Ich kann es Ihnen sagen: Weil zum Beispiel Herr Verhofstadt, der Fraktionsvorsitzende der ALDE im Europäischen Parlament, der sogenannten Liberalen, nicht müde wird, zu betonen, dass die Briten am Ende auf keinen Fall besser dastehen dürften als zu dem Zeitpunkt, als sie noch in der Union waren. Man will auf jeden Fall verhindern, dass ein Großbritannien, das ausgetreten ist, am Ende wirtschaftlich besser funktioniert als vorher in der Europäischen Union. Das wiederholt Herr Verhofstadt jedes Mal – er wird nicht müde –, wenn diese Debatte kommt. Warum haben Sie eigentlich solche Angst, dass die Briten außerhalb der Union wirtschaftlich besser funktionieren könnten als vorher in der Union?
Wenn Sie mit dem Friedensargument kommen, dann kann ich Ihnen dazu nur eins sagen: Die Schweiz, also das Land, das in den vergangenen Jahrhunderten so weit von Krieg entfernt war wie wohl kein anderes Land auf der Erde, hat sich nie entschließen können, der Europäischen Union beizutreten. Und
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die europäischen Kräfte, wenn die Demokraten in dieser Situation bisweilen hilflos erscheinen, dann ist es in der Tat schwierig für uns, ruhig und sicher zu bleiben, weil wir in unserem Leben noch nicht lernen mussten, mit Lügen, Wahnsinn und Intoleranz umzugehen. Wir sind mit solchen Dingen bisher nicht befasst worden und auch in diesem Maße nicht groß geworden.
Frau dos Santos Herrmann, mit dem Beispiel der Hebamme, weisen Sie auf ein großes Problem hin, das wir haben. Ich verstehe Sie sehr gut. Es gibt aber drei denkbare Szenarien, von denen wir nicht wissen, welches kommt. Wir bereiten uns vor, zumindest solange wir nicht entscheiden können, solange das Parlament in London sich nicht entscheidet.
Wir haben einen Partner, der, wie auch immer er sich entscheidet, zu 50 % gegen das ist, was die anderen 50 % machen. Das Ergebnis unserer britischen Freunde ist absolut dramatisch. Denn dieses Land wird, wie immer es sich entscheidet, gespalten bleiben, weil es Leuten, die mit ihm gespielt haben, die mit der Zukunft seiner Mitbürger gezockt haben, geglaubt hat.
Auch wenn die, die diese Lügen benutzt haben, sie jetzt einräumen, ändert das an dem Entscheid gar nichts. Der Entscheid ist nicht zu korrigieren, und wir alle versuchen im Moment, damit zu leben.
Herr Remmel, wir sind in der Sache so nah beieinander, dass ich davor warne, eine Scheindiskussion darüber zu führen, ob der eine mehr und der andere weniger tun könnte. Wenn die Landesregierung nicht zuständig ist, dann können wir im Bund vorstellig werden. Wenn Europa verhandelt, kann nicht irgendein Bundesland noch mitverhandeln. Das ist das System, das uns seit 70 Jahren Frieden gebracht hat.
Das ist ein System, das uns Väter und Großväter gegeben haben, die zwei Weltkriege mitgemacht haben und deren größtes Bestreben es war, dass nie wieder in Europa und von Europa ein Krieg ausgeht. Immerhin hat das 70 Jahre gehalten. So schlecht kann das System ja nicht sein.
Die Lage ist allerdings zu ernst, um sich mit Widersprüchlichkeiten in der Argumentation zu befassen. Ich darf beschreiben, wo wir uns historisch befinden:
Vor 30 Jahren haben wir durch die Maueröffnung eine deutsche Wiedervereinigung begonnen, die heute noch nicht abgeschlossen ist. Wir beginnen jetzt, 30 Jahre später, gelockt durch Lügen und irgendwelche Verleumdungen, eine Mauer in den Köpfen aufzubauen, obwohl die Menschen eigentlich frei und friedlich zusammenleben wollen.
