Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Bell von der SPD-Fraktion tritt ans Pult. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die SPD-Fraktion stellt heute den Antrag, dass sich der Landtag Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Enquetekommission mit dem Thema der digitalen Transformation der Arbeitswelt in unserem Bundesland befasst.

Kaum ein Thema wird in den nächsten Jahren die soziale Realität in unserem Bundesland so prägen wie die Frage, ob wir die hierdurch entstehenden Herausforderungen bewältigen und gestalten können oder ob es zu disruptiven Entwicklungen kommt. Fast wie bestellt titelt heute die „Zeit“ in Bezug auf die Frage der digitalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: „Wo

bleibt die Arbeit? Eine Katastrophe? Oder eine Verheißung?“

Dabei ist die vor uns liegende Herausforderung, dass dieser Strukturwandel nur noch in geringem Maße regional verortet werden kann. Vielmehr werden durch die stattfindenden und vor uns liegenden Veränderungen nahezu alle Branchen und Qualifikationsebenen in allerdings unterschiedlichem Maße betroffen sein. Das bedeutet im Klartext, dass eine Vielzahl von Menschen in Nordrhein-Westfalen vor Veränderungen in ihrem Arbeitsumfeld steht.

Ich will dies an einem praktischen Beispiel erläutern. Ich bin Vorsitzender des Aufsichtsrates des Stadtwerkekonzerns in Wuppertal. Wir beschäftigen in der Verkehrstochter aktuell mehr als 700 Busfahrerinnen und Busfahrer. Wenn die technisch getriebenen Szenarien des autonomen Fahrens und der digitale Wandel der Verkehrsszenarien Raum greifen, werden diese schlichtweg in der Perspektive nicht mehr benötigt.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: In 100 Jahren vielleicht!)

Wir wissen, dass zeitgleich die Chance besteht, dass in erheblichem Maße auch neue Arbeitsplätze entstehen. Dabei ist zunächst einmal völlig offen, ob es gelingt, vorhandene Qualifikationen von Beschäftigten so weiterzuentwickeln, dass es zu einer möglichst hohen Deckungsgleichheit zwischen der neuen Nachfragerealität auf den Arbeitsmärkten in Nordrhein-Westfalen und den Menschen in unserem Bundesland kommt.

Ungesteuert und ohne politische Gestaltung dieses Prozesses droht ein steigender Fachkräftemangel gepaart mit steigender Arbeitslosigkeit. Dies kann nicht im Interesse unseres Landes sein.

Aus diesem Grund muss die Frage beantwortet werden, ob die Konstruktion unserer Weiterbildungslandschaft den skizzierten Herausforderungen gerecht werden kann. Ich persönlich glaube, dass wir hier wahrscheinlich neue Wege und Zugänge schaffen müssen.

Dies muss aus meiner Sicht mit den handelnden Akteuren in unserem Bundesland bewertet und diskutiert werden.

Zudem ist auch völlig offen, ob es sich bei den neu entstehenden Arbeitsplätzen um Arbeitsplätze handelt, die dem Bedürfnis nach qualitativer Anreicherung entsprechen und angemessen entlohnt und sozial abgesichert sind. Beschäftigungsformen wie Crowdworking weisen auf potenzielle Risiken für die Beschäftigten und unsere sozialen Sicherungssysteme hin.

Wir müssen die Frage beantworten, welche Regelungsnotwendigkeiten bestehen, um Arbeit und die

Beschäftigten weiterhin nachhaltig in unserem System der sozialen Marktwirtschaft zu verankern.

(Beifall von der SPD)

Die Enquetekommission soll sich deshalb diesen Fragestellungen unter den Handlungsfeldern „Wandel der sozialen Marktwirtschaft“, „Wandel der Arbeitswelt und soziale Herausforderung“ und „Weiterbildung, Qualifizierung und Forschung“ widmen.

Die Arbeit der Enquetekommission kann dabei dazu beitragen, in den aufgeworfenen Fragestellungen Zukunftsfähigkeit für die Menschen in unserem Bundesland zu erarbeiten, und das in dem Feld, das die Lebensrealität immer noch über alle Maßen bestimmt, nämlich der Erwerbsarbeit.

Ich würde mich sehr freuen, wenn auch die anderen Fraktionen unserem Antrag zustimmen und sich engagiert in die Arbeit der Enquetekommission einbringen würden. Letztlich haben wir es gemeinsam in der Hand, die digitale Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen erfolgreich zu gestalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Bell. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Schmitz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gute parlamentarische Tradition, dass dem Antrag einer Fraktion auf Einrichtung einer Enquetekommission entsprochen wird. Daher werden natürlich auch wir dem Antrag der SPD zustimmen.

