Protokoll der Sitzung vom 12.02.2020

Antrag der fraktionslosen Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Marcus Pretzell Drucksache 17/8552

Ich eröffne die Aussprache und als erster hat für die drei Antragsteller Herr Kollege Pretzell das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Vergangene Woche wurde der Versuchstierreport der Europäischen Union für die Jahre 2015 bis 2017 veröffentlicht.

In diesem Zeitraum wurde innerhalb der Europäischen Union etwa jedes fünfte Versuchstier in Deutschland eingesetzt; bei den Affen war es sogar etwa jedes dritte Tier. Affen, die außerhalb Europas gezüchtet werden, eine Quarantäne in Spanien oder Frankreich durchleben und anschließend auch und insbesondere in Nordrhein-Westfalen in Toxizitäts- und Unbedenklichkeitsverfahren eingesetzt werden.

Die Niederländer planen, ab 2025 keine Tiere mehr in Toxizitätstests zu verwenden. Die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA plant den Ausstieg aus Toxizitätstests an Säugetieren bis 2035. Gleichzeitig vergrößert in Münster das Labor, das bundesweit die meisten Affen als Versuchstiere einsetzt, seine Räumlichkeiten.

Es geht heute nicht darum, einen solchen Ausbau zu verhindern. Das ist hier aus rechtlichen Gründen nicht möglich; es ist auch aus wissenschaftlichen und medizinischen Gründen derzeit nicht möglich. Es geht auch nicht darum, heute einen konkreten Ausstieg zu beschließen. Dies liegt im Aufgabenbereich von Bund und Europäischer Union.

Es geht heute um zwei Punkte:

Erstens. Es geht darum, die Grundlage dafür zu schaffen, dass solche Labore möglichst bald der Vergangenheit angehören. Der beste Schutz für Tiere ist nämlich, wenn sie gar nicht in Versuchen eingesetzt

werden. Hierfür brauchen wir entsprechende Forschungsleistungen. Ich freue mich, dass unsere Wissenschaftsministerin zu diesem Thema sprechen wird, denn in ihr Ressort fallen auf Landesebene die entsprechenden Entscheidungen.

Zweitens. Es geht darum, in der Übergangszeit nicht hinnehmbare Zustände, wie sie vergangenes Jahr beispielsweise aus dem Versuchslabor LPT Mienenbüttel und 2003 auch aus Münster bekannt geworden sind, effektiver zu verhindern. Zur Wahrheit gehört nämlich leider auch, dass nicht immer ganz korrekt und tierschonend gearbeitet wird.

Versuchslabore, in denen keine Primaten gehalten werden, müssen nach aktueller Gesetzeslage lediglich alle drei Jahre besichtigt werden. NordrheinWestfalen sollte hier nicht nur auf Bundesebene auf eine Verkürzung des Intervalls hinwirken, sondern bereits jetzt die Labore im Land mindestens einmal im Jahr kontrollieren. Schön wäre es auch, wenn das LANUV die Transparenz mit einem regelmäßigen Bericht zu Tierversuchen fördern würde.

Das Ziel, langfristig aus Tierversuchen auszusteigen, ist unstrittig. Eine Strategie auf Bundes- und Landesebene fehlt aber bislang. Dass in bestimmten Bereichen Bund und Europäische Union die rechtlichen Vorgaben machen, befreit uns als Land nicht davon, unseren Beitrag zur Zielerreichung zu leisten.

Keine Frage, die Landesregierung hat bereits einzelne Initiativen gefördert. Aber das wird im bisherigen Umfang nicht reichen. Höhere Mittel für das CERST und ein eigener Förderpreis, wie ihn beispielsweise Hamburg bereits zum dritten Mal ausschreibt, wären ein guter Anfang.

Doch wir brauchen noch mehr. Wir brauchen einen runden Tisch, an dem, geleitet von unserer Landesregierung, die relevanten Akteure über Tierversuche und unseren Beitrag zur langfristigen Überwindung von Tierversuchen diskutieren.

Dabei müssen verschiedene Fragen beantwortet werden:

Wie können Verstöße gegen das Tierschutzrecht bei Versuchen zukünftig effektiver verhindert und vielleicht auch schneller festgestellt werden? Könnte zur Begleitung behördlicher Kontrollen Know-how aus Tierschutzvereinen das Vertrauen in die Kontrollen und die Labore steigern? Welches Potenzial bleibt mit Blick auf § 58 Hochschulgesetz – also der Verringerung des Einsatzes von Tieren in der Lehre – bislang noch ungenutzt? Wie schaffen wir es, regelmäßig eine ausreichende Besetzung der Ethikkommission mit Tierschützern zu sichern? Wird bislang vielleicht noch zu viel genehmigt? Was können alternative Methoden leisten? Was können wir in 10 bis 15 Jahren erreichen, und was bleibt zunächst Utopie?

