Protokoll der Sitzung vom 10.07.2019

In diesem neuen System wird es nicht gelingen, bei einer wie auch immer gelagerten CO2-Bepreisung alle Bürgerinnen und Bürger unter dem Strich als Gewinner dastehen zu lassen. Diese Ehrlichkeit gehört zur Debatte dazu, und ich lade ganz herzlich zum Dialog und zum Konsens ein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte zum Schluss auf ein Gebiet zu sprechen kommen, das wir bei unseren Reden über Klimaschutz nicht ganz so oft streifen, das aber eigentlich viel wichtiger ist und deswegen zu Recht einen prominenten Platz in der Energieversorgungsstrategie hat. Das ist das Thema „Forschung und Innovation“.

Die Landesregierung wird eine technologieoffene Energieforschungsoffensive NRW ins Leben rufen,

um mit vielen verschiedenen Maßnahmen Impulse für wissenschaftlichen Fortschritt und technologische Entwicklungen zu setzen. Wir unterstützen das ausdrücklich und freuen uns auf die Ergebnisse.

Warum halte ich das für so wichtig? – Weil ich glaube, dass wir auf die aktuellen Herausforderungen, weniger CO2 zu emittieren, im Moment mit nur zwei Strategien reagieren können. Das eine ist der Verzicht, und das andere ist die Innovation.

(Marc Herter [SPD]: Ganz zum Schluss haben Sie mal recht!)

Ich kann derzeit darauf verzichten, mit dem Flugzeug irgendwohin zu fliegen. Womöglich ist der kurzfristige Verzicht bei einigen Handlungsweisen die einzige Möglichkeit. Vielleicht müssen wir das mit der Gesellschaft mehr diskutieren.

Ich befürchte aber, dass wir langfristig mit dem Verzicht nicht zum Erfolg kommen werden, weil wir nicht alle Menschen davon überzeugen können, nicht mit dem Flugzeug zu fliegen. Wir brauchen deswegen langfristig Flugzeuge, die treibhausgasneutral nach New York, Kapstadt, Sydney oder auf die Malediven fliegen können. Hier bedarf es kluger Ingenieure, und wir brauchen die eine oder andere Zukunftstechnologie.

Wir werden erst recht nicht die Menschen in anderen Erdteilen davon überzeugen können, nur Verzicht zu üben. Wer heute in einem Dorf in China, Indien oder Afrika lebt und bisher keinen Stromanschluss hat, dem können wir doch nicht verwehren, dass auch er einen Kühlschrank haben möchte, dass er sein Handy laden möchte, dass er ein Radio oder einen Fernseher haben möchte und dass die öffentliche Wasserversorgung oder Straßenbeleuchtung dort Einzug hält.

Millionen von Menschen in Asien und Afrika leben in Armut, und sie möchten ein Niveau erreichen, das wir hier heute als normal erachten. Wenn die billigste Möglichkeit darin besteht, den Strom vor Ort aus einem Kohlekraftwerk zu erzeugen, dann werden die Menschen in diesen Ländern eben das Kohlekraftwerk bauen, und wir werden sie nicht davon überzeugen können, auf eine sauberere Technologie umzusteigen.

Deswegen glaube ich, dass wir die Verantwortung haben, in Nordrhein-Westfalen in Forschung, Innovation und Entwicklung zu investieren, damit wir Lösungen für die Probleme der Menschen in anderen Ländern finden; denn sonst wird uns niemand auf diesem Weg folgen.

Abschließend möchte ich an die jungen Menschen appellieren, die jeden Freitag für Klimaschutz demonstrieren, die ein berechtigtes Anliegen haben, und die sich Sorgen um die Welt machen: Nehmen Sie das Demonstrationsrecht wahr und diskutieren Sie mit uns und mit anderen Menschen. Aber denken

Sie auch daran: Nur dann, wenn wir praktikable technische Lösungen präsentieren, wird die Welt uns auch folgen.

Gehen Sie daher trotzdem in die Schule. Gehen Sie an unseren guten Universitäten. Lernen Sie Physik, Chemie, Elektrotechnik, Maschinenbau usw. Seien Sie neugierig, seien Sie kreativ, seien Sie innovativ. Sorgen Sie für Technologiesprünge; denn Menschen aus anderen Ländern schauen auf dieses Land und auf das, was hier passiert.

Machen Sie mit, machen Sie den nächsten Schritt und zeigen Sie, wie die Welt im 21. Jahrhundert treibhausgasneutral leben kann. Machen Sie die Welt zu einem besseren Ort. Wir möchten Sie gerne dabei unterstützen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Kollege Untrieser. – Für die Fraktion der Grünen hat nun die Abgeordnete Brems das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern Abend die Energieversorgungsstrategie gelesen habe, musste ich, ehrlich gesagt, an Horoskope denken. Horoskope sind immer so hinreichend unkonkret verfasst, dass sich jeder Mensch, wenn er das liest, irgendwie darin wiederfindet. Herr Minister, ich habe mir mal angeschaut, wie Ihr Horoskop für heute lautet. Sie sind ja Löwe. Da steht:

Sie fühlen sich sehr wohl in Ihrer Haut. Frohen Mutes beginnen Sie den Tag. Nutzen Sie für sich persönlich den Tag, um Beziehungen zu anderen Menschen, denen sie nicht so nahestehen, etwas zu verbessern.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der FDP: Sehr gelungen!)

Ja, ich kann es aber noch toppen. Das Horoskop für mich als Wassermann für heute sagt:

Bei Terminen haben Sie alles im Griff. Man hängt heute förmlich an Ihren Lippen. Sie stecken andere mit Ihrer guten Laune an.

