Protokoll der Sitzung vom 15.06.2018

Man muss noch einen Schritt weitergehen. Es geht nicht nur um den Salafismus. Eine Frage ist zum Beispiel auch: Wie geht man mit Kindern aus rechtsextremistischen Familien um? – Auch diese Debatte führen wir seit Jahren, im Prinzip seit Jahrzehnten.

Wir führen also gern eine Diskussion darüber. Wir Grüne sind durchaus offen dafür. Man muss wissen, dass das in Deutschland schwierig ist – zu Recht. Lassen Sie uns also eine Diskussion darüber führen; aber dann lassen Sie uns auch zu konkreten Ergebnissen kommen.

Der dritte Punkt ist das Thema „Jugend und Schule“. Das sprechen Sie in Ihrem Antrag auch an; das finde ich richtig. Das ist ein wichtiges Thema, aber auch hier fehlen die konkreten Vorschläge. Das Einzige, was Sie anführen, ist die Einführung einer Taskforce an Schulen. Das ist nichts Neues. Das steht in dem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe, die vor drei oder vier Jahren von Rot-Grün gegründet wurde. Das ist also nichts Neues.

Wir haben einen eigenen Antrag vorgelegt. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben vier ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben erstens gesagt, wir brauchen die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit und in der Jugendsozialarbeit.

Wir haben zweitens gesagt, das Thema „Neosalafismus“ muss in der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer und andere pädagogische Fachkräfte verankert sein. Da ist beispielsweise die Schulministerin in der Pflicht.

Drittens. Wir haben gesagt, wir brauchen eine flächendeckende Sozialarbeit an den Schulen und die Qualifizierung der Fachkräfte.

Und viertens haben wir gesagt, wir brauchen Streetworker. Wir brauchen für die Jugendlichen, die in Gegenden wohnen, wo sie besonders gefährdet sind, von Salafisten angesprochen zu werden, Streetworker, die konkret auf sie zugehen.

Diese vier Punkte sind in der Anhörung von den Expertinnen und Experten bestätigt und begrüßt worden. Davon findet sich nichts in Ihrem Antrag. Auch hier sind wir in der Debatte wesentlich weiter.

(Marc Lürbke [FDP]: Das steht doch drin!)

Nein, es steht nicht drin. Es steht etwas über das Thema „Taskforce“ drin. Ja, es stimmt, Sie haben auch etwas zu dem Thema „Wir müssen jetzt mehr Angebote machen“ geschrieben. Das ist aber etwas anderes als eine verpflichtende Verankerung in dem Fortbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer. Das ist doch ein Unterschied, Herr Lürbke.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ja, Ihnen ist immer alles zu kleinteilig. „Kleinteilig“ kann man es nennen, wenn man zwar zu Problemen konkrete Vorschläge hat, aber stattdessen irgendeine Soße auskippt – etwas, in dem nichts Konkretes steht, aber alles Mögliche angesprochen wird, ohne eine Lösung zu suchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will es zum Schluss noch einmal sagen – ich glaube, das ist jetzt auch deutlich geworden –: Mir ist das Thema wichtig. Deshalb besteht mein Angebot und das meiner Fraktion weiterhin: Lassen Sie uns gemeinsam an dem Thema „Salafismus“ arbeiten.

Wir haben viel Streit, was Repression und polizeiliche Befugnisse angeht. Es ist auch richtig, diesen Streit auszutragen und die politische Diskussion darüber zu führen. Aber lassen Sie uns im Sinne der Sache doch wenigstens bei dem Punkt Präventionsarbeit versuchen, zusammenzukommen; denn es ist wichtig für die Sicherheit der Menschen in diesem Land, dass wir gemeinsam an diesen Themen arbeiten.

Noch einmal das Angebot – auch von mir –: Setzen wir uns zusammen und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir weitergehen und gemeinsam zu einer Gesamtstrategie kommen können, die auch wir wollen. Ich glaube, damit wäre vieles gewonnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die AfD erteile ich der Frau Kollegin Walger-Demolsky das Wort.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Grundsätzlich ist der traditionell gelebte Islam mit einer aufgeklärten westlichen Gesellschaft nicht sehr kompatibel. Es bedarf in einer islamischen Welt, in der vieles, was bei uns als Ausdruck von Freiheit und Gleichberechtigung gilt, in „halal“ und „haram“ eingeteilt wird, großer Anstrengungen und viel Flexibilität eines jeden gläubigen Moslems, um die Regeln des Koran und der Scharia zum Beispiel mit den Vorgaben aus den Artikeln 2 und 3 des Grundgesetzes in Einklang zu bringen.