Der parlamentarischen Debatte um das Thema müssen Sie sich aber dennoch stellen. Denn auch der Austausch der Argumente ist ebenfalls gute parlamentarische Sitte, der sich die CDU-Fraktion verpflichtet fühlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema „Digitalisierung“ ist der Zukunftsmotor für unser Land. Das wissen wir alle, und das sieht auch die NRWKoalition so. Von daher ist Digitalisierung auch ein Schwerpunkt auf unserer politischen Agenda. Das kann man auch daran erkennen, dass wir als CDULandtagsfraktion erst jüngst ein sehr umfangreiches Positionspapier beraten und beschlossen haben.

Interessant fand ich übrigens, dass kurz darauf, am Folgetag, vor unserer Pressekonferenz zur Vorstellung dieses Papiers die SPD-Fraktion die heute beantragte Enquetekommission per Pressemitteilung ankündigte. Aber es wäre für unser Land besser gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie hätten vorher einmal in unser Papier hineingeschaut.

Das Thema „Digitalisierung“ muss in einem angemessenen und breiten Rahmen behandelt werden, um so dem Landtag und der Landesregierung eine zukunftsweisende Handlungsempfehlung zu geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegt zwar ein sehr umfassender Antrag der SPD-Fraktion vor. Doch als ich ihn gelesen hatte, war das nicht die Bandbreite, die ich bei Digitalisierung erwartet hatte. Ist die digitale Transformation der Arbeitswelt ein wichtiger Punkt? Ja, außer Frage. Aber sie kann nicht singulär betrachtet werden.

Das Thema ist in jeder Diskussion mit Beteiligung der SPD ein echter Klassiker so wie die nicht enden wollende Auseinandersetzung bei Ihnen um Hartz IV. Ist es also ein Thema, das uns gute zwei Jahre lang beschäftigen kann? Ja, auch das steht ganz außer Frage. Aber auch das funktioniert nur in Verbindung mit den anderen Fachbereichen, die von Digitalisierung betroffen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, statt eines tollen und großen Buffets zur Digitalisierung haben Sie, hat die SPD-Fraktion, die Sparvariante bestellt. Am Ende behandelt ein acht Seiten langer Antrag tatsächlich nur einen, wenn auch wichtigen Aspekt der Digitalisierung: die Arbeitswelt. Leider, muss ich sagen; schade, möchte ich hinzufügen.

Warum diese Beschränkung? Hat die SPD den Anspruch aufgegeben, thematisch breit aufgestellt zu sein? Warum hat die SPD nicht eine Enquetekommission beantragt, welche die ethischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und auch datenschutzrechtlichen Facetten der Digitalisierung beleuchtet?

Das ist umso bemerkenswerter, als uns die Kollegin Kampmann – ich habe sie heute Morgen noch nicht gesehen, spreche sie trotzdem an –, immerhin in ihrer Fraktion für die Digitalisierung zuständig und damit sicherlich an der Erstellung des Antrags beteiligt, erst in der letzten Plenarsitzung zu unserem Antrag „Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen“ vorgeworfen hat, dass wir keine Antworten auf diese Fragen liefern würden. Nun stellen Sie selbst Fragen, und nach der Lektüre dieses Antrags sehe ich mich bestätigt: Die SPD hat keine Antworten darauf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus hätte man mehr machen können. Ich hatte eben bereits das Positionspapier der CDU-Fraktion benannt. Ich möchte es noch einmal bemühen, um Ihnen zu zeigen, wie man es besser machen kann, wie man zumindest versuchen kann, die Digitalisierung in ihrer ganzen Komplexität zu fassen.

Ich will es konkret machen. Statt im zweiten Teil des Antrags mehr als 50 Mal eine Variation derselben Frage „Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt?“ hätte ich mir einen Arbeitsauftrag für die Enquetekommission gewünscht zum Wechselspiel von

Digitalisierung und Wirtschaft, Ökologie, Landwirtschaft, Energie, Verkehr, Kommunikation, dem Schutzraum des Individuums, Gesundheit, Pflege, Wohnen, Sicherheit, Kriminalität, Ehrenamt, Verwaltung, Kommunen, Bildung, Medienkompetenz,

(Michael Hübner [SPD]: Alles?)

Wissenschaft, Forschung, Ethik usw.

(Michael Hübner [SPD]: Genau!)

