben als festen Bestandteil unserer vielfältigen Gesellschaft an und verurteilen jegliche Form von Antisemitismus. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Schäffer, ich wollte Sie fast wegen Ihrer Rede loben, aber sie zeigt das, was auch ein Teil der Reden Ihrer Vorredner gezeigt hat: Sie sprechen ein ernsthaftes, ein sehr schwerwiegendes Problem an, das uns auf der Seele lastet, aber ich glaube, dass Sie, so wie der eine oder andere hier im Hause, Scheu davor haben, die wahren Ursachen zu benennen.
Dann suchen Sie sich wiederum irgendwelche Sündenböcke, von denen Sie glauben, dass sie in der Öffentlichkeit gut als Sündenbock herhalten können. Nur ist die Sache viel zu ernst, als dass man die Geschehnisse auf unseren Straßen und Schulhöfen dazu benutzen sollte, politisches Kapital daraus zu schlagen. Wenn das so gewollt wäre, wäre das sehr schäbig gegenüber dem Leid, das aus unserem Land heraus Millionen von Menschen zugefügt worden ist.
Fällt in Deutschland der Begriff „Antisemitismus“, dann schrillen zu Recht die Alarmglocken, denken wir doch unverzüglich an die fürchterlichen Massenverbrechen, die zwischen 1933 und 1945 von Deutschen und im Namen Deutschlands an den Juden in Deutschland und in den von Deutschland eroberten Staaten verübt worden sind.
Wer hat nicht die schrecklichen Bilder vor Augen, die in Dokumentationen oder Spielfilmen das Grauen zeigen, das Menschen anderen Menschen angetan haben, die Hetzreden von Nazigrößen, die Ausgaben des „Stürmer“ mit ihren diffamierenden Karikaturen und Schmähartikeln, die Bilder der zusammengetriebenen Juden, ihr Transport in Güterwaggons, die Selektion an der Bahnrampe und dann die Leichenberge in den Vernichtungslagern, die uns zum Teil durch das Bildmaterial der Alliierten überliefert worden sind? Niemand, aber auch wirklich niemand hätte sich vor 1933 vorstellen können, dass antisemitische Einstellungen zu solch furchtbaren Massenverbrechen führen können.
Den Antisemitismus gab es ja schon sehr, sehr lange – ich will nicht sagen: ewig –, er ist fast so alt wie die Vertreibung der Juden aus Palästina. Über Jahrhunderte hat es immer wieder verbrecherische Handlungen gegenüber jüdischen Gemeinden gegeben: in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern.
Doch um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert galt Deutschland trotz eines Adolf Stoecker und seiner antisemitischen Bewegung als das Land, in dem man als Jude willkommen war und die besten Entfaltungsmöglichkeiten hatte. Viele Hunderttausende Juden aus den polnischen und russischen Gebieten strömten in das Deutsche Reich wie in ein verheißenes Land. Den Rückfall in die Barbarei konnte sich in Deutschland noch 1933 niemand vorstellen. Es ist unbegreiflich, und je älter ich werde, desto unbegreiflicher wird es mir.
So brauchte es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einige Zeit, bis sich die Deutschen dieser ungeheuren Schuld stellten. Im Grunde genommen waren es erst die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, die das Geschehen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit brachten, um so etwas Ähnliches wie eine
Bewältigung und Verarbeitung der Schuld, die Deutsche auf sich geladen hatten, anzugehen – ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess, ein bitterer Prozess, der im Grunde allerdings bis heute nicht vollendet ist.
Der Umgang mit der eigenen Schuld ist ein schwieriger und langfristiger Prozess, den ich hier nicht beschreiben kann, weil das wieder ein anderes Thema wäre. Allerdings hängt das schon hiermit und mit der Bewältigung der antisemitischen Ausschreitungen auf deutschen Straßen zusammen.
Festzustellen ist natürlich, dass den jetzt Lebenden keine Schuld an diesen fürchterlichen Verbrechen übertragen werden kann. Aber fest steht auch, dass wir als Kinder, Enkel und Urenkel unserer Eltern und Großeltern in der Verantwortung für die Taten stehen, die damals geschehen sind. Mit „Verantwortung“ meine ich, dass wir in Erinnerung an das, was geschehen ist, den Juden in unserem Land in besonderer Weise mit Respekt und Pietät begegnen müssen.
Ich möchte behaupten, obwohl mir da vielleicht einige widersprechen würden, dass dies in unserem Land auch geschieht und sich die meisten Menschen dieser Verantwortung bewusst sind.
Weil man aus heutiger Sicht weiß, dass Diffamieren und Separieren die ersten Sprossen einer Leiter sind, auf der man dann bis zur Tötung der diffamierten Personengruppe hinaufsteigen könnte, regt sich jetzt sofort massiver Widerstand, wenn Formen der Diffamierung gegen Juden wahrgenommen werden. Auch damit nehmen wir unter anderem unsere Verantwortung wahr, von der ich eben gesprochen habe.
Umso entsetzter, aber auch hilfloser, so scheint es mir, sind wir angesichts eines Antisemitismus, der sich als Hassorgie auf den Straßen austobt und in symbolischer Form mit dem Verbrennen der israelischen Staatsflagge das Verbrennen von Juden andeutet.
Es gibt Berichte von Juden in Deutschland, die sich auf der Straße beschimpfen lassen müssen, wenn man sie zum Beispiel anhand der Kippa als Jude erkennt.
Ein deutsches Gericht gibt einer kuwaitischen Fluggesellschaft recht, die sich weigert, einen Juden mit Zwischenhalt in Kuwait nach Bangkok zu fliegen.
