Protokoll der Sitzung vom 21.12.2017

deutlich sichtbare polizeiliche Präsenz in Schwerpunktbereichen bzw. an potenziellen Aktionszielen sicherzustellen.

Uns liegen auch Analysen vor, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Das Bundeskriminalamt hat die aktuelle Gefährdungslage bundesweit bewertet und kommt zu dem Ergebnis: Es gibt eine abstrakte Gefahr, aber aktuell gibt es keine konkreten Erkenntnisse, die es notwendig machten, ein bestimmtes Fest, eine Veranstaltung abzusagen. Auch für Nordrhein-Westfalen gibt es solche Erkenntnisse nicht.

Trotzdem – das gilt wie für die anderen Themen des Extremismus auch – muss man das ernst nehmen. Man muss sich darum kümmern, und man muss vorbereitet sein, um auch eingreifen zu können. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Angst haben, die in einem Klima der Angst und der Unsicherheit leben – das ist nicht akzeptabel, genauso wie es nicht akzeptabel ist, dass deutsche oder ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sich in Deutschland nicht sicher fühlen. Genau deshalb hat diese Landesregierung sich entschieden, in allen diesen Bereichen konsequent polizeiliche Arbeit zu organisieren.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich möchte hinzufügen, dass wir es als ein großartiges Zeichen empfinden, dass die Zentralräte von Juden und Muslimen in Deutschland gleichermaßen sagen, dass sie Hass und Gewalt verurteilen, dass keine Religion so etwas rechtfertigen kann. Dem schließe ich mich, dem schließen wir uns an. Die Werte unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung, gelten für alle gleichermaßen. Dazu gehört es, die Würde des Menschen nicht nur zu achten, sondern sie auch zu schützen und dann auch zu verteidigen. Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung, Islamfeindlichkeit haben in einer offenen Gesellschaft wie der unseren keinen Platz.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wenn diese Debatte heute dazu beiträgt, über diesen konkreten Anlass hinaus ein Zeichen zu setzen, dass Demokraten in Nordrhein-Westfalen geschlossen gegen Antisemitismus, aber auch gegen jede andere Form des Extremismus vorgehen, und wenn wir das Signal geben, dass jüdisches Leben nicht nur Teil unserer deutschen Kultur ist, sondern dass wir in Nordrhein-Westfalen alles einsetzen werden, um dieses jüdische Leben zu schützen und entschieden gegen jeden vorzugehen, der sich extremistisch in diesem Lande betätigt, links und rechts, dann war das ein guter Morgen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Yetim.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir Demokraten stehen an der Seite der Juden in unserem Land und überall. Auch wenn die von Ahnungslosigkeit geprägte oder auch bewusst so gewollte leichtsinnige Entscheidung von US-Präsident Trump, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, zu kritisieren ist, rechtfertigt das in keinster Weise diese antisemitischen Demonstrationen, so wie wir sie erleben mussten.

Antiisraelische Sprechchöre, das Verbrennen der israelischen Flagge bei Versammlungen gehören nicht zu der uns so wichtigen Meinungsfreiheit. Es ist unerträglich, wenn man erlebt, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben müssen, sich zu ihrer Religion zu bekennen.

72 Jahre nach dem Ende des Holocaust sind Juden wieder massiven Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Das ist aber nicht erst seit der Trump‘schen Entscheidung, sondern bereits seit vielen Jahren in Deutschland so. Antisemitismus in Deutschland ist leider nichts Neues. Es ist eben nicht nur dieser importierte Antisemitismus, von dem CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn spricht, womit er suggeriert, Flüchtlinge seien die Antisemiten in Deutschland. Kolleginnen und Kollegen, fast alle von uns kennen doch seit vielen Jahren die rund um die Uhr bewachten Synagogen in diesem Land. Das ist nicht erst seit der Flüchtlingskrise so, sondern das ist schon viele, viele Jahre so.

Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine Herausforderung, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss. Die Kollegin Schäffer hat gerade noch einmal die unterschiedlichsten Ausrichtungen dargestellt, die es beim Antisemitismus gibt. Christen, Muslime, Juden, Atheisten, Zivilgesellschaft und auch Politik: Es ist und bleibt eine gemeinsame Herausforderung, die wir nur bestehen können, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.

Dazu gehört auch, dass diejenigen, die die Nazi-Geschichte Deutschlands relativieren wollen, klar auch als Brandstifter geächtet werden. Das HolocaustMahnmal in Berlin – das ist gerade schon mehrfach angesprochen worden – als ein Denkmal der Schande zu bezeichnen, ist klarer Antisemitismus. Ich glaube auch, dass das mittlerweile zu einem Weltbild gehört, das sich in einigen Bereichen der Politik immer mehr manifestiert.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben seit langem eine sehr klar gemeinsame Übereinkunft: Antisemitismus wird von uns hier nicht akzeptiert und auch gemeinsam bekämpft. Mit dem integrierten Handlungskon

zept gegen Rechtsextremismus und Rassismus haben wir in Nordrhein-Westfalen ein Konzept vorgelegt, das in den unterschiedlichsten Bereichen auf Prävention, Bildung, Beratung und auch auf die kritische Auseinandersetzung mit Kindern und Jugendlichen mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Einstellungen und Verhaltensweisen setzt.

