Protokoll der Sitzung vom 21.03.2019

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Was hält Sie denn davon ab, die Nachunternehmerhaftung einzuführen? Selbst ordnungspolitisch ist doch überhaupt nicht nachzuvollziehen, was CDU und FDP hier vortragen. Wir haben doch das Beispiel aus der Fleischbranche, in der das mit Zustimmung der CDU gemacht worden ist.

Bei den Paketzustellerinnen und Paketzustellern soll das nicht gehen? Was hält Sie denn davon ab? Reiner Populismus? Die Europawahl? Schlechtes Wetter? – Ich verstehe das überhaupt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Handeln Sie an der Stelle.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dass alle, die in dem Bereich fachlich unterwegs sind, relativ einer Meinung sind, zeigt doch ein Blick nicht nur in die Literatur, in die Gewerkschaftsszene, sondern auch schlichtweg in die Zeitung. Jeder Zeitungsbericht, der sich damit auseinandergesetzt hat, kommt zu ähnlichen Ergebnissen, was die Schwere des Problems betrifft. Alle kommen zu dem Ergebnis, dass wir die Haftung natürlich auf die Unternehmer abwälzen müssen.

Natürlich muss es auch eine Dokumentationspflicht geben, Herr Kollege Lenzen, denn wenn das Geschäftsmodell nur so funktioniert, dass man diese Preise nur ohne Dokumentation halten kann, ist etwas faul bei diesem Geschäftsmodell. Dann geht das Geschäftsmodell möglicherweise nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist für mich kein Gewinn an Digitalisierung, wenn man jeden Tag drei Pakete bestellen kann und fünf Pakete wieder zurückschickt. Das ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Wenn das nur auf den Knochen der Beschäftigten zu bezahlen ist, dann ist das falsch. Dann gehört das hier nicht rein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Ar- beit, Gesundheit und Soziales)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einigen Jahren noch, Herr Minister Laumann, als Sie als junger Abgeordneter – Sie erzählen ja immer so schön aus der Vergangenheit – tätig waren, haben noch Beamtinnen und Beamte Pakete zugestellt.

Ich will überhaupt nicht in diese Zeit zurück, aber wenn Unternehmerinnen und Unternehmer die Paketzustellung und dieses Geschäftsmodell – ich wiederhole mich da, aber das ist mir wichtig – nur deswegen darstellen können, weil sie Löhne von unter 5 Euro die Stunde zahlen können und es ansonsten nicht darstellbar ist, ist etwas nicht in Ordnung.

Wir Grüne fordern erstens eine andere gesetzliche Grundhaltung, zweitens mehr Kontrollen – natürlich gerade beim Bund, natürlich muss der Zoll da reingehen – und drittens ein klares Hinsehen der Öffentlichkeit, statt zu sagen: Da sind ein paar Chancen, die sollten wir nicht kaputtreden. – Wir müssen hier handeln. Da schließen wir uns dem Antrag der SPD an.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch kaum einen Bereich, in dem es so dramatisch ist wie bei den Paketzustellern. Lassen Sie uns handeln. Schließen wir uns der SPD an diesem Tag an.

Dann müssen Sie in der Großen Koalition auch einfach mal aus dem Quark kommen und nicht immer vor der Europawahl eine Pirouette nach der anderen drehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Loose das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn der Paketbote zweimal klingelt und Sie auch noch das Glück haben, zu Hause zu sein, sollten Sie sich mal überlegen, ob der Mann oder die Frau, die da vor Ihnen steht, nicht mal ein Trinkgeld verdient hat.

Im Grunde hat jeder, der eine Dienstleistung mit viel Freude, Engagement und Können gegenüber einem Kunden erbringt, eine solche Anerkennung verdient.

So gibt man gerne Trinkgeld beim Friseur oder bei der Kellnerin.

Aber wie sieht es bei dem anonymen Zimmermädchen oder dem anonymen Küchengehilfen aus? Klar, wenn wir im Urlaub sind, geben wir gerne mal ein Trinkgeld; das ist ja so üblich. Aber machen wir das auch zu Hause?

Es gibt leider viele Berufe in Deutschland, die extrem schlecht bezahlt sind und bei denen ein Trinkgeld eine echte Hilfe ist. Zu den zehn am schlechtesten Berufen gehört der Friseur – immerhin ein Ausbildungsberuf.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ich glaube es nicht!)

Aber es sind auch Berufe dabei, für die man keine Ausbildung benötigt. Dazu gehören die Berufe der bereits genannten Zimmermädchen oder des Zimmerburschen oder auch der Beruf des Küchengehilfen.

Die Paketboten gehören nicht zu den zehn am schlechtesten bezahlten Berufen, aber hier muss man sehr differenziert hinschauen. Das wollen wir auch tun.

Auch als Paketbote benötigt man grundsätzlich keine Ausbildung. Es handelt sich um einen Beruf, für den man im Extremfall lediglich einen Führerschein und rudimentäre Deutschkenntnisse benötigt. So vielfältig sind dann auch die Paketboten, zumeist Männer, die an der Tür klingeln.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Herr Remmel, wenn Sie eine Frage stellen wollen, haben Sie die Möglichkeit einer Zwischenfrage; die würde ich zulassen.

(Zurufe)

Es sind sehr gepflegt und charmant erscheinende Männer bei den Paketboten, die es auch schaffen, dass man sogar gerne die Pakete der halben Nachbarschaft annimmt. Damit sind die Lieferquoten dieser Boten extrem gut, und der Lohn ist zumeist auch sehr gut.

