Es ist mit den jetzigen Arbeitszeitgesetzen sehr wohl möglich, flexibel zu organisieren – für den Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin und den Arbeitgeber. Dann muss man aber bereit sein, die Bedürfnisse der Beschäftigten nicht nur im Allgemeinen zu akzeptieren, sondern sie zu erforschen, im Einzelnen zu dokumentieren und in den Arbeitsplan einzubeziehen. Das ist moderne und faire Arbeitsmarktpolitik und nicht das, was Sie machen, nämlich zulasten der Beschäftigten immer wieder an den Grenzen der Schutzzeiten herumzufummeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Damit das nicht so im Allgemeinen bleibt: Uns liegen Studien dazu vor – wir haben sehr gute Institute auf Bundesebene –, was passiert, wenn die Arbeitszeit überschritten wird. Schon nach sechs Stunden Arbeitszeit erhöht sich das Unfallrisiko um 20 %. Nach neun Stunden Arbeitszeit ist das Unfallrisiko fast doppelt so hoch wie bei durchschnittlichen Arbeitszeiten. Und danach ist es eigentlich überhaupt nicht mehr zu tolerieren, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel im Krankenhaus, aber auch in allen anderen Bereichen tätig werden.
Das sind doch Tatbestände, die wir ernst nehmen müssen. Wir müssen die Menschen und den Arbeitsmarkt so regulieren, dass das nicht möglich wird. Dann muss eben auch Geld auf den Tisch gelegt werden, um das auszuschließen. Das ist der normale Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Arbeitgeber, der Beschäftigten und der solidarischen Krankenkassen. Das müssen wir gemeinsam hinbekommen, ohne immer an den Randzeiten herumzuschrauben, Herr Minister.
Zur Flexibilität – das ist in dem Zusammenhang gar nicht angesprochen worden –: Kollege Becker ist für uns in der Enquetekommission zur Digitalisierung des Arbeitsmarktes. Ich verstehe die Art, wie die Debatten geführt werden, zum Teil gar nicht mehr.
Kollege Neumann hat vorhin schon darauf hingewiesen: Natürlich ist es dem Arbeitnehmer möglich, zu unterschiedlichen Zeiten Arbeiten auszuführen, zum Beispiel sein Kind abzuholen und dann vielleicht wieder am Arbeitsplatz neue Tätigkeiten aufzunehmen. Aber in der jetzigen Konstruktion bestimmt der Arbeitnehmer, ob das zusätzlich möglich ist, und nicht der Arbeitgeber. Das ist doch der wichtige Unterschied bei der ganzen Angelegenheit.
Eine letzte Bemerkung: Es würde sich lohnen, Herr Kollege Schmitz, da vielleicht gemeinsam voranzugehen. Ihre Aussage, die Gewerkschaften wären mit im Boot, war fast schon am Rande von Fake News. Zum DGB haben die Kolleginnen und Kollegen der SPD sogar ein Zitat angeführt. Es waren doch die führenden Gewerkschaften und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, die gesagt haben: Macht das nicht so! Hört im Bundesrat mit dieser Resolution auf! Ihr habt die Gewerkschaften nicht mit an Bord. – Sie haben hier eine infame Falschdarstellung vorgenommen. Deswegen war die Aktuelle Stunde offensichtlich notwendig.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass die SPD von der Bundesratsinitiative von CDU und FDP, von der Landesregierung überrascht war, hat Kollege Schmitz schon dadurch erklärt, dass Sie vielleicht abends Ihre E-Mails nicht mehr lesen. Es mag so sein, dass bei Ihnen generell ein Denkverbot besteht und dass Sie sich jeglicher Modernisierung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts verwehren.
Bei Ihnen mag man das so stehen lassen. Aber wenn Sie selbst einvernehmliche Regelungen zwischen Tarifpartnern für unzulässig halten, muss ich sagen: Hut ab, wie wenig Sie den Gewerkschaften zutrauen.
Hätte man den Koalitionsvertrag von CDU und FDP bzw. den Entschließungsantrag, der jetzt in den Bundesrat eingebracht wurde, einmal richtig gelesen, dann hätte man erkennen können, dass CDU und FDP die Tarifautonomie an dieser Stelle sogar stärken.
Es ist ausdrücklich festgeschrieben, dass wir hier Gestaltungsspielräume schaffen wollen, aber ganz klar unter dem Punkt des Tarifvorbehalts. Wir wollen es zum einen hinbekommen, für die Unternehmen einen Anreiz zu schaffen, aber zum andern auch mehr Arbeitszeitsouveränität für die Arbeitnehmer erreichen.
Ganz wichtig – deswegen Thema „Tarifvorbehalt“ – ist Folgendes: Wenn ich auf der einen Seite Arbeitgeberverbände und auf der anderen Seite Gewerkschaften habe, die nach den Kriterien des Bundesarbeitsgerichts tariffähig sind, dann sollten Sie ihnen zutrauen, dass sie auch stark genug sind, das im Sinne ihrer Beschäftigten im Auge zu behalten.
Wenn man sich den Tarifvorbehalt ernsthaft und genau anschaut und sagt: „Es geht nur unter dem Tarifvorbehalt, anders ist die Flexibilisierung nicht zu erreichen“, dann wird das doch in den Branchen erreicht, in denen Arbeitgeber, vertreten durch ihre Verbände, und Gewerkschaften gemeinsam Regelungen finden. Im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Pflege werden sie wohl kaum mal eben so zu einer Einigung kommen.
Aber in Branchen wie der Digitalwirtschaft, in der man sagt: „Ich möchte viel mehr Homeoffice machen“, wäre es doch streng geboten, dies zu ermöglichen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das geht doch jetzt schon! Das machen die längst! Was erzählen Sie denn da?)