Deswegen bin ich ein bisschen überrascht darüber, dass der heutige Antrag von CDU und FDP für diese Aktuelle Stunde „Antisemitismus kompromisslos bekämpfen“ heißt, dass aber CDU und FDP nicht einen einzigen Weg aufzeigen, wie das denn konkret geschehen soll.

Ich finde es schade, dass Sie nicht einmal versucht haben, dieses Thema heute hier gemeinsam, wenigstens mit Teilen der Opposition, mit denen Sie seit vielen Jahren im Kampf gegen Antisemitismus Konsens haben, auf diese Tagesordnung zu setzen. Denn ich glaube, es wäre überhaupt kein Thema gewesen, dass wir das gemeinsam tun. Dafür ist dieses Thema viel zu wichtig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn wir Demokraten sollten in diesem Punkt an der Seite der Juden stehen und auch gemeinsam gegen den Antisemitismus kämpfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Hagemeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist passiert, dass wir heute in diesem Rahmen am letzten Plenartag im Jahr 2017 über die Bekämpfung von Antisemitismus in Deutschland debattieren müssen? Wieso müssen wir uns im 21. Jahrhundert dafür schämen, dass auf den Straßen in deutschen Städten Judenhass so offen zur Schau gestellt wird, und auch dafür, dass die Jüdische Gemeinde in Mülheim an der Ruhr – mein Vorredner Stefan Nacke hat es erwähnt – und in anderen Städten ihre Feierlichkeiten zum Chanukka-Fest auf dem Synagogenplatz abgesagt hat, weil zu große Sicherheitsbedenken bestanden haben?

Wenn Leonid Goldberg, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Wuppertal, in der „Rheinischen Post“ vom 15. Dezember 2017 zitiert wird mit den Worten „Es ist schrecklich, dass in Deutschland Synagogen immer noch bewacht werden müssen“, dann hat er damit mehr als recht.

Wir erinnern uns: Die drei jungen Palästinenser, die 2015 auf die Wuppertaler Synagoge einen Brandanschlag verübten, wurden zu Bewährungsstrafen ver

urteilt, weil es keine Anhaltspunkte für eine antisemitische Motivation gab. Haben wir Antisemitismus in den vergangenen Jahren verharmlost oder lediglich als Israel-Kritik abgetan? Oder ist das Phänomen plötzlich wieder aufgetaucht? Warum hat sich die Grenze zwischen Kritik und Antisemitismus zu weit in die falsche Richtung bewegt?

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“. Dieser von Kurt Schumacher oft zitierte Satz hat vor dem Hintergrund antisemitischer Ausschreitungen in Berlin eine besondere Bedeutung. Er verlangt einen genauen und unverstellten Blick auf die Gesellschaft, um Antisemitismus dort zu identifizieren, wo er auftaucht, und ihm entgegenzutreten.

Zur Betrachtung der Wirklichkeit gehört auch die Erkenntnis, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem ist, das uns in rechtsextremen Kreisen begegnet, sondern in vielen Milieus verankert ist. Antisemitismus ist leider der Bereich, wo sich Extremisten aller Art und Couleur treffen und worin sie sich einig sind. Seit Jahren bekämpfen wir nun – zu Recht – den rechtsextremen Antisemitismus und sind uns darin als demokratische Parteien einig. Daher möchte ich dieser Richtung an dieser Stelle keine weitere Redezeit widmen. Ohne den Blick nach rechts zu unterlassen, sollten wir unseren Blick weiten und allen Formen des Antisemitismus noch entscheidender entgegentreten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine Form ist der Antisemitismus in linksextremen Kreisen. Laut einer Studie der FU Berlin aus dem Jahre 2016 stimmen 34 % der von den Forschern als linksextrem eingestuften Personen der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland zu viel Einfluss.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört, liebe Grüne und SPD!)

Dieser linksextreme Antisemitismus wurde zu lange verharmlost. Zu lange hat man geglaubt, linken Antisemitismus könne es nicht geben. Oft im Gewand eines Antizionismus oder einer angeblich berechtigten Israel-Kritik kommt eine Geisteshaltung zutage, mit der man den Boykott israelischer Waren oder das Verbrennen israelischer Fahnen zu rechtfertigen versucht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier besteht Handlungsbedarf. Nochmals: Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dieser Satz ist nicht relativierbar; er gilt unabhängig davon, von wem oder aus welcher politischen oder kulturellen Richtung sich Antisemitismus äußert. Ich möchte das auch in aller Deutlichkeit sagen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt für alle hier lebenden Menschen gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie hier geboren wurden oder zu uns gekommen sind. Es darf hier nichts verharmlost oder verschwiegen werden. Es gibt keinen kulturellen Rabatt.

