Protokoll der Sitzung vom 09.10.2019

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle zu unserer heutigen, 68. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ich rufe auf:

Vor Eintritt in die Tagesordnung

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (AG-TPG) vom 9. November 1999 in der Fassung vom 13. Februar 2016

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/2121

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales Drucksache 17/3267

(Unruhe – Glocke)

Die Fraktionen von CDU und FDP haben ihren Gesetzentwurf Drucksache 17/2121 mit Schreiben vom 18. September 2019 zurückgezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales bereits seinen Bericht Drucksache 17/3267 erstattet.

Gemäß § 84 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ist die Rücknahme eines Gesetzentwurfes nach Berichterstattung eines Ausschusses nur zulässig, wenn kein Mitglied des Landtages der Rücknahme widerspricht. – Ich schaue in das Plenum und sehe keinen Widerspruch.

Damit stelle ich fest, dass die Rücknahme des Gesetzentwurfes zulässig ist.

Nun treten wir in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Bürgerwehrähnlichen rechtsextremen Grup

pierungen Einhalt gebieten

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/7584

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 7. Oktober gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Abgeordneten Frau Schäffer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erschreckend, wenn am Tag der Deutschen Einheit Hunderte von Neonazis durch Berlin marschieren und offen rassistische und antisemitische Parolen skandieren und zu Gewalttaten aufrufen. Das ist erschreckend. Dennoch – und das ist das eigentlich Erschreckende – ist es nicht überraschend, dass Neonazis aus NordrheinWestfalen in Berlin mitdemonstriert haben.

Schon seit Monaten laufen selbst ernannte Bürgerwehren in nordrhein-westfälischen Städten Patrouille. Die Akteure aus rechtsextremer Szene, rechtsgerichteten Hooligans und Rockern geben vor, für unsere Sicherheit sorgen zu wollen. Aber in Wahrheit geht es ihnen um die Verunsicherung von Teilen der Gesellschaft. Diese Bürgerwehren erhöhen nicht die öffentliche Sicherheit. Nein, ganz im Gegenteil! Sie hetzen gegen Minderheiten und erhöhen das Sicherheitsrisiko für bestimmte Personen im öffentlichen Raum. Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ver- einzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Diese Bürgerwehren in Essen, in Herne, in Mönchengladbach, in Düsseldorf, in Köln werden zu Recht als Mischszenen bezeichnet, weil sie sich aus einschlägig bekannten Rechtsextremen, rechtsoffenen Hooligans und Rockern zusammensetzen. Ich persönlich finde es nicht verwunderlich, dass sich zentrale Führungspersonen aus der extremen Rechten, aus rechtsextremen Parteien und Organisationen, an diesen Demonstrationen beteiligen.

(Unruhe)

Frau Schäffer, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre nett, wenn wir den Geräuschpegel bitte einmal herunterfahren und der Rednerin Aufmerksamkeit zollen würden. – Bitte schön, Frau Schäffer.

Vielen Dank. – Ich finde es nicht verwunderlich, dass diese Personen aus dem rechtsextremen Lager an diesen Demonstrationen teilnehmen. So richtig verwunderlich finde ich es noch nicht einmal, dass auch Mitglieder der AfD an diesen Demonstrationen teilgenommen haben.

Klar ist aber – das will ich hier ganz deutlich festhalten –: Jeder, wirklich jeder, der bei diesen Demonstrationen mitläuft, nimmt die rechtsextreme, rassistische Motivation so hin. – Das ist für mich völlig inakzeptabel. Diese Personen verabschieden sich mit ihrer Teilnahme von unseren demokratischen Werten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ver- einzelt Beifall von der FDP)

Ich will auch noch einmal sagen, warum von diesen Gruppierungen, von diesen selbst ernannten Bürgerwehren, wirklich eine Gefahr ausgeht:

Erstens. Die expliziten Gewaltandrohungen, wie wir sie zuletzt in Berlin gehört haben, sind für mich eine neue Qualität der Einschüchterung – auch in Nordrhein-Westfalen.

Zweitens. Es geht um ein enorm breites Spektrum vom rechtsoffenen bis zum geschlossenen rechtsextremen Weltbild, also um einen breiten Zusammenschluss von verschiedenen Szenen, die Gewaltandrohungen und Gewalttaten zumindest dulden. Das erhöht meines Erachtens massiv die Gefahr, dass daraus auch Straftaten und Gewaltdelikte resultieren.