Die Polizei wirkt darauf hin, israelische Flaggen aus den Fenstern zu entfernen, um damit nicht eine propalästinensische Demonstration in einer Großstadt zu stören. – Frau Schäffer hat gerade noch weitere Beispiele genannt.
Die Betroffenheitsrhetoriker, die man sonst immer im Fernsehen sieht, schweigen zu solch – so will ich es einmal nennen – stillem Antisemitismus, melden sich
aber bei öffentlich zur Schau gestelltem Antisemitismus, wie neulich in Berlin, dann doch zurückhaltend zu Wort, verweisen aber stets darauf, dass der Antisemitismus eben ein grundsätzliches Problem in Deutschland sei. Da will man wohl vom eigentlichen Kern des Problems ablenken und die Verantwortlichkeiten im Diffusen verschwinden lassen, um solche Erscheinungen dann möglichst doch wieder im deutschen Volkscharakter zu verorten.
Leider muss ich feststellen, dass der eine oder andere meiner Vorredner hier diesem Versuch nicht hat widerstehen können. Den zweiten Teil meiner Rede werden Sie gleich hören. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Deutschland werden israelische Fahnen von politischen Fanatikern verbrannt. In Deutschland, in Nordrhein-Westfalen werden jüdische Feste abgesagt, weil sich die Menschen, die diese Feste feiern wollen, nicht sicher fühlen, weil sie unsicher sind. Bei uns werden im Jahr 2017 jüdische Schülerinnen und Schüler beleidigt, bedroht.
Mich – und ich vermute, uns alle; das ist auch formuliert worden – macht das fassungslos. Diese Vorgänge bedrücken, machen betroffen. Man hätte es kaum für möglich gehalten, dass so etwas 70 Jahre nach dem Kriegsende gerade bei uns in Deutschland noch einmal stattfindet.
Dann fragt man sich schon: Warum lernen Menschen nicht aus der Geschichte? Warum wird eigentlich nicht zur Kenntnis genommen, was Hass und Wut anrichten können? Warum fallen Menschen immer wieder darauf herein und gehen diesen Weg aufs Neue, manchmal aus ganz anderen Anlässen? Es ist doch eigentlich klar und deutlich: Das ist nicht akzeptabel. Das darf nicht durchgehen, darf nicht akzeptiert werden.
Ausgangspunkt ist ein Vorgang: Der amerikanische Präsident trifft eine Entscheidung zu Jerusalem als Hauptstadt Israels, und plötzlich brodelt hier in Deutschland alles wieder. „Alles wieder“ ist nur halb richtig. Es sind zum Teil diejenigen, die schon immer so gedacht haben, aber es sind zum Teil auch Menschen, die sich aus ganz anderen Motiven in diese Bewegung hineinschleudern: muslimische Fanatiker, die ihrer Wut aus ganz anderen Motiven und Begründungen heraus, aber in der gleichen inakzeptablen Art und Weise Luft machen.
Anlass sind dann ganz konkrete politische Entscheidungen, die man anders bewertet, die man falsch findet. Diese kann man, wie eben vorgetragen worden ist, richtig oder falsch finden, aber es geht um die Art und Weise, wie man mit anderen Meinungen umgeht.
Wut und Hass sind nicht akzeptabel. Hass führt sehr häufig, wie auch gesagt worden ist, zu Gewalt und ist nicht mehr beherrschbar. Das muss der Staat aktiv bekämpfen.
Wir haben in Deutschland – die Zahlen liegen vor – eine erschreckend hohe Anzahl an antisemitischen Straftaten. Man kann das beruhigend finden oder nicht – 2017 ist ja noch nicht ganz zu Ende –, aber möglicherweise gehen die Zahlen in 2017 im Vergleich zu 2016 ein wenig zurück, von 297 auf 240. Das ist noch abzuwarten.
Aber die Mehrzahl dieser registrierten, der gemeldeten Straftaten – das muss man ja dazusagen, wenn man vollständig informieren will – ist dem rechtsextremen Bereich zuzuordnen. Deshalb kümmert sich die Politik darum. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen versucht, durch Beobachtung und konsequente Strafverfolgung dagegen vorzugehen.
Aber die Landesregierung hat sich auch immer – das wird auch fortgesetzt – mit Sensibilisierungsmaßnahmen gegen Antisemitismus gewandt. Wir haben im Jahre 2016 allein über 300 Vorträge und Fortbildungen des Verfassungsschutzes zu den Erscheinungsformen des politischen Extremismus gehabt, insbesondere auch zu antisemitischer Ideologie und Propaganda. Es ist schwer zu verstehen, aber es gibt eine dringende Notwendigkeit, das nicht nur fortzuführen, sondern auszubauen. Die Ereignisse dieser Tage zeigen ja, dass es hier einen zwingenden Handlungsbedarf gibt.
Ich will auch einen Satz zu dem sagen, was der Staat tun muss, um jüdische Gemeinden, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und israelische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen zu schützen. Das hat für die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden oberste Priorität. Das war immer so, das ist so, und das bleibt auch so. Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wird alle Formen erkannter Hasskriminalität konsequent verfolgen.
Wir haben auf die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten schnell und angemessen reagiert und unmittelbar nach Verkündigung der Anerkennung Jerusalems alle Polizeibehörden des Landes sensibilisiert und angewiesen, verstärkte anlassbezogene Aufklärung an israelischen und US-amerikanischen Einrichtungen zu gewährleisten und zudem eine
deutlich sichtbare polizeiliche Präsenz in Schwerpunktbereichen bzw. an potenziellen Aktionszielen sicherzustellen.