Auch importierte Problemkonstellationen müssen sich innerhalb des demokratischen Diskurses bewegen. Hier sind wir als Politik und Gesellschaft gefordert, auch die, die zu uns kommen, an unseren Werten und Grundsätzen zu messen und diese einzufordern.

Unsere heutige Debatte soll ein Zeichen setzen. Mehr können wir an dieser Stelle nicht tun, aber weniger dürfen wir auch nicht tun. Der Holocaust hat die deutsche Geschichte in ein Davor und ein Danach geteilt. Meine Damen und Herren, es kann und darf nicht vergessen werden, dass wir im Danach leben. Wir verdanken es jüdischen Überlebenden, die sich nach 1945 entschieden haben, in Deutschland zu bleiben, dass heute wieder gut 27.000 Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen leben.

Menschen, die nach Deutschland kommen und Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sollen, müssen unsere Geschichte und unseren Wertekanon übernehmen. Das schließt ein, dass Deutschland eine besondere Beziehung zu Israel hat. Es ist absolut wichtig, dass diese Menschen in die deutsche Gesellschaft und in das Schulsystem integriert werden – Orte, an denen unser Wertekanon vermittelt wird und an der wir aus unserer deutschen Vergangenheit lernen. Es darf nie wieder ein Davor und ein Danach geben. Aber wir dürfen nicht aufhören, an das Geschehen zu erinnern, um das Bewusstsein dafür wachzuhalten, wie gefährlich Antisemitismus ist.

Abschließen möchte ich mit einer Feststellung. Wenn NRW-Innenminister Herbert Reul der „Bild“-Zeitung am 15. Dezember 2017 sagt: „Mir ist es auch persönlich ein wichtiges Anliegen, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in NRW sicher leben können“ und dass „jüdische Einrichtungen besonders geschützt“ und „Sicherheitsbehörden besonders sensibilisiert und wachsam“ sind, dann spricht er mir und meiner Fraktion aus der Seele.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich wünschte nur, dass dies eine Selbstverständlichkeit wäre und der besondere Schutz nicht nötig wäre. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hagemeier. – Für die AfD-Fraktion erhält Herr Kollege Seifen noch einmal das Wort.

Recht herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion heute Morgen ist ausgesprochen hilfreich und sehr wichtig. Ich habe hier heute Morgen gute Reden gehört. Aber leider Gottes habe ich auch

wieder Reden gehört, in denen deutlich wird, wo unser Problem liegt, nämlich im Wegducken vor dem eigentlichen Problem.

Dass wir in Deutschland einen jahrhundertelangen Antisemitismus haben, der in fürchterlichen Verbrechen gipfelte, ist bekannt. Wir haben jetzt aber auch in Skandinavien Antisemitismus – in Ländern, die sich im Zweiten Weltkrieg und davor schützend vor die Juden gestellt und dafür gesorgt haben, dass viele überleben konnten.

Ich darf den schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven zitieren, der ganz offen sagt: Wir haben in der schwedischen Gesellschaft ein Problem mit Antisemitismus. – Im Zentrum dabei steht Malmö ganz im Südwesten des Landes mit 40 % Einwohnern mit Migrationshintergrund.

Jens Spahn äußerte im „SPIEGEL“: Es ist gleichgültig, ob der Hass von rechten Dumpfbacken ausgeht – er hat die Linken vergessen – oder von arabischstämmigen muslimischen Fanatikern. Hass und Extremismus müssen immer bekämpft werden. – Da sind wir ganz auf seiner Seite.

Es hilft hier kein Ausweichen, wenn der Oberrabbiner von Barcelona, Meir Bar-Hen, der Meinung ist, Europa sei für die Juden als Heimat verloren, und an die jüdischen Gemeinden appelliert, doch auszuwandern.

Es hilft kein Ausweichen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Neben den Formen des hier in Europa schon lange existierenden herkömmlichen Antisemitismus, der selbstverständlich genauso schändlich ist – das ist ganz klar –, der aber glücklicherweise nicht offen seine Fratze zeigt, erleben wir jetzt einen offenen, gewaltsamen und fordernd auftretenden Antisemitismus zugewanderter Personen muslimischer Religionen aus dem arabisch-afrikanischen Raum.

Das hängt damit zusammen, dass die Menschen – egal welche; diese eben auch –, wenn sie von einem Land A in ein Land B einwandern, natürlich nicht nur ihr Fleisch und Blut mitbringen, sondern alles das, was sie denken, was sie haben an Vorlieben, an Wünschen, an Hoffnungen, aber auch was sie haben an Ressentiments, an Hass, an Enttäuschung und an Wut.

Damit sind wir jetzt konfrontiert. Einige von Ihnen ducken sich da einfach weg. Genau das ist die Ursache für das, was hier im Augenblick passiert: Aus einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber allem, was fremd ist und nicht deutsch ist, aus einer Sehnsucht, nicht provinziell, engherzig und spießig zu gelten oder gar fremdenfeindlich zu sein, sondern weltoffen, großherzig und human, geben wir unsere Grundsätze, unsere Ideale, unsere in der Aufklärung gewachsenen Vorstellungen eines liberalen Rechtsstaates auf.