Ich finde, das sind für uns beide die besten Voraussetzungen für den heutigen Tag.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Aber zurück zum Ernst der Lage, zum heutigen Thema. Auch die 68 Seiten Text dieser sogenannten Energieversorgungsstrategie sind so hinreichend unkonkret, dass sich viele darin wiederfinden, und es sind viele Aussagen darin enthalten, die auch wir Grünen unterstützen können. Ich nenne ein paar Beispiele.

Sie führen einiges zum Thema „Kraft-Wärme-Kopplung“ aus. Sie gehen mehrmals darauf ein, dass die Energiewende eben mehr ist als nur eine Stromwende. Sie gehen auf das Thema „Wärme“ und auf das Thema „Mobilität“ ein. Bei den konkreten Inhalten sind Sie an vielen Stellen zu unkonkret. Es gibt jedoch viele Dinge, die wichtig und richtig sind. Dazu gehört der Ausbau der Speicher oder der Ausbau von Stromnetzen.

Das sind alles richtige und wichtige Aussagen, keine Frage. Aber es lohnt sich auch ein Blick hinter die Fassade dieser Energieversorgungsstrategie.

Bei den vielen angekündigten Maßnahmen, von denen wir da lesen können, wimmelt es, ehrlich gesagt, nur so davon, Potenziale aufzuzeigen und zu identifizieren. Das hört sich erst einmal so an, als wenn jetzt viele neue Potenzialanalysen zu unterschiedlichen Themen kämen. Schaut man allerdings genauer hin, sind das zum Teil Beratungsangebote.

Es wimmelt nur so von entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die es aber alle schon gibt.

(Unruhe – Glocke)

Es gibt sehr viele Projekte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, die Sie hier erwähnen. Es ist von Dialog- und Beteiligungsformaten und vielfach davon die Rede, dass Sie etwas unterstützen wollen. Aber was genau heißt es, wenn Sie als Landesregierung bestimmte Sachen unterstützen wollen? Gibt es dann Geld? Oder unterstützen Sie einfach nur ideell? Das ist für uns an vielen Stellen viel zu unkonkret.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte ein Beispiel nennen: Es gibt Maßnahmen wie „NRW-Stärken für die Wärmewände nutzen“. Das hört sich erst mal gut an. Wie im Horoskop geht es dann allerdings unkonkret weiter. Da steht – und das ist der ausschließliche Text zu dieser Maßnahme –:

„NRW hat große Potenziale im Bereich der effizienten und erneuerbaren Wärme. Um diese Potenziale des Wärmesektors zu heben, wird die Landesregierung die Wärmewende als wesentlichen Teil der Klimaschutzaktivitäten des Landes vorantreiben.“

Das hört sich super an. Wer kann etwas dagegen haben?

(Dietmar Brockes [FDP]: Ja, super!)

Aber man muss sich doch mal genau ansehen, wie Sie das erreichen wollen. Sie sagen dazu nichts.

Ich habe ein weiteres Beispiel: „KWK-Potenziale nutzen“, also Kraft-Wärme-Kopplung. Das habe ich eben schon positiv genannt; hier jetzt noch mal ganz konkret. Sie schreiben:

„Die Landesregierung wird mit einer gezielten Öffentlichkeitskampagne der EnergieAgentur.NRW den KWK-Ausbau anreizen und begleiten.“

Ganz ehrlich: Ich glaube, der KWK-Ausbau braucht mehr als nur eine Öffentlichkeitskampagne – nämlich konkrete Maßnahmen. So reicht das nicht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrter Herr Pinkwart, unsere Erwartungen an eine Energieversorgungsstrategie sind andere. Unsere Erwartungen sind, dass Sie Fragen beantworten, zum Beispiel: Wie soll das alles konkret erreicht werden? Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit welchen Maßnahmen? – Antworten darauf bleibt die Landesregierung in dieser Strategie an vielen Stellen schuldig.

Als Ingenieurin hätte ich mir gewünscht, dass Sie die Dinge, die Sie eben teils mündlich vorgetragen haben – nämlich Zahlen wie zum Beispiel „Stromimporte von 25 Gigawatt bis 2030“ oder „KWK-Ausbau von 30 Gigawatt“ – festgeschrieben hätten. Diese Zahlen finden wir in der Energieversorgungsstrategie so nicht wieder.

Da stellt sich schon die Frage: Warum sind Sie in der Lage dazu, das hier mündlich vorzutragen, aber nicht in einer Strategie aufzuschreiben und ganz konkret zu sagen, wie umfangreich die Förderprogramme sind, wie viel Geld Sie einsetzen wollen und was Ihre Ziele sind?

Ich denke, dass es für Sie einfach sehr praktisch ist, weiter so unkonkret zu bleiben. Mit viel Text und wenig Zahlen kann man später auch schlechter dafür haftbar gemacht werden, wenn die Ziele nicht erreicht.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU] – Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Minister, eben haben Sie gesagt, die Energieversorgungsstrategie sei für Sie ein Fahrplan. Wenn das, wie Sie hier benennen, ein Fahrplan ist, dann sind die Verspätungen der Deutschen Bahn dagegen, ehrlich gesagt, ein Klacks.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Also: Wenn Sie Planungssicherheit schaffen wollen – das haben Sie eben auch erklärt –, dann möchte ich nicht der Fahrgast sein, der da steht und darauf wartet, dass es weitergeht.

Die Ergebnisse der Kohlekommission haben Sie beschrieben. Im nächsten Satz des Textes allerdings relativieren Sie die Ergebnisse direkt wieder.