Wir haben in den letzten Monaten schon gesehen, dass es immer mehr Städte gibt, in denen sich diese Gruppierungen bilden. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass diesem Phänomen Einhalt geboten wird. Daher müssen wir sowohl die vorhandenen Szenen zurückdrängen als auch dafür sorgen, dass in Nordrhein-Westfalen keine neuen Gruppierungen entstehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich erkenne durchaus an, Herr Reul, dass das Innenministerium die Gefahr benennt und erkannt hat. Ich finde es auch sehr gut, dass wir in diesem Parlament an verschiedenen Stellen eine Mehrheit zum Thema „Rechtsextremismus“ hatten und hier gemeinsam Resolutionen und Anträge zu Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus beschlossen haben.

Aber die Frage ist natürlich, was daraus folgt. Wenn der Innenminister richtigerweise in der WDR-Sendung „Westpol“ erklärt, dass Rechtsextreme die treibende Kraft bei diesen Bürgerwehren sind – Herr Reul, Sie haben, glaube ich, gesagt, dass diese Veranstaltungen von Rechtsextremen dirigiert werden –, dann irritiert es mich schon, wenn es im selben Bericht heißt – das können Sie ja vielleicht gleich aufklären –, dass diese Gruppierungen nicht vom Verfassungsschutz nachrichtendienstlich beobachtet werden.

Ich glaube, dass kein Zweifel an der verfassungsfeindlichen Ausrichtung, an der Gewaltbereitschaft und an der Steuerung durch Rechtsextreme besteht. Meines Erachtens liegt hier die Voraussetzung für

eine Beobachtung vor. Da bin ich sehr gespannt auf Ihre Erläuterungen, Herr Reul.

Es geht aber nicht nur um die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz beobachtet erst einmal. Meines Erachtens braucht es allerdings mehr.

Erstens: den Informationsaustausch. Die Analysen und die Informationen müssten vom Verfassungsschutz an die Polizei weitergegeben werden.

Zweitens: die Vernetzung unter den Polizeibehörden. Ich halte eine enge Vernetzung der Polizeibehörden der betroffenen Städte für enorm wichtig. Das heißt auch, dass man sich zum Beispiel über Auflagen bei Demonstrationen unterhält und austauscht, um bestimmte Sprüche und menschenverachtende Parolen zu unterbinden.

Drittens geht es meines Erachtens auch um Polizeipräsenz – natürlich bei den Demonstrationen, aber auch in den Stadtteilen, vielleicht auch durch die Bezirksbeamten, die vor Ort ansprechbar sind, um der Bedrohung durch die Präsenz von Bürgerwehren im Stadtteil entgegenzuwirken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Viertens will ich auch noch einmal das Thema „Uniformierungsverbot“ ansprechen. Wir hatten hier vor einigen Jahren eine hitzige Debatte zum Thema „Scharia-Polizei“. Danach gab es Urteile. Aus meiner Sicht muss geprüft werden, ob das Auftreten mit gleichen T-Shirts zum Zweck der Einschüchterung nicht unter das Uniformierungsverbot fällt. Da muss jetzt eine rechtliche Klärung erfolgen.

Ich denke zwar, dass das klar ist, will es aber trotzdem noch einmal sagen: Natürlich steht Rechtsextremen und Verfassungsfeinden das hohe Gut Versammlungsfreiheit in unserer Demokratie zu. Das ist völlig unbestritten. Aber: Diese Demokratie ist wehrhaft. Es ist die Aufgabe des Staates, diese Demokratie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu schützen. Deshalb braucht es hier entsprechende Maßnahmen vonseiten der Polizei und des Verfassungsschutzes.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber auch die Zivilgesellschaft – das ist mir ebenfalls besonders wichtig – hat einen hohen Anteil; denn es geht darum, was man gesellschaftlich hinnimmt, was gesagt werden darf und was nicht, zu welchen Inhalten und zu welchen Positionen Widerspruch erfolgen muss.

Ich bin froh, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine Zivilgesellschaft haben, die diese besorgniserregende Entwicklung der Bürgerwehren eben nicht hinnimmt, sondern immer wieder auf die Straße geht und dagegen demonstriert.

Ich durfte selbst am 14. September 2019 – Frank Müller, der Kollege von der SPD, war auch die gesamte Zeit da – bei der Demonstration in EssenSteele sein. Ich habe mir das kurz angeschaut, weil es mich interessiert hat. Ich finde es einfach großartig, wenn Menschen sagen: Das nehmen wir nicht hin; dagegen gehen wir auf die Straße.

Es geht für uns politisch darum, dafür zu sorgen, dass diese Zivilgesellschaft gestärkt und gestützt wird. Das ist unsere Aufgabe als Demokratinnen und Demokraten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Golland das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Schäffer, Sie haben recht: Wir müssen Extremisten bekämpfen.