Das ist die Dimension, in die wir gerade hineinrutschen. Das versuchen wir mit allen Mitteln zu verhindern. Wir wollen allen Menschen ihre Freiheit belassen.
Junge Engländerinnen, junge Engländer haben die Abstimmung nicht ernst genommen. Sie haben daran nicht teilgenommen. Zur Schande meiner Generation muss ich sagen: Wir Großeltern – Großväter, Großmütter – haben unseren Enkeln damit die Zukunft sehr schwer gemacht. Sie müssen heute mit etwas leben, was sie gar nicht mehr für möglich gehalten haben. Mit diesem Referendum steht vor allem Großbritannien, unsere Freunde, vor einer riesigen Aufgabe.
Wir haben enge wirtschaftliche Verbindungen zu Großbritannien. Ich hoffe und nehme auch sicher an, dass Herr Professor Pinkwart dazu noch einiges sagen wird. Wir haben aber auch freundschaftliche und familiäre Beziehungen. Wie auch immer der Brexit ausgeht, wir müssen uns bemühen, die proeuropäischen Kräfte in unseren englischen Familien, in unserem englischen Freundeskreis zu unterstützen und bei uns zu behalten.
Wie auch immer es ausgeht: Großbritannien ist ein Teil von Europa, das ist überhaupt keine Frage. Das ist aber nicht ganz einfach, weil es auch das Zusammenwirken aller anderen Länder gibt. Sie haben vorhin so getan, als ob das eine Bundesland weiter sei als das andere. Die Zusammenarbeit der Bundesländer im Bundesrat funktioniert. Kein Bundesland weiß irgendetwas Tolles, was die anderen nicht machen oder nicht absprechen.
Die gleiche Treue wie die Bundestreue, die bei uns verfassungsrechtlich formuliert ist, gilt für Deutschland auch innerhalb der EU. Wir werden keine Einzelverhandlungen führen und damit der gemeinsamen Sache schaden.
Jedes bilaterale Angebot an einen Nationalstaat, an ein Bundesland, das aus Moskau, aber leider auch aus Washington oder China kommt, ist vergiftet. Denn es besteht in der Hauptsache darin, Trennung herbeizuführen.
Vielleicht hatten Sie die Gelegenheit, sich die Dokumentation „Die neue Seidenstraße – Chinas Griff nach Westen“ anzuschauen. Fangen Sie nicht mit Duisburg an. Schauen Sie sich Myanmar an,
schauen Sie sich Sri Lanka an, schauen Sie sich Pakistan an. Das passiert, wenn wir uns auseinanderdividieren lassen.
Wir haben das Brexit-Übergangsgesetz hier eingebracht, wir haben es mit Ihnen verhandelt. Es gibt in der Sache überhaupt keine Differenzen, höchstens in der Geschwindigkeit der Umsetzung. Lassen Sie uns das Wesentliche offen bekräftigen, dass wir nämlich gemeinsam an Europa arbeiten, für Europa arbeiten. Lassen Sie uns nicht so tun, als ob wir weit auseinanderlägen; das gilt höchstens für die, die wirklich gegen Europa sind.
Es gibt die verschiedenen Szenarien, die ich genannt habe. Es gibt den harten Brexit, es gibt den Brexit mit Austrittsabkommen, es gibt das Drittstaatenhandelsabkommen. Es gibt die Probleme, die Briten haben, die in Nordrhein-Westfalen arbeiten. Sie dürfen nur 90 Tage hierbleiben, sie bekommen den Drittstaatenstatus. Das alles ist im Ausschuss besprochen worden, das kennen Sie. Sie sind schließlich alle große Europapolitiker und wissen genau, welches Szenario welche Folgen hat.
Ich glaube, am wichtigsten ist Folgendes: Was auch immer mit Großbritannien passiert, was auch immer mit unseren Freunden passiert, wir müssen die europäische Gemeinsamkeit betonen, und zwar mit England, egal ob mit oder ohne Brexit. Als überzeugter und engagierter Europäer hoffe ich natürlich zutiefst – und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt –, dass es keinen Brexit gibt; denn das wäre der beste Brexit.
