Protokoll der Sitzung vom 15.11.2018

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Lück das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur aktuellen Debatte über die Möglichkeiten und Maßnahmen für eine Modernisierung und Aufwertung der Pflege gehört in NordrheinWestfalen auch die Diskussion um den Aufbau einer

Interessenvertretung für Pflegende, einer Pflegekammer oder eines Pflegerings.

Das wäre einer von vielen möglichen Schritten, um die Arbeit in der Pflege aufzuwerten und ihr den Stellenwert zuzubilligen, der ihr gebührt. Die rund 200.000 Beschäftigten in der Pflege in NordrheinWestfalen leisten nämlich Schwerstarbeit.

In deutschen Krankenhäusern muss eine Pflegekraft 10,3 Patientinnen und Patienten versorgen. Damit bilden wir ganz deutlich das Schlusslicht in Europa. In Polen sind es zum Beispiel nur 9,3 und in der Schweiz sogar nur 5,5 Patientinnen und Patienten pro Pflegekraft.

Pflegefachkräfte haben im Arbeitsalltag mit vielen Belastungen zu kämpfen: Schichtdienst, unregelmäßige Arbeitszeiten, zu kurze Erholungs- und Regenerationszeiten sowie Termin- und Leistungsdruck. Die Arbeit in der Pflege geschieht oft am Rande der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit und macht häufig krank.

Uns fehlen viele Fachkräfte, unter anderem deshalb, weil die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen. Deshalb ist es wichtig, viele Maßnahmen zu diskutieren, mithilfe derer spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte erreicht werden können.

Die Regierungsfraktionen in Nordrhein-Westfalen haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, eine Interessenvertretung der Pflegenden zu errichten, wenn die Pflegenden das wollen. Und genau darum geht es.

Um dies festzustellen, hat das Ministerium im Oktober dieses Jahres eine Befragung durchführen lassen. Dabei wurden aber nur rund 1.500 Pflegekräfte befragt; nur diese konnten an der Stichprobe teilnehmen. Unserer Ansicht nach ist dieses von der Landesregierung gewählte Erhebungsverfahren intransparent, nicht repräsentativ und deswegen kein geeignetes Instrument. Es bleibt völlig unklar, wie und nach welchem Verfahren die Pflegenden für die Stichprobe ermittelt wurden und wie die Befragung in der Praxis durchgeführt wurde.

Wir haben im Frühjahr 2017 – also im letzten Jahr – mehrheitlich einen Entschließungsantrag verabschiedet, der ganz deutlich besagt, dass es zur Beteiligung und Befragung der Beschäftigten in der Pflege eine Urabstimmung geben soll. Diesen Beschluss des Parlaments mahne ich heute an.

Wir wollen den Beschäftigten eine starke Stimme geben und sie zu Beteiligten in eigener Sache machen. Es geht nicht an, dass eine starke Interessenvertretung gefordert wird und wir dann nur einen Bruchteil der Betroffenen darüber entscheiden lassen. Wenn wir es ernst damit meinen, dass die Leistungen der Beschäftigten in der Pflege aufgewertet werden sol

len, dann müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, sich an der Abstimmung über die Pflegekammer zu beteiligen.

Dafür gibt es drei offensichtlich gute Gründe.

Erstens: die Erfahrungen in anderen Bundesländern, zum Beispiel Schleswig-Holstein. Auch dort wurde eine stichprobenartige Befragung durchgeführt. Diese hat dann zwar zur Errichtung einer Pflegekammer geführt, aber nicht zu deren Akzeptanz unter den Beschäftigten.

Zweitens. Wir sollten konsequent jede einzelne fachliche Meinung berücksichtigen und uns keine Expertise entgehen lassen. Dies ist bei einer bloßen Stichprobe nicht gewährleistet.

Drittens. Ich erwähnte es schon: Wenn wir in einer derart entscheidenden Frage für den kompletten Berufszweig über die Köpfe der Mehrheit der Betroffenen hinweg entscheiden, dann ist das Anliegen, ihnen eine starke Stimme zu geben, von vornherein unglaubwürdig.

Die SPD ist die Partei, die den Menschen zuhört.

(Minister Karl-Josef Laumann: Na ja!)

Und auch in diesem Fall möchten wir hören, was jeder und jede Einzelne zu diesem Thema denkt. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, den Weg der Entscheidungsfindung zu korrigieren und alle mit ins Boot zu nehmen. Wir fordern eine Urabstimmung über die Einführung einer Pflegekammer.

Ich möchte Sie herzlich dazu einladen, sich unserer Auffassung anzuschließen, allen Betroffenen eine Stimme zu geben. Lassen Sie uns dieses Thema im Ausschuss besprechen, damit die Pflege in Nordrhein-Westfalen wirklich eine starke Stimme hat. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lück. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die einzig interessante Frage im Zusammenhang mit dem Antrag ist die, warum der Antrag erst jetzt kommt. Der Zug ist doch abgefahren; die Befragung läuft seit einiger Zeit, und wir warten auf die Ergebnisse, die bald vorliegen werden.

Wir werden danach zu einer Entscheidung kommen, ob wir eine Pflegekammer wollen oder eine vergleichbare Einrichtung, wie zum Beispiel den auf freiwilliger Basis funktionierenden Pflegering in Bayern. Dies ist übrigens auch Gegenstand der Befragung.