Aber wir setzen jetzt auf Vereinbarungen der Sozialpartner und suchen in den jeweiligen Branchen und Regionen, wie ich es gerade skizziert habe, nach einem Ausgleich, um auf der einen Seite mehr Flexibilität und auf der anderen Seite mehr Arbeitszeitsouveränität für die Arbeitnehmer zu schaffen. Dass Sie diesen Weg nicht mitgehen möchten, das ist Ihnen überlassen. Aber bei dem Thema „selbstbestimmte Arbeitszeiten“, die man unter bestimmten Voraussetzungen auch erreichen kann, war die SPD schon mal weiter.
(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] – Michael Hübner [SPD]: Das Arbeitszeitgesetz gilt auch für digital arbeitende Menschen!)
Wir erinnern uns ganz kurz: Ende 2016 hatte sich Frau Nahles im Rahmen der Vorstellung des Weißbuchs Arbeiten 4.0 selbst für eine Öffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz auf der Basis tarifpartnerschaftlicher Verabredungen ausgesprochen. Da ging es doch auch um die Umsetzung einer Experimentierklausel. Das ist aber irgendwann auf der Strecke geblieben. Vielleicht gab es Widersprüche in der Koalition oder innerhalb der SPD. Sei es drum!
Wir wissen aber auch: Die SPD hat die Enquetekommission „Digitale Transformation der Arbeitswelt in Nordrhein-Westfalen“ auf den Weg gebracht. Doch schnell konnte man feststellen: Ihnen geht es hier nur um die Risiken. Sie brauchen noch eine Notwendigkeit für weitere gesetzliche Regulierungen. Wir sehen hingegen die Chancen.
Ich glaube, selbst Ihnen sollte bewusst sein, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt – wie auch andere Lebensbereiche – grundlegend verändern wird.
(Michael Hübner [SPD]: Es gibt aber immer noch Arbeitszeit! Meine Güte! Digitalisierung ist auch Arbeitszeit!)
Deswegen ist wichtig: Wir brauchen hier mehr Möglichkeiten für die Menschen, selbstbestimmt zu arbeiten und sich Arbeitszeit und Arbeitsort, aber auch die Organisation selbst einzuteilen.
Die Beschäftigung zeigt sich auch nicht nur in der reinen Präsenzpflicht. Insofern brauchen wir freiere Formen der Arbeitsgestaltung. Dann können auch die Beschäftigten die Arbeit besser mit Familie, Weiterbildung und Freizeit vereinbaren.
Das mögen Sie vielleicht nicht glauben. Ich habe mir von einer Kollegin allerdings sagen lassen, dass die reine Anwesenheit kein Leistungsmerkmal ist.
Wenn die reine Anwesenheit aber doch ein Leistungsmerkmal wäre, dann müsste man sagen: Diese Leistung haben Sie gestern Abend nicht mehr erbracht. Das konnte man deutlich sehen.
Dieses Beispiel brachte auch der Kollege Schmitz. Ich weiß nicht, wer von Ihnen aus der Personalbranche kommt. Führen Sie doch einmal ein Bewerbungsgespräch. Eine der ersten Fragen ist dort: Welche Möglichkeiten habe ich hier, ein Teil meiner Arbeitszeit via Homeoffice zu bestreiten? Wie kann ich das Ganze mit der Kinderbetreuung flexibler gestalten?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das wird die Kolle- gin sich auch gefragt haben! – Michael Hübner [SPD]: Teile der Arbeitszeit!)
Das Problem ist, dass zu wenige von Ihnen aus der Privatwirtschaft kommen. Sonst wüssten Sie das. Dann hätten Sie es vielleicht einmal registriert.
Das aktuelle Arbeitszeitgesetz ist inzwischen schon 24 Jahre alt. Es stammt noch aus einer Zeit, in der das Internet kurz vor der Schwelle zu kommerziellen Anwendungen stand. Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, zu fragen, wie man das denn jetzt sagen kann. Wir wollen doch nicht die Höchstarbeitszeit erhöhen. Wir bleiben bei den 48 Stunden gemessen an der europäischen Arbeitszeitrichtlinie.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie interessiert die Ruhezeit zur Erhaltung der Gesundheit? – Zu- ruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Ar- beit, Gesundheit und Soziales – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Hast du eigentlich schon mit der Gewerkschaft gesprochen?)
Auch beim Thema der ununterbrochenen Ruhezeit sage ich ganz klar: Es geht nicht darum, an den Arbeitsschutz heranzugehen. Es geht auch um Folgendes – das Beispiel brachte der Kollege Schmitz –: Was ist denn jetzt? Ich gehe morgens zur Arbeit und mittags nach Hause, weil ich vielleicht die Kinder auch einmal sehen will. Anschließend arbeite ich abends von zu Hause aus. Streng genommen dürfte ich dann ja am nächsten Morgen nicht ins Büro gehen.
Sie lassen auch heute schon Millionen Arbeitnehmer in dieser Illegalität verharren. Spätestens hier sollte doch klar sein: Wir brauchen dringend ein Update beim Arbeitszeitgesetz.
Ich brauche jetzt nicht mehr – mit Erlaubnis des Präsidenten – aus dem Koalitionsvertrag zu zitieren; denn letztendlich spricht die Überraschung Ihrerseits, dass wir diese Initiative gestartet haben, für sich.
Kollege Neumann hat gesagt: Warum denn kein Gesetzentwurf, sondern nur ein Entschließungsantrag? Wo sind die eigenen Ideen? – Sie stehen doch ganz konkret im Entschließungsantrag drin.