Deswegen will ich ganz deutlich sagen – aber Sie wollen es sicherlich nicht hören –: Ich glaube, jammern steht der Politik und uns allen in solchen Fragen nicht gut zu Gesicht.
Das gilt umso mehr, als es zwar tragische Vorfälle und Übergriffe auf Politiker gab; aber die Zahl der Übergriffe geht – anders als es in der Debatte hier dargestellt wird – zurück und nimmt nicht unbedingt zu. Das gehört zur Wahrheit dazu; das geht hier völlig unter.
Anstatt hier zu schreien, lassen Sie uns doch über Angebote reden, lassen Sie uns über geeignete Maßnahmen reden.
Wir brauchen doch Angebote für Menschen, die sich engagieren, die unsere Hilfe brauchen, die unsere Beratung brauchen, weil sie sich und ihre Familie schützen wollen. Ich weiß, dass Polizei und Justiz in diesem Bereich schon sehr viel leisten, und ich bin ausgesprochen dankbar dafür.
Trotzdem müssen wir als Politik doch darüber nachdenken – und zwar nüchtern, meine Damen und Herren –, ob wir nicht beispielsweise örtliche spezialisierte Beratungsstellen bei der Polizei, Herr Minister, einrichten, die wirklich Prävention und Aspekte des Staatsschutzes und auch Strafverfolgung abdecken und Bürger, die sich politisch bedroht fühlen, wirklich gezielt und mit geeigneten Maßnahmen unterstützen. Das wäre ein praktikabler Ansatz ganz ohne Bewaffnungsdebatte.
Ich will das vielleicht mit einem versöhnlichen Satz in Ihre Richtung beenden: Ich habe in Ihrem Antrag am Ende auch einen guten Satz gefunden.
Ich möchte den Adressatenkreis allerdings ein bisschen erweitern und diesen Satz an alle ehrenamtlich Tätigen, an die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Politiker, Polizisten, Retter, Journalisten und natürlich auch an den Bürgermeister aus Kamp-Lintfort richten:
Aber ohne geladene Kleinkaliber im Sakko. Mit Rückhalt, mit Hilfen und mit geeigneten Maßnahmen zeigen wir klare Kante gegen alle Angriffe auf unsere Gesellschaft.
Das ist übrigens auch das, was diese NRW-Koalition lebt und was wir auch in der praktischen Arbeit umsetzen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war so deplatziert! – Gordan Dudas [SPD]: Das war ein Redebei- trag der FPÖ!)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Abgeordnete Frau Schäffer das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir ehrlich gesagt von dieser Debatte gewünscht, dass wir hier wirklich den Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten hinbekommen.
Ich glaube auch, dass der Ton in dieser Debatte und gerade bei diesem Thema ziemlich relevant dafür ist, wie diese Diskussion geführt wird und wie wir in den Kommunalwahlkampf gehen. Ich finde es wichtig, dass wir zu einer sachlichen Debatte zurückkommen.
Ich fände es auch wichtig, dass wir sehr konkret werden, was das jetzt in der Umsetzung heißt, was wir also wirklich brauchen.
Denn die Gefährdungslage, vor der wir gerade stehen, müsste eigentlich allen bekannt sein. Werfen wir noch einmal einen Blick auf das vergangene Jahr. In 2019 mussten wir drei rechtsterroristische Taten in Deutschland erleben.
In der Silvesternacht 2018/2019 fuhr ein Mann aus rassistischer Motivation in eine Menschenmenge im Ruhrgebiet. Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke grausam ermordet. Am 9. Oktober 2019 gab es einen antisemitischen Anschlag auf die Synagoge in Halle; zwei Menschen wurden dort grausam getötet.
Diese Anschläge im letzten Jahr haben noch einmal ganz deutlich gemacht, wie sehr die Gewalttätigkeit im Rechtsextremismus gestiegen ist und dass sich eine Szene, die ohnehin sehr militant und radikal ist, gerade noch weiter radikalisiert. Das muss uns als Demokratinnen und Demokraten große Sorgen bereiten. Wir sind hier in der Pflicht, immer wieder unsere demokratischen Werte zu verteidigen.
Wir sprechen alle vor Ort mit unseren eigenen Parteikolleginnen und -kollegen. Ich persönlich kann gut nachvollziehen, dass sich Bürgermeisterinnen und Landräte angesichts von Bedrohungen oder Demonstrationen vor ihren Wohnhäusern gefährdet fühlen. Gerade angesichts des Anschlags auf Herrn Lübcke im letzten Jahr, aber auch der Anschläge auf Henriette Reker in Köln und den Bürgermeister aus Altena, Andreas Hollstein, die schon zuvor stattgefunden haben, finde ich das nachvollziehbar.