Industrie, Wissenschaft, Behörden und Vereine müssen gemeinsam Antworten finden und am langfristigen Ausstieg arbeiten. Wir müssen mit unserer leistungsstarken Hochschullandschaft als Forschungsstandort interessant bleiben. Das gilt sowohl für die Erforschung von Ersatzmethoden, als auch für das Tempo, mit dem wir aus den Versuchen aussteigen.

Den Tieren ist mit einem übereilten Ausstieg, bei dem die Grundlagenforschung in Länder verlagert wird, in denen teils deutlich geringere Tierschutzstandards herrschen, nicht geholfen. Wir brauchen eine Strategie für eine optimierte Forschungsförderung und eine schrittweise Abkehr von Tierversuchen – eine Strategie für unser Land, die auf eine gemeinsame Diskussion folgt.

Dafür möchten wir uns mit diesem Antrag einsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Frank Neppe [fraktionslos])

Vielen Dank, Herr Kollege Pretzell. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Winkelmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierversuche sind sicherlich ein Thema, bei dem die Emotionen schnell hochkochen. Natürlich wären wir alle froh, wenn es keine oder signifikant weniger Tierversuche geben müsste. So weit ist die Wissenschaft zurzeit aber leider offensichtlich noch nicht.

Betrachten wir das Thema doch einmal sachlich. Wenn wir hier in Nordrhein-Westfalen ein führender Wissenschaftsstandort sein wollen, gehört dazu ohne jeden Zweifel medizinische Forschung.

Wenn im Antragstext von einem Negativranking die Rede ist, also einem Begriff, der direkt eine negative Konnotation hervorruft, sollte man bitte auch die positiven Seiten sehen.

Nordrhein-Westfalen ist ein führender Forschungs- und Wissenschaftsstandort. Forschungen zum Beispiel im Bereich neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa der Alzheimer-Krankheit sind dringend notwendig. Bis heute ist die Ursache der Alzheimer-Erkrankung nicht vollständig geklärt, auch wenn weitgehende Einigkeit über die möglichen Einflussfaktoren auf die Krankheitsentstehung herrscht. Weitere Forschungen sind daher unerlässlich, und dazu gehören eben leider – das betone ich ausdrücklich – zum aktuellen Zeitpunkt auch noch Tierversuche.

Wer entscheidet nun wie über die nötigen Versuche? In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit acht Ethikkommissionen, die sich zu zwei Dritteln aus Naturwissenschaftlern und zu einem Drittel aus Sachkundigen aus dem Tierschutz zusammensetzen. Jede

Kommission wird für die Dauer von drei Jahren berufen. In den Sitzungen votieren die Mitglieder im Sinne einer Genehmigungsempfehlung, einer Ablehnung oder behalten sich das Recht zur Wiedervorlage nach Beantwortung essenzieller Fragen vor.

Die CDU-Landtagsfraktion ist davon überzeugt, dass die Mitglieder der Tierschutzkommission nach § 15 Tierschutzgesetz jeden einzelnen Antrag sorgfältig prüfen. Die endgültige Entscheidung – darauf hatte der Kollege vorhin schon hingewiesen – über die Genehmigung eines Tierversuchs fällt das LANUV auf der Grundlage der Entscheidung der jeweiligen Ethikkommission. Sowohl für das LANUV als auch für die Mitglieder der Tierschutzkommission, die diese Tätigkeit übrigens ehrenamtlich ausführen, möchte ich eine Lanze brechen. Denn diese machen sich die Entscheidungen sicherlich nicht leicht.

Es ist vorhin schon angeklungen. Es gibt schon viele Maßnahmen im Land Nordrhein-Westfalen. Ich weise an dieser Stelle noch einmal darauf hin, dass demnächst ein neuer Tierschutzbeauftragter im Ministerium angesiedelt sein wird, und bei der Anhörung zu eben diesem Tierschutzbeauftragten ist ganz klar herausgekommen, dass auch das Thema „Versuchstiere“ von diesem Tierschutzbeauftragten mit in den Blick genommen werden muss.

Werfen wir aber noch einen kurzen Blick auf die Rechtsgrundlagen. Am 13. Juli 2013 trat die jüngste Änderung des deutschen Tierschutzgesetzes in Kraft. Ein Schwerpunkt ist hier die konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung des 3R-Prinzips – Replacement, Reduction, Refinement – zur Vermeidung und Verbesserung der Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken.

Laut der druckfrischen Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zum laufenden Vertragsverletzungsverfahren wegen offener Fragen zur Umsetzung der genannten EU-Versuchstierrichtlinie gibt die Bundesregierung ganz aktuell an, im bisherigen Verfahren bereits eine Vielzahl an Punkten, die die Europäische Kommission initial bemängelt hatte, ausgeräumt zu haben.

Eine weitere Überarbeitung und Konkretisierung einiger nationaler Regelungen zum Schutz von Versuchstieren befindet sich in Arbeit. Die entsprechenden Rechtssetzungsvorschläge befinden sich laut Bundesregierung bereits in der Ressortabstimmung und werden danach in die Länder- und Verbändebeteiligungen gegeben. Es ist also sehr viel Bewegung in diesem wichtigen, emotionalen Thema.