Die Entscheidung steht also aus. Es geht hier nicht um eine Urabstimmung. Sind wir doch ehrlich – am Ende muss das Parlament entscheiden, was es will: ob zur Stärkung der Interessenvertretung der Betroffenen eine Pflegekammer oder eine andere, vergleichbare Einrichtung eingeführt wird oder nicht.

Frau Kollegin Lück, ich will nicht hoffen, dass Sie mit Ihren Ausführungen deutlich machen wollten, dass Sie eine Interessenvertretung durch die Verbände und die Gewerkschaften für ausreichend halten. Wir halten das nicht für ausreichend. Wir wollen eine starke und auf Augenhöhe agierende Interessenvertretung der Pflegenden.

(Angela Lück [SPD]: Das hab ich ja auch gar nicht gesagt!)

Spätestens seit den Haushaltsberatungen 2018 – aufgrund Ihrer Kenntnis des NRW-Koalitionsvertrags sicherlich auch schon vorher – wissen Sie, dass es eine Befragung geben wird; das war im Übrigen immer wieder Gegenstand der Diskussionen im Ausschuss, auch schon in der letzten Legislaturperiode.

In Ihrem Antrag schreiben Sie, Sie hätten sich frühzeitig positioniert. Getan haben Sie aber nichts. Erst die NRW-Koalition hat das Thema – siehe Koalitionsvertrag – aufgegriffen

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

und will zu einer Umsetzung kommen.

Die von der NRW-Koalition im Koalitionsvertrag vereinbarte Befragung der Pflegenden zur Einführung einer Pflegekammer oder eines alternativen Modells in Nordrhein-Westfalen war stets transparent. Sie haben sich nie gegen eine Befragung ausgesprochen.

Sie fordern jetzt eine Urabstimmung – wohlwissend, dass es kein Register gibt, das die in den Pflegeberufen Tätigen exakt ausweist, und dass eine juristisch wasserdichte Ermittlung jedes beruflich Pflegenden aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht möglich ist. Das ist gerade auch in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales sehr ausführlich und nachvollziehbar von der Landesregierung dargelegt worden.

Sie suggerieren mit dem Antrag, dass den beruflich Pflegenden mit einem undemokratischen und intransparenten Verfahren etwas aufgezwungen werden soll.

Die Wahrheit ist, dass zahlreiche Gespräche in den vergangenen Jahren darüber stattgefunden haben und der Austausch zwischen der Landespolitik und den beruflich Pflegenden stets intensiv und rege war.

Die NRW-Koalition will – so ist es ausdrücklich vereinbart – die Pflegenden auch auf dem Weg zu einer entsprechenden Entscheidung in diesem Entscheidungsprozess mitnehmen. Darauf basiert die reprä

sentative Umfrage, auch was die praktische Handhabung angeht, und wir müssen am Ende entscheiden, was wir wollen.

Die Fragen sind von externen Experten ausgearbeitet worden. Ich glaube, dass wir dem als Parlament wohl kaum etwas entgegensetzen können. Eine repräsentative Umfrage ist ein probates Mittel, auf deren Basis wir politische Entscheidungen treffen können und treffen werden. Wir werden die Pflegenden auf diesem Wege mitnehmen.

Sie sprechen davon, dass keine ausreichende Information erfolgt sei über die Frage, was eigentlich eine Pflegekammer ist und was das für den Einzelnen bedeutet. Dazu kann ich nur sagen, dass das Land Informationsveranstaltungen vor Ort mit einem Zuschuss von 200 Euro pro Veranstaltung ermöglicht. Insgesamt stehen 80.000 Euro zur Verfügung, die wir im Haushalt beschlossen haben. Es gibt eine Homepage; es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren und Informationsmaterial für Veranstaltungen zu bestellen.

Im Gegensatz zu SPD und Grünen in der vergangenen Legislaturperiode packt die Landesregierung dieses wichtige Thema heute an. Wir wollen eine starke Interessenvertretung der Pflegenden und deren Berufe erreichen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP wird eine Interessenvertretung der Pflegenden einrichten und errichten, wenn die Pflegenden dies wollen. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und das werden wir auch umsetzen.

(Beifall von der FDP)

Dazu führt die Landesregierung derzeit eine repräsentative Befragung von Pflegekräften durch. Das Ergebnis wird auf jeden Fall zur Leitlinie für unser politisches Handeln werden.

Für mich und meine Fraktion steht bei der Befragung im Vordergrund, dass wir neben einer Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen auch einen Pflegering nach bayerischem Vorbild mit freiwilliger Mitgliedschaft als Alternative zur Abstimmung stellen. Im Vorfeld der Befragung wurde über die Ausgestaltung beider Modelle informiert.

Wir wollen jetzt die mehrheitliche Meinung der in der Pflege beschäftigten Fachkräfte erfahren. Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Pflegeberufe und bei Besuchen in Krankenhäusern habe ich sowohl engagierte Befürworter als auch entschiedene Gegner einer Pflegekammer angetroffen.

Auch innerhalb der SPD scheint das Meinungsspektrum ja gespalten zu sein,

(Angela Lück [SPD]: Vielfältig, nicht gespal- ten!)

da Sie im Antrag nur das Verfahren kritisieren und Ihre Haltung zu den Alternativen offenlassen.

Eine Pflegekammer mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft würde im Gegensatz zu einem Pflegering vor allem bei hoheitlichen Aufgaben wie dem Erlass und Vollzug einer Berufsordnung, der Regelung von Weiterbildungen und damit auch der Qualitätssicherung eigene Kompetenzen wahrnehmen können.