Aber es kommen auch andere, bei denen man fast froh ist, wenn man nicht zu Hause ist, oder solche, die nur eine Benachrichtigungskarte einwerfen, obwohl man zu Hause ist. Meist arbeiten diese Männer und Frauen bei Firmen, deren Sozialbedingungen eher miserabel sind. Dort wird der Mindestlohn häufig umgangen. Diese Männer werden in der Regel extrem schlecht bezahlt.

Anhand dieser Negativbeispiele wird leider schnell ein Pauschalurteil über die gesamte Branche gefällt. So titelte vor drei Tagen die SPD-Zeitung „vorwärts“

(Zuruf: Ui!)

ich zitiere –: „Arbeit von Paketzustellern: ‚Fast schon moderne Sklaverei‘“.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig! – Weiterer Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Fast schon moderne Sklaverei also! Und jetzt will die SPD kurz vor den Europawahlen Lösungen anbieten.

Aber wer hat eigentlich in den letzten beiden Jahrzehnten solche Arbeitsbedingungen ermöglicht und begünstigt? Was ist nicht seit Kanzler Schröder alles möglich geworden? Ich-AGs, Scheinselbstständigkeiten und quasi ausbeutungsähnliche Verhältnisse – und wer nicht spurt, der fliegt. Denn in Deutschland warten zig Hunderttausend nicht ausgebildete Arbeitskräfte auf einen Job, und an den Grenzen Europas stehen weitere parat. Diese sollen nach Meinung der SPD auch alle kommen, weil wir noch nicht genügend nicht ausgebildete Arbeitskräfte im Land haben.

Haben Sie sich einmal gefragt, wem eine solche Zuwanderung hilft? Dem ungelernten Malocher auf jeden Fall nicht. Das ist fast schon moderne Sklaverei.

Eine Politik auf Augenhöhe zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann nicht funktionieren, wenn auf einen Arbeitsplatz für ungelernte Arbeitskräfte bis zu zehn Nachfrager kommen – und genau das sind die aktuellen Zahlen. Zehn ungelernte Arbeitskräfte kommen auf eine offene Stelle. So wird Ausbeutung für die Firmen immer einfacher. Gerade die Paketboten bei den kleinen Paketdienstleistern haben keinen Betriebsrat, sind nicht organisiert und sind dem Arbeitgeber vollends ausgeliefert.

(Zuruf von der SPD)

Wer nicht spurt, der fliegt.

Solche Bedingungen treffen auf einen Markt, auf dem nur der Preis entscheidet. Schuld daran sind auch wir alle als Verbraucher, die wir bei unseren Bestellungen möglichst kostenlose Lieferung erwarten und zunehmend online bestellen, anstatt in die Läden in den Innenstädten zu gehen.

Der Druck des Kunden kommt am Schluss bei dem schwächsten Glied an, dem Paketboten. Deshalb muss man dem Paketboten wirksam helfen. Aber das, was Sie, liebe SPD, mit Ihrem Antrag machen, ist lediglich ein Placebo. Es wird nicht helfen.

Die Unternehmer werden den Druck einfach an die Paketboten weitergeben. Das geht dann recht einfach: Die Firmen zahlen den Paketboten erst einmal einen leicht höheren Lohn, drängen diese dann aber in die Selbstständigkeit. Um keine Scheinselbstständigkeit zu generieren, lässt man die Fahrer abwechselnd für verschiedene Firmen arbeiten. Dazu gründet man entweder selbst zwei, drei Firmen, oder man hilft sich in der Branche untereinander. Gerade bei

den kleinen Anbietern kennt man sich nämlich sehr gut.

Die Fahrer müssen dann aber die Sozialabgaben als Unternehmer selbst bezahlen. Denn eine richtige Wahl haben sie ja nicht. Wer nicht spurt, der fliegt.

Damit wären nun alle fein raus – alle bis auf einen, den Paketboten. Er bekäme jetzt zwar vielleicht 2 Euro mehr pro Stunde, hätte dafür aber alle Risiken zu tragen. Dieses Modell kennen wir seit der Ich-AG, eingeführt von der SPD, ja zur Genüge.

Nein, liebe SPD! Ihr Schaufensterantrag bietet damit zwar auf den ersten Blick eine einfache Lösung. Ihre Forderung nach Nachunternehmerhaftung wird das Problem aber leider nicht lösen, sondern möglicherweise noch verschärfen.

Ihre Forderung ist zudem ungerecht gegenüber all den redlichen Firmen am Markt, die es sehr wohl gibt. Sie, liebe SPD, stellen alle Paketfirmen unter Generalverdacht. Das ist unredlich. Sie müssen endlich anfangen, zu differenzieren, statt zu pauschalisieren.

(Zurufe von der SPD)

Es gilt stattdessen, die schwarzen Schafe zu finden und zu bestrafen. Dafür ist der Zoll da. So gab es vor einigen Wochen eine bundesweite Razzia, die einige schwarze Schafe hat auffliegen lassen. Solche Maßnahmen sind das richtige Rezept. Hier wäre es wirklich angebracht, einmal über eine bessere Ausstattung der Zollbehörden nachzudenken. Stärken Sie, liebe SPD, lieber den Zollbehörden den Rücken, statt hier Schattenkämpfe über die Nachunternehmerhaftung zu führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)