Damit sind aus unserer Sicht die Forderungen des Antrags weitestgehend obsolet. Wir werden ihn daher ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Blask.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reduzierung von Tierversuchen ist ein hehres Ziel, und wie die Herren Langguth, Pretzell und Neppe in ihrem Antrag bereits festgestellt haben, auch Konsens zwischen den Fraktionen.

Genauso herrscht aber auch in der Wissenschaft Einigkeit, dass Tierversuche leider immer noch nicht vollständig ersetzbar sind. Das werden sie in weiten Bereichen der biomedizinischen Forschung auch auf absehbare Zeit bleiben. Sie sind aber in Deutschland wie in ganz Europa streng geregelt und dürfen nur genehmigt werden, wenn sie nicht durch Alternativmethoden ersetzbar sind.

Ein Schwerpunkt bei der Erforschung von Erkrankungen von Menschen und Tieren liegt im Bereich der Krebserkrankung des Menschen. Rund 44 % der Tierversuche dienten der Grundlagenforschung, etwa 15 % der Erforschung von Erkrankungen von Menschen und Tieren, etwa 23 % wurden bei der Herstellung oder Qualitätskontrolle von medizinischen Produkten oder für toxikologische Sicherheitsprüfungen verwendet.

Meine Damen und Herren, das entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung, aktiv an der Entwicklung von Alternativmethoden zu arbeiten, die Zahlen von Tierversuchen zu verringern und die Belastungen von Tieren in Tierversuchen weiter zu reduzieren.

Für Tierversuche gibt es einen festen Rahmen. Es liegt dabei in der Verantwortung unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in enger Zusammenarbeit mit den Tierschutzbeauftragten und Experten der Versuchstierhaltung im Vorfeld der Antragstellung dem sogenannten 3R-Prinzip Rechnung zu tragen. 3R steht für Refinement, Reduction und Replacement, auf Deutsch also Verfeinerung, Verringerung und Ersatz.

Unter Refinement versteht man also die Optimierung der Herangehensweise im Experiment und die Versuchsbedingungen für das Tier so wenig belastend wie möglich zu gestalten und dadurch Schmerzen, Leiden oder Schäden des Tieres so gering wie möglich zu halten.

Exakte Versuchsplanungen sowie innovative mathematische Verfahren führen zur Reduktion, das heißt, Verminderung der im Versuch eingesetzten Zahl der Tiere.

Das wichtigste Prinzip ist natürlich die Vermeidung, also das Replacement.

Meine Damen und Herren, die SPD verfolgt schon seit Jahren das Ziel, Tierversuche möglichst schnell durch Alternativmethoden zu ersetzen und die Anzahl verwendeter Versuchstiere zu reduzieren. Auf Bundes- und auf Landesebene hat die SPD deshalb die Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen und die Vergabe des Tierschutzforschungspreises unterstützt.

Unter dieser Prämisse hat die rot-grüne Landesregierung 2016 das Zentrum für Ersatzverfahren zum Tierversuch – CERST – in Düsseldorf gegründet und auch finanziell gefördert. CERST hilft, Tierversuche möglichst vollständig durch tierversuchsfreie Verfahren zu ersetzen. Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse auch ohne Tierversuche zu gewinnen. Dabei hat es sich gezeigt, dass alternative Testverfahren häufig auch leichter durchzuführen und finanziell auch günstiger sind. Diesen Weg werden wir auch weitergehen.

Der Beantwortung Ihrer eigenen Kleinen Anfrage, Herr Kollege Pretzell, ist zu entnehmen, dass auch die Landesregierung diesen von uns eingeschlagenen Weg verfolgt. Die Projektförderung für CERST ist erhöht worden. Die Laufzeit wurde verlängert. In Münster wird eine Professur zum Thema eingerichtet, und auch der Aufbau eines Instituts zur Bündelung der Aktivitäten nordrhein-westfälischer Wissenschaftler scheint auf dem Weg.

Daher sehen wir hier keine Notwendigkeit, dem Antrag der Herren Langguth, Pretzell und Neppe zuzustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Blask. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Diekhoff.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was uns alle in diesem Haus und wahrscheinlich auch alle Menschen in Nordrhein-Westfalen eint, ist natürlich, dass wir Tierversuche grundsätzlich überwinden wollen und dass wir es als Menschheit schaffen müssen, dass wir sie auch überwinden können.

Aktuell ist der komplette Verzicht auf Tierversuche noch nicht möglich. Ich verstehe den Wunsch danach, der ja auch immer wieder aus verschiedenen Kreisen vorgetragen wird, aber noch ist die Medizin nicht so weit. Für die Entwicklung von Medikamenten gegen schwere Erkrankungen ist es nach wie vor erforderlich, diese an Tieren zu testen. Ich glaube, das kann jeder menschlich nachvollziehen. Gibt es eine neue Substanz und fragt man, ob man die Substanz, mit der wahrscheinlich, zu 80 %, ein erkranktes Baby