Das waren jetzt einmal 20 Punkte, die ohne großes Nachdenken klar gewesen sind.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Was ist denn mit der Landwirtschaft?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieses Mangels möchte ich noch kurz auf Ihren konkreten Vorschlag eingehen. Studien zeigen, dass die Befürchtung, Arbeitsplätze würden durch technologischen Fortschritt, die sogenannte technologische Arbeitslosigkeit, wegfallen, nie eingetreten ist. Auch jetzt geht das IAB davon aus, dass durch die Digitalisierung rund 1,5 Millionen neue Jobs geschaffen werden, auf der anderen Seite aber auch 1,5 Millionen Jobs wegfallen werden.

Die CDU-Fraktion wird die Verschiebung von Aufgaben und Anforderungsprofilen dennoch sehr genau beobachten. Wir sehen die betriebliche und persönliche Aus-, Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten hin zu einer digitalen Arbeitswelt als einen Schlüssel für den Erhalt und den Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.

Wir werden daher auch in Zukunft mehr ESF-Mittel in die Fort- und Weiterbildung, vor allem in den Bildungscheck, stecken.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Angesichts des Fachkräftebedarfs liegt dies im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber selbst. Wir wollen den Wandel aktiv gestalten und die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Daher bin ich gespannt auf die Arbeit und die Ergebnisse der Enquetekommission. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Schmitz. – Für die FDP-Fraktion hat das Wort nun Herr Diekhoff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Digitalisierung ist ohne jeden Zweifel die tiefgreifendste Veränderung unserer Gesellschaft seit der Industrialisierung. Sie umfasst nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und wird selbstverständlich auch besonders die Grundlagen des Arbeitens verändern.

Die Potenziale dieser Entwicklung sind zwar heute noch nicht abschließend, aber doch sehr umfassend zu erkennen. Wir wissen zwar nicht, wie die Arbeit von morgen aussieht, aber wir wissen, dass die Digitalisierung prägend sein wird. Wir wissen auch, dass einige Tätigkeitsfelder komplett wegfallen werden, dürfen aber nicht vergessen, dass natürlich auch ganz viele neue Tätigkeitsfelder dadurch entstehen.

Von daher sollten wir uns richtigerweise fragen, welche Rahmenbedingungen Arbeitnehmer und Arbeitgeber brauchen, um aus der Digitalisierung Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven zu gestalten. Welche Anstrengungen müssen unternommen werden, damit die erforderlichen Wandlungsprozesse nicht verpasst, sondern aktiv mitgestaltet werden können, und welche Herausforderungen ergeben sich speziell für unser industriestarkes NordrheinWestfalen? Welche Auswirkungen wird die Digitalisierung auf die verschiedenen Branchen und vor allem auf die Qualifikationsniveaus der Mitarbeiter haben? Anders gefragt: Wie können wir die Chancen der Digitalisierung in der Arbeitswelt nutzen und Risiken vermindern?

Wir Freien Demokraten möchten, wie bekannt, die Digitalisierung als Chance begreifen, als Zeichen der Fortschrittsorientierung unserer Gesellschaft. Wir leben in einem chancenreichen Land und sind davon überzeugt, dass wir uns auch die Digitalisierung zunutze machen müssen, um das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger einfacher und sicherer zu gestalten, um eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu betreiben und um auch den modernen Staat zu gestalten. Dieses digitale Zeitalter wollen wir als diesen Gestaltungsraum prägen.

Diese Chancen der Digitalisierung kommen in Ihrem Antrag etwas kurz, die Chancen müssen ergriffen werden. Wir müssen überlegen, wie wir gefährliche und körperbelastende Arbeit dadurch so umlagern können, dass mehr Zeit für den Menschen selbst zur Verfügung steht. Diese Chancen entstehen, wenn die Digitalisierung arbeitnehmerfreundliche Rahmenbedingungen schafft, flexible Arbeitszeiten, das Homeoffice, die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Digitalisierung kann vielleicht sogar Teile unseres Verkehrsproblems lösen, weil nicht mehr alle Menschen zur Uhrzeit x am Platz y sein müssen. Das sind interessante und spannende Chancen.

Dieser Prozess muss selbstverständlich gut vorbereitet und begleitet werden. Wir als Politik können diese Debatten anstoßen, wir können Sorgen aufgreifen, einordnen und bearbeiten. Wir müssen vielleicht auch die Rahmenbedingungen setzen, damit diese Potenziale der Digitalisierung bestmöglich genutzt werden können. Wir müssen abschätzen, wir müssen die Unternehmen unterstützen, diesen Weg mitzugehen. Auch die müssen ihre Geschäfts- und