Eine umfassende Befragung der türkischstämmigen Einwanderer ergab 2016, dass radikal-islamische und fundamentale Einstellungen unter den Befragten weit verbreitet sind. Der Aussage – ich zitiere – „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich grundsätzlich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“, stimmten 47 % zu.

(Zuruf von der AfD: Hört, hört!)

Schade, dass es keine neuere Studie gibt, in die Muslime aus anderen Herkunftsländern einbezogen sind. Unter den Gläubigen sind wirklich liberale Muslime, die zum Beispiel einen sogenannten „Euro-Islam“ favorisieren, eine eher kleine Minderheit. Das bestätigt auch Lale Akgün von der SPD in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Bei dieser Betrachtung sind wir aber bei der sich selbst als „rein“ bezeichnenden Form des Islams, dem Salafismus, noch gar nicht angekommen. Wer den Salafismus vor diesem Hintergrund als „scheinreligiös“ bezeichnet, verleugnet die Tatsachen. Auch der Dschihad ist kein Schein, sondern ein Teil des Islams und wird von radikalen Fanatischen auch so

gelebt. Hier andauernd von „Missbrauch“ zu sprechen, ist Realitätsverweigerung. Es ist kein Missbrauch, sondern schlicht eine Ausprägung, die ihren Ursprung sowohl in der Sunna als auch im Koran findet.

Ich bin sicher, man könnte mehr Muslime von einem liberalen Islam überzeugen. Diese Hoffnung richtet sich natürlich besonders an junge Menschen. Ich bin auch davon überzeugt, dass dies nicht von außen bewirkt werden kann, sondern von innen passieren muss. Diese Hoffnung bezieht sich weniger auf die, die längst zu den Salafisten tendieren, als auf die, die noch in einer religiösen Findungsphase sind. Wer zum Beispiel an dieser Stelle nicht begreift, dass das Kopftuch und auch der Burkini bei Kindern in die falsche Richtung weisen, wer Imame solche Traditionen weiter predigen lässt, handelt fahrlässig, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Die meisten Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit scheinen mir ganz und gar nicht die richtigen Partner zu sein; denn sie haben doch längst bewiesen, dass sie den Zugang zu sehr vielen jungen Muslimen verloren haben. Zu wenig religiöses Wissen gepaart mit unendlicher Toleranz werden von den jungen Menschen als Schwäche verstanden und als Ausdruck einer degenerierten Gesellschaft abgelehnt. Kuschel- und Beratungsprogramme werden daher auch nicht helfen, das Anwachsen des Salafismus zu verhindern – bei offenen Grenzen sowieso nicht.

(Beifall von der AfD)

Schon das viel gelobte „Wegweiser“-Programm kann nicht auf einen dezidierten Erfolg verweisen. Das Gegenteil ist der Fall, wie der Anschlag in Essen 2016 auf eine Sikh-Gemeinde gezeigt hat. Ich habe nach einzelnen Erfolgen gefragt; da kam nichts.

(Helmut Seifen [AfD]: Die reagieren nimmer nur fassungslos!)

Wir reden in NRW von mindestens 3.000 Salafisten, meine Damen und Herren. Welche Erfolgserwartungen stellen Sie an Ihre Maßnahmen – 1 %, 2 % oder 3 %? Und die übrigen? Für die gibt es dann das „scharfe“ Mittel der Gefährderansprache? – Zum Glück wird nicht jeder Salafist als Gefährder eingestuft.

Die gute Idee aus dem Koalitionsvertrag, entsprechende Vereine zu verbieten, findet sich in diesem Antrag nicht wieder. An dieser Stelle muss jetzt eine Ermahnung reichen. Ich habe so eine Ahnung, welche Durchschlagskraft das haben wird.

(Helmut Seifen [AfD]: Die zittern!)

Wir Christen, Juden oder Atheisten können den Islam und seine Ausprägungen nicht reformieren. Wir

können diejenigen, die Reformen wollen und sich dafür stark machen, unterstützen. Da gibt es inzwischen eine knappe Handvoll Verbände und Einzelpersonen.