Man muss sich einfach klarmachen, was das Gefährliche dabei ist: Wenn diese Situation dazu führt, dass
wirklich hochengagierte ehrenamtlich tätige Menschen vor Ort nicht mehr für Räte, Kreistage und Bezirksvertretungen kandidieren wollen, hat das sehr konkrete Auswirkungen auf unsere Demokratie.
Dann ist, wenn ich das so sagen darf, der Ausdruck „ein Angriff auf unsere Demokratie“ auch keine hohle Phrase mehr. Es ist keine hohle Phrase; denn das ist in der Tat ein Angriff auf unsere Demokratie. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass diese Einschüchterungsversuche von Rechtsextremen keinen Erfolg haben.
Eines will ich hier auch noch einmal deutlich machen. Diese Einschüchterung, die wir gerade erleben, ist ja nicht ganz neu. Ich kann mich gut an das Jahr 2012 erinnern, als vor den Wohnhäusern von unserer grünen Kollegin Daniela Schneckenburger, Ullrich Sierau und Guntram Schneider in Dortmund Demonstrationen von Neonazis stattgefunden haben.
Man muss aber auch sagen, dass es in 2015 und 2016 eine weitere Radikalisierung in der rechtsextremen Szene, zum Teil auch eine Enthemmung, teilweise auch in der Mitte der Gesellschaft, gegeben hat – aufgeheizt durch flüchtlingspolitische Diskurse, die auch von der AfD angestachelt wurden. Ich glaube, das muss man hier so klar ansprechen.
Ich will darauf hinaus, dass das Phänomen nicht neu ist. Deshalb stehen wir auch nicht bei null. Ich halte es für wichtig, das zu begreifen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine Infrastruktur. Seit 2011 haben wir Opferberatungsstellen, die natürlich auch für Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, für Amtsträgerinnen und Amtsträger und für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zur Verfügung stehen. Dieses Angebot müssen wir aber stärker in die Fläche tragen und bekannt machen. Im Übrigen wurden diese Opferberatungsstellen seinerzeit unter Rot-Grün eingerichtet.
Ich will hier aber noch einmal deutlich machen, für wie wichtig ich es halte, dass wir konkret werden. Es reicht nicht, nur zu diskutieren. Wir müssen sagen, was das auf der Landesebene bedeutet und was wir hier konkret umsetzen können. Wir haben einige Ideen und Vorschläge, die wir gern mit Ihnen diskutieren wollen.
Erster Punkt. Wir Grünen wollen auf Landesebene eine Stelle einrichten, die eine juristische Beratung für Kommunen im Themenfeld „Rechtsextremismus“ anbietet. Wie gehe ich als Kommune damit um, wenn es vor Ort „rechtsextreme Immobilien“ gibt? Das gilt aber natürlich auch, wenn eine Kommune juristische Beratung braucht, weil ihr Bürgermeister bedroht und angegriffen wird. Diese Stelle wollen wir gern auf Landesebene einrichten.
Zweiter Punkt. Wir wollen das Dunkelfeld aufhellen. Wir wissen, dass es in diesem Themenfeld ein Dunkelfeld gibt. Dieses Dunkelfeld wollen wir aufhellen. Wir wollen, dass entweder die gerade erwähnte Stelle für juristische Beratung oder die Opferberatungsstellen Vorfälle und Angriffe auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dokumentieren, damit wir hier endlich ein Hellfeld bekommen.
Dritter Punkt. Wir wollen eine Werbekampagne. Wir wollen, dass die Landesregierung – vielleicht mit der Landeszentrale für politische Bildung – eine Aufklärungs- und Informationskampagne zum Wert des kommunalpolitischen Ehrenamtes auflegt und auch dazu motiviert, bei der Kommunalwahl anzutreten.
Vierter Punkt. Die Handlungsempfehlungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss müssen endlich umgesetzt werden.
Zum einen haben wir als Untersuchungsausschuss beschlossen, dass Opfer von rechter Gewalt proaktiv über die Beratungsangebote von Opferberatungsstellen informiert werden sollen, wie das bei Opfern von häuslicher Gewalt heute auch schon gemacht wird. Man könnte das analog anwenden.
Zum anderen brauchen wir den regelmäßigen Austausch der örtlichen Staatsschutzbehörden – nicht nur des LKA – mit den Teams der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, um gemeinsam regionale oder lokale Gefährdungslagen zu identifizieren und als Polizei Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
Herr Reul, Sie wissen: Wir sind bei vielen Punkten nicht so nah beieinander. Aber bei manchen Punkten sind wir es. Sie haben letzte Woche vor der Deutschen Polizeigewerkschaft gesagt, eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht. Da bin ich voll bei Ihnen. Die gibt es nicht. Wir können nie eine hundertprozentige Sicherheit garantieren. Das ist völlig klar.
Wir können aber garantieren, meine ich, dass die demokratischen Parteien zu 100 % solidarisch sind, wenn Angriffe und Drohungen von Rechtsextremen erfolgen.