In dieser Diskussion dürfen wir uns allerdings in der Frage, wie Europa ist, was Europa bedeutet, nicht auseinanderbringen lassen, und das gilt über fast alle Parteigrenzen hinweg.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Minister, dass Sie heute Zeit gefunden haben, um mit uns im Rahmen der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde das Thema näher zu beleuchten.
Ich bin ein bisschen schockiert über die Äußerungen des Kollegen Moritz Körner, der gesagt hat, insbesondere die Labour Party müsse sich diesen Fragen stellen. Ich kann Ihnen versichern, dass meine Kontakte zur Labour Party ziemlich gut sind und dass
Eines aber möchte ich den Konservativen und Liberalen zurufen: Wer mit der Zukunft Europas und der jungen Menschen in Großbritannien gespielt hat, das war Ministerpräsident David Cameron, erkennbar nicht Mitglied der Labour Party. Es waren die Konservativen mit den Liberalen,
die mit der Zukunft der jungen Menschen in Europa gespielt haben. Das, was Sie hier machen, ist absolut nicht in Ordnung.
Hier zu behaupten, dass die Labour Party die Probleme, die Sie mit Boris Johnson und David Cameron auf den Weg gebracht haben, in Nordrhein-Westfalen und in Großbritannien lösen müsse, ist absolut nicht in Ordnung. Dass Sie hier diesen Eindruck erwecken, Herr Kollege, ist absolut nicht in Ordnung.
Wir freuen uns in der Tat, dass sich der Minister heute Zeit dafür genommen hat. – Es war gut, Herr Minister, dass am Montag immerhin der Staatssekretär Zeit hatte, um uns darüber zu informieren, dass Sie sich in der Landesregierung mit den drei Szenarien auseinandersetzen. Aber Sie haben keine Antworten auf die Fragen gegeben, die wir aufgeworfen haben.
Sie haben auch keine Antworten darauf gegeben, was der hochgeschätzte und von Ihnen als Luftballon aufgeblasene Friedrich Merz bisher so alles getan hat für die Unternehmen, für die Menschen in Nordrhein-Westfalen, für den Austausch mit den britischen Freunden. Wie ist das mit den Städtepartnerschaften? Nichts hat er dazu beigetragen, obwohl ihn die Opposition darum gebeten hatte, am Montag Auskunft darüber zu geben. Er ist nicht einmal erschienen.
(Ministerpräsident Armin Laschet: Haben Sie keine anderen Probleme? Habt ihr keine an- deren Probleme?)
Da hilft auch der Hinweis des Ausschussvorsitzenden nicht weiter, dass er kein Regierungsmitglied sei. Sie haben im Vorfeld so getan, Herr Ministerpräsident, als ob Friedrich Merz die Rettung für Ihre Brexit-Strategie wäre.
(Ministerpräsident Armin Laschet: Habt ihr keine anderen Probleme? Dann müsst ihr euch über eure Prozente nicht wundern!)
Wir müssen uns über die Prozente nicht wundern? Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, was im Falle eines ungeordneten Brexits passiert, Herr Ministerpräsident. Was passiert mit den mehr als 100.000 britischen Staatsbürgern, die in der Bundesrepublik Deutschland leben? Was haben Sie in die Richtung getan? Nichts haben Sie getan, Herr Ministerpräsident.
Was ist denn Ihre Strategie? Sie haben ja gleich die Chance, sich hier entsprechend zu erklären, zum Beispiel wie Sie mit den kommunalen Ausländerbehörden umgehen und diesen Unterstützung zusichern wollen. Nichts haben Sie getan. Das sind aber die Fragen, die die Menschen bewegen, die in Großbritannien arbeiten. Diese Fragen stellen sich Deutsche, die in Großbritannien leben. Was ist denn, wenn sie mit dem reinen Touristenvisum eine Aufenthaltsgenehmigung von 90 Tagen haben?