Dass Sozialarbeiter von außen etwas bewirken können, halte ich für eine Illusion. Hier werden wir erneut Geld in hilflose Programme stecken, und am Ende werden wir feststellen: Unsere Nachbarn in Österreich waren klüger. Sie weisen Imame aus, die nicht staats- und gesellschaftskonform predigen, statt in einen Wettstreit der Deutungshoheit mit denen zu treten. Sie verbieten fundamentalistische Vereine und halten nicht nur Gefährderansprachen. Das ist am Ende dann der Unterscheid zwischen gut gemacht und gut gemeint. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Als Nächstes erteile ich dem fraktionslosen Abgeordneten Herrn Pretzell das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Ihnen die Rednerin der Grünen erklärt, dass sie eigentlich keine Kritik an den von Ihnen geforderten Maßnahmen hat bzw. die einzige Kritik eigentlich die ist, dass Sie keine Konzepte vorgelegt haben, die weitgehend genug sind, dann wissen Sie, dass Ihr Antrag bei Weitem nicht mutig genug war. Dann wissen Sie, dass Sie weit hinter den Notwendigkeiten zurückgeblieben sind. Jedenfalls sollten Sie das wissen.

Ich glaube, in der Tat ist es relativ simpel, sich gegen den Salafismus auszusprechen. Das ist Common Sense auch in dieser Gesellschaft. Aber es reicht eben bei Weitem nicht, den Salafismus zu adressieren, meine Damen und Herren.

Es geht darum – Herr Panske hat in seiner Rede ein Beispiel genannt –, dass es auch in anderen muslimischen Gemeinden durchaus Probleme gibt. Herr Panske, Sie haben ein Beispiel aus Herford genannt, aus einer DITIB-Moschee. Es war Ihr Ministerpräsident, der neulich den türkisch-nationalistischen Islam mit der serbischen oder griechischen Orthodoxie gleichsetzte oder zumindest verglich, was einigermaßen daneben ist.

(Helmut Seifen [AfD]: Völlig schräg!)

Es geht darum, dass es eben nicht nur 3.000 Salafisten sind, die zu einem sehr hohen Prozentsatz radikal, extremistisch sind; es geht darum, dass wir eine ausländische Finanzierung vor allem radikal-nationalistischer, mit dem Label des Islam versehenen Organisationen haben, nämlich den Salafismus, finanziert von der saudischen Halbinsel, und den türkischnationalistischen Islam, finanziert aus der Türkei über

die DITIB. Da geht es darum, dass man diese Finanzierungsquellen endlich trockenlegt.

Wenn Sie richtig erkennen, dass es liberale Bestrebungen auch im Islam gibt, gleichzeitig aber dulden, dass aus dem Ausland finanziert die Extremisten und die Radikalen unterstützt werden, während wir hier im Inland gemütlich zusehen, wer sich denn am Ende durchsetzt, dann werden Sie feststellen, dass sich natürlich diejenigen durchsetzen, die mit Millionen Euro aus dem Ausland gepampert werden.

Bevor Sie diese Finanzierungsquellen nicht endlich trockenlegen und entschieden dagegen vorgehen, … – Ja, Herr Kurz in Österreich zeigt gerade, dass es funktioniert; er zeigt auch, dass das Gegenwind gibt. Umso mehr gibt es einen guten Grund, das endlich zu tun. Denn wenn Erdogan droht, dann liegt man ziemlich richtig.

Fangen Sie endlich an, diese ausländischen Finanzierungsquellen für die radikalsten muslimischen Gemeinden in Deutschland zu beenden, trockenzulegen! Dann erreichen Sie wirklich etwas in dieser Hinsicht. – Vielen Dank.

(Beifall von Frank Neppe [fraktionslos] und Alexander Langguth [fraktionslos])

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Reul das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Salafismus – das sagen alle hier – ist ein großes Problem, keine Modeerscheinung. Auseinandersetzen heißt, längerfristig daran arbeiten, heißt kontinuierlich arbeiten. Aber so simple Antworten: alle Muslime, alle Flüchtlinge, Grenzen zumachen –

(Helmut Seifen [AfD]: Hat kein Mensch gesagt! Hören